Konkursbuch 56: Tod

Über den Tod zu schreiben gleicht dem Blinden, der von der Farbe redet. Niemand kann aus eigener Erfahrung vom Tod berichten, über den Tod schreiben, ihn beschreiben, darstellen, schildern. Übers Sterben, welches nicht mit dem Tod verwechselt werden darf, zu Schreiben ist im Unterschied dazu prinzipiell auch für den Betroffenen denkbar und als Begleiter eines Sterbens kann man dies sowieso. So schildert uns beispielsweise Martin Knepper in einem seiner Beiträge eine „Choreografie des (Erstickungs)Todes“, eine Art zu sterben, die corona-aktuell ist und nicht schön…. Der Tod war, ist und wird es auf ewig bleiben ein Geheimnis für uns, das wir selbst im Tod nicht lösen können, denn dann sind wir genau das, nämlich tot, haben unsere irdische Existenz verlassen, hat diese sich aufgelöst. Die letzte Lebensminute … erleben, aber nicht mehr beschreiben zu dürfen .. ist daher eine … literarische Folter, wie es Frederike Frei in ihrem Beitrag bezeichnet und gegen diese Folter versucht der Konkursbuchverlag mit seinem Buch anzugehen.

Über was also schreiben wir, wenn wir über den Tod schreiben? Über was antworten wir, wenn wir zum Tod befragt werden? Denn genau das hat Claudia Gehrke mit ihrer Kollegin Stephanie Sellier gemacht, Menschen zum Thema Tod befragt (https://www.konkursbuch-shop.com/fragen-zum-konkursbuch-56/) und diese Antworten zu einer Anthologie über den Tod zusammengefasst und als Konkursbuch 56 veröffentlicht – in einer Auflage von 666 Exemplaren, auch dies kann kein Zufall sein (https://de.wikipedia.org/wiki/Sechshundertsechsundsechzig) und bringt mich zu grübeln, was uns die Herausgeberinnen damit sagen wollen. Der Tod als Teufels Werk (und das Leben ergo als Gottes Beitrag?) Es ist also spannend und vielversprechend.

Sterben ist die letzte Phase des Lebens, es ist die manchmal sehr schwere, manchmal aber auch als natürlich empfundene Annäherung an den Zustand, den wir mit „tot sein“ bezeichnen. Es ist die unbegreiflichste aller Verwandlungen, … der Wechsel von einem Lebewesen zu einer Materie, von einem Anwesendem zu einem Abwesendem, so wird Yoko Tawada, eine in Berlin lebende japanische Schriftstellerin im Vorwort zitiert. Es ist im Grunde unbegreiflich für uns, was im Sterben geschehen ist, es ist unfassbar, der Mensch, den wir gekannt, mit dem wir gelebt, gelacht, gestritten, geliebt (hoffentlich möglichst oft und intensiv!) haben, ist nicht mehr, ist nicht mehr, ist kalt geworden, steif und starr, die Augen gebrochen, das Herz, dessen Schlagen uns, wenn wir den Kopf auf die Brust gelegt hatten, in seinem Rhythmus wiegte, ist stumm geworden.

Tod ist ein Buch, eine Textsammlung, das sich diesem Phänomen auf verschiedenen Wegen nähert. Es ist weniger ein „Fachbuch“, das uns medizinische, soziologische oder andere Fakten näher bringen will (obwohl es solche auch enthält), der Schwerpunkt liegt vielmehr auf Erfahrungen, Lebensberichten, der Wiedergabe persönlicher Eindrücke, aber auch Bilder und ja, ein Theaterstück, das uns Leser durch das Buch führt.. Die Sammlung ist in acht große Abschnitte gegliedert: Überblicke und etwas Politisches / Friedhöfe, Beerdigungen, Gespenster / Tod in der Literatur / Das Ende / Philosophisches, Theologisches und weiterer Gespenster / Leben, Liebe, Sterben / Die Stimme der Medizin, Freitod, Testamente und last not least: Zum Schluss. Eingefügt in die Abschnitte sind Antworten auf den im Vorfeld „verteilten“ Fragebogen.

Ich habe dieses Buch nach dem Prinzip „Zufall“ gelesen, soll heißen, ich habe es einfach aufgeschlagen und bin dann in die Texte gegangen. Es ist, denke ich, ein guter Weg, sich dieses schweren Themas in diesem Buch anzunähern. So entdeckt man beispielsweise Thomas Osers Geschichte meines Todes, in der er seine als Kind empfundene Angst vor dem Tod, der plötzlichen Erkenntnis, dass auch [sein] Körper mal … vermodern und verfaulen wird, eine Erkenntnis, die ihm immer wieder Panikattacken bescherte. Renée Rauchalles formuliert in ihrem sehr persönlichen Beitrag Der Tod hat viele Gesichter einen Satz, der mir sehr gut gefallen hat: …. lehrte mich die Kunst des Sterbens, also die Kunst des Loslassens. Sterben als Loslassen läßt sich damit auch andersherum lesen: jedes Loslassen als Vorbereitung für ein (gutes?) Sterben…. Wir alle wissen, wie schwer es ist, etwas, was wir lieben, loszulassen, wegzugeben, es ist möglicherweise eine Ahnung davon, wie schwer auch Sterben sein kann, sein wird, wenn wir uns nicht darauf vorbereiten…. Dem Loslassen ist auch ein Beitrag von Henrike Lang mit gleichem Titel gewidmet, sie schaut auf die Sterbewege bekannter Literaten wie Susan Sontag, deren Sohn ihr schweres Sterben beschrieben hat (Tod einer Untröstlichen) oder auch Wolfgang Herrndorf, der als letzten Ausweg den Suizid wählte (Arbeit und Struktur) ebenso wie auf Thomas Bernhards autobiographischen Band Die Entscheidung, um nur die bekanntesten Namen zu nennen, die in diesem Beitrag vorkommen.

