Françoise Frenkel: Nichts, um sein Haupt zu betten

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Die Autorin dieses Buches, Françoise Frenkel [1], wurde 1889 als Frymeta Idesa Frenkel in Piotrków, Region Lodz, Polen, in einem jüdischen Elternhaus geboren. Nach ihrer Kindheit und Jugend erhielt sie eine Musikausbildung in Leipzig und studierte später in Paris Literaturwissenschaft. 1921 eröffnete sie mit ihrem Mann in Berlin eine Buchhandlung, die sie bis 1939 betrieb. Kurz vor Ausbruch des Krieges floh sie nach Frankreich, wo sie nach der Besetzung durch die Nazi-Truppen und die Vichy-Regierung aber weiter verfolgt wurde. Nach mehreren misslungenen Anläufen gelang ihr im Juni 1943 die Flucht in die Schweiz, wo sie bald nach ihrer Ankunft mit der Niederschrift ihrer Erinnerungen begann. Diese erschienen schon im September 1945 im (nicht mehr existierenden) Genfer Verlag Jeheber. 2015 wurde das Buch in einem Antiquariat zufällig wiederentdeckt und neu veröffentlicht. Nichts, um sein Haupt zu betten ist die deutsche Übersetzung der französischen Neuauflage der Erinnerungen Françoise Frenkels, die 1975 in Nizza gestorben ist.

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Und offensichtlich ist es für die Darstellung des historischen Sachverhaltes wichtig, daß dieses Buch wieder aufgelegt worden ist. Unten [2] habe ich zwei Beispiele angeführt, die zeigen, daß die Daten über diese Buchhandlung, die sicherlich im kulturellen Leben Berlins in dieser Epoche ihre Rolle hatte, widersprüchlich und ungenau sind und nicht mit den Angaben von Frenkel in ihrem Aufzeichnungen übereinstimmen.


Einführend beschreibt die Autorin im ersten Kapitel, daß und wie sie sich schon als Kind in Bücher eine Leidenschaft für Bücher entwickelt hatte und daß ihre Eltern diese Leidenschaft unterstützten. Das Studium und die Zeit des 1. Weltkrieges verbrachte Françoise Frenkel in Paris, danach machte sie ein Praktikum in einer Buchhandlung. Ihr Entschluss, Buchhändlerin zu werden, war bald gefasst.

Nach dem Krieg waren die deutsch-französischen Beziehungen denkbar schlecht, bei einem Reisestop in Berlin konnte die junge Frau feststellen, daß dort (mit Ausnahme von ein paar Klassikern) praktisch keine französische Literatur mehr erhältlich war. Der aufkeimende Plan, in Berlin eine französische Buchhandlung aufzumachen, wurde in Paris von ihrem Professor unterstützt: Berlin? Das ist ein Mittelpunkt! Versuchen Sie doch ihr Glück! … Eine Buchhandlung in Berlin… das ist fast eine Mission.

1921 wares soweit, nach vielen bürokratischen Nickeligkeiten konnte sie ihre Buchhandlung eröffnen. Aus kleinen Anfängen heraus wurde das Geschäft bald bekannt und zog aus den Räumen einer Privatwohnung in ein Ladengeschäft in prominenter Lage um, in die Passauer Str. 39 (An der Stelle befindet sich heute eine Erweiterung des KaDeWe). Frenkel beschreibt in ihren Aufzeichnungen die Entwicklung der Buchhandlung, die Kunden, die sie besuchten, die Beschaffung der Bücher, die sie aus Frankreich bezog… Sie veranstaltete Lesungen mit französischen Autoren, die Buchhandlung muss ein Juwel gewesen sein [7]. Wie Modiano in seinem Vorwort zum Buch andeutet, beschreibt Nabokov in seinem Roman Die Gabe eine Buchhandlung, die der von Frenkel gleichen dürfte; ein großer Teil des Publikums im Maison du livre français kam aus slawischen Ländern.

Anfang der 30er Jahre wurden die Arbeits- und Lebensbedingungen aber sukzessive schlechter. Durchsuchungen und Beschlagnahmungen häuften sich bis hin zu Blockwarten, die in die Suppentöpfe schauten; die Beschaffung von Büchern aus Frankreich wurde immer schwieriger ebenso wie deren Bezahlung aufgrund von Devisenbestimmungen. Im Buch wird es nicht erwähnt, aber 1933 kehrte ihr Mann zurück nach Frankreich und sie führte die Buchhandlung allein weiter.

