Petra Frey, die Autorin dieses schmalen Büchleins, ist unter anderem Namen eine bekannte Schauspielerin, hier jedoch tritt sie uns als ehrenamtliche Hospizbegleiterin entgegen, in gewissen Sinn sind sie und ich also Kollegen – was mich freut und was mich natürlich neugierig gemacht hat auf ihr Buch. SterbeMund tut Wahrheit kund ist ja schon einmal ein schöner Titel (https://sterbemund.de), die Bezeichnung ‚Autobiografische Erzählungen‘ sollte man dagegen nicht zu ernst nehmen. Weder erfährt man allzu viel von der Autorin noch handelt es sich bei den Beiträgen in diesem Buch im literarischen Sinn um Erzählungen, vielmehr sind kurze Geschichten aus ihrem Alltag als Begleiterin. Eingestreut in diese Episoden sind knappe Abschnitte, die sich mit Themen rund ums Sterben befassen. Man bekommt so praktische Tipps (und das ist jetzt nicht ironisch von mir gemeint) von ihr wie beispielsweise zur Patientenverfügung, in der man auch festlegen sollte, ob man lieber bei offenem oder bei geschlossenem Fenster liegen möchte oder daß man Bauchschläfer ist und das gefälligst zu berücksichtigen ist… das klingt trivial und möglicherweise sogar albern, aber wenn es an so Kleinigkeiten hapert, kann es einem auch im Sterben den ganzen Tag verhageln.
Ich habe vor ein paar Tagen hier Korps Buch über die segensreiche Rolle des Humors beim Sterben besprochen (Harald-Alexander Korp: Am Ende ist nicht Schluß mit lustig). Freys Büchlein passt gut in dieses Thema hinein, auch sie scheint als Begleiterin den Humor als rundum positives Medium einzusetzen. Und das Glück zu haben, häufig auf Menschen zu treffen, die am Ende ihres Lebens noch mit Humor gesegnet sind, denn Begleitungen, bei denen Schmerz und Trauer ein düsteres Tuch über die Sterbesituation gelegt haben, sind in ihrer Sammlung praktisch nicht zu finden. Aber es gibt sie und wenn jemand Freys ‚Erzählungen‘ als Motivation nehmen sollte, selbst auch Hospizbegleiter/-in zu werden (nur zu!), sollte er/sie sich darüber im Klaren sein.
Die einzigen Sünden, die ich bereue, sind die, die ich nicht begangen habe.
Sterben bzw. der nahe Tod wirft den/die Betroffenen auf sich selbst zurück. Wie ist die Bilanz meines Lebens – auf die eine oder andere Art zieht jeder ein solches Resümee. Hier bewahrheitet sich Gandhis bekannte Aufforderung: Lebe, als würdest du morgen sterben. Denn oft bereut der Sterbende Entscheidungen, die er im Leben getroffen hat, Chancen, die er nicht wahrgenommen hat, Gelegenheiten, die ihm entglitten sind. Nie (ich denke, das kann man in der Tat so absolut sagen) wird man einen Sterbenden treffen, der bekennt, zu wenig gearbeitet zu haben… Es ist diese Bilanz, und Frey macht das deutlich, die mit dafür entscheidend ist, wie das Sterben empfunden wird, ob es ein gutes Sterben sein kann in Akzeptanz der Unausweichlichkeit oder ob es Sterben ist voller Hader und Reue über ein Leben, das falsch gelebt worden war. Eine Lehre für uns Lebende, die wir noch – und wir können nie wissen, wie weit – vom Tod entfernt sind, aber ebenso wissen, daß wir unausweichlich auf ihn treffen werden. Für ein gutes Sterben können wir also schon heute und jeden Tag den Grundstein legen.
