Angela Hasse: Neun Frauen und Ich

neunfrauen

Der Brustkrebs (das Mammakarzinom) ist die häufigste Krebsart bei Frauen, in Deutschland erkranken nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ca. 75.000 Frauen im Jahr neu an dieser Krankheit [2]. Der Oktober, der jetzt dem Ende zugeht, wurde 1985 von der American Cancer Society zum Internationalen Brustkrebsmonat erklärt, um dieses Thema der Öffentlichkeit verstärkt ins Bewusstsein zu rücken [2]. Anläßlich dieses Monats möchte ich dieses schon etwas ältere Buch der Fotografin Angela Hasse vorstellen, die sich dieses Themas unter einem besonderen Aspekt angenommen hat.

Denn die weibliche Brust ist als sekundäres Geschlechtsmerkmal der Frau nicht einfach nur ein Organ wie andere auch, sondern sie ist für das Körpergefühl wichtig, für das Gefühl, Frau zu sein und selbstverständlich ist sie ebenso für die erotische Ausstrahlung und Wirkung einer Frau bedeutend. Neben der Belastung, die eine Krebsdiagnose für die Betroffenen, i.e. die Erkrankten, aber auch für die Angehörigen, sowieso schon darstellt, kann dieser Aspekt zusätzliche psychologisch Probleme bergen. Motiv für die Autorin/Fotografin waren also nicht in erster Linie medizinische Aspekte, sondern, die Frauen in ihrer weiblichen Individualität einzufangen, ohne den Aspekt der Erotik aus dem Blick zu verlieren. Gleichzeitig interessierte sie die Geschichte, die hinter jedem Schicksal steckte.

Obwohl sich Hasse bemüht hat, Frauen möglichst unterschiedlicher Biographie für ihr Projekt zu gewinnen (ledig bzw. verheiratet, mit/ohne Kinder, verschiedenen Alters (zwischen 24 und 57 Jahre)), dürfte die Palette der neun interviewten und fotografierten Frauen nicht repräsentativ sein, sondern eine Auswahl von Frauen zeigen, die mit ihrer Krankheit offen umgehen bzw umgegangen sind. Nicht jede Betroffene möchte mit ihrer Erkrankung in die Öffentlichkeit gehen, geschweige denn, sich unter dem Aspekt erotischer Ausstrahlung fotografieren lassen. Der Kontakt der Autorin zu diesen Frauen wurde über Ärzte hergestellt, die das Vorhaben ihnen geeignet scheinenden Patientinnen vorstellten. Diese setzten sich dann ggf. von sich aus mit Hasse in Verbindung. Ebenfalls im Buch aufgenommen sind die Äußerungen der Partner zweier Frauen.

So unterschiedlich die einzelnen Schicksale auch waren bzw. sind, so gibt es doch Gemeinsamkeiten. Viele der Frauen haben selbst bem Abtasten Veränderungen ihrer Brust festgestellt, spürbare, vorher nicht vorhandene Knoten oder auch Veränderungen in der Haut. Nach diesem selbstertasteten ‚Befund‘ wurde ein Arzt aufgesucht. Oftmals kamen den Frauen nicht der Gedanke, daß es sich um Krebs handeln könnte, auch die Ärzte rückten die Möglichkeit ‚Krebs‘ nicht in den Vordergund, sondern wiesen häufig darauf hin, daß es sich wahrscheinlich um harmlose Einlagerungen handele.

Bei allen Frauen wurde die befallene Brust entfernt, nicht alle jedoch unterzogen sich einem sofortigem Brustaufbau. Im Vergleich der Einzelschicksale zeigt sich, daß das Vertrauen in den behandelnden Arzt sehr wichtig ist, auch das Einholen einer Zweitmeinung vor der Operation erwies sich als empfehlenswert. Auch wenn man als Patient in einer extremen Stresssituation steckt und medizinischer Laie ist, sollte man die Verantwortung für den eigenen Körper nicht einfach an den Arzt abgeben; in einem besonders krassen Fall schildert eine der Frauen, wie sie von ihrem Chirurgen förmlich ‚verstümmelt‘ worden ist (meine Formulierung). Als sehr belastend wurde allgemein der Zeitraum (ca. drei Tage) zwischen Operation und endgültiger Diagnose wegen der herrschenden Ungewissheit empfunden. Die heute wohl bei Krebserkrankungen allgemein üblichen ‚Tumorkonferenzen‘, in denen die Krankheitsfälle interdisziplinär diskutiert werden, scheinen seinerzeit noch nicht üblich gewesen zu sein, zumindest werden sie nicht erwähnt.

