Franz Alt: Die außer- gewöhnlichste Liebe aller Zeiten 

Der Journalist und Buchautor Franz Alt ist bekannt als streitbarer Zeitgenosse, der sich vehement und unüberhörbar zu gesellschaftlich relevanten Themen äußert. Unter anderen moderierte er viele Jahre lang das politische Magazin Report im Südwestfunk, engagiert sich jetzt stark für den unumgänglichen ökologischen Umbau der Weltwirtschaft und ist als studierter Theologe aber auch an theologischen Themen interessiert, und selbstverständlich wäre die Wiki ohne einen Beitrag zu ihm unvollständig (https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Alt_(Journalist)).

Daß das vorliegende Buch von Alt in die Kategorie der religiösen Thmen passt, ergibt sich leicht aus dem Untertitel. Daß es provoziert, ich denke, provozieren soll, dafür sorgt schon der Titel, sind die beiden Genannten doch in gewissem Sinne Parias der offiziellen (katholischen) Kirche, für die Judas der Verräter ist und Maria aus Magdala immer eine Doppelrolle spielt(e), zum einem war sie Apostula Apostulorum, zum anderen und im Vordergrund stehend die Hure und zusammen mit Eva die Verführerin und gab damit für den Stellenwert der Frau im Christentum wieder. So wie andererseits Judas und seine Wahrnehmung durch die Kirche mitbestimmend war für das Verhältnis zwischen Christen und Juden, das ich hier wohl nicht näher erörtern muss.

Franz Alt greift in seinem Buch die offizielle Rezeption der Lehre, aber auch der Person Jesu frontal an. Jesus, so führt er aus war ein Orientale, ein uneheliches (?) Kind mit vllt fraglicher Vaterschaft, der später unverheiratet als Wanderprediger durch Galiläa zog. Damit widersprach er der damaligen gesellschaftlichen Norm, aber auch heute wäre er innerhalb der institutionellen Kirche ein Mensch mit zumindest fraglicher Herkunft. Jesus predigte und lehrte in der damaligen Verkehrssprache, dem Aramäischen (https://de.wikipedia.org/wiki/Aramäische_Sprachen), seine Lehren und Predigten wurden in der ersten Zeit mündlich weitergegeben, es waren einfache Menschen aus dem Volk, denen er predigte und die ihm folgten. Die schriftliche Fixierung seiner Worte erfolgte erst lange Jahre später und wurde als kanonischer Text erst Jahrhunderte später festgelegt, im Jahr 367 n. Chr. (https://www.geo.de/magazine/geo-epoche/14988-rtkl-erforschung-der-bibel-wie-entstand-das-buch-der-buecher-das-fundament#). Wir kennen dieses Kanon noch heutzutage unverändert als Bibel mit ihren zwei Bestandteilen, dem Alten und dem Neuen Testament. Die Kanonisierung hatte zur Folge, daß alle Texte, die nicht aufgenommen wurden, theologisch gesehen verbannt worden waren, sie sind als apokryphe Schriften, die seinerzeit verbrannt werden mussten, nur zum geringsten Teil bekannt (https://de.wikipedia.org/wiki/Apokryphen. Wer Interesse an der Entstehungsgeschichte der Bibel hat, ist mit diesem Youtube-Video gut bedient.).

Die Schriften jedoch sind in Griechisch verfasst, einer Sprache aus einem völlig anderen Kultur- und Geistesraum wie dem, in dem Jesus lebte und lehrte, sie sind Übersetzungen oder Übertragungen aus einer ganz anderen Sprache. Und wie jede Übersetzung enthalten die Texte unvermeidbar Fehler, andere Nuancierungen und Wortbedeutungen, ganz zu schweigen von politisch motivierten, bewusst gewählten Formulierungen. Denn mit der Erhebung zur Staatsreligion durch Theodosius I. im Jahr 393 n.Ch. war aus der Gemeinschaft der Anhänger des Juden Jesus endgültig auch eine politische Macht geworden, die sich selbstredend und selbsterhaltend, mit der politischen Macht arrangierte bzw. selbst politische Macht ausübte. (https://de.wikipedia.org/wiki/Konstantinische_Wende).

In der Bibel, so wie wir sie kennen, finden wir nach Franz Alt den ursprünglichen Jesus nicht mehr wieder. Vieles dort ist verfälscht, ist unverständlich und zwingt in der Exegese zu geistigen Kapriolen. Wir müssen, so der Autor, Jesu Worte in der Sprache hören und lesen, in der er gesprochen hat, im Aramäischen also.

