Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues

„Im Westen nichts Neues“ ist einer der Klassiker der Kriegsliteratur, oder besser gesagt, der Anti-Kriegsliteratur. Veröffentlicht wurde er 1929, schon schnell hatte das Buch Millionenauflage erreicht und wurde in viele Sprachen übersetzt. Einiges zur Entstehungsgeschichte, um die sich ein gewisser Mythos rankt, ist diesem Beitrag des Deutschlandfunks [1] zu entnehmen.

Es geht, man sieht es am Veröffentlichungsdatum, um den 1. Weltkrieg. Dieser Krieg ist, was die Kriegstechnik angeht, eine Zäsur. Der bis dato dominierende „Kampf“ Mann gegen Mann wird immer mehr „zugunsten“ einer technisierten, nichtsdestotrotz weiterhin äußerst grausamen Kriegsführung, zurückgedrängt. Die Soldaten üben immer noch den Kampf mit Bajonett und Seitengewehr und belächeln anfangs die gepanzerten Tanks, die sich im Lauf der Jahre aber durch ihre Fähigkeit, über alles einfach hinwegzurollen, Respekt erwerben. Auf den Schlachtfeldern tobt der Gaskrieg und fordert grausamst seine Opfer, die mit blauen Köpfen in den Schützengräben und Granattrichtern verreckt sind. Luftminen pusten die Soldaten förmlich aus den Uniformen und zerstäuben ihre Leiber in blutige Fetzen, die von den Ästen der Bäume hängen…

Quälend sind die Beschreibungen des hin- und hertobenden Kampfes, des vor und zurück, des Niedermähens der Leiber durch die MGs, des Zerfetzen der Körper durch die Granaten und die umherfliegenden Splitter, das elendige Ersticken und Verrecken derjenigen, die ihre Maske nicht schnell genug überziehen konnten oder auch zu früh wieder abnahmen. Besonders die jungen Soldaten, beinahe Kinder noch, mit denen die Lücken gefüllt werden sollen, die der Tod der altgedienten riss, sterben. Zu unerfahren, noch kein Instinkt, zu ängstlich: dem Tod geweihte, nein, besser: dem Verrecken ausgeliefertes Kanonenfutter.

„Wir sehen Menschen leben, denen der Schädel fehlt; wir sehen Soldaten laufen, denen beide Füße weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stümpfen bis zum nächsten Loch; ein Gefreiter kriecht zwei Kilometer weit auf den Händen und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandstelle, und über seine festhaltenden Hände quellen die Därme, wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht….“

An anderer Stelle sagt Remarque, daß man das wahre Gesicht des Krieges im Lazarett betrachten kann, wo sich die, die man noch von den Schlachtfeldern retten konnte, sammeln…..

Genug damit. Und denke keiner, heutzutage sei der Krieg nicht mehr so grausam, nur weil man ihn aus Videospielperspektive in der Tagesschau miterleben kann…

Remarque schildert uns den Krieg, wie er durch seine Hauptperson, den jungen Paul Bäumer gesehen wird. Dieser gehört zu einer Gruppe von Schülern, die von ihrem Lehrer mit begeistertem Überreden zum Militär gebracht wurden. Dort erwartete sie stupider, schikanöser Dienst, Ausbildung genannt, die aber – trotz aller Sinnlosigket, oder vllt auch gerade deswegen – hilft, dem Grauen des täglichen Krieges stand zu halten. Paul reflektiert sehr genau, wie der Krieg ihn ändert, kurzfristig im Verlauf einer Schlacht, aber auch langfristig als menschliches Wesen. Aus Menschen, so sagt er, werden vor Angst beim Angriff dem Wahnsinn Nahe, Tiere, die nur noch töten wollen, sie werden zu Automaten, die nur noch funktionieren, die nicht mehr denken, nicht mehr fühlen bis sie dann zum Schluss wie gefühllose Tote übers Schlachtfeld irren, um an nächsten Tag, an dem vllt Ruhe herrscht, mit Blödsinn und Albenheiten wieder in´s „Leben“ zurück zu finden. Manch einer schafft es nicht, bekommt einen Koller, rennt mitten in der Schlacht hinaus, ohne Deckung in die MG-Salven…

