Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes

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Dieser als Roman bezeichnete Text des kolumbianischen Autoren Marquez ist schmal, es sind nur gute 150 kleine Seiten. Es ist lange her, daß ich Marquez gelesen habe, ich weiß auch garnicht, aus welchem Grund ich mir dieses Büchlein gekauft habe… aber das heißt ja nicht, daß es mir nicht gefallen hätte, manchmal sind es ja gerade die überraschenden Dinge, die einen überraschen. Und damit genug der abendlichen Philosphiererei, wenden wir uns diesem Büchlein zu, daß so nüchtern und fast schon protokollartig daherkommt. Nun, auch das mit dem Protokoll ist nicht verwunderlich, steht doch schon im Titel um was es geht: Die Chronik eine angekündigten Todes. Wobei der Terminus „Tod“ nicht alles ausdrückt, denn genauer gesagt, ist es ein Mord und auch wieder nicht, denn (zumindest in Deutschland muss ja für Mord eine niedere Gesinnung nachgewiesen werden) nach Landessitte war die Gesinnung der Täter nicht niedrig oder verwerflich, nein, es war eine Frage der Ehre. Und der Jungfernschaft, genauer, der nicht mehr vorhandenen, mit deren Abhandenkommen gleichzeitig auch die Ehre zerriss war. Aber damit greife ich etwas vor, eine Chronik hat das Recht darauf, daß chronologisch vorgegangen wird. Was aber der Autor auch nicht in Strenge macht, auch Marquez arbeitet mit Rückblenden, mit Einschüben und mit zeitversetzten Passagen. Wollte man eine wirkliche Chronik der Ereignisse im Sinne eines chronologischen Ablaufs, müsste man sich einen Zeitstrahl basteln und selbst ans Werk gehen.

Anyway…. Nach vielen Jahrzehnten kehrt ein Mann zurück in ein Dorf/eine kleine Stadt (es wird nicht richtig klar, wie groß diese Siedlung ist, immerhin aber groß genug, um einem Bordell die Existenz zu sichern), um einen spektakulären, lange zurückliegenden Ehrenmord zu recherchieren. Er befragt noch lebende Einwohner und Zeugen jenes Morgens, an dem es geschah, durchwühlt das völlig verwahrloste und unter Wasser stehende Magazin des Gerichts, vor dem der Prozess gegen die Täter stattfand, nach Akten und bemüht natürlich auch seine eigenen Erinnerungen, denn auch er war in dieser Nacht der Hochzeit der Angela Vicario mit dem Bayardo San Román, auf die der Tod des Santiago Nasar folgte, zugegen und Gast.

Es war ein rauschendes Fest, ein berauschendes, denn der Bräutigam, der im Ort ein Fremder war und diesen nur besuchte, weil er wie schon in vielen anderen Siedlungen auch auf der Suche war nach einer Frau, die er hier in Gestalt der Angela Vicaro (welche die Menschen des Ortes im Grunde ein wenig einfach fanden und sie daher diese Wahl erstaunte) erblickte und um die er hartnäckig freite, dieser Bräutigam also musste nicht mit dem Gelde sparen, konnte es ausgeben, gab es aus und nutzte es gegenüber Widerspenstigen als überzeugendes Argument. Man wusste nicht viel von Bayardo San Román, jedoch schaffte er, als er nach seiner Familie gefragt wurde, diese herbei und sie erwies sich als nobel und angesehen. Der Hochzeit stand nun nichts mehr im Wege und das war leider in jedem Sinne des Satzes richtig bzw. und anders formuliert: das, was nicht mehr im Weg stand, stand dem Eheglück gerade dadurch im Weg, denn so (be)rauschend das Fest auch war, so schockierend war die Ernüchterung noch in der Nacht. Stellte sich doch im frisch gekauften und eingerichteten Heim des jungen Paares dem Mann bei der Ersterfüllung der ehelichen Pflichten, die jetzt anstand (dieser Bayardo vertrug Unmengen Alkohol, die ihm keineswegs die Sinne vernebelten oder gar schwächten) eben nichts mehr in den Weg, den ganz offensichtlich ein anderer schon früher frei gemacht hatte.