Alt bezieht sich auf Forscher, die sich, teilweise seit Jahrzehnten, um eine solche Rückübersetzung bemühen. Dabei ist sich Alt der Problematik dieses Verfahrens durchaus bewusst. Verändert schon eine Übersetzung notgedrungen den Originaltext, wie nahe kann dann eine Rückübersetzung in einen Text, den man nicht kennt, dem Original überhaupt kommen? Die Forscher orientieren sich an zwei Kriterium: zum einen an der Poesie… wie damals üblich, sind Texte erstmal weitestgehend mündlich tradiert und überliefert worden, sie mussten also einprägsam sein. Damit mussten die Texte Rhythmus haben, eine innere Melodie aufweisen, einfach sein. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die einfache Aussage: was auf Aramäisch nicht sagbar ist, kann Jesus nicht gesagt haben, bzw. kann so nicht original sein. So gibt es beispielsweise im Aramäischen kein Wort für eine ‚biologische Jungfrau‘, es ist einfach eine junge Frau…. womit sich das Wunder der jungfräulichen Geburt schon mal erledigt hätte….

Andererseits, und darauf geht Alt kaum ein, öffnet diese Methodik der Rückübersetzung persönlicher Interpretation Tür und Tor, sie kann eben nicht wie eine normale Übersetzung gemessen werden am Original. Die Qualität der ins Aramäischen (und von dort dann wieder ins Deutsche) übersetzten Texte bzw. Textstellen können wir als Leser nicht beurteilen, das sollte immer im Hinterkopf behalten werden. Eine recht interessante Besprechung und auch Würdigung des Alt’schen Buches unter diesem Aspekt ist von dem mir unbekannten Rezensenten Johann Huber unter diesem Link zu finden (https://www.buecher.de/go/user/showUserProfile/enc_cid/U1xLWFFWRVJV/ ).

Liest man die Bibel als theologisch nicht ausgebildeter Mensch, so fällt einem schon da einiges an Geschriebenem auf, was man eher ins Reich der Legenden schieben möchte. Die jungfräuliche Geburt von Jesus gehört dazu und natürlich verlangt auch die das spätere Christentum begründende Wiederauferstehung Jesus‘ von den Toten ein gehöriges Maß an Glauben. Nicht jeder bringt diesen Glauben auf, ich werde nie vergessen, wie vor einigen Jahren ein ältere Landwirtin, also eine der Revolution unverdächtige Frau, die weiß, was Geburten sind und was der Tod ist, mir leise zuflüsterte: Ich kann daran nicht glauben. Alt illustriert an drei Bibelstellen ausführlicher, wie Jesu‘ Worte in der offiziellen Bibel verfälscht widergegeben werden. Mt10,34: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!, Lk 14,26: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein und Mk 16,16: Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. Als ob Jesus je einen Menschen verdammt hätte….

Diese Widersprüche und Stolpersteine klären sich in der Rückübersetzung und fügen sich zusammen zu einem „aramäischen“ Jesus. Viel Raum widmet Alt beispielsweise der oben erwähnten Auferstehungsgeschichte Jesu. Da nach ihm das Wirken Gottes nur in der von ihm auch geschaffenen Welt mit den sie regelnden Gesetzen möglich ist, Gott also nicht ausserhalb seiner eigenen Schöpfung handelt, kann die Auferstehung so, wie sie in der Bibel geschildert wird, nicht geschehen sein. Mit viel Aufwand konstruiert Alt eine alternative Erzählung dazu, die einen scheintoten Jesus im Zentrum hat. Auch diese Geschichte verlangt eine Menge an Glaubenskraft und wenn jemand mit dem Turiner Grabtuch argumentiert, ist seine Basis auch eher wackelig, aber ist nicht im Grunde jede Erklärung glaubhafter als eine Auferstehung von den Toten?

Diese Auferstehungsgeschichte ist nochunter einem anderen Aspekt sehr wichtig: sie beginnt im Grunde mit dem angeblichen Verrat des Judas im Garten Gethsemane und die Auferstehung Jesu von den Toten wird verkündet durch Maria aus Magdala, der Jesus im dritten Tag nach seiner Kreuzigung erscheint. Beiden Akteuren widmet Alt im Untertitel seines Buches seine Aufmerksamkeit, da nach ihm beide zu den verkanntesten Personen aus der Bibel gehören. Judas ist mitnichten als Verräter anzusehen, und damit steht Alt auch nicht allein. Verrat wäre eine auch faktisch völlig unlogische Handlung für diesen wohlhabenden Mann, der die Kasse der Jünger verwaltete. Im Gegenteil zeigt Alt Judas als besten Freund Jesu, als einzigen, der die wahre Botschaft verstanden hat und dessen Wirken notwendig ist, damit Jesus seine Mission erfüllen kann. Tragischerweise ist/sind Judas und damit alle Juden zum Symbol geworden für den Mord an Jesus, noch heute ist der Name dieses Jüngers Bestandteil verleumderischer Begriffe.

