Oliver Müller: Altern. Sterben. Tod.

Der Autor Oliver Müller ist mit seinem Studium der evangelischen Theologie einerseits und der Physiologischen Chemie und der Humanmedizin andererseits ein Experte dafür, dieses schwierige Thema unter der Berücksichtigung vieler Aspekte zu behandeln. Um es gleich vorweg zu sagen: Altern. Sterben. Tod ist in weiten Teilen kein erzählendes Buch, sondern ein mit vielen Fakten und Infos angefülltes fast schon Kompendium zum Thema. Entsprechend dem Titel ist es in drei große Abschnitte gegliedert, denen ein weiteres voran gestellt ist mit dem Thema Leben und Vergänglichkeit.

Müller versucht. in diesem einleitenden Abschnitt einen Überblick zu geben über die Entstehung von Leben, seinen Eigenschaften und den grundlegenden biochemischen Vorgängen, die sich bei der Befruchtung, dem Heranwachsen des neuen Lebens im Mutterleib und nachher bei dem Erwachsenwerden des „neuen“ Menschen abspielen. Schon in diesen Betrachtungen zeigt sich das Dilemma und der Grund dafür, daß Leben prinzipiell zeitlich beschränkt ist: all diese Vorgänge sind extrem komplex und damit fehleranfällig. Zwar gibt es ausgefeilte Reparaturmechanismen in den Zellen, jedoch summieren sich verschiedene Fehler, die in den zellulären Abläufen auftreten können, im Lauf der Zeit: der Körper altert. Dies alles auf wenigen Seiten zumindest anzureißen gleicht einem Parforceritt durch die Biochemie, ein wenig naturwissenschaftliche Grundkenntnisse schaden beim Lesen nicht.

Dabei zeigt sich im Text schon auf den ersten Seiten, wie kompliziert es ist, komplizierte Sachverhalte so zu formulieren, daß sie auch ein „Laie“ verstehen kann. Ein Beispiel: bekanntlich gibt es keine allgemeingültige Definition, was Leben ist, denn wenn man genau hinschaut auf die vermeintliche Grenze zwischen Leben und „tot“, sieht man eine Art Grauzone (vgl. hier: https://www.synthetische-biologie.mpg.de/17480/was-ist-leben), bei Müller jedoch liest es sich so: Im wissenschaftlichen Zusammenhang versteht man unter „Leben“ einen besonderen Zustand, in dem sich nur lebende Wesen befinden können und der sie von leblosen oder toten Systemen unterscheidet. Diese Definition…. eine klassische Tautologie also, die Müller hier explizit als Definition bezeichnet, die er dann zwar durch Erklärungen aufzulösen versucht, aber eine Definition sollte eigentlich für sich allein aussagekräftig sein. Überhaupt. Tabelle 1.1 gibt z.B. Bedingungen wieder, die ein Lebewesen, bzw. die Vorgänge, die in selbigem ablaufen, erfüllen ‚müssen‘, u.a.: Die Dauer eines individuellen Lebens ist begrenzt. Zwei Absätze weiter heißt es jedoch: Die Bedingung der zeitlichen Begrenztheit ist bei einzelligen Lebewesen wie dem Pantoffeltierchen …. nicht erfüllt. Es ist offensichtlich kompliziert. So erfahren wir auch, daß Sand aus der Aggregation von Staub entsteht [S. 47: … aus vielen Staubpartikeln bildet sich schließlich ein Sandkorn. ], mitnichten also ein Erosionprodukt ist, zu dem Steine, Fels oder Muschelschalen im Lauf der Zeiten werden. Besonders verblüfft hat mich das Ende eines toten Körpers aus physikalischer Sicht: … Früher oder später ist der komplette Körper in einzelne Atome und Moleküle abgebaut und zerfallen, die in der Atmosphäre ungeordnet verteilt sind. [S. 49]. Nichts also mit dem romantischen Gedanken, sich irgendwann im Kreislauf der Natur wiederzufinden….

Ausführlich wird der Prozess des Alterns betrachtet, der unterschieden werden muss vom Begriff des „älter werdens“, denn ein Säugling beispielsweise wird zwar älter, aber er altert noch nicht, im Gegenteil, entwickelt er sich ja noch weiter bis zum Erwachsenenstatus. Altern heißt, daß durch externe oder interne Ursachen Prozesse im Zellinneren gestört werden, die auch nicht mehr repariert werden können und die zu Funktionsbeeinträchtigungen von Organen führen bis hin zum Funktionsausfall, der ggf. dann sogar den Sterbeprozess einleiten kann. An drei der sogenannten Alterskrankheiten illustriert Müller diese Vorgänge: Demenz, Arteriosklerose und Krebs. Auch hier helfen naturwissenschaftliche Vorkenntnisse beim Verständnis. Positiv möchte ich jedoch an dieser Stelle auf die didaktisch gute Ausgestaltung des Textes hinweisen, viele Grafiken und Tabellen sowie herausgehobene Merksätze erleichtern das Verständnis des Inhalts deutlich.