Heimaturlaub, endlich. Doch Paul kann sich nicht einfinden in die Heimat, die feisten, Reden schwingenden Gesichter nicht ausstehen, die von der Ehre reden, der Nation, dem Stolz und das Verrecken nicht kennen. Er fühlt sich unwohl, steht wie ein Fremder vor den Büchern in seinem Zimmer, die er sich vor garnicht so langer Zeit erst vom Mund abgespart hat. Wie nichtssagend, wie unwichtig, nichts haben sie ihm mitgeben können für das, was er jetzt erlebt. Er, der kaum zwanzig ist, kennt vom Leben nur den Tod, die Verzweifelung – und die Kameradschaft derjenigen, die ihm in dieser seelischen Hölle Gesellschaft leisten, die in der gleichen Lage sind. Der Augenblick zählt, ein paar Minuten später kann man bereits tot sein…. Nur die Kameraden, die dasgleiche wie er erleben, können sich gegenseitig verstehen, vor ihnen gibt es keine Scham, keine Schwäche, weil alle dasgleiche fühlen, dasgleiche erleiden.

Der Krieg, jeder Krieg, hinterläßt Krüppel. Menschen, die lernen müssen, ohne amputierten Gliedmaßen oder andere Gebrechen durchs Leben zu kommen. Aber auch Menschen, deren Seele Schaden genommen hat so wie Remarque es uns in seiner Hauptfigur Paul so deutlich vor Augen führt. Es war eine verlorende Jugend, die dort auf den „killing fields“ des 1. Weltkriegs herangezogen wurde, eine Jugend, die keine Zukunft mehr sieht, die, selbst wenn sie sich äußerlich mit dem Leben nach dem Krieg wieder arrangieren kann, innerlich zutiefst verletzt und verwundet ist. Und diese seelischen Verwundungen, die verdrängten Kriegserlebnisse mit ihren Folgen werden tradiert auf die nächste Generation. Durch die Art, wie diese ehemaligen Kriegsteilnehmer ihre Kinder erziehen, übertragen sie die Folgen des Krieges auf sie, abgemildert vielleicht, aber deutlich. Wie sollten sie es auch anders können? Im Keller der Seele tobt der Krieg weiter, bis er dann im Alter, bei manchem in der Demenz wieder offen zu Tage tritt, in der Erinnerung, schmerzhaften meist, in der die Ängste wieder hervorkommen, das Zittern, das Grauen. Ich hatte hier im Ort einen älternen, nein: alten Herrn, sehr liebenswürdig, aber nur ein Thema: der Krieg. Man hatte immer das Gefühl, er wäre schon leipzig/einundleipz im U-Boot vor Paris dabei gewesen… und auch der eigene Vater: immer wieder der Krieg, die Ostsee, die Russen, das zerbombte Eis um die Flüchtlinge herum, die es im Winter über das Meer versuchten… die Nachkriegsliteratur ist voll von Figuren, Frauen wie Männern, die unter den seelische Folgen des Krieges leiden … nach dem Vietnam-Krieg prägten die Amerikaner den Begriff der PTBS, der „Posttraumatischen Belastungsstörung“, einer psychischen/psychosomatischen Erkrankung des Menschen nach traumatischen Erlebnissen. Der Begriff ist neu, die Krankheit so alt wie der Krieg, wie die Menschen….

Der Roman ist in zwölf Kapitel unterteilt, die insgesamt einen Zeitraum von 3 Jahren überdecken. Eine Kurzübersicht über den Inhalt gibt der entsprechende Wiki-Artikel [2], die einzelnen Abschnitte widmen sich typischen Situationen des Soldatenlebens im Krieg, die nüchtern und ohne Polemik dargestellt werden. Immer wieder auch die Gedanken und Überlegungen Paul Bäumers, der, je weiter der Krieg fortschreitet, immer mehr spürt, wie er sich selbst fremd wird, wie ihm der Krieg sein Leben raubt, seine Jugend, seine Zukunft. Ein Kamerad nach dem anderen stirbt, wird getötet, mit den neuen kann er gegen Ende des Krieges nichts anfangen, selbst diese sind ihm schon zu weit entfernt, als daß er eine Verbindung zu ihnen spüren würde. So bricht ihm auch noch das letzte, was ihn aufrecht gehalten hat, weg, die Kameradschaft, die Freundschaft auf Leben und Tod. Er ist einsam zum Schluss, inmitten aller Menschen, die der Tod übrig gelassen hat. Und so bleibt zum Schluss der Eindruck, das Ende sei ihm garnicht so schlimm geworden….

