Manfred Flügge: Das flüchtige Paradies

Wer meinen Blog öfter besucht, wird sich vielleicht daran erinnern, daß ich letztes Jahr hier einige Bücher über Lion Feuchtwanger [1] vorgestellt habe, das ganze angeregt durch meinen Lesekreis, in dem wir ein Buch von Klaus Modick [1c] besprochen hatten, das sich mit der deutschen (Literatur)Exilantenszene befasst. In diesem Zusammenhang taucht häufig der Name einer kleinen Stadt an der Côte d’Azur auf, Sanary-sur-Mer. Deswegen war es keine Frage, daß ich neulich sofort zugegriffen habe, als ich ein Taschenbuch von Manfred Flügge fand (jener, der auch die Biografie Marta Feuchtwangers [1b] verfasst hat), in dem er die Geschichte dieses Ortes Sanary-sur-Mer [2] nachzeichnet.

Diese beginnt natürlich (auch im Hinblick auf den Besuch von „Fremden“) nicht erst mit den durch die Nationalsozialisten vertriebenen deutschsprachigen Schriftstellern [3], sondern deutlich früher. In einem einleitenden Kapitel beschreibt Flügge die touristische Entdeckung der französischen Mittelmeerküste durch die Engländer im späteren 18. Jahrhundert (im Jahr 1800 lebten 110 englische Familien dauerhaft in Nizza, einen anglikanischen Friedhof gab es zu dieser Zeit schon längst), denen dann im drauffolgenden Centennium die Russen folgten. Wer diese Küste kennt, kann dies nachvollziehen: das Licht, die Wärme, die Sonne, das Meer, die ganze Landschaft, auch der für Nordmänner kaum existierende Winter – all dies verzaubert und umschmeichelt den Menschen (insbesondere, wenn er nicht mit der Hände harter Arbeit sein Brot verdienen muss….).

So ist der erste Teil dieser „künstlerischen“ Historie des Ortes im wesentlichen durch Engländer geprägt. AutorInnen wie Kathreen Mansfield, D.H. Lawrence, Aldous Huxley und William Somerset Maugham werden im Buch ausführlicher vorgestellt und ihr Bezug zu Sanary (und anderen Orten in der Nähe dieses Ortes). Aber es sind natürlich nicht nur Schriftsteller, die diese Küste lieben lernen, auch und gerade Maler werden hier des Lichtes, der Farben wegen heimisch, „den deutschen Malern war Sanary seit Mitte der zwanziger Jahre ein Montparnasse am Meer…. Als Entdecker dieses Treffpunkts der deutschen, aber auch der skandinavischen und russischen Maler galt der deutsche Maler Rudolf Levy (1875-1944)“ [4]. Ein weiterer (unter vielen) Malern war Erich Klossowski (1875-1949) [5], der um 1930 in der Region um Sanary arbeitete.

In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts fing sich in Deutschland die braune Brut an zu regen. Wie von vielen anderen auch, wurde sie ebenso von Intellektuellen wie Schriftstellern unterschätzt. Spätestens mit der organisierten Bücherverbrennung im Mai 1933 [6] und der Veröffentlichung der ersten (von sehr vielen) Ausbürgerungliste [7] im August 1933 war klar geworden, wie konsequent das neue deutsche Regime seine Ziele verfolgen würde. Neben Politikern finden sich Lion Feuchtwanger auf dieser Liste, Heinrich Mann, Alfred Kerr, Ernst Toller, Kurt Tucholsky u.a.m. Viele dieser Namen tauchen auch im Zusammenhang mit Sanary auf.

Thomas Mann in Sanary-sur-Mer 1933 Bildquelle [B]
Thomas Mann in Sanary-sur-Mer 1933
Bildquelle [B]
Sanary-sur-Mer war vom bukolischen Sehnsuchtsort der Künstler, an dem sie im mediterranem Licht badeten und sich elysischen Gesängen hingaben, vom heiteren Ort kreativen Schaffens zum Zufluchtsort geworden, der ein Paradies war so wie ein Gefängnis, der von Existenzängsten und Zukunftssorgen durchwabert wurde. Zwar traf man sich in den Straßen und Cafés, flanierte, diskutierte, philosphierte, arbeitete auch, es wurden Einladungen ausgesprochen und Parties gefeiert, aber dies alles konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß diesen Schriftstellern, Journalisten, Autoren ihre Leser abhanden gekommen waren, ihre Verleger und ihr Publikum. Es gab zwar Exilverlage wie Querido in Amsterdam [10], aber deren Abnehmer waren begrenzt auf die Auslandsdeutschen, eine Existenz konnte man darauf nicht aufbauen..

