Benedict Wells: Spinner (New Edition)

Raider heißt jetzt Twix, … sonst ändert sich nix?

Da gibt´s den Spinner jetzt also in ’ner ‚New Edition‘, ist ja fast wie beim Autokauf, wenn man ein Sondermodell ersteht. Ich war schon gespannt, in der Ursprungsversion hatte ich das Buch schließlich nach ein paar -zig Seiten entnervt zur Seite gelegt. Natürlich habe ich geschaut, ob, wo und wie Wells [1] überarbeitet hat, aber da das Druckbild auch geändert worden ist, ist das nicht so einfach. Auf S. 9 (alt), hier S. 11 (neu) jedenfalls lehnt der Held der Geschichte seinen Kopf nicht mehr an eine Rückenlehne, sondern legt ihn in den Nacken. Jawohl, das ist überzeugend. Ansonsten heißt Kai jetzt Jonas, Biehler Haller, Hans Bornig wird zu Anton Born und der Berliner Bote zum Berliner Merkur, irgendeinen Grund wird es dafür schon geben, immerhin behalten ja auch manche der Figuren ihren Namen. Hat sich an der Handlung `was geändert? Mir ist nichts aufgefallen – vielleicht schau ich noch mal intensiver, vielleicht auch nicht, ist ja letztlich nicht so wichtig, die meisten Leser werden nur diese ‚New Edition‘ bzw. die Erstausgabe zur Hand haben. Obwohl – interessant wäre es schon zu wissen, warum ein Erfolgsschriftsteller seinen sowieso schon nachgeschobenen Erstling noch einmal überarbeitet. Den könnte man doch jetzt vergessen und abhaken: das Talent hat Wells damals schon gezeigt, nur feingeschliffen werden musste der Diamant noch…  aber schon bei der ‚First Edition‚ hatte ich ja die Vermutung, der Verlag wollte einfach noch ein wenig auf der Erfolgswelle von Becks wunderschönem letztem Sommer mitschwimmen.

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Jesper Lier, der das Lügen schon im Namen hat, ist die Hauptfigur des Romans. In München geboren ging er nach dem Abitur nach Berlin. Dort entschied er sich gegen das Studium und widmete sich dem Schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit einer Praktikantenstelle beim Berliner Merkur und mit dem Kindergeld, das er durch die vorgetäuschte Immatrikulation einstreichen kann. Der hier kursiv gehaltene Text ist sehr eng an der kurzen Autorenbeschreibung des Buches gehalten, man sieht deutlich, daß viel zumindest Äußerliches des Autoren in seine Hauptfigur eingeflossen ist. Und ganz offensichtlich ist beiden, Lier so wie Wells, das Schreiben von Romanen wichtig…. In welchem Ausmaß noch andere persönliche Erfahrungen des Autoren in seine Figur eingearbeitet wurden, kann natürlich von aussen nicht beurteilt werden.

Jesper Lier jedenfalls ist eine bemitleidenswerte Figur. Er haust in einer dunklen Souterrain-Wohnung am Rande der Verwahrlosung, hat kaum Freunde, eigentlich ist es nur der wohlhabende und entzückende Gustav von Aschenb… ähh… Wertheim, der ihn hin und wieder besucht. (Dieser Verschreiber meinerseits ist natürlich nicht ernst zu nehmen, aber ein Name „Gustav von…“ provoziert ihn einfach, zumal die Figur zumindest eine Analogie zu Aschenbach aufweist.) Eine Freundin hat er selbstverständlich auch nicht, in Gegenwart von Mädchen oder jungen Frauen verläßt Lier – dieses Schicksal teilt der Zwanzigjährige allerdings mit vielen Geschlechtsgenossen – schlagartig jede Eloquenz. So verliebt er sich zwar, zum Beispiel in Miri, die er zufällig kennenlernt, aber das ist eine Beziehung mit Hindernissen, die den gesamten Roman durchziehen und die erst am Ende aufgelöst werden.

