Benedict Wells: Becks letzter Sommer

wellsbeck

Wer aufgrund des Coverbildes glaubt, einen lustigen und unbeschwerten Urlaubsroman vor sich zu haben, ist im Irrtum. Oder mit anderen Worten: das Bild wird dem Roman nicht gerecht, für mich – um es vorweg zu nehmen – einer der wenigen Kritikpunkte am Buch.

Ansonsten hat es mir der Debütroman von Wells angetan. Er erzählt die Geschichte von Robert Beck, einem Gymnasiallehrer für Deutsch und Musik in der Sinnkrise, der der nie wahrgewordenen Karriere als Rockmusiker nachtrauert, wie sie sich Ende der Neunziger Jahre („… diesem vergeudeten Jahrzehnt…“) in München abgespielt hat.

Beck reißt mehr oder weniger lustlos sein Lehrerpensum herunter, als er durch Zufall Lara kennenlernt, die garnicht sein Typ ist und in die er sich immer mehr verguckt, mehr als ihm als notorisch bindungsscheuem Menschen lieb ist. Zur gleichen Zeit wird er auf Raulis aufmerksam, einen litauischen Jungen, der in seine Klasse geht und dort eine Aussenseiterrolle hat. Durch Zufall bekommt Raulis die seine alte Stratocaster fenderstrato in die Hand ….. Von diesem Moment an ist nichts mehr wie es war:

„...Und dann spielte das komischen Kind. Durchs Zimmer donnerte ein mächtiges Gitarrenriff, vorgetragen in rasender Geschwindigkeit. Raulis lange Finger huschten über die sechs Saiten und entlockten der Gitarre winselnde, schneidende Klänge, die Beck nicht mal im Traum hinbekam. Der Junge griff Akkord um Akkord ab, verrenkte seine teuflisch schnellen Finger und ließ sie hoch und runter sausen, bis Boden und Decke vibrierten und die Zimmerlampe hin- und herschwang. Ein Orkan tobte durchs Zimmer, Tische und Stühle fielen um, Holz splitterte. Beck musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht auch davon geweht zu werden. Das Klavier zerbarst unter dem Getöse, die Scheiben des Fensters sprangen mit einem Klirren in tausend Teile, während die Wände tiefe Risse bekamen, getroffen von dieser Urgewalt. Und im Auge des Taifuns stand, völlig ruhig, der Junge mit der Gitarre in der Hand. …

Dieser kindliche Litauer war verdammt noch mal so gut wie Jimi Hendrix, ach was, er war besser als Hendrix. ..

Beck durchfährt es wie eine Erkenntnis: dieser Junge bietet ihm die Chance, das, was er selbst versäumt hat, nachzuholen: eine Karriere als Musiker. Also nimmt er ihn unter seine Fittiche, schreibt Songs für ihn (und muss später erkennen, daß die Schrott sind gegen das, was Rauli selbst mühelos an Stücken aus dem Handgelenk schüttelt…), investiert ihn Rauli, bemüht sich um ihn und promotet ihn. Doch wieder einmal muss er erkennen, daß Pläne zu machen die eine Sache ist, ob sie gelingen, ist die andere…..

Der dritte im Bunde der Hauptfiguren ist Charlie, ein hünenhafter Deutschafrikaner, der zu Drogen nicht Nein sagt und – da bekennender Hypochonder – der seit Jahren schwer krank und quasi kurz vor dem Tod steht. Er ist der einzige Freund Becks, übrig geblieben aus vergangenen Tagen mit seiner alten Band.

Im zweiten Teil des Buches, dem „Roadmovie“ unternehmen diese Drei – nach einem relativ turbulenten Vorspiel – mit einem alten, klapprigen VW eine Reise nach Istanbul, da Charlie ihnen vorgeflunkert hat, seine dort lebende Mutter läge im Sterben. Ganz nebenbei betätigt sich Charlie, der aus der geschlossenen Anstalt, in der Beck ihn unterbringen musste, ausgebrochen war, noch als Drogenkurier, was die Reise nicht unerheblich kompliziert.

Wieder zurück aus Istanbul findet Beck nicht mehr in sein konventionelles Leben zurück. Er läßt alles hinter sich und geht nach Italien, an einen Ort, in dem er als Kind mal war und der ihm wieder einfiel, als Lara ihn einst aufforderte, einen Augenblick zu benennen, an dem er wirklich glücklich war.

Hier könnte das Buch zu Ende sein, jedoch läßt Wells uns einen Zeitsprung von einigen Jahren machen und noch einmal zu Beck zurückkehren, der immer noch in Italien lebt, zusammen mit einer namenlosen Katze, sporadisch unterrichtet, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, der immer noch versucht, einen gelungenen Song zu schreiben… Desillusioniert, ernüchtert und müde ist Beck und ein letzter Deal mir Rauli wartet auf ihn…..

Nach den ersten Seiten des Buches dachte ich spontan: Na also, geht doch! Auch deutsche Autoren können witzig schreiben, kurzweilig, schnell, unterhaltsam aber nicht trivial. Natürlich wird immer noch viel reflektiert in dem Geschichte, beschrieben und analysiert (ich habe neben Beck auch noch von A. Maupin: Stadtgeschichten gelesen, in denen fast nur szenisch geschrieben wird, nur Dialoge, kaum Beschreibungen o.ä., die daher noch schneller, einprägsamer und rasanter sind…, daher fiel mir dies besonders auf), trotzdem packt das Buch sofort und spätestens nach der oben zitierten Beschreibung von Raulis Gitarrenspiel war ich von dem Buch überzeugt.

Dreiundzwanzig Jahre ist Wells jung, dafür trifft er die Gedankenwelt des Enddreissigers Beck gut, sehr gut. Das Selbstmitleid, die Selbstzweifel, die Einsamkeit, die Angst vor der Bindung, vor jeglicher Entscheidung, vor jedem Risiko: gut beschrieben, gut eingefühlt für Wells, für den diese Welt ja noch einige Jahre voraus liegt… und dann, als Beck tatsächlich den Mut findet (oder die Verzweifelung, wer weiß das schon….), loszulassen, hat Wells den Mut, nicht alles rosarot im HappyEnd enden zu lassen, sondern zu zeigen, daß Beck zu kurz springt, springen muss, weil seine Möglichkeiten einfach nicht reichen, die Träume real werden zu lassen. Und trotzdem war es richtig von Beck, alles hinter sich zu lassen und alles auf eine Karte zu setzen, den jetzt lebt er immerhin sein eigenes Leben, nicht ein aufgezwungenes, das er sich nie ausgesucht hat oder ein geliehenes, hinter dem er sich versteckt.

Ein sehr schöner Einfall von Wells ist es, die Entstehungsgeschichte als Teil des Romans in die Handlung einzubauen. Der (fiktive) Autor korrespondiert mit Beck, sie unterhalten sich über das Buch, über die Zeichnung der Figuren, den Fortgang der Handlung.. hat mir gut gefallen!

Facit: durch und durch empfehlenswert!

Links:

ein Interview mit Wells .. und noch eins….

Benedict Wells
Becks letzter Sommer
Diogenes, Zürich, 2008
ISBN-13: 978-3257066760 (HC)
ISBN-13: 978-3257861808 (Tb)

3 Kommentare zu „Benedict Wells: Becks letzter Sommer

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