Hier griff jetzt – könnte man schwarzhumorig einwerfen – ein vielleicht noch nicht ausformuliertes, ein im Geiste jedoch verankertes archaisches „Produkthaftungsgesetz“: der Bräutigam brachte seine Braut ins Haus der Eltern zurück – eine Sache der Ehre. Und auf Befragung durch die Familie nannte die Unglückselige einen Namen: Santiago Nasar, einen wohlhabenden, angesehenen Bürger des Ortes mit Migrationshintergund, denn er hatte arabische Wurzeln. Das spielt zwar für die Geschichte kaum eine Rolle, man lernt jedoch, daß diese Araber in Amerika oftmals katholisch sind. Ach ja, das erwähnte ich noch nicht, die ganze Geschichte spielt wohl in der Karibik, in der Nähe der Küste an einem Fluß.

Auf diesem nämlich sollte (und so geschah es auch) am Morgen nach der Hochzeit der Bischof mit einem Schiff vorbeifahren: der Ort fieberte dem entgegen und sammelte sich zu früher Stunde am Ufer, den Segen des Kirchenmannes, der mit seinem Schiff nicht anlegte und mit selbigen vorbeifahrend und leutselig winkend, zu empfangen. Zu denen, die ans Ufer eilten, gehörte auch Nasar und man kann sich denken, daß es eine kurze Nacht nur war für die Einwohner, das rauschende Fest knabberte die Nachtruhe vom gestrigen Tag her an, der Bischof verkürzte sie vom folgenden Morgen her.

Nasar also war unterwegs an diesem Morgen und die Kenntnis über das Unglück, das in das Brauthaus eingeschlagen hatte, verbreitete sich in Windeseile bei den Menschen des Ortes. Und es verbreitete sich auch, daß die beiden Brüder der Verstoßenen es auf sich genommen hatten, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Passenderweise arbeiteten die Brüder Pedro und Pablo Vicario als Schlachter, die ganze Aktion mit dem Handwerkszeug, das sie ergriffen, die Rache zu nehmen, versprach also häßlich weil unangenehm blutig zu werden.

Nur einer wusste nichts, merkte nichts, ahnte nichts: Santiago Nasar.


Das in etwa sind die Parameter der Geschichte, die Marquez sehr nüchtern, fast dokumentarisch erzählt. Einer Geschichte, die schicksalhaft, fast zwangsläufig ihren Gang nimmt, obwohl (bis auf den Grund) nichts zu stimmen scheint. Mehr als berechtigte Zweifel bestehen, daß Santiago Nasar wirklich der „Schuldige“ gewesen sein soll, der die Braut entjungfert hat, vielmehr wird vermutet, daß Angela Vicario davon ausging, daß dessen Reichtum ihn vor der Rache der Brüder schützen würde. Diese wiederum hatten zwar ihr Schicksal, die Ehre der Schwester und der Familie wiederherzustellen, angenommen, doch wohl war ihnen nicht dabei, sie gaben eher dem Druck der Erwartung an ihr Handeln nach. Sie unterließen nichts, aller Welt, sprich, jedem, den sie trafen, kund zu tun, daß sie Santiago (mit dem sie in der Nacht noch zusammen gesoffen hatten) töten wollten. Es war so, als warteten (hofften?) sie nur darauf, daß man sie an ihrem Vorhaben hinderte. Was aber – bis auf einen untauglichen Versuch, ihnen die Waffen anzunehmen -nicht geschah, ihre Ankündigungen waren so laut und klangen so absurd, daß man sie einfach nicht glauben wollte – oder aber fand, daß genau dies nun das richtige Reaktion sei für diese Entehrung. Jedenfalls hatte jeder in dieser Nacht eine Ausrede für sich parat gelegt….

Und ähnlich unterließ es jeder, dem Opfer, auf das es die Zwillinge abgesehen hatten, Bescheid zu sagen. Entweder ging man davon aus, daß Santiago mittlerweile davon wüßte, oder man dachte, das sei so lächerlich, daß man da keine unnötige Aufregung schaffen wolle. Letztlich wurde Santiago also getötet unter der Schuld des ganzen Ortes, aller Menschen, die dort lebten und um das Vorhaben der Zwillige wussten und nicht verhinderten. Ebensowenig wie der Bischof (als Vertreter der Kirche), der einfach und lieber am Ort vorbeifuhr, als dort anzulegen und mit seinem Erscheinen dem Ereignissen möglicherweise einen anderen Verlauf zu geben. Mehr als nur beiläufige Kritik an der Kirche die Tatsache, daß der Kirchenmann Hahnenkammsuppe liebte und die Hähne nur der Kämme wegen schlachten ließ… Überhaupt gibt es ein paar Anspielungen auf Kirche und Religion: der schon erwähnte Bischof, die Namen der verstoßenen Braut (Angela oder Engel), die der Zwillinge Pablo und Pedro (Paul und Peter), den Santiagos selbst (Jakobus) und auch den seines Freundes Christobal (Christopher). Und die Wunden Santiagos sahen aus wie ein Wundmal des Gekreuzigten [1]