Als Schüler hatte Lier Erfolge mit seinen Kurzgeschichten, heimste den einen oder anderen Preis ein. Jetzt sitzt er von spät bis früh in diesem Kellerloch an seinem epochalen Roman, Alkohol scheint für ihn nur dann ein Problem, wenn keiner da ist, das Wenige, das er ißt, kann er auch trinken, beim Schlafen und gegen den Kater helfen Tabletten, die Dusche fördert vorwiegend eiskaltes Wasser und ist entsprechend wirkungslos, die Sonne erhält wenig Gelegenheit, sein bleiches Gesicht einzufärben…

Daß Lier von München nach Berlin gegangen ist, sieht mehr nach Flucht aus. Der Vater ist gestorben, es ist noch nicht lange her. Der jüngere Bruder und er funken nicht auf der gleichen Wellenlänge, auch das Verhältnis zur Mutter ist nicht konfliktfrei, so schwindelt er ihr vor, er habe kein Telefon in seiner Wohnung. Eine Lüge wie auch das Fabulieren von seiner angeblichen Freundin Sandra, eine Erfindung, um zu Hause als cool und erfolgreich dazustehen. Sein Buchprojekt hat er ebenfalls nicht mehr wirklich unter Kontrolle, vom Umfang her ist es ausgeartet und diejenigen, die es (punktuell oder ganz) lesen, nun ja….

Spinner handelt von sieben Tagen, den entscheidenden sieben Tagen im Leben dieses Jesper Liers. Es ist ihm durchaus bewusst, daß er in einer kritischen Phase seines Lebens steht, das er als Alptraum empfindet, an einer Art Abgrund – allein, er findet nicht heraus, sondern klammert sich an seinen Roman, setzt alle Hoffnung auf das Urteil seines väterlichen Freundes Anton Born, dem er das Manuskript geschickt hatte. Außer diesem Roman hat er im Grunde nichts mehr, alle Träume, die er noch wenige Jahre vorher hatte, sind verflogen…

Jesper Lier, ein junger Mann in einer schwierigen Lebenshase, in der er gegen alles und jeden Hass entwickelt. Ein Hass, der sich auch in seinem Roman niederschlägt: keiner überlebt am Ende, selbst der Wal explodiert [3]. Ein Hass, in dem man auch eine gehörige Portion Selbsthass feststellen kann, die Art und Weise, wie er sich und seinen Körper behandelt, deutet darauf hin. So orientierungslos wie Lier mit seinem Freund Gustav und Frank, seinem einzigen Schulfreund, den er zusammen mit Gustav aus den Händen seiner (gemeint ist Frank) Eltern befreit, die sieben Tage und Nächte durch Berlin zieht, so orientierungslos irrt unser Held auch durch sein eigenes Leben. Zwei, nein drei Ereignisse braucht es, ihn aufzurütteln und ihm den Mut einzuflößen, sich selbst nicht mehr zu belügen…

Nur langsam nähert sich der Roman seinem Kern. Die Orientierungslosigkeit Liers, seine Angst vor der Gegenwart, sie sind in erster Linie Symptom, haben einen Grund, eine Ursache, die über die allgemeine Orientierungslosigkeit Jugendlicher am Ende der Schule, nach dem Abitur, hinausgeht, dem Zeitpunkt also, in dem entscheidende Weichen für das weitere Leben gestellt werden, an dem eventuell Träume platzen und sicherer scheinende Lebensgleise eingeschlagen werden. Spinner ist in seinem Wesen ein Buch über einen jungen Menschen, der mit einem Verlust nicht fertig wird, der eine große, große Trauer mit sich trägt, die er sich selbst nicht eingesteht. Dieser Verlust und die Trauer sind vielschichtig, lassen sich nicht unbedingt auf ein Ereignis reduzieren, haben viele kleinere Ursachen, die in der Kindheit Jesper Liers liegen….