Ein paar Jahre vor Remarques Klassiker erschien 1924 ein Buch von Ernst Friedrich: „Krieg dem Kriege“, das den 1. Weltkrieg in Bildern zeigt. Es ist wie eine Illustrierung des Romans, das kleine Bildchen, das ich oben hineingestellt habe, ist diesem Buch entnommen , die google-Bildersuche führt zu weiteren Bildern. Es ist ein erschütternder Aufruf gegen das Morden, das Abschlachten der Menschen durch den Menschen im Krieg. Wer „Im Westen nichts Neues“ liest, sollte sich dieses kleine Büchlein auch besorgen….

Facit: Zwar haben sich die Kriege, zumindest die von unserer Gesellschaft geführten, geändert gegenüber diesem Krieg, die Sinnlosigkeit und das Verbrechen, das jeder Krieg an den Menschen ausübt, sind jedoch geblieben. Und so hat Remarques Roman über das Schicksal von Paul Bäumer nichts an Aktualität verloren.

Erich Maria Remarque
Im Westen nichts Neues
Erstausgabe: 1929
diese Ausgabe: Kiepenheuer & Witsch, 1984

Ernst Friedrich
Krieg dem Kriege
Erstausgabe 1924
diese Ausgabe: zweitausendeins, 1981

[1] Beitrag des Deuschlandfunks/909792/ zum 80jähren Jahrestag der Erstveröffentlichung
[2] zum Wiki-Artikel über den Roman mit weiterführenden Links

der Folgeband: „Erich Maria Remarque: Der Weg zurück“ bei aus.gelesen

17 Kommentare zu „Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues

  1. Das Antikriegsbuch von Remarque habe ich als Jugendlicher gelesen und es hat einen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Ich war von der eindringlichen Schilderung des Krieges, seiner Grausamkeiten und seines Leides, sowie dem Schicksal der Personen tief bewegt.
    Später habe ich es, einschließlich den 2.Teil, noch einmal gelesen und bin immer noch von dem Roman begeistert. Als großes Manko empfinde ich es allerdings, das man über die Ursachen von Kriegen und deren Überwindung so rein nichts erfährt. Remarque schildert sozusagen einen „Ist-Zustand“, ohne Zweifel auf hohen künstlerischen Niveau, aber die entscheidenden Fragen blendet er aus. Trotzdem hat das Buch in seinen wesentlichen Aussagen bis in die Gegenwart seine Gültigkeit behalten. Leider aber auch sein Manko. In einer Zeit wo Alles, also auch Kriege, als alternativlos gepriesen wird, kann ich keine gesellschaftliche Entwicklung seit erscheinen des Buches erkennen auch wenn heute die Menschen weitaus sensibler mit dem Thema Krieg umgehen als zu Lebzeiten von Remarque.

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    1. ich werde demnächst noch den von synästhetisch (siehe kommentare) empfohlenen „Weg zrück“ lesen. aber das wird noch ein klein wenig dauern, es gibt da noch so eine kleine warteschlange im regal, die ich vorher lesen will …. *gg*

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  2. Ganz besonders großartig und leider viel zu selten erwähnt wird die Fortsetzung mit Namen „Der Weg zurück“. Hier schildert Remarque die seelischen Traumata der jungen, überlebenden Soldaten, die in der Heimat keinen Ankerpunkt mehr finden können und selbst zusehen müssen, wie sie mit ihren beschädigten Körpern und Herzen weiterleben.

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  3. Wieder hast du einen Griff in deine Schatzkiste getan, lieber flattersatz, und diesmal ein Buch zu Tage gefördert, das ich nicht gelesen habe. Du nennst es „einer der Klassiker der Kriegsliteratur, oder besser gesagt, der Anti-Kriegsliteratur.“ Nun ja, von der Intention her ist es das gewiss, aber von der Wirkung her? Kann es überhaupt Antikriegsliteratur oder im weiteren Sinne Antikriegskunst geben? Auch Adolf Hitler wird „Im Westen nichts Neues“ gelesen haben, zumal er ja selber an diesem Krieg teilgenommen hat. Aber alles was es bei ihm offenbar bewirkt hat ist, sich zu überlegen, wie er besser machen, wie er diesen nutzlosen Stellungskrieg vermeiden, wie er es den Franzosen heimzahlen kann. Und auch die Amerikaner hat Remarques Buch nicht davon abgehalten, die Bomben auf japanische Großstädte zu werfen, die erst kürzlich Thema zweier deiner Rezensionen waren.