Wurde Santiago von dem Zwillingen zwar barbarisch ermordet, so fand seine endgültige physische Vernichtung erst später statt. Die amateurhafte Obduktion des Leichnams glich mehr einer Zerfledderung, einem Gemetzel, dessen Produkte in der Mülltonne landeten und die den Leichnam zerstört hinterließ. Auch hier also die Zwillinge vordergründig als Täter, während die „Gesellschaft“ sozusagen im Hintergrund noch viel brutaler agiert.

Es gibt in dieser Geschichte im Grunde nur eine positiv besetzte Heldin, und dies ist Angela, die vorgeblich „entehrte“ und daher verstoßene Braut: sie weigerte sich in der Hochzeitsnacht, dem Bräutigam durch Tricks und Kniffe eine Unschuld vorzuspielen, die nicht mehr da war. Sie war bereit, für diese Wahrheit zu sterben, sie wollte das Lügenspiel, das die gesellschaftlichen Konventionen und Traditionen verlangten, nicht mehr spielen, sich aus diesen Fesseln befreien. Und dies ist ihr auch gelungen, ihre Geschichte nach der Hochzeit und dem Mord erzählt uns Marquez ebenfalls, ohne daß er dabei auf ein tragisch-komisches Ende verzichten würde.

So ist die Geschichte vom angekündigten Tod eine Kritik Marquez´ an den gesellschaftlichen Verhältnissen in seinem Land bzw. Kontinent (und läßt sich leicht in andere Erdteile übertragen), die stumpf und ohne nachzudenken überholten Ritualen und Ehrbegriffen folgen. Mit allen möglichen Ausflüchten reden sich die Menschen heraus, das sich so klar abzeichnende Unglück nicht verhindert zu haben oder sie befürworten sogar aktiv das Handeln der Mörder, deren Strafzumesssung durch das Gericht gering bleibt.

Beim Lesen bin ich an der einen oder anderen Stelle mit fragend-gefurchter Stirn hängengeblieben. So ist mehrfach von dem Messer die Rede, die der eine der Brüder „aus einem Laubsägeblatt hergestellt hatte.“ Aus einem Laubsägeblatt? An anderer Stelle ist zu lesen, daß ein bewusstloser Mann inmitten von leeren und auch ein paar vollen Flaschen aufgefunden wird, der eine „Äthylvergiftung in fortgeschrittenem Stadium“ hatte. Gemeint ist sicherlich eine Ethanolvergiftung, vulgo: Alkoholvergiftung, eine Äthylvergiftung jedenfalls gibt es nicht… In der unten angegeben Buchbesprechung sind noch andere Textstellen angegeben und Verfasser kommt zum Schluss, daß der Übersetzer Curt Meyer-Clason eine „wie so oft eine hastige und nachlässige Arbeit geliefert [hat], die fast Seite für Seite zeigt, daß da keiner nachgedacht, sondern sich auf die Eingebungen des Augenblicks verlassen hat.“ Wer sich also das Büchlein anschaffen will, sollte schauen, daß er eine Neuübersetzung bekommt.

Trotzdem habe ich mir von diesen Holprigkeiten den Lesegenuss nicht schmälern lassen. Marquez ist ein Meister seines Faches und diese literarische Minitatur erfüllt ganz genau ihren Zweck: überholte Verhaltensmuster einer Machogesellschaft anzuklagen, in der niemand den Mut hat, „Nein“ zu sagen.

Links und Anmerkungen

[1] noch mehr Bezüge sind in dieser Besprechung zu finden: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14334652.html

Gabriel García Márquez
Chronik eines angekündigten Todes
Übersetzt aus dem Spanischen von Curt Meyer-Clason

Originalausgabe: Crónica de una muerte anunciada, ?
diese Ausgabe: Büchergilde Gutenberg (Die kleine Reihe), HC, ca 156 S., 1982 (?)

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