Werden diese beiden Abschnitte über das Leben und das Altern in der Tat schwerpunktmäßig naturwissenschaftlich abgehandelt, spielen in den nächsten Themenbereichen „Sterben“ und „Tod“ andere Fakultäten die Hauptrolle, hier liegen die Schwerpunkte auf medizinischen, soziologischen und auch philosophisch-theologischen Aspekten. Beispielsweise geht Müller ausführlich auf die Frage ein, welchen Sinn das Sterben hat, wobei er konstatiert: … der Mensch ist schon lange nicht mehr Teil der natürlichen Evolution. Eine These, über die sich trefflich diskutieren ließe, vgl. diese kurzen Überblicke: Niels Boeing: Der Mensch ist noch nicht fertig; https://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/01/mensch-evolution-zukunft/komplettansicht bzw. Philipp Mitteroecker: Wie die Evolution uns immer noch verändert; https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/wie-die-evolution-uns-immer-noch-veraendert/ oder auch: Annika Röcker: Die Evolution des Menschen hat nie aufgehört, https://www.spektrum.de/news/die-evolution-des-menschen-geht-weiter/1831030.

Immer wiederkehrend untersucht Müller die Frage, inwieweit solche Kenntnisse über unseren eigenen, unvermeidlichen Tod, ums Sterben, um die Möglichkeit oder gar Sicherheit, im Alter zu erkranken, unsere Handlungsweisen im Hier und Jetzt beeinflussen. Über Faktoren wie z.B. gesunde Ernährung wird als Beispiel die Lebenserwartung möglicherweise immer größer (er nimmt dazu Japan als Beispiel), wobei dies natürlich eine statistische Aussage ist, die nicht auf den einzelnen Menschen heruntergebrochen werden kann. Hier wird Müllers Buch dann letztlich auch zum Ratgeber, Tabelle 3.15 listet populäre Ratschläge für ein langes Leben auf.

Im Abschnitt über den Tod wird dieser erst einmal definiert und in seinen verschiedenen Facetten beschrieben: klinischer Tod, endgültiger Tod und biologischer Tod. Ausführlich geht Müller dabei auch auf den Komplex „Hirntod“ ein, der insbesondere in der Transplantationsmedizin wichtig ist und nach einer streng definierten Diagnostik (HTD: Hirntoddiagnostik, vgl. z.B. die Bücher von Klaus Schäfer: https://radiergummi.wordpress.com/2014/10/26/klaus-schafer-hirntod/ bzw.
https://radiergummi.wordpress.com/2017/08/30/klaus-schaefer-vom-koma-zum-hirntod/) festgestellt wird. Der „normale“ Tod eines Menschen, das sollte man bedenken) wird jedoch nicht über eine HTD festgestellt, auch wenn Hirn selbstverständlich nach dem Aussetzen des Herzens schnell wegen des daraus resultierenden Sauerstoffmangels stark geschädigt wird und seine Funktion alsbald einstellt und abstirbt. (Ein Punkt, der in der Patientenverfügung berücksichtigt werden sollte, denn das Aussetzen des Herzens ist u.U. reversibel (Reanimation).). Für beides verwendet der Autor jedoch den Begriff „Hirntod“, auch wenn es sich um zwei unterschiedliche Aspekte handelt.

In den letzten Abschnitten werden Themen besprochen, die den naturwissenschaftlichen Charakter des Themas immer weiter hinter sich lassen: Können Nahtoderfahrungen als Beweis für eine postmortale Welt genommen werden, sprich: gibt es ein „Leben“ nach dem Tod und was läßt sich über die Seele des Menschen nach dem Vergehen des biologischen Körpers sagen? Wenn der Autor sich seitenlang über die Seelenlehre ausläßt, spricht eher der Theologe als der Naturwissenschaftler zu uns, auch wenn Müller letztlich dann konstatiert (und sich dabei eine Hintertür offen hält): Dass der wissenschaftliche Nachweis einer körperunabhängigen Seele irgendwann gelingt, ist unwahrscheinlich [S 322].


Wer meine Buchvorstellung bis hierhin gelesen hat, wird nicht überrascht sein, wenn ich das Buch nicht uneingeschränkt empfehle. Für mich gibt es einfach zu viele Unstimmigkeiten im Text, die vorstehend erwähnten sind ja nur eine Auswahl davon. Andererseits enthält das Buch eine Menge Fakten und beleuchtet das Thema auch unter Gesichtspunkten, die normalerweise wenig beachtet werden. Es ist ferner didaktisch gut gestaltet, Grafiken, Tabellen und herausgehobene Merksätze erleichtern das Lesen und das Verständnis. Eine gewissen naturwissenschaftliche Vorbildung erleichtert mit Sicherheit das Lesen der ersten Abschnitte, in denen doch recht viel biochemisches abgehandelt wird. Was bei diesem Werk mehr wiegt, Licht oder Schatten, muss jedoch jeder für sich entscheiden.

Oliver Müller
Altern. Sterben. Tod.
Die Vergänglichkeit des Menschen aus der sicht der Naturwissenschaften
Originalausgabe/diese Ausgabe: Gütersloher Verlagshaus, HC, ca. 336 S., 2019
mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

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