An Maria aus Magdala, die mit einer Schar weiterer Frauen Jesus folgte, macht Alt die große Besonderheit von Jesus fest: Jesus als erster neuer Mann, der die völlige Gleichbereichtiung und Gleichwertigkeit von Mann und Frau lebt in der Verbindung mit eben Maria. Ob dies eine auch erotische Beziehung war, ist nebensächlich (ich persönlich wünschte es beiden sehr!). diese Frau, Maria, jedenfalls „adelt“ Jesus dadurch, daß er sie auswählt, den restlichen Jüngern die Geschehnisse zu berichten, sie erscheint als Einzige würdig dazu. Alt wäre nicht Alt, würde er nicht aus dieser neuartigen Persönlichkeit Jesu eine Vision schaffen für eine neue Lebensweise, für ein neues Miteinander von Frau und Mann, die Voraussetzung ist, die Probleme dieser Welt zu lösen. Es würde zu weit führen, darauf näher einzugehen, wie es sich für eine ordentliche Vision gehört, wird Alt jedenfalls nicht müde, in immer neuen Variationen auf seine Vision einer besseren Welt einzugehen – und sie ist schön, zweifelsohne, aber sie ist eine Vision. Und solange ein einziger Mensch, heißt er nun Trump oder Bolsonaro oder … reicht, um unserer Erde einen weiteren Sargnagel einzuschlagen, habe ich meine Zweifel…..

Der Jesus, den Alt uns in seinem Buch vorstellt, ist ein weiblicher Mann, ein Mann, der komplett ist und sich nicht in irgendwelchen Machismen verliert. Genauso radikal ist der Paradigmenwechsel, den er lehrt: sein Gott, Abba, ist ein mütterlicher Gott, der liebt, der uns bedingungslos liebt (vgl. hierzu auch Erich Fromm: Die Kunst des Liebens). Der zürnende, strafende, strenge Vatergott des alten Testaments hat ausgedient bei ihm, so ist es kein Wunder, daß die Kirche, die er nie gründen wollte, in seiner Nachfolgschaft diese Revolution wieder einkassierte: die katholische Kirche wurde mit dem Pauluswort: Das Weib schweige in der Kirche… wenn sie was wissen wollen, so sollen sie zuhause ihre Männer fragen… (1 Kor 14, 34) eine reine Männerkirche, ein Kampf, den die Frauen noch heutzutage auszufechten haben und an dem die Kirche selbst möglicherweise zerbrechen könnte. Dabei hatte Jesus gerade Maria Magdalena offensichtlich als prima inter pares behandelt, sie war es dann auch, die den Jüngern die Botschaft vom leeren Grab und von der Auferstehung brachte….


Alt’s Buch ist interessant, ob es jedoch die ‚wahre‘ Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas ist, sei dahingestellt, für mich ist es eher unwahrscheinlich. Ganz einfach, weil sich von heute aus die damaligen Ereignisse praktisch nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren lassen. Und ob die Rückübersetzung ins Aramäische die Worte Jesu wirklich wiedergeben und nicht nur eine Projektion sind von Wunschvorstellungen über das, was gesagt worden sein könnte, auch das können wir Leser zumindest nicht wissen. Aber wie auch immer, der Jesu, den Alt uns hier vorstellt, ist ein zutiefst beeindruckender Mensch, in dessen Lehre ein Begriff kann zentral steht: die Liebe, und zwar die zu allen Geschöpfen, auch deswegen war das rituelle Blutbad im Tempel durch die Opfertiere ihm ein Gräuel. Wir können Jesus und Gott durch unser Tun erkennen und begegnen, in der Innenschau, der Meditation, der Kontemplation können wir erkennen, daß das göttliche Geheimnis in uns wohnt, daß wir und Gott eins sind.

Natürlich, ich erwähnte es schon, leitet Alt aus der Lehre Jesu zutiefst (umwelt)politische Forderungen ab und er verschont uns nicht damit, sie ein ums andere mal zu erläutern. Man muss diesen Forderungen zwar prinzipiell zustimmen, aber der Realismus hindert leider daran, zu glauben, sie wären umzusetzen…

Franz Alt:
Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten 
Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas
diese Ausgabe: Herder, HC, ca. 320 S., 2021


Anmerkung:

Ich möchte noch auf diese romanhafte Darstellung des Lebens der Maria Magdalena hinweisen:
Marianne Fredriksson: Maria Magdalena (Buchbesprechung hier im Blog)

4 Kommentare zu „Franz Alt: Die außer- gewöhnlichste Liebe aller Zeiten 

    1. ja, es ist wirklich interessant und egal, wie man zu der ganzen sache steht, damals ist etwas entscheidendes geschehen und zwar etwas sehr schönes: der zornige, wütende, strafende, richtende vatergott wurde gegen einen barmherzigen und liebenden, einen weiblichen gott „ausgetauscht“. und das, finde ich, ist eins der größten dinge, die je passiert sind.

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  1. Das klingt alles hochinteressant. Und es mag ja sein, dass es ein ewiges Leben gibt, aber kann mir jemand meine Bücher dorthin nachsenden? Und Luise Rinsers „Mirjam“ wollte ich auch noch mal lesen.

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