Laetitia Colombani: Das Haus der Frauen

Das Haus der Frauen ist das erste Buch. das ich von der jungen, 1976 in Bordeaux geborenen französischen Erfolgsautorin Laetita Colombani, lese, ihr 2018 erschienener Erstling Der Zopf war ein großer internationaler Erfolg. Das es auch der erste Roman ist, den ich selbst seit längerem wieder zur Hand genommen habe, sie hier nur am Rande erwähnt…. das vorliegende Buch jedenfalls habe ich schnell, an einem Wochenende gelesen.

Es ist zum Teil ein historischer Roman, der eine gewisse Blanche Peyron in den Mittelpunkt stellt: Ein Schild ist darauf angebracht. Mit einem Namen, Dem einer Unbekannten. Blanche Peyron. Mit diesem Satz und der daraus für die zweite zentrale Figur des Romans, der ungefähr 40jährigen Solène, sich ergebenden Möglichkeit, läßt Colombani ihre Geschichte dann enden und greift den Anfang der Handlung wieder auf, in dem wir als Leser eben genau diese historische Persönlichkeit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kennen, es uns also genau so geht wie Solène.

Die Handlung des Buches ist nicht sonderlich kompliziert. Sie spielt auf zwei Zeitebenen, zum einen Anfang/Mitte der Zwanziger Jahre in Paris, als nämliche Blance Peyron (1867 – 1933, zusammen mit ihrem Mann Albin die Heilsarmee in Frankreich anführen. Im Vorfeld erfahren wir dann natürlich auch die Werdegeschichte dieser Blanche Peyron, die eine äußerst disziplinierte Frau von hoher Durchsetzungskraft gewesen sein muss. Jedenfalls geht ihr das Schicksal der vielen obdachlosen Frauen in Paris, die auf den Straßen schlicht und einfach Freiwild für die Männer sind, sehr zu Herzen und als sie in der Mitte von Paris ein beeindruckend großes und seit längerem zum Verkauf stehenden Haus sieht, steht ihr Plan fest: trotz der immensen Kosten will sie das Haus kaufen und mit seinen über 700 Zimmern als Obdach für die auf den Straßen herumirrenden Frauen aufbauen.

Der zweite Handlungsstrang spielt in der Jetztzeit mit ihren zum Teil anders gearteten Schwierigkeiten. Solène ist eine junge, erfolgreiche Anwältin in einer großen Kanzlei. Doch diesen einen Prozess hier verliert sie und als sich ihr Mandant im Anschluss an die Urteilsverkündung noch im Gerichtsgebäude über die Brüstung in den großen Innenhof stürzt, erleidet sie einen Zusammenbruch, Burn-out lautet die anschließende Diagnose. Sie, die praktisch kein Privatleben mehr hat, liegt nun antriebslos und apathisch in ihrer Wohnung, sucht nach einer Aufgabe und sucht doch nicht, weil alles keinen Sinn mehr hat. Einzig, das sie nicht mehr in die Kanzlei zurück will, steht für sie fest. Da rät ihr ihr Arzt, sie eine kleine Aufgabe, zum Beispiel im Ehrenamt, zu suchen. Nach anfänglichem Zögern folgt sie dem Rat und gelangt schließlich als Schreiberin in das vor fast einem Jahrhundert von Blanche Peyron aufgebaute Frauenhaus. Dort soll sie jetzt einmal in der Woche eine Sprechstunde abhalten, in der sie für die oft traumatisierten Frauen, darunter auch viele Migrantinnen, Briefe an Ämter verfasst, aber ebenso an die in der Heimat Zurückgebliebenen.