Ein weiterer Punkt, der für ein gutes Sterben Bedeutung erlangen kann, ist die Vorbereitung. Ist man erstmal krank oder hat einen schweren Unfall, hat man schätzungsweise andere Probleme, als sich um Formalia zu kümmern: die Patientenverfügung habe ich schon erwähnt, aber das ist ja nicht das einzige. Die Frage: sind die Menschen, die ich mir als Begleiter und Bevollmächtigte ausgesucht habe, überhaupt jung genug, um diese Aufgabe wahrzunehmen? Frey erläutert dies am Beispiel des Hausarztes, den man sich früh genug (damit er einen kennenlernt) und jung genug (damit er einen überlebt) aussuchen sollte. Auch das Testament sollte geschrieben sein, die Bestattung in ihrer Durchführung geregelt (nicht das es so abläuft wie in diesem Clip). Da die Autorin aus ökologischen Gesichtspunkten ganz offensichtlich einer Urnenbestattung den Vorzug vor einer Erdbestattung gibt, möchte ich sie hiermit bitten, in einer eventuellen Überarbeitung ihres Büchleins auch den Energiebedarf bei der Kremierung eines Leichnams zu berücksichtigen, der nicht unerheblich ist und einen merklichen CO2-Ausstoß nach sich zieht [vgl. z.B. hier; https://www.mymoria.de/de/bestattung/umwelteinfluss-oekobilanz-einer-kremation ]. Zu schweigen von der Notwendigkeit, die Filter aus den Abgasanlagen als Sondermüll zu entsorgen.
Freys Büchlein ist ebenso ein engagierter und humorvoller Aufruf, die Scheu vor dem Umgang mit Sterbenden, mit deren Angehörigen und mit Toten abzulegen. Weder vergiftet man sich beim Berühren eines Leichnams noch ist Sterben ansteckend. Aber die Menschen, die jetzt in dieser Situation sind, brauchen oft Hilfe, brauchen Begleitung, offene Ohren, die sich ihren Kummer anhören, flinke Beine, die noch mal eilen, Wünsche zu erfüllen. Das kann ein Stück Erdbeerkuchen sein, eine Flasche Bier oder auch eine Zigarette – auf Nebenwirkungen braucht niemand mehr Rücksicht zu nehmen. Sterben ist meist sehr undramatisch, nicht so wie im Kino oder im Fernsehen, der Atem wird leichter und weniger, ein Schnaufen vielleicht noch und dann … es fallen keine welterklärenden Sätze, eher Ermahnungen wie: „Kind, du musst immer ein Taschentuch dabei haben, du heulst ja alles voll!“ Sterben, dieser Moment, in dem ein Mensch das verliert, was Leben genannt wird, ist (auch wenn es Ausnahmen gibt) oft ein Moment tiefsten Friedens, ein Moment großer Spiritualität, in den man sich fallen lassen sollte. Der Abschied von einem geliebten Menschen ist der erste Schritt in eine gute und gelingende Trauer.
Jetzt habe ich viel geschrieben, aber Frey hat dies auch getan. Ihre Episoden sind in der Tat voller Humor, ob es nun im Hospiz die überdrehte Ex-Schauspielerin ist oder der Herr, der immer noch ein Rendezvous mit der Zahnfee pflegt: der Humor und damit eine gewisse Leichtigkeit kommen nicht zu kurz. Trotz allem sind diese flott und anschaulich geschriebenen Geschichten von Respekt geprägt, sie berühren, gerade weil man spürt, daß es hier um Menschen geht, und sonst um nichts. Das Buch ist vllt nicht gerade eine Werbung fürs Sterben, das kann man jetzt auch nicht sagen, aber es nimmt Angst, weil es dieses Sterben aus dem Unbekannten ans Licht holt: so und genau so ist es in diesem Fall gelaufen und ich brauche gar keine Angst zu haben, es gibt Menschen, dir mich auch dabei nicht verlassen werden und die bei mir bleiben. Und Frey beschreibt sehr schön, wie segensreich die Institution ‚Hospiz‘ ist, egal, ob nun ein stationäres Hospiz oder ein ambulant arbeitender Hospizdienst gemeint ist. Für alle, die sich für diesen Themenkreis interessieren und noch nicht so viel darüber wissen, ist SterbeMund ein wunderbarer Einstieg, für alle jedoch sind die Geschichten aus dem Leben eine Ermunterung, sich mit ihrer eigenen Endlichkeit zu befassen.
Petra Frey
SterbeMund
tut Wahrheit kund
mit Illustrationen von Lilly Frey
diese Ausgabe: tredition, Paperback, ca. 130 S., 2019
Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.
Mehr Buchvorstellungen zu diesem Themenkreis finden sich hier im Blog in der entsprechenden „Schublade“: https://radiergummi.wordpress.com/category/krankheitsterbentodtrauer/