Nagasaki ist unserem Gedächtnis weniger präsent als Hiroshima, es ist wohl eine allgemein menschliche Eigenschaft, das „Zweitereignis“ gegenüber dem ersten in der Bedeutung geringer einzuschätzen. Und doch steht das Grauen, das in Nagasaki herrschte dem von Hiroshima in keiner Weise nach.
Am 9. August 1945 um 11:02 Uhr detonierte mit „Fat man“ [1] die zweite Atombombe im Kriegseinsatz über Japan.
Sie traf mit Nagasaki eine Stadt, die in mehrfacher Hinsicht „Pech“ hatte. Zum einen war die Stadt „nur“ das Ausweichziel. Primärziel war ursprünglich Kokura an der Nordküste von Honshu, wegen des dort zum Zeitpunkt des Zielanflugs um 10:44 unter einer dichten Wolkendecke, die die Lokalisierung des Zielpunkts unmöglich machte. So wich man auf Nagasaki aus, das jedoch auch unter einer dichten Wolkendecke lag. Die Besatzung musste jetzt entscheiden, ob man die schon scharf gemachte Bombe einfach ins Meer werfen wollte oder ob man sie per Radar ins Ziel bringen sollte. Da riss die Wolkendecke auf und gab kurzzeitig den Blick auf ein Gebiet etwas flussabwärts des ursprünglichen Zielsektors frei. Die Bombe wurde abgeworfen und detonierte in 500 m Höhe über den steilen Hängen in dieser Region, die die zerstörerische Wirkung der Bombe etwas abschwächten (alles ist relativ….).
Auf amerikanischer Seite lief nicht alles nach Plan, die Fertigstellung von „Fat man“ musste in aller Eile durchgeführt werden, da der Einsatz vorgezogen wurde. Da außerdem die Wirkung der Hiroshima-Bombe derart umfassend und zerstörerisch war, musste man davon ausgehen, daß sich die Nachricht von deren Einsatz in Japan nur mit Verzögerung verbreitete, da alle Kommunikationswege ebenfalls zerstört waren. Ursprünglich war davon ausgegangen worden, daß sich die Informationen über die Auswirkungen der Bombe rasch im Land verbreiten würden. Die erhoffte demoralisiernde Wirkung der Bombe hat sich also noch nicht entwickelt gehabt. Es wurde hektisch an einem Flugblatt gearbeitet, in der die japanische Bevölkerung über die Wirkung der Bombe aufgeklärt werden sollte verbunden mit der Aufforderung, an den Tenno zu appellieren, den Krieg zu beenden.
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Da es jedoch einen Engpass an Flugblattbomben gab, wurden diese Flugblätter über Nagasaki erst am 10. August abgeworfen, so daß die Forderung nach dem Appell an den Kaiser (zumindest hinsichtlich der Stadt Nagasaki) ins Leere lief.
Bis Ende 1945 starben in Nagasaki 70.000 Menschen, im Laufe der nächsten 5 Jahre waren es 140.000, die Todesrate entsprach schließlich doch der von Hiroshima. [2]
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Am 9. August 1945 ist um elf Uhr zwei Minuten in 550 m Höhe über Matsuyama im Zentrum des Urakami-Viertels von Nagasaki eine Pluton-Bombe atomisch explodiert.
Eine Gewalt gleich einem mit 2000 Metersekunden daherfegenden Sturm zerstörte und pulverisierte jeden Gegenstand auf der Erdoberfläche. Das im Explosionszentrum entstandene Vakuum riß wie ein Tornado die Trümmer hoch in den Himmel und ließ sie darauf zu Boden stürzen.
Die erzeugte Hitze betrug 9000° Celsius. Sie kremierte jeglichen Gegenstand. Bombensplitter in Form weißglühender Bälle regneten nieder und entfachten in weitem Umkreis Brände. Über dreißigtausend Menschen wurden getötet, über hunderttausend verletzt. Weitere ungezählte Tausende waren den radioaktiven Strahlen ausgesetzt, die zur Atomkrankheit führten.