Man war durchaus nicht einer Meinung in allen Angelegenheiten. Manche der Exilanten schienen sich zu sehr dem Kommunismus zuzuwenden, Feuchtwanger z.B. wurde seine Reise in die UdSSR mitsamt Empfang durch Stalin heftig angekreidet. Alma Mahler-Werfel auf der anderen Seite war völlig skrupellos, in Gesellschaft auch derb antisemitische Äußerungen loszulassen, eine Situation für ihren jüdischen Mann Franz Werfel, sich fremd zu schämen, was Alma wiederum kaum anfechtete [10].

Gedenktafel an deutsche u. österreichische Schriftsteller, die sich in Sanary-sur-mer im Exil vor den Nazis befanden Bildquelle: [B]
Gedenktafel an deutsche u. österreichische Schriftsteller, die sich in Sanary-sur-mer im Exil vor den Nazis befanden
Bildquelle: [B]
 Es würde zuweit führen, jetzt auf Einzelheiten einzugehen. Flügge schildert in der Folge knapp und bündig das Schicksal einiger herausragender dieser Emigranten, an erster Stelle sind wohl die Familie Mann zu nennen, auch Heinrich Mann, der Bruder von Thomas, ferner selbstverständlich Lion Feuchtwanger, der sich von allen Emigranten wahrscheinlich am wohlsten in Sanary gefühlt hat (im Gegensatz zu Thomas Mann, der lange brauchte, seine neue Lebenssituation zu akzeptieren). Sieben Jahre verbrachte Feuchtwanger mit seiner Frau Marta [vgl. auch 1b] dort und verpasste dabei den rechtzeitigen Absprung, denn 1940, mit der Niederlage gegen das Dritte Reich änderte sich die Stimmung in Frankreich. Die Jahr zuvor herzlich empfangenen deutschen Emigranten wurden auf einmal zu Spionen, zu Kommunisten und auch Juden. Schikanen wie häufige Ausweiskontrollen nahmen zu, Internierungen wurden vorgenommen… Feuchtwanger, dem letztlich eine halsbrecherische Flucht gelang, schrieb sich seinen Zorn, kaum in den USA angekommen, von der Seele [8]. Andere, wie die Manns, waren zu dieser Zeit schon, zum Teil auf abenteuerlichen Wegen, in die USA weitergezogen.

Werfels zum Beispiel wurden die notwendigen Ausreisevisa verweigert. Sie wurden Teil der „…Millionen dieser seltsamen Völkerwanderung…“ [9], kamen nach diversen Stationen endlich in Lourdes unter, wo sie sich mehrere Wochen verbargen, bis ihnen die Flucht in die USA endlich gelang.

So wurde die Exilantenszene in dem Mittelmeerstädtchen durch die politische-militärischen Entwicklungen schnell aufgelöst und fügte sich in das allgemeine Chaos des Flüchtlingsstroms im Süden Frankreichs ein….

Viele der Orte von damals sind noch existent, die gemieteten Häuser, die Hotels, in denen logiert wurde, die Cafés… sie gehören zur Geschichte von Sanary und dies wird jetzt auch gerne akzeptiert. Den (oder vielen davon) Exilanten, die hier, am Mittelmeer, Zuflucht gefunden hatten, bevor sie auch von hier vertrieben wurden, wurde mit der obigen Tafel ein Gedenken gesetzt….


Manfred Flügge hat mit seinem Das flüchtige Paradies einen interessanten Ansatz gewählt, diesen Aspekt der neueren deutschen Literaturgeschichte zu beleuchten. Dadurch, daß er einen Ort, an dem sich viele Lebenswege in einer dramatischen Zeit kreuzen oder zumindest berühren, in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt, treten viele Querverbindungen zu Tage, die ansonsten verborgen bleiben. Freundschaften und Animositäten, Zusammenarbeit und Konkurrenz, auch Liebeleien und Liebesverhältnisse – die Emigrantenszene war trotz allem klein und man lief sich stets über den Weg, musste sich oftmals arrangieren. Nicht selten lauteten die Tagebucheinträge anders als der Ton am hellichten Tage, wenn man sich begegnete… Wem die Gelegenheit gegeben ist, Zugriff auf dieses Büchlein zu bekommen (das (Stand Ende Juli 2014) im „Gebrauchtbuchhandel“ mit z.T. über 40,– (!) Euro angeboten wird), sollte sie beim Schopfe packen, es lohnt sich! Das umfangreiche Register macht das Büchlein zusätzlich auch zu einem informativen Nachschlagewerk.