Verbindendes Element zwischen den beiden Frauenfiguren ist also das Haus, der Palast der Frauen mit seiner durchaus wechselvollen Geschichte. In dem ansatzweise biographischen Element des Romans über Blanche Peyron taucht es allerdings erst spät auf, dieses leerstehende Gebäude zu erwerben, zu renovieren und seiner neuen Verwendung zuzuführen war eine wahre Herkulesaufgabe und sozusagen der Höhepunkt des Lebens dieser Frau (und ihres Mannes), aber nicht nur der Höhepunkt, sondern quasi das Ziel ihres Lebens, auf das alles, was sie vorher erlebt hat, sie vorbereitete. Sie hat Hunger gelitten, Elend gesehen, bitterlich gefroren, sie hat sich eine eiserne Selbstdisziplin auferlegt und ist so langsam aber sicher in der Hierarchie der Heilsarmee aufgestiegen, bis sie schließlich die oberste Offizierin in Frankreich geworden war und dort schließlich das Ansehen der gesamten Heilsarmee hin zu einer respektieren Organisation wandelte.

Ganz anders dagegen Solène, ihr literarisches Gegenstück. In gesicherten, wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen, richtet sie ihren Berufswunsch nach den Vorgaben der Eltern, macht dann zwar Karrieren, opfert ihr aber privates Glück. Als sie schließlich zusammenbricht, merkt sie langsam, daß ihr Leben inhaltslos war und sich nur noch über die Arbeit definiert hatte. Einen zweiten Lebensschock erleidet sie dann in der Konfrontation mit den Frauenschicksalen im Haus der Frauen, denn hier haben Frauen Unterschlupf gefunden, für die zwei Euro noch Geld ist, das sie brauchen, hier leben Frauen, die ein Kind in der Ferne zurücklassen mussten, um ein anderes zu retten, hier suchen Frauen Schutz, die vergewaltigt wurden (und nicht nur einmal), die geschlagen wurden, die gedemütigt wurden und zu denen der laptop, mit dem sie dort auftaucht, nur wenig passt.

Der Plot des Romans st nicht nur unkompliziert, er ist auch vorhersehbar. Natürlich lernt Solène hier etwas über das Leben durch die Schicksale der Frauen, die uns Colombani erzählt. Sowieso sind diese deutlich intensiver und farbiger als das der Protagonisten und ebenso natürlich findet Solène hier auch in „die Spur“ zurück, entdeckt ihre alte Leidenschaft, den unterdrückten Berufswunsch wieder und sogar eine neue Beziehung, die sich ergeben könnte, wird angedeutet. Ende gut, alles gut.

Das Ganze ist gut lesbar und unterhaltend geschrieben. Ob der Ansatz des Romans, jemanden mit Burn-Out und sich anbahnender Depression als Therapie ohne Begleitung in eine solche Einrichtung gehen zu lassen, ist sicherlich diskutierbar. Letztlich ist mir Solène  sogar als Romanfigur sogar recht blass erschienen, zumal in Vergleich zu den Frauenschicksalen der Bewohnerinnen des Palastes der Frauen. Diese sind für mich daher das zentrale Element des Romans, sie machen betroffen und rühren an und erinnern uns (wir alle sind materiell gesehen ‚Solène‘) daran, wie komfortabel und sicher wir leben. Und wie schnell das aber auch vorbei sein kann, ein Schicksalschlag und Frau sitzt mit Plastiktüten auf der Straße. Laut Klappentext sprach Colombani mit Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen [des Hauses] und wurde eine von ihnen. Eine fürwahr starke Behauptung, über die ich nur den Kopf schütteln kann.

Zusammenfassend war Colombanis Roman für mich ein gut und schnell lesbares, unkompliziertes weil nicht wirklich tiefgründiges Werk, das mit das letzte Wochenende vertrieben hat. Verdienstvoll ist jedenfalls das Anliegen der Autorin, die Geschichte dieses Hauses der Frauen mit ihrer Gründerin ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurück geholt zu haben.

Laetitia Colombani
Das Haus der Frauen
Übersetzt aus dem Französischen von Claudia Marquardt
Originalausgabe:
diese Ausgabe: S. Fischer, HC, ca. 254 S., 2020

Ein Kommentar zu „Laetitia Colombani: Das Haus der Frauen

  1. Das Buch klingt sehr spannend! Danke für die Vorstellung. Schade, dass es nicht so tiefgehend ist, aber vielleicht ein guter Anfang, sich mit dem Thema zu beschäftigen…
    Viele Grüße, Becky

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