Eine dichte Wolke von Staub, Schmutz und Rauch bildete sich nach der Explosion. Sie legte sich vor die Sonne und bewirkte eine tiefe Dunkelheit, genau wie bei einer Sonnenfinsternis.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Arzt Dr. Nagai [7], ein Katholik [3], in der Medizinschule von Nagasaki. Gerade war eine Luftschutzübung abgehalten und der Endalarm gegeben worden… Nagai berichtet von der Hochsommersonne, die über dem südwestlich gelegenen Urakami-Viertel auf die Erde brannte, als das Geräusch einer einzelnen B-29 zu hören war. Beobachter konnten sehen, daß die hoch fliegende Maschine etwas fallen ließ…. es gab keine Detonation, nur ein helles Licht.. und diese gigantische Welle, die in ungeheurem Tempo über die Hügel und Felder schoss, sich ausbreitete und alles niederwalzte und zerriss. Kein Blatt, kein Grashalm, nichts war mehr zu sehen, nachdem sie vorüber war. Alles war dahin.
Nagai hatte das Glück, hinter einer massiven Betonmauer zu stehen, als die Bombe detonierte. So wurde er zwar verletzt, überlebte aber wie einige seiner Mitarbeiter, denen es ähnlich ging. Die allermeisten jedoch starben. Man wusste nicht genau, was passiert war, vereinzelte Gerüchte gab es über die Bombe, die Hiroshima zerstört hatte und so vermutete man schnell, daß dies eine ähnliche Bombe gewesen war. In der Nacht hörten Nagai und seine Gefährten die Flugzeuge, die die oben erwähnten Aufrufe abwarfen, als er mit wenigen Überlebenden in der Nacht durch die verwüstete Stadt irrte. Am Morgen fanden sie dann die Flugblätter….
Zweimal hörten wir in der Nacht feindliche Flieger ber uns. Sie streuen Flugblätter [siehe das kleine Bildchen, anklicken] aus.
Gegen Mitternacht ließ der Brand endlich nach. Die Hilfsschrei und das Jammern hatten ganz aufgehört. Waren sie alle tot, hatten sie erschöpft aufgegeen oder Schlaf gefunden? Kein Laut zwischen Himmel und Erde…
Es war ein feierlicher Moment.
Feierlich und entscheidungsschwer auch war der Augenblick im Kaiserpalast zu Tokio, wo der Tenno den Befehl erließ, daß die Nation sich ergebe. ….
Die Aufzeichnungen von Nagai spiegeln eine seltsam gespalten anmutende Gemütsverfassung wieder. Zum einen natürlich der Schrecken, der Horror der Bombe, der er nur knapp entkommen ist und deren Wirkung so ungeheuerlich, so unfassbar war. Zum anderen aber transzendiert er dieses, indem er sich klar zu machen versucht, was eigentlich passiert ist, wie diese Bombe funktioniert haben mag, was der wissenschaftlich-technische Hintergrund war. Mit erschreckender Nüchternheit beobachtet er auch die Wirkung der Bombe, die direkten Schäden, die sie hervorruft, die Verbrennungen z.B. aber auch Schäden durch die Druck- und Sogwelle [5], ebenso die ersten Symptome einer Strahlenkrankheit, die nach wenigen Stunden auftreten. Vielleicht ist auch dies eine besondere Art der Verdrängung:
„… wir lagen nun hier im Unterstand als Opfer der Atombombe, die eine Kristallisation der atomphysikalischen Theorie war. Nun waren wir selbst zum Objekt des Experiments gewordne, wir hatten am eigenen Leib dei Wirkung der Bombe erfahren. Zudem befanden wir uns in der seltenen Lage, unsere Beobachtungen der Bombenspätfolgen an den Opfern fortzusetzen.“