    Die Beschreibungen der Grässlichkeiten, die du zitierst, erinnern mich an sehr ähnliche in dem Stalingrad-Buch von Wöss: „Hunde, woll ihr ewig leben?“ oder auch an „Stalingrad“ von Plivier. Auch diese überdeutlichen Bücher haben nicht verhindern können, dass in Korea, Vietnam und Afganistan und sonst wo auf der Welt die gräßlichsten Kriege geführt wurden und werden.

    Auch heute werden wohlmeinende Antikriegsbücher geschrieben, auch sie können keine Kriege verhindern. Ist all dieses Schreiben dann umsonst? Nein! Anhand der seelischen Deformation Paul Bäumers können wir unseren Blick schärfen für solche in unserer Umgebung – und schlussendlich auch unsere eigenen. Denn gerade noch unsere Generation hat Väter und Großväter, Onkel, Ehemänner und Liebhaber gehabt, die vom Kriege seelisch mitgenommen waren. Wenn ich meine Lektion rechtzeitig gelernt hätte, hätte ich meine erste Frau und damit die Kinder nicht verlassen und vaterlos gemacht, ich, der ich selber den Vater durch den Krieg verloren habe. Warum habe ich es nicht besser gemacht? Eine müßige Frage. Aber darauf hinwirken, dass andere es besser machen, das kann ich zumindest versuchen.
    Till

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    1. lieber till, ganz herzlichen dank für deinen ausführlichen und auch persönlichen kommentar.

      deine frage, ob es überhaupt antikriegs(literatur, kunst) geben kann, beantworte ich für mich eindeutig mit „Ja“. Krieg ist schrecklich und ihn realistisch darzustellen, ihn nicht als stahlgewitter zu glorifizieren, in dem der neue mensch geschaffen wird, wird in jedem „normal“ empfindenden menschen abscheu hervorrufen. natürlich hast du recht, einen hitler hat es nicht vor dem krieg abgehalten, einen stalin nicht, einen pol pot nicht, gaddafi und assad sind jüngere beispiele, die iranischen kinder, die im krieg gegen den iraq zerfetzt wurden für einen religiösen fundamentalismus, karadzic im jüngeren europa nicht zu vergessen und auch die amerikaner, die versuchen, die kriegsführung in ein videospiel zu verwandeln. leider halten sich solche menschen nicht an die regeln und sie müssen das leid, das sie verursachen, auch nicht selber ausbaden….

      und doch.

      hitler, zumindest seine schergen haben remarque sicher gelesen, und sie haben seine gefährlichkeit für ihre eigenen luziden absichten erkannt. sonst hätte der 7. rufer im mai 33 einen anderen aufgerufen. man fürchtete die wehrkraftzersetzende wirkung seiner bücher, gibt es einen besseren beweis dafür, daß antikriegsliteratur wirkung entfaltet? und mit remarque wurden -zig andere autoren und künstler mit einem pinselstrich der konzertierten aktion von legislative, exekutive und judikative von der bildfläche gewischt, sie existierten nicht mehr im öffentlichen leben, man kannte ihre werke nicht, kannte sie nicht – es war in der summe schlicht und einfach kein gegenpart zum kriegsgehetze mehr da.

      auch deshalb ist die wirksamste antikriegsliteratur, neben der, die die erinnerung an den schrecken aufrecht hält, diejenige, die aufklärt, die erzieht, die die angst vor dem fremden nimmt, die die neugier auf das andere, auf die welt weckt, die auf der anderen seite irgendeiner grenze den freund sieht, den es kennenzulernen gilt und nicht den feind, der einen bedroht.

      du hast recht, wir müssen das heute mit der erinnerung an das gestern beobachten. und wir müssen vor allem diese erinnerung weitertragen, sie muss zu einer art kollektivem wissen werden und deswegen ist es wichtig, daß auch solche älteren bücher immer wieder und immer noch gelesen werden.

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