Breiten Raum nimmt die Frage ein: wie gehe ich mit meiner Erkrankung um? Oft herrschte im Krankenhaus eine anfängliche Befangenheit zwischen der Patientin und den Besuchern, ein offenes Wort beseitigt diese Befangenheit und anschließende Gespräche können dann sehr entlastend sein. Wichtig ist für die Frauen mit Partnern natürlich deren Reaktion und Verhalten, das Gefühl, gestützt und getragen zu werden, als Gesprächspartner und auch einfach nur als Begleiter da zu sein, hat den Frauen eminent geholfen.

Die meisten der Frauen hatten sich für einen Brustaufbau entschieden, entweder direkt bei der Mastektomie oder später, nach einer kurzen Erholungszeit. Ein etwas ältere, alleinstehende Patientin hat sich dagegen entschieden, sie war der Meinung, wenn sie einen Mann kennen lernen würde, müsste er damit umgehen können, andernfalls sei er eh der falsche.

Bei den der Operation nachgeschalteten Chemo- und Strahlentherapien traten die bekannten Nebenwirkungen auf: Haarausfall, Übelkeit, körperliches Schwächegefühl, Hautverbrennungen im Bereich der bestrahlten Körperfläche. Die Einordnung dieser Nebenwirkung als schwer oder minder schwer ist sehr subjektiv und hängt vom Einzelfall ab. Auch hier muss berücksichtigt werden, daß das vorliegende Buch schon etwas älter ist.


Neun Frauen und ich ist ein Mutmachbuch, das Frauenschicksale zeigt, die mit dieser immer auch mit dem möglichen Tod verknüpften Diagnose ‚Krebs‘ umzugehen gelernt haben. Die meisten von ihnen fühlen sich nach der Behandlung gesund, bei allen hat sich die Einstellung zum Leben geändert, sie leben jetzt bewusster, vertreten ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse klarer und bestimmter, nehmen auch ihre Körperlichkeit intensiver wahr.

Das Buch ist mit zahlreichen sinnlich-erotischen Schwarz-Weiß-Fotografien der interviewten Frauen illustriert. Die Frauen konnten sich die Accessoires, mit denen sie sich zeigen wollten, aussuchen und mitbringen. Entstanden sind viele intime Bilder, die eine sanfte, aufgeschlossene Sinnlichkeit ausstrahlen, das Gefühl, das Einklang besteht zwischen den Personen und ihren Körpern, daß die Krankheit diese Menschen nicht geschwächt, sondern sie stärker gemacht hat. Die Interviews sind nicht in der Form ‚Frage-Antwort‘, sondern als gegliederte, aber durchgehende Texte wiedergegeben.

In einem zweiten Teil ihres Buches geht Hasse auf medizinische Aspekte einer Brustkrebserkrankung  ein. Sie referiert über die richtige Methode der Selbstuntersuchung (Abtastung) und diskutiert ausführlich Für und Wider der diversen Methoden der Mammodiagnostik, den Schwerpunkt legt sie auf die Mammographie als wichtigstes diagnostisches Instrument. Ferner geht sie auf die Punkte: ‚Biopsie‘, ‚Die gängigen Operationsmethoden‘ und ‚Rekonstruktion der Brust‘ ein. Ein Glossar und ein Adressenvereichnis komplettieren das Buch. Bei diesen mehr fachlichen Abschnitten muss man berücksichtigen, daß das Buch aus dem Jahr 2000 stammt (eine neuere Auflage scheint es nicht zu geben) und sich hier mittlerweile Fortschritte ergeben haben, die prinzipiellen Aussagen dürften aber weiterhin gelten.

