
Der Hase ist, so weiß man spätestens nach der Lektüre dieses kleinen Romans von Dieter R. Fuchs, ein zutiefst mythisches Tier. Egal, in welcher Region dieser Welt man sich umhört, überall gibt es Geschichten und Legenden um ihn, schreibt man ihm besondere Kräfte zu und für uns, die wir den Mann im Mond sehen, ist es erst einmal gewöhnungsbedürftig, zu lesen, daß andere Völker eher den Hasen dort verorten. Und erstaunlicherweise ähneln sich viele der Geschichten aus allen Kontinenten…. Aber ich greife vor.
Im Zentrum des Buches, als Angelpunkt dreier Handlungsebenen, steht eine kleine Elfenbeinschnitzerei aus Japan, eine sogenannte Netsuke, die auch das Cover des Romans ziert. [Wiki-Seite zu Netsuke: http://de.wikipedia.org/wiki/Netsuke]. In einem der alten Kunstbücher, die ich in den (Un)Tiefen der Regale verstaut habe, wird der Begriff „Netsuke“ (ich formuliere es mal so) funktional eingedeutscht als: Gürtelschnurknöpfe [Peter C. Swann: Japan von der Jomon- zur Tokugawa-Zeit, Baden-Baden 1974, S. 237], aber diese Eindeutschung erwähne ich nur des Amüsements wegen, weil sie so sehr gekünstelt klingt…. Netsuke jedenfalls waren Gebrauchsgegenstände, auch der Japaner in seiner seinerzeit taschenlosen Kleidung musste irgendwie das Notwendige, was er in einem Beutel mitzuführen für unumgänglich hielt, an seinem Gürtel befestigen. Dies tat er mit einer Schnur, die durch eben eine Netsuke gehalten wurde.

Deutlich sieht man hier an diesem Netsuke aus meinem Bücherregal, was damit gemeint ist. Außer dem Monogramm des Künstlers sind deutlich die zwei Löcher zu sehen, durch die die dünne Schnur eingefädelt wurde. Und wer die Dinge auch gerne mal von oben und nicht nur von unten sehen möchte… der klicke hier!
Die Schnitzerei, um die es im Tanz der Häsin geht, stellt eine mythische Figur dar. Der deutlich und erotisch ausgeformte Körper einer Frau, auf dem ein Hasenkopf sitzt und der anstelle der Hände und Füße Hasenpfoten hat. Die Figur, so informiert uns der Autor, ist in seinem Besitz, anscheinend fasziniert sie ihn so, daß er eine Geschichte um sie herum erfunden hat. Interessanterweise, und damit knüpfen wir schon ein lockeres Band zum Inhalt des Buches, scheint diese Hasenfrau nicht wirklich zum alltäglichen Gebrauch gefertigt worden zu sein, da die beiden Löcher zu fein sind, um tatsächlich zum Halten der Schnur gedient zu haben. Ausserdem ist sie wohl nicht so alt und so liegt die Vermutung nahe, daß sie angefertigt wurde, um das wachsende Interesse der westlichen Welt in dieser Zeit an ‚Japonaiserie‘ zu bedienen. Denn im Juli 1853 zwang die Flotte von Commodore Perry Japan zur Öffnung seines Landes für Ausländer. Damit gelangten immer mehr Waren und (Kunst)Gegenstände aus Japan nach Europa und trafen hier auf zum Teil begeisterte Aufnahme. Die Femdartigkeit der Kunst, das hohe handwerkliche und künstlerische Geschick der Maler, das Aufbrechen alt hergebrachter Seh- und Malgewohnheiten befruchtete insbesondere den aufkeimenden Impressionismus und führte zu einer Erscheinung, die man „Japonisme“ nannte. Das die Japaner auch die Erotik in ihrem Werken („Shunga“) zu Wort kommen ließen, war sicherlich auch förderlich: Man begeisterte sich für alles Japanische, unter anderen auch für diese „..kleinen Gegenstände, die man in die Hand nehmen und herumreichen konnte – leichthin, spielerisch, kennerhaft – …“ [ich verweise an dieser Stelle gerne auf das wunderbare Buch von Edmund de Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen, in dem ebenfalls um Netsuke im Mittelpunkt stehen und dem dieses kleine Zitat entnommen ist.]
Was hat all dies in der langen Vorrede mit dem vorliegenden Roman zu tun? Schaumermal…..