Die wenigen Überlebenden versuchen mit den Mitteln, die ihnen noch geblieben sind (es sind nicht allzuviele) den Verletzten, auf die sie treffen, zu helfen. Sie versuchen, die nächsten Siedlungen zu erreichen, errichten Krankenstationen, die oft nicht mehr leisten können als Verbände zu wechseln und Zuspruch zu geben. Langsam nur war es möglich, die Versorgung der Überlebenden zu organisieren. Am 11. August wurden dann die Patienten (von ihm) ins Militärhospital verlegt, nun galt es, die Toten und Vermissten zu suchen und zu kremieren: „Rote Flammen hüllten die Scheiterhaufen ein; in klinene Gruppen umringten sie die Überlebenden mit wortlosem Starren.„. Jetzt kamen auch immer mehr Angehörige in die Trümmerlandschaft, um ihre Verwandten und Vermissten zu suchen: „… Dieses Suchen war herzzerreissend… Die meisten vermochten nicht einmal eine Leiche zu finden. … Auch wenn eine Leiche gefunden wurde, war ihre Identifikation … nicht … durch ihre Gesichter möglich, die verunstaltet und unkenntlich waren. .. sie standen da in wortlosem Schmerz, und manchem blieben die lösenden Tränen versagt.“
In den nächsten Tagen wird einfach versucht, mit den primitivsten Hilfsmitteln, die zur Verfügung stehen, den Kranken zu helfen und sich selbst, denn natürlich sind auch die Helfer nicht verschont geblieben. Depression breitet sich aus, Verzweifelung, bei manchem bekommt der schützende Mantel des Nicht-Erfassens der Ungeheuerlichkeit Risse und läßt Hoffnungslosigkeit aufkommen. Was spielt der einzelne Kranke für eine Rolle, wenn doch die ganze Nation am Boden liegt und zerstört ist? Aber immer wieder gelingt es Nagai, dem auch geistigen Führer dieser Helfergruppe, sich und seine Leute mit Selbstdisziplin diese Krisen zu überwinden „Unsere Pflicht war, uns um die Gesundheit der einzelnen zu kümmern….“
Gerüchte über die (abgeschätzte) Unbewohnbarkeit der Region (von 75 Jahren ist die Rede) demoralisieren zusätzlich. Doch nach 3 Wochen sieht man Ameisenkolonien im Zentrum der Zerstörung, nach einem Monat konnte man Würmer und Ratten beobachten, auch Getreide keimte und trieb aus, sogar Blumen fingen an zu blühen. Aus solchen Beobachtungen wurde Hoffnung geschöpft: „.. Ich sagte allen, es sei möglich, wieder im Bombenbezirk zu lebne mit der Einschränkung, daß Kinder noch etwas warten sollten, weil sie für die Strahlenwirkung empfindlicher sind.“ [6], langsam richten sich die Menschen wieder in der Region ein, erst in Unterständen, Baracken und Behelfsbehausungen, später dann in festen Häusern. Sehr genau kategorisiert Nagai den Ablauf dieser Wiederbesiedlung Nagasakis.
Weihnachten wurde die zwar vom Turm der Kathedrale gestürzte, aber unversehrt geborgende Glocke wieder geschlagen und „.. kündete den Frieden, der wiedergekehrt war.“
Was Nagais Bericht über den Atombombenabwurf über Nagasaki von vielen anderen unterscheidet, ist, daß er außer der Beschreibung dessen, was geschehen ist, versucht, Erklärungen zu finden. Um mit der Ungeheuerlichkeit umgehen zu können zieht er sich auf die Position eines Wissenschaftlers zurück, der sich selbst zurücknimmt und beobachtet und die Beobachtungen analysiert. Dadurch gelingt es ihm in hohem Maße, die eigene Betroffenheit erst einmal zurückzudrängen und Handlungsfähigkeit und -kompentenz zu erlangen. Folgerichtig wird er auch Leiter der Gruppe Helfender, die den Abwurf der Bombe durch glückliche Umstände relativ unbeschadet überlebt haben. Diese Beobachterrolle mutet beim Lesen etwas seltsam an, unwillkürlich taucht die Frage auf, wie man eine solche Katastrophe so neutral und objektiv registrieren und nach Erklärungen suchen kann, denn – auch das klingt durch – die technisch-wissenschaftliche Leistung, die hinter und in der Bombe steckt zeugt ihm von Größe und imponiert.
In all dem Chaos empfindet Nagai, der Helfer und Beobachter „feierliche“ Momente. Das mutet sehr seltsam und unpassend an. Aber es sind die Momente der Stille, einsetzender und herrschender Ruhe, die Augenblicke, in denen das Chaos in der Dunkelheit verschwunden ist, in denen die Ruhe der Nacht dem Überlebenden die Gelegenheit gibt, sich wieder einer selbst bewusst zu werden, seines eigenen Überlebens, Momente, die diesem auch – als Gegenreaktion vllt – Hoffnung geben auf weiters Überleben….
