Mila Paulsen: Sex für Wiedereinsteiger

Ich wollte nach all den Titeln der letzten Zeit über Sterben, Tod und Trauer mal wieder was leichteres lesen und bin bei diesem Roman von Mila Paulsen gelandet, Sex für Wiedereinsteiger. Mit diesem Buch bekommt man sogar mehr als man denkt, denn die Autorin Mila Paulsen ist frei nach dem Motto: wer bin ich und wenn, wie viele? zwei: Hinter diesem Pseudonym stecken zwei Autorinnen, denen über Sex zu sprechen offensichtlich nicht fremd ist, sie tun dies seit Jahren in diversen Publikationen und nun auch hier in dieser Geschichte von vier Frauen im mittleren Alter.

Sex für Wiedereinsteiger spielt in Hamburg, es ist der Name eines VHS-Kurses, den die pure Sinnlichkeit verströmende Tilda, selbst Mutter zweier Kinder, für Frauen gibt, denen das richtige Leben Lust und Spaß an der Körperlichkeit und deren Möglichkeiten geraubt hat. Die Geschichte konzentriert sich auf vier dieser Frauen: Andrea ist Ende 40 und mit Andreas gutsituiert verheiratet, sie ist mittlerweile erfahren im Vortäuschen von Höhepunkten. Daneben langweilt sie ihr Dasein als Hausfrau, ihr Sohn steht kurz vorm Abitur, hat aber Schulprobleme. Die Journalistin Maren, 46, lebt mit Thomas zusammen, ohne verheiratet zu sein, auch sie eine routinierte Schauspielerin. Das dies so nicht naturgegeben ist, zeigt die Erinnerung an ihren verflossenen Lover Max, der auf ihrem Körper wie auf einem Instrument spielte und diesem Instrument die ihm innewohnenden Töne sehr wohl zu entlocken wusste. Anja, 51, ist Single und lebt nach einer auseinander gegangenen Beziehung auf dem Land bei Verwandten, wo sie langsam, aber sicher vertrocknet. Und dann noch Iris, die mit ihren 43 Jahren drei Kinder in die Welt gesetzt hat, die ihren Körper ihrer Ansicht nach völlig ruiniert haben. Sie fühlt sich ständig überfordert und mag sich selbst nicht mehr ansehen. Außer diesen vier Protagonistinnen gibt es noch weitere Frauenfiguren in Nebenrollen, wie z.B. Franzi, die bekennende Lesbe oder Dörte vom Typ Mauerblümchen, mit denen die Autorinnen ihre Geschichte aufpeppen.

Im Grunde mischt dieser Roman zwei Genres: zum einen ist er eine Art ‚aufklärerischer‘ Ratgeber. In den Abschnitten, in denen die Autorinnnen die Seminarstunden beschreiben, werden sozusagen Basics zur weiblichen Sexualität vermittelt, angefangen von der Tatsache, daß das weibliche Geschlecht nicht Vagina, sondern Vulva heißt, und daß es prinzipiell schön ist und nicht durch stylische ‚Schönheitsoperationen‘ irgendwelcher vorgeblich Idealvorstellungen wegen verstümmelt werden muss bis hin zur Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, was will ich überhaupt im Bett und wenn, mit wem? Und muss es überhaupt das Bett sein? Die zweite Ebene befasst sich mit der Entwicklung der Figuren im Lichte dessen, was Tilda ihnen über die Sexualität meistens der Frauen, aber auch ein wenig übe die der Männer, erzählt, beibringt, empfiehlt – wie auch immer.

Die Geschichte verfolgt die vier Hauptfiguren bei ihren Versuchen, das Gelernte anzuwenden (‚Learning by Doing‘) und einzusetzen. Es wundert nicht, daß die bestehenden Beziehungen dadurch auf die Probe gestellt und die jeweiligen Männer einiger Illusionen verlustig werden. Nicht jede der Beziehungen überlebt dies, aber es gibt auch das Gegenbeispiel, bei dem neue Lust in die Beziehung Einzug hält und für Befriedigung beider Partner sorgt, auch, weil jetzt jeder der beiden durch die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber seine Rolle findet.

Es ist nicht weiter überraschend, daß der Plot für alle Teilnehmer (inclusive der Leiterin) eine Wende in ihren Leben bereit hält. Im Grunde sind es die üblichen Versatzstücke, denen wir Leser hier begegnen: das (als durchaus bereichernd empfundene) lesbische Abenteuer, die Rückbesinnung auf den längst verflossenen Lover oder die neue Beziehung zu dem unkonventionell viel jüngeren Mann… In den Passagen zwischen diesen durchaus ernsthaft geschilderten Episoden muss man sich jedoch durch viel Lifestyle kämpfen, wenn beispielsweise die Damen in ihren SUV durch Hamburgs Straßen fahren, um in den angesagten Klamotten in den angesagten Lokalen die angesagten Speisen zu sich zu nehmen…. Das kommt manchmal so heftig, daß es schon fast als ironisch einzustufen ist.

In toto liest sich dieser Roman recht schnell, er ist praktischerweise in kleine Lesehäppchen gegliedert, die jeweils den einzelnen Hauptfiguren gewidmet sind. Die ‚aufklärerischen‘ Momente mögen für den/die eine/n oder andere/n erhellend sein, der Rest der Geschichte ist locker und unterhaltend erzählt, die erwähnten (mich) etwas nervenden Lifestyle-Passagen konnte ich ohne großen Verlust überfliegen. Ob der Roman wirklich „zum Schreien komisch“ ist (so kündigt es die hintere Umschlagseite an) , bezweifel ich, ich persönlich habe die Tatsache, wie gestört das Sexualleben der Figuren doch (vor dem Kurs) war, als eher lebensnah und – jetzt hätte ich fast geschrieben: daher – traurig empfunden. Egal, für ein paar nette Lesestunden ist Sex für Wiedereinsteiger dann doch auch ohne Geschrei geeignet.

Mila Paulsen
Sex für Wiedereinsteiger
Originalausgabe: Goldmann, TB, ca. 350 S., 2021

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars

Ein Kommentar zu „Mila Paulsen: Sex für Wiedereinsteiger

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