Auch wenn Neun Frauen und ich schon ein etwas älteres Buch ist, ist es doch ein zeitloses Buch, dessen Thema urplötzlich für jede Frau (und damit auch für deren Angehörige) brisant werden kann. Es besticht durch die Offenheit der Texte, die zeigen, daß und wie diese Frauen ihr Schicksal in den Griff bekommen haben und wie sich ihr Leben trotz dieser schweren Erkrankung mit ihren schwerwiegenden Folgen geändert, ja, sogar intensiver und bewusster geworden ist.

Links und Anmerkungen:

[1] Leider habe ich keine weiteren Informationen über Angela Hasse gefunden. Jedenfalls engagiert sie sich schon seit Jahren und immer noch zum Thema ‚Brustkrebs‘, wie der Bericht zu dieser noch nicht so lange zurückliegenden Ausstellung in Hannover zeigt: https://www.mh-hannover.de/….
[2] Brustkrebsmonat Oktober; in: http://www.krebsgesellschaft-rlp.de/hilfe-fuer-krebspatienten-und-familien/beratungszentren/koblenz/aktuelles/193-brustkrebsmonat-oktober
[3] selten, aber eben doch: Brustkrebs bei Männern:  https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/brustkrebs-mann/

Zum Thema ‚Brustkrebs‘ (an dem im übrigen auch Männer erkranken können [3]) gibt es praktisch unendlich viele Links im Netz, deswegen verzichte ich darauf, hier Angaben zu machen. Einzig den zur Brustkrebsseite der Deutschen Krebsgesellschaft sei angegeben:

https://www.krebsgesellschaft.de/basis-informationen-krebs/krebsarten/brustkrebs.html

Weitere Buchvorstellungen zum Thema ‚Brustkrebs‘ in meinem Blog:

Judith End: “Sterben kommt nicht in Frage, Mama!
Natalie Kriwy: 14/09 Tagebuch einer Genesung

David Rieff: Tod einer Untröstlichen

In diesen beiden Sachbüchern über Krebs spielt der Brustkrebs auch eine wichtige Rolle, der Autor des zweiten Buches, Martin Bleif, ist Onkologe und hat selber seine Frau durch ein Mammakarzinom verloren:

Siddhartha Mukherjee: Der König aller Krankheiten
Martin Bleif: Krebs

Angela Hasse
Neun Frauen und Ich
Ein Buch über Brustkrebs, Heilung, Hoffnung und Erotik.
diese Ausgabe: Mikado-Verlag, HC, ca. 190 S., 2000, mit zahlreichen Fotos der Autorin

4 Kommentare zu „Angela Hasse: Neun Frauen und Ich

  1. In meiner Familie ist Brustkrebs recht verbreitet, weshalb ich schon früh regelmässig Mammographie und Ultraschall durchführen liess. Ein erster Tumor erwies sich zum Glück als harmlos. Eine Freundin von mir kommt diese Woche wegen Brustkrebs ins Krankenhaus. Ich glaube es ist eine gute Idee mir das Buch zu besorgen und ihr (je nachdem wie es weitergeht) zu geben. Aber erst muss ich es mir selbst ansehen. Danke für die Besprechung und die ergänzenden Links.

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    1. .. und ich danke dir sehr für deine offenheit! bei einer guten bekannten von mir ist anfang des jahres brustkrebs diagnostiziert worden, es ging mit brusterhaltender op, chemo und bestrahlung ab. aber seitdem ertastet sie immer wieder (harmlose) knoten, auch auf der anderen seite. die angst ist also immer da, mal mehr, mal weniger… ihre einstellung zum leben hat sich auch geändert, für aussenstehende ist das nicht immer leicht zu akzeptieren, daß sie sich jetzt selbst häufiger in den mittelpunkt stellt. wenn du für eine freundin ein buch suchst, dann schau dir bitte auch das von kriwy an (ist verlinkt), das ist aktueller und auch sehr, sehr intensiv.

      liebe grüße
      fs

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