Links und Anmerkungen:
[1] Wiki-Artikel zu Fat man
[2] Rhodes R: Die Atombombe, Greno 1988, S. 740ff
[3] die alte japanische Stadt Nagasaki [4] war seit 1853 Vertragshafen der Europäer und wurde von Portugiesen und Holländern beeinflusst, hier befand sich die größte christliche Gemeinde des Landes
[4] Wiki-Artikel zu Nagasaki
[5] So berichtet er z.B. von einer Schwangeren, der Bauch aufgerissen worden war und deren Baby vom der Plazenta umschlossen zwischen ihren Beinen… weiter schreibt er: „Zahllosen Leichen war der Magen aufgerissen, und ihre inneren Organe lagen verstreut auf dem Boden. In siebzig Metern Abstand fand man Leichen mit abgerissenen Schädel, ja es fanden sich solche, denen die Augäpfel aus den Höhlen geschleidert waren. …“ usw
[6] … tragisch, aber man wusste noch nichts über den Charakter und die Langzeitauswirkungen radioaktiver Strahlung (eigentlich ein falscher Begriff, den nicht die Strahlung ist radioaktiv, sondern die sie aussendenden Stoffe….., aber es hat sich halt so eingebürgert). Im Gegenteil, Hiroshima und Nagasaki bildeten den ersten reichen „Erfahrungsschatz“, den man in dieser Hinsicht bergen konnte…..
[7] Wiki-Artikel über Paul Takashi Nagai, siehe auch das kleine Vorschaubildchen vom Rückeneinband des Buches
Paul Takashi Nagai
Die Glocken von Nagasaki
übersetzt von Friedrich Seizaburo
diese (gekürzte) Ausgabe: St. Benno-Verlag GmbH, Leipzig 1957. 130 Seiten; Broschiert;
Schade, dass der Film „Glocken über Nagasaki“, den ich als Kind in den 50er Jahren gesehen habe, nicht mehr verfügbar ist. Er hat mich unendlich beeindruckt und war mir wohl noch im Kopf als Motor für mein Engagement in der Friedensbewegung seit den 1980er Jahren.
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liebe christine, hab dank für deinen lieben kommentar. da soll noch mal einer sagen, bücher würden nichts bewirken….. frohe feiertage wünsche ich dir!
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Das Buch ist super und sollte auch in der Schule Pflichtlektüre sein. So kann man sich ggf. mit der Geschichte vernünftig auseinandersetzen.
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Ah, das war also die Überraschung? Dr. Nagai ist mir schon mehrfach indirekt begegnet, nur leider ist dieses Buch ja kaum zu bekommen.
– Miki Sakamoto, deren Familie aus Nagasaki kommt, erwähnt Dr. Nagai als Bekannten http://japanliteratur.net/die-kirschbluetenreise/
– und auch das gerade von mir rezensiere Buch erwähnt ihn, glaube ich
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bei amazon gibt´s das buch schon, aber ich habe gemerkt, daß ich in bezug auf den preis viel glück gehabt habe… ich habe es ziemlich billig bekommen. zumindest im vergleich….
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hab’s gesehen, merci :)
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Das könntest du ja eigentlich noch tun ;)
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I did it! :-)
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Oh, da hast du ja ein altes Schätzchen aufgetan, besonders das Cover ist gelungen.
Ich mag Bücher, die von unvorstellbarem Leid, Schmerz nd Trauer berichten und doch ein Licht am Ende des Tunnels aufzeigen. Hoffnung ist schon eine feine Sache…
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ja, an dem wort, daß die hoffnung zuletzt stirbt, ist schon etwas dran. wer keine hoffnung mehr hat (selbst wenn sie trügerisch ist oder auf falschen voraussetzungen beruht), hat sich selbst aufgegeben und dem kann man auch nicht mehr helfen.
das buch ist wirklich ein schätzchen, ich weiß garnicht, wie ich darauf gekommen bin. vllt hätte ich die hintere umschlagseite noch einscannen sollen, die zeigt den autor in seiner hütte liegend und sein kind streichelnd…..
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