Aktuell interessant ist der Aufsatz von Torsten Flüh über Epidemie-Literatur, während Katharina Döblers Beitrag Wie die Tuberkulose ihren romantischen Reiz verlor mehr eine Rezension einer entsprechenden Veröffentlichung darstellt. Hochinteressant ist der Beitrag von Adrian Zinn Zurückkommen: Ein Versuch, in der er schildert, wie er nach einem Suizidversuch wieder ins Leben zurückfindet: Der Versuch ist also zum Glück gescheitert, damals. Doch die Frage, was da eigentlich geschehen ist, lässt mich nicht los. Worüber ich mich persönlich sehr gefreut habe, ist die Tatsache, daß ich im Buch der Tödin begegnet bin. In einem Theaterstück, das uns durch das Buch leitet, herrscht sie über die Station II und ähnlich wie Hannah Zufall, die Autorin des Stückes, empfinde ich selbst, seit ich diese uralte, weitgehend in Vergessenheit geratene Figur des Volksglaubens kennengelernt habe: Ich stell mir am liebsten einen weiblichen Tod vor, das hat etwas Schwesterliches, fast Tröstliches. Ähnliches beschreibt auch Ulrike Pfeil in ihrem Aufsatz Das letzte Abenteuer. Ich kann nur empfehlen, eine beliebige Geschichte mit dem Sensenmann mal in der weiblichen Form mit der Tödin anstelle des Knochengerüsts zu lesen und dieses fast Tröstliche wird sich bald einstellen…. (Wer mehr dazu wissen möchte, kann sich hier kundig machen: Erni Kutter: Schwester Tod; https://radiergummi.wordpress.com/2017/01/11/erni-kutter-schwester-tod/).

Manchmal „läuft anscheinend auch was falsch“. Am Ende des Textes von Manfred Menzel: Deadline findet sich der Satz über das Sterben seiner Mutter: … am Ende litt sie unter unsäglichen Schmerzen, kaum in den Griff zu bekommen von einer Medizin, die sich in grandioser Selbstüberschätzung palliativ nennt. Welch eine Verbitterung spricht aus dieser einen Feststellung, welch ein Vorwurf auch gegen eine der segensreichen Entwicklungen der Medizin, die sie in den letzten Jahren für Menschen in der Nähe des Todes entwickelt hat! Was steckt alles in diesem Vorwurf, was muss in diesem Sterben alles geschehen sein…

Und dann ist da dieser Beitrag Abgrund zum Himmel von Jeanette Oertel, der mich sehr bewegt hat. Wir alle kennen Trauer und Trauergeschichten, wenn beispielsweise ein Partner stirbt, die Eltern oder die Kinder gar vor den Eltern. Was wir nicht kennen, ist die Geschichte eines/r heimlichen Geliebten, deren Geliebte/r nicht zum Rendevouz erscheint und die (die Geschichte ist aus der Sicht einer Frau geschrieben) dann, als sie sich auf die Suche begibt, in seinem Zimmer in der Kanzlei, in der ihr Geliebter gearbeitet hat, ein Portraitfoto von ihm findet mit schwarzer Binde. Mit wem soll sie jetzt ihre Trauer teilen, wem sie zeigen, woher die Kraft nehmen, ein nach aussen normales Leben zu führen, ist doch der Verlust nicht nur deswegen geringer, weil die Legalisierung dieser Liebe gefehlt hat….

Zum Abschluss dieser völlig willkürlich-subjekten Auswahl von Beiträgen, die ich genannt habe, will ich noch Eike Gebhardts kämpferischen Text Völlig überhöhter Autonomiebegriff zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 über das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben als Beispiel für einen eher fachlichten Beitrag erwähnen. Ein Urteil, dessen Umsetzung in Gesetzesform, so führt er aus, von diversen gesellschaftlichen Kräften sabotierte wird. Es ist ein, wie er ausführt, ein …inzestuöser Kreis: der Gesetzgeber, die Kirchen, die Ärztezunft …. nur die Bevölkerung nicht … aber die haben keine Stimme. , der hier die im Grundgesetz garantierte und durch das BVG festgestellte Autonomie des Menschen, des Einzelnen, aushöhlen will.


Wovor haben sie Angst, ausser vorm Tod [? Diese Interviewfrage las ich ganz aktuell und musste sofort an diese Textzusammenstellung denken. Angst hat man vor dem, was unbekannt ist, was man nicht einschätzen, einstufen kann. Diese manchmal hohe Schwelle zur Auseinandersetzung mit dem Thema des (eigenen) Sterbens, des (eigenen) Tods zu überwinden und damit auch die Angst vielleicht nicht zu nehmen, aber beherrschbar zu machen, ist dieses Buch ganz wunderbar geeignet.


Claudia Gehrke, Stephanie Sellier (Hrsg)
Tod
Konkursbuchverlag Claudia Gehrke,
mit vielen Abbildungen
diese Ausgabe: Konkursbuch 56, Softcover, ca. 450 S. 2020

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

p.s.: zu den beiden obenstehend erwähnten Büchern über Susan Sontag und Wolfgang Herrndorf gibt es Buchvorstellungen hier im Blog:

David Rieff: Tod einer Untröstlichen: https://radiergummi.wordpress.com/2012/08/27/david-rieff-tod-einer-untrostlichen/)
Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur; https://radiergummi.wordpress.com/2014/02/04/wolfgang-herrndorf-arbeit-und-struktur/)

Weitere Buchvorstellung zu diesem Themenkreis sind unter:
https://radiergummi.wordpress.com/category/krankheitsterbentodtrauer/
zu finden.

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