Fuchs konstruiert drei Handlungsstränge. Da ist zum einen die angehende Kunsthistorikerin Sandra Haas (der Nachname, was ein Zufall….), die nach einigen Erfahrungen wildentschlossen ist, ihr Leben zu ändern. Dies bedeutet unter anderem, daß sie ihre laufende Promotionsarbeit hinschmeißt und sich auf ein Thema konzentrieren will, das sie wirklich berührt: der Einfluss japanischer Importkunst auf das Werk des Malers Franz Marc und des russischen Juweliers Peter Carl Fabergé.
Die zwei anderen Erzählstränge führen beide in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In Russland hat ein Mitarbeiter Fabergés den Auftrag, als Geburtstagsgeschenk für den Meister eine Sammlung ausgefallener Netsuke zusammenzustellen. Dabei trifft er auf eine wunderschöne junge Frau, die in einem Antiquitätenladen arbeitet…
Zur gleichen Zeit arbeitet in München eine Gruppe Künstler um Marc, Klee, Kadinsky u.a. daran, ihren eigenen Weg zu finden, Der Blaue Reiter ist ihr Name [vgl. z.b. hier in einem Beitrag aus dem Deutschlandfunk: Rainer Berthold Schossig: Der Beginn des „Blauen Reiters“.]
Wie dies alles zusammenhängt und welche Rolle der Hase bzw. die Tänzerin dabei spielt, davon handelt der Roman. Ich will nicht viel mehr vom Inhalt erzählen, die Geschichte ist nicht allzu umfangreich, so daß ich nicht zu viel verraten will. Jedenfalls spielt der Erste Weltkrieg eine große Rolle, Franz Marc meldet sich als begeisterter Patriot an die Front, von der er nicht zurück kommen sollte. Auch das Schicksal des russischen Paares ist tragisch, der Mann wird ebenfalls ein Opfer des Krieges. Und in der Familiengeschichte der jungen Frau spielt die titelgebende Figur ebenfalls eine Rolle.
Der Tanz der Häsin wird in der Kritik allgemein gelobt, in dieses Lob kann ich nicht einstimmen. Auf den ersten Seiten hatte ich eher das Gefühl, in einen Groschenroman geraten zu sein, der blonde Rausschgoldengel hatte mal wieder die Nacht mit dem falschen Typen verbracht, stand verkatert unter der Dusche und beschloss, sein Leben von Grund auf zu ändern. Und bevor es dann zum süßen Happy End kommen sollte, gab es noch ein anderes Bett mit einem anderen Typen drin, durch das man sich noch mal kurz schlief…. Auch die Geschichte des russischen Paares ist im Grunde recht dröge und bietet wenig erhellendes, es ist die reine und hehre Liebe, aus der letztendlich dann noch eine Tochter entspringt, die es im Grunde nicht geben dürfte…
Interessanter sind gegenüber diesen beiden Episoden dagegen die Abschnitte, die sich um Franz Marc und seine Künsterkollegen ranken. Diese hatten Anfang des 20. Jahrhunderts neue Konzepte für ihre Kunst entwickelt und erprobt, in denen u.a. auch fernöstliche Einflüsse zu finden sind. Darüber fabuliert Fuchs durchaus lesenwert und interessant, auch wenn dieses natürlich der Kürze des Romans wegen nur an der Oberfläche geschieht. Erwähnen sollte ich vllt das Marc’sche Gemälde vom Reh im Klostergarten, das eine besondere Rolle in dieser Geschichte spielt, wohin gegen die geheimnisvolle Ankündigung auf der hinteren Einbandseite, daß das Interesse von Frau Haas, ‚ohne es zu ahnen, uralte Mythen beschwört‘, reichlich übertriebene Erwartungen weckt.
summa summarum: Der Tanz der Häsin ist ein netter Zeitvertreib, aber sicherlich kein Muss. Und wenn sich jemand über die japanische Alltagskunst der Netsuke informieren will, lege ich ihm ganz dringend den wunderbaren Band von Edmund de Waal ans Herz: Der Hase mit den Bernsteinaugen. Dieses Buch ist im Gegensatz zum vorliegenden, tatsächlich ein ‚Muss‘.
Dieter R. Fuchs
Der Tanz der Häsin
Diese Ausgabe: Fabulus-Verlag, HC, ca. 200 S., 2015