Frenkel erlebte das vor allem gegen Juden immer repressiver und unverhohlener vorgehende Nazi-Regime mit. Mit ihrem besonderen und prominenten Status als Ausländerin (sie ist mit ihrem Geschäft sowohl in publizistischen als auch diplomatischen Kreisen bekannt) war Frenkel trotz ihres ‚Judentums‘ zumindest anfänglich noch geschützt, noch nahm das Nazi-Regime Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Ausland. Bei den Ausschreitungen und Verwüstungen in der Reichsprogromnacht stand ihr Geschäft nicht auf den Listen der Brandschatzer, mit Entsetzen und Angst sah sie die braunen Horden durch die Straßen ziehen und ihre Verwüstungen anrichten.

Konsequenz und Verblendung des Nazi-Regimes wurden lange unterschätzt, erst Sommer 1939, kurz vor Ausbruch des Krieges sah sich Francois Frenkel, von Freunden dringend dazu aufgefordert, gezwungen, Berlin zu verlassen. Die meisten ihrer Kunden hatten zu diesem Zeitpunkt Deutschland schon den Rücken gekehrt. Es war knapp, aber die Ausreise gelang.

Für ein paar Monate konnte Frenkel in Paris bleiben, aber auch in Frankreich nahmen die Repressionen gegen Ausländer zu. So war es schwierig für sie, den Passierschein zu erhalten, um in den Süden, nach Avignon, zu flüchten. Hier, in Südfrankreich, strandeten so viele der Ausländer, der Juden, die vor den Nazis flohen, doch die Vichy-Regierung ließ ihnen auch hier immer weniger Luft zum Leben [im Juni 1940 war mit einem Waffenstillstandsabkommen Frankreich zweigeteilt worden, zur Situation (jüdischer) Flüchtlinge in Südfrankreich vgl auch Anmerkung 3]. Noch beschreibt Frenkel Avignon als einen verträumten Ort wie aus der Zeit gefallen, das sollte sich aber bald ändern. Weitere Fluchtstationen von Frenkel waren Vichy und vor allem Nizza.

Sie wohnte anfänglich in Hotels und Pensionen, begegneet immer häufiger entwurzelten, immer hoffnungsloser werdenden Menschen. Die äußeren Randbedingungen des Überlebens wurden zunehmend schwieriger, Lebensmittel wurden rationiert und nur noch auf Bezugsscheine ausgegeben, die Preise stiegen, da die deutschen Besatzer jeden Preis, der verlangt wurde, zahlen konnten, es entwickelte sich daher ein umfangreicher Schwarzmarkt. Immer wieder verfügte die Vichy-Regierung neue Registrierungen, jetzt auch mit Angaben zur ‚Rassenzugehörigkeit’…

1942 entging sie der Deportation nur, weil ein Hotelgast die vom Einkauf Zurückkehrende vom Balkon aus warnen konnte: der Totentanz hatte begonnen, die Juden wurden gejagt und eingesammelt, in Busse verfrachtet und in Lager gebracht. In ihrer Panik betrat sie das Friseurgeschäft des Ehepaares Marius, um sich dort zu verstecken, das Paar war ihr bekannt. In den nächsten Monaten zeigten diese beiden eine bewundernswerte Courage und viel, viel Mut: immer wieder wurden sie zur Anlaufstation von Françoise Frenkel, die von diesem Zeitpunkt an im Untergrund leben musste.

Immer wieder wurden ihre diversen Unterkünfte, in denen sie Unterschlupf findet, unsicher: Unvorsichtigkeiten, Zufälle oder die Schlechtigkeit der Menschen verrieten ihre Anwesenheit, jedesmal war das Ehepaar Marius für sie da.

Über Freunde konnte sie ein Schweizer Visum erhalten, ein offizieller Grenzübertritt war jedoch absolut unmöglich. Beim ersten Versuch, in einer Gruppe mit einem Schleuser in die Schweiz zu kommen, wurden sie entdeckt und verhaftet. Bei der Gerichtsverhandlung wurde sie aufgrund des guten Leumunds, für den sie noch entsprechende Empfehlungsschreiben aus längst vergangenen Zeiten vorweisen konnte, freigesprochen…. erst der dritte Versuch, die Grenze zu überwinden, sollte erfolgreich sein, mit Not und Mühe und der ‚Hilfe‘ des italienischen Grenzers [4], der in die Luft schoß, überwand sie den Stacheldraht fiel auf schweizer Boden.