Ich hatte zu Beginn geschrieben, daß ich die Erstausgabe des Romans seinerzeit entnervt bei Seite gelegt hatte, ich muss bekennen, auch in dieser überarbeiteten Version habe ich lange gebraucht, bis ich mit Spinner warm geworden bin. Ich kann es selbst gar nicht so richtig erklären, da ich die übrigen Romane des Autoren, die ich kenne, schätze, ja, sogar liebe [2]. Aber dieser hier, Spinner, liest sich teilweise holprig, hat auch logische Stolpersteine (die Wells dann aber Fast genial wegbügelt, siehe unten). Eins  jedoch kann ich benennen: es ist der immerwährende Versuch des Autoren, mit mir Kontakt aufzunehmen: Ihr fragt euch an dieser Stelle – vielleicht auch schon länger – sicher, wieso…..  [S. 207] nein, lieber Benedict, habe ich mich nicht gefragt. Wenn du was schreiben magst, schreibe es, aber unterstell´ mir nicht solche Fragen. Oder auf S. 235: Ihr fragt euch sicher, wieso ich in diesen Moment... bzw. ein paar Abschnitte später …ich wollte nur noch meinen linken Schuh ausziehen, fragt nicht, wieso… [S. 241] und zum Abschluss dieses Zitat: Falls es euch interessiert: Ich meinte es ernst. [S. 278].  Lieber Benedict, soll das heißen, du meinst die anderen Sachen nicht ernst? ….. ok, es ist glaube ich klar, was ich meine und dieses sind nur Beispiel ab S. 200 …

Einen sehr geschickten Schachzug, das muss man anerkennen, hat Wells jedoch in anderer Hinsicht unternommen. Am Schluss der sieben Tage hat unser Held gesundheitliche Probleme, nachvollziehbar bei seiner Lebensweise, Probleme, bei denen Halluzinationen und Wahnvorstellungen auftreten können. Womit alle Passagen im Text, die etwas wirr und unglaubwürdig wirken (und es sind einige), mit einem Mal ‚erklärt‘ und aus der Schusslinie des beckmesserischen Kritikers geraten sind….

Aber, auch das sei nach der Kritik festgehalten, Spinner enthält ebenso wunderschöne Passagen, Abschnitte, in denen man den Wells der nachfolgenden Romane [3] erkennt, sieht, wozu dieser Autor beim Formulieren fähig ist. Und man muss natürlich immer im Auge behalten, daß Wells diesen seinen Spinner mit neunzehn Jahren zu schreiben angefangen hat. Aber um so unverständlicher für mich die eingangs schon einmal erwähnte Tatsache, daß er ihn jetzt noch mal aus der ‚Versenkung‘ hervorgeholt hat.

Soweit ich den Überblick habe, stehe ich mit meiner Meinung weitestgehend allein, andere finden den Roman teilweise brüllend komisch, bzw. tragikomisch oder einfach nur toll [so die Zitate auf der hinteren Umschlagseite], aber auch im Kosmos der Blogs erntet der Spinner wohlwollende bis begeisternde Besprechungen, als Beleg dafür mag die Rezension vom Kaffeehaussitzer [4] dienen; wer sich ein wenig umschaut, wird weitere positive Urteile finden. Meine Begeisterung, ich muss es wohl nicht extra betonen, hält sich eher in Grenzen.

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Seite zum Autoren: https://de.wikipedia.org/wiki/Benedict_Wells
[2] bisher hier im Blog vorgestellt von Benedict Wells:
– Becks letzter Sommer
fast genial
Vom Ende der Einsamkeit
[3] … was durchaus ein imposantes Ereignis ist: Link zu einem youtube-clip
[4] http://kaffeehaussitzer.de/benedict-wells-spinner/

Bendict Wells
Spinner (New Edition)
Originalausgabe: Diogenes, 2009
diese Ausgabe (vom Autor überarbeitete Fassung): Diogenes, TB, ca. 320 S., 2016

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

Ein Kommentar zu „Benedict Wells: Spinner (New Edition)

  1. Hallo, ich lese auch gerade das Buch und kämpfe mit mir darum, es weiterzulesen oder wegzulegen. Da es aber auch ein Leseexemplar ist, werde ich mich durchkämpfen, aber nicht heute und morgen, da lese ich was Anderes :-) Vielen Dank für deine tollen Besprechungen, ich finde mich oft darin wieder.

    Liebe Grüße vom Nachbarblog :-)

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