Links und Anmerkungen:

[1a] zu den Buchbesprechungen über Feuchtwanger im Blog: https://radiergummi.wordpress.com/tag/lion-feuchtwanger/
[1b] Manfred Flügge: Die vier Leben der Marta Feuchtwanger; https://radiergummi.wordpress.com/2013/05/18/…
[1c] Klaus Modick: Sunset; https://radiergummi.wordpress.com/2013/03/11/klaus-modick-sunset/
[2] Wiki-Beitrag: http://de.wikipedia.org/wiki/Sanary-sur-Mer
[3] deutschsprachig, weil ausser deutschen „natürlich“ auch österreichische Autoren ins Exil getrieben worden sind….
[4] einige Infos zum R. Levy sind auf http://www.rudolf-levy.info
[
5] Erich Klossowski war auch Autor, hier der Wiki-Artikel zur Person:  http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Klossowski, er verstarb sogar in Sanary
[6] dazu hier im blog u.a.: https://radiergummi.wordpress.com/2008/05/10/10-mai-1933/
[7] Wiki-Beitrag mit den Namen der Ausgebürgerten: http://de.wikipedia.org/wiki/….
[8] Lion Feuchtwanger: Der Teufel in Frankreich; hier im blog: https://radiergummi.wordpress.com/2013/04/27/..
[9] Franz Werfel: Das Lied von der Bernadette, Bermann-Fischer-Verlag, 1948, Vorwort. Dieser Roman über die Geschichte der Bernadette in Lourdes entstand aufgrund eines Gelübdes Franz Werfels, daß er in dieser Pyrenäenstadt ablegte: Wenn es mir gelingt, „die rettende Küste Amerikas zu ereichen, dann will ich …“ . Es ist witzig, diesen Roman habe ich eine Woche später in derselben Grabbelkiste gefunden wie Flügges … Paradies. Es ist zwar nicht mein Thema, aber Ehrensache, daß ich ihn mitgenommen habe….
– was das besondere an der Beziehung Franz Werfels mit Alma Mahler-Werfel angeht, hat Michael Lentz dies in seinem Roman Pazifik  Exil sehr schön dargestellt. Auch lesenswert. (Michael Lentz, Pazifik Exil, S. Fischer, 2007)
[10] Wiki-Beitrag zum Querido: http://de.wikipedia.org/wiki/Querido_Verlag

[B]ildquellen:
– Gedenktafel: Wiki-Beitrag: http://de.wikipedia.org/wiki/Golo_Mann; By –Anima 21:00, 28 September 2007 (UTC) (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons
– Thomas Mann in Sanary: By anonymous (the author did not disclose his/her identity) [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons (http://commons.wikimedia.org/….)

Weitere lesenswerte Fundstellen zum Thema:

Manfred Flügge
Das flüchtige Paradies
Künstler an der Côte d’Azur
diese Ausgabe: Aufbau Taschenbuch, ca. 280 S., 2008

4 Kommentare zu „Manfred Flügge: Das flüchtige Paradies

  1. Hallo,

    Danke für die äußerst interessante Rezi.

    Zum Themenbereich passt auch noch sehr gut:

    „Exil am Mittelmeer“
    Deutsche Schriftstelle in Südfrankreich 1933-1941
    Hrsg von Ulrike Voswinckel und Frank Berninger
    alliteraverlag, edition monacensia, 2005

    Enthalten sind Dokumente und Brief sowie Photos, ebenfalls das komplette Tagebuch von Alfred Neumann aus den Jahren 1940 / 41 umgeben von informativen Texten der Herausgeber.

    Und mit 26 Euro (Neu – gebraucht natürlich preiswerter) doch noch etwas günstiger.

    Allerdings werde ich mir das Flügge – Buch jetzt trotzdem noch besorgen. Und wer ist Schuld…

    Schönen Sonntag

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    1. ein hallo zurück!

      herzlichen dank für den schönen kommentar und den interessanten buchhinweis, ich werde es mir mal anschauen! ach ja, und was die schuld angeht… ich weiß von garnix… ich kann´s also nicht gewesen sein!

      liebe grüße
      fs

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