Françoise Frenkels Geschichte ist wichtig, in zweierlei Hinsicht. Zum einen zeigen die sich teilweise widersprechenden Daten die Unsicherheit, die bezüglich der Kenntnisse über das Maison du livre français in Berlin herrschen. Dieses Geschäft war nicht irgendeine beliebige Buchhandlung, als Vertreterin und in gewissem Sinne auch ‚Botschafterin‘ (Frenkel selbst bezeichnet ihre Tätigkeit in Berlin selbstbewusst als ‚Dienst am französischen Geist in Deutschland‘) ihrer Kultur muß das Haus über viele Jahre eine Institution im kulturellen Leben der Hauptstadt gewesen sein – über das kaum etwas bekannt ist, die aus dem Gedächtnis gelöscht ist. Dem schafft das vorliegende Buch Abhilfe, ferner korrigiert sie die wenigen Daten, die über die Buchhandlung bekannt sind (bei Defrance [2b] stimmen weder das angegebene Gründungs- noch das Datum der Flucht respektive der Aufgabe der Buchhandlung mit den Angaben von Frenkel überein). Rätselhaft bleibt jedoch die Tatsache, daß die Autorin ihren Mann, mit dem sie die Buchhandlung viele Jahre (ihrer Zählung nach wohl 12 Jahre) geführt hat, völlig unerwähnt läßt, weder die Hochzeit noch die gemeinsame Arbeit werden beschrieben [5]. Auch der Name ‚Raichenstein‘ taucht im Buch nicht auf, Modiano beschreibt in seinem Vorwort, daß er diese Daten zur Autorin im Staatsarchiv Genf auf der Liste der Personen, denen nach ihrem Grenzübertritt der Aufenthalt in der Schweiz gestattet war, erfahren hat.

Über die Gründe für dieses Verschweigen kann nur spekuliert werden, Zimmermann mutmaßt in ihrer Rezension [9], daß Frenkel ihren Mann nicht erwähnt, um ihn zu schützen. Ihre Erinnerungen hat die Autorin jedenfalls sehr bald nach ihrer Flucht angefangen auf Papier zu bringen, schon 1945 sind sie als Buch publiziert worden. Die Erinnerungen beschreiben, dies ist ein anderer Grund, warum sie so wichtig sind, das auf eine Person heruntergebrochene Schicksal flüchtiger Juden in Europa. Francoise Frenkel war in der ‚glücklichen‘ Lage, dies für die Nachwelt festhalten zu können – sie stellte dieses Motiv, Zeugnis abzulegen, damit die Toten nicht vergessen, noch Hilfsbereitschaft und Aufoperung Unbekannter missachtet werden, ihren Aufzeichnungen voran. Ich habe ‚glückliche‘ Lage geschrieben, denn viele andere der flüchtigen Juden wurden aufgegriffen, wurden denunziert, wurden deportiert und wurden schließlich ermordet [6]. ‚Glücklich‘ auch, weil sie in den Ehepaar Marius zwei Menschen gefunden hatte, die persönlich viel riskierten, um ihr immer wieder zu helfen.

So legt Frenkel tatsächlich beredtes Zeugnis ab über diese schweren, für viele tödlichen Jahre in Südfrankreich. Über Menschen, die verzweifelt sind, die apathisch sind, die entwurzelt alles verloren haben. Die niemand mehr aufnehmen will, die nirgends mehr ein Ziel finden. Über Menschen aber auch, die der Propaganda erliegen, die die rassistischen Wahnideen nacheifern, die glauben, was man ihnen aus allen Richtungen eintrichtert. Sie berichtet über Angst und Schrecken, über die kleinen Freuden auch, die sich in seltenen Momenten noch einstellen. Über den Hunger und die Probleme, sich einfach nur am Leben zu halten…. über die Unausweichlichkeit, sich wildfremden Menschen anvertrauen zu müssen, ihnen ausgeliefert zu sein, in jeder Hinsicht erpressbar. Und sie berichtet – und das ist nicht wenig – über Menschen, die Menschen geblieben sind, die helfen, obwohl sie sich damit selbst in Gefahr bringen.

Es ist ein Glücksfall, daß Françoise Frenkels Aufzeichnungen wieder entdeckt und in ihrer Bedeutung erkannt worden sind. Es ist ein Buch, das man jedem, der sich für diese Zeit und das Schicksal von Menschen damals interessiert, wärmstens ans Herz legen kann.
Ein Anhang ergänzt das Buch um eine Zeittafel und weitere Dokumente aus dem Leben und von der Flucht Françoise Frenkels.

