Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau

… die Wörter aus der Bibliothek werden mich meinem Proletenschicksal entreißen.
Ein Stück weit wenigstens.
Ich muss ein anderer werden.
Kein Zapper im Jogginganzug, der „Turbo“ guckt.

Die Autorin Saphia Azzeddine ist keine ganz Unbekannte bei mir im Blog. Bislang habe ich zwei Romane von ihr hier vorgestellt, die sich thematisch mit der Stellung der Frau im Islam auseinandersetzten, Zorngebete und Bilquiss. Zeitlich reiht sich die vorliegende kleine Geschichte des in einem Pariser Banlieu lebenden vierzehnjährigen Paul, genannt Polo, zwischen diesen Bücher ein, er ist der zweite Roman der 1979 in Agadir geborenen und mit neun Jahren nach Paris übergesiedelten Schriftstellerin, die u.a. studierte Soziologin ist.

Polo gehört mit seiner Familie dem Prekariat an, die Mutter klebt bewegungslos vor dem Fernseher, die Schwester träumt von einer Karriere als Schönheitskönigin und der Vater verdient sein Geld in der wenig angesehenen Funktion als Putz“frau“. Polo selbst leidet nicht unter überbordendem Selbstbewusstsein. Er ist schmächtig, weiß, also noch nicht einmal farbig, Araber oder Jude. Einfach nur ein in Armut lebender Weißer, dessen Familie zu wenig Geld hat, die Telefonrechnung regelmäßig zu bezahlen und dessen Vater den anderen den Dreck wegmacht und der vor seinem Chef demütig auf den Boden schaut und kuscht.

Polo ist hin- und hergerissen. Er schämt sich ein wenig für seinen Vater, der sich herumkommandieren läßt, ohne Rückgrat zu zeigen und er liebt ihn so sehr, daß er nie, obwohl er es fest vorhat, auf dessen Frage hin ablehnt, ihn auf seinen Putztouren zu begleiten. Diese Aufträge führen die beiden unter anderem in den frühen Morgenstunden in die Clubs der Stadt. Während Polo bei diesen Terminen das Leben, bzw. diesen Ausschnitt des Lebens der jungen und reichen Leute mitbekommt, bringt ihm die Putzerei in der Bibliothek deutlich mehr. Hier staubt er nicht nur ab, sondern nimmt sich Bücher und liest sie, merkt sich die Worte, die er dann im Alltag mehr oder weniger passend unterzubringen sucht. Er macht sich damit nicht nur Freunde, fällt auch in der Familie auf, da nicht alle seine Wortspiele verstehen und er den anderen natürlich auch vor Augen führt, wie ungebildet sie sind, ihm gegenüber.

Polo sucht Halt in seinem Leben, einen Anker. Wie gerne wäre er beispielsweise Muslim! Denn es gefiel ihm, daß … das Leben meiner Nachbarn nach den Regeln eines göttlichen, über ihnen stehenden Gesetzes [ablief], dem sie sich ohne Murren unterwarfen. Ich wollte mich dem auch gerne unterwerfen. … Aber die Enttäuschung sollte auf dem Fuss folgen, keineswegs war die Unterwerfung ohne Murren, ja, man konnte sogar sagen, es gab keine Unterwerfung, sondern Aufstand gegen dieses göttliche Gesetz…

Als einziger seiner Klasse kommt er auf eine weiterführende Schule , das Lycee. Auch dort ist er Aussenseiter mit seiner Herkunft, steckt manche Prügel ein. Aber er hält durch. Selbstverständlich erwacht auch die Sexualität in ihm. Er schwärmt für Priscilla, die ihm einst im Lebensmittelgeschäft Käsekugeln schenkte, die er sich bzw. der Vater ihm nicht kaufen konnte und reagiert seine erotischen Phantasien ‚erfolgreich‘ in wilden Gedankenspielen mit Sylvie, der Mutter eines Schulkameraden, ab.

Das Abitur ist eine große Hürde, die er reißt, knapp, aber deutlich. Nur, wie es dem stolzen Vater sagen, für den diese Möglichkeit gar nicht in Betracht kommt, der seinen Sohn mit Geschenken überhäuft, bevor dieser überhaupt etwas sagen kann…. Es ist schon eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit, die Polo aufbringen muss, um diese Situation dann doch noch zu retten… es ist in dieser Zeit, in der Polo auf einmal folgendes feststellt, und diese Feststellung gefällt mir, so wie sie Azzeddine formuliert hat, ganz wunderbar: Es war mir nicht aufgefallen, aber ich war ein charmanter junger Mann geworden. Dies ist ein schönes Bild für die Veränderung, die sich nicht nur im Aussehen, sondern im ganzen Leben Polos ergeben haben. Und ausserdem war dieses charmante Aussehen nicht verkehrt, denn Polo tanzte gerade mit Priscilla, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging…..

Das letzte Kapitel des Buches sticht etwas ab, es ist eine Art Epilog nach dem Motto „Jahre später…“. Möglicherweise hat ihn die Autorin nur wegen des letzten Satzes gebracht, Polos kleiner Sohn schlussfolgert messerscharf auf die Antwort seines Vaters nach seinem Beruf: … Das heißt, du putzt, nur eben in der Luft.


Mein Vater ist Putzfrau ist eine liebevolle Hommage an die Macht der Buchstaben, der Bücher, der Bildung als Königsweg aus dem Proletendasein. Das häßliche, kleine Entlein Polo, das diesen Sprung letztendlich schafft, nur um dann, diesen kleinen Dämpfer gibt uns die Autorin mit, wie sein Vater auch zu putzen. Auf höherem Level, aber eben dann doch… Sowieso der Vater. Es herrscht eine anrührende Liebe zwischen den beiden, ein großes Vertrauen, denn obwohl Polo sich in vielen Situationen seines Vaters schämt, kann er ihm nichts abschlagen. Er spürt instinktiv, daß es seine Aufgabe ist, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen. Dies gibt ihm die Kraft, auch Rückschläge aufzufangen und zu überwinden. Als Ausnahme für einen, der aus einem Banlieus kommt, auf die weiterführende Schule zu gehen, kann nicht einfach sein und braucht eine gehörige Portion Kraft, Kraft, die Polo auch aus dieser Liebe zu seinem Vater schöpft.

Azzeddine ist Soziologin, man merkt es dem Roman an, der auch eine Lebenswirklichkeit schildert. Die apathisch gewordene Mutter vor dem TV, die Schwester, deren Ehrgeiz darin liegt, Schönheitskönigin zu werden, die rüde Sprache, die auf der Straßen gesprochen wird, Azzeddine verdichtet dies zu einer kleinen Millieustudie. Das ist natürlich nichts Neues und Unbekanntes, in der Freude am Erzählen, die man dem Text anmerkt, wird dies jedoch unterhaltsam und kurzweilig wieder ins Gedächtnis gerufen. Und auch dem impliziten Plädoyer der Autorin für Bildung als Königsweg aus diesem Milieu kann man nicht widersprechen und nur nach Kräften unterstützen, denn Banlieus gibt es überall….


Mehr (und empfehlenswertes) von der Autorin hier im Blog:

– Zorngebete
– Bilqiss


Saphia Azzeddine
Mein Vater ist Putzfrau
Übersetzt aus dem Französischen von Birgit Leib
Originalausgabe: Mon père est femme de ménage. Edition Leo Scheer 2009
diese Ausgabe: Büchergilde Gutenberg, Die Kleine Reihe, 2017

2 Kommentare zu „Saphia Azzeddine: Mein Vater ist Putzfrau

  1. Hi, Gerd
    Danke für die Rezension.
    Wir hatten nie zuvor von Saphia Azzeddine gehört. Mit der Autorin werden wir uns demnächst beschäftigen.
    Wir wünschen eine wunderbare Woche
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

    Gefällt 1 Person

    1. lieber klausbernd bzw. fabfour,

      das freut mich aber, euch eine neue und interessane autorin vorgestellt zu haben! viel spaß bei der lektüre ihrer bücher!

      euch wünsch ich einen schönen mai, er kann zumindest meteorologisch und vom moment aus gesehen ja nur besser werden!
      gerd

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