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Beitrag zur Autorin: https://de.wikipedia.org/wiki/Françoise_Frenkel

[2a] So findet man beispielsweise in der Wiki (https://de.wikipedia.org/wiki/Passauer_Straße_(Berlin) [Stand: 14.08.2016]): „Selbst eine französischsprachige Buchhandlung, das „Maison du livre francais“ in der Passauer Straße 39a, wurde von einem Exilanten aus Russland betrieben und richtete sich über die Zeit ihres Bestehens von 1923 bis 1933 auch vornehmlich an gebildete Russen.“ (vgl. aber auch [7]!)

[2b] Corine Defrance schreibt in ihrem Aufsatz: Die Maison du livre français in Berlin (1923-1933) und die französische Buchpolitik in Deutschland; in: Hans Manfred Bock (Hrsg): Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik: kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, daß das Wissen um die Existenz dieser Buchhandlung nur einem Zufall, einem Brief eines Besuchers an seine Eltern nämlich zu verdanken ist. Andererseits erwähnt sie eine Aufzeichnung des Inhabers der Buchhandlung, Simon Raichenstein, aus dem Jahr 1934 über die Buchhandlung und eine in einem Archiv gefundene Notiz, daß die Buchhandlung 1933 geschlossen worden wäre und die Raichensteins in der ersten Emigtrationswelle 1933 Berlin verlassen hätten. Auf die Tatsache, daß Defrance die Gründung der Buchhandlung auf das Jahr 1923 verlegt, sei nur hingewiesen. Möglicherweise ist dies das Jahr, in dem das neue Ladengeschäft eröffnet wird. Quelle:  https://books.google.de/books?…..
Auf der anderen Seite ist es mir ebenso sehr merkwürdig vorgekommen, daß Françoise Frenkel ihren Mann Simon Raichenstein an keiner Stelle des Buches erwähnt (auch nicht, daß sie überhaupt verheiratet ist), weder vor noch nach 1933, dem Jahr, in dem er Berlin mit einem Nansen-Pass [siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Nansen-Pass] verließ.

[3] Lion Feuchtwanger hat dies sehr anschaulich in seinen Aufzeichnungen: Der Teufel in Frankreich; Buchvorstellung hier im Blog: https://radiergummi.wordpress.com/…frankreich/

[4] Die Region stand eine Zeit lang unter italienischer Verwaltung, was für die sich dort versteckenden Juden eine gewisse Entlastung bedeutete.

[5] Simon Raichenstein, so schreibt Modiano, ist am 24. Juli 1942 von Drancy aus nach Auschwitz deportiert worden, in den Tagen zuvor hatte die französische Polizei die Juden aus Paris im Stadion d´Hiver zusammen getrieben (Die Verhaftung staatenloser Juden in Paris wird von der französischen Polizei in der Zeit vom 16.7. – 18.7.1942 vorgenommen werden. Es steht zu erwarten, daß nach der Verhaftung etwas 4000 Judenkinder zurückbleiben…. bitte ich Sie dringend um Entscheidung darüber, ob diese Kinder der abzutransportierenden staatenlosen Juden etwas vom 10. Transport ab mit abgeschoben werden können. aus einem Fernschreiben des SS-Hauptsturmführers Danneker, Paris, an das RSHA Berlin, am 10. Juli 1942; aus: Schoenberger G: Der gelbe Stern – Die Judenverfolgung in Europa 1933-1945, Fischer TB, 1982

[6] Bei den Schilderungen Frenkels musste ich so häufig an Charlotte Salomon denken, diese junge deutsch-jüdische Frau, eine Künstlerin, die sich ebenfalls in der Nähe von Nizza versteckt gehalten hatte und durch einen Verrat letztlich doch ihren Mördern in die Hände gefallen war. David Foenkinos hat dies in seinem bewegenden Buch Charlotte beschrieben (https://radiergummi.wordpress.com/2015/12/20/david-foenkinos-charlotte/)

[7] Die Passauer Straße in Berlin war für eine Buchhandlung offensichtlich ein ausgesucht geeigneter Platz. Ich kopiere hier eine Passage aus dem entsprechenden Beitrag der Wiki (https://de.wikipedia.org/wiki/Passauer_Straße_(Berlin)):

Leben in der Vorkriegszeit

In der Passauer Straße 23 lebte bereits 1905 der Indologe Richard Pischel. In den 1920er Jahren lebten vor allem südlich der Kreuzung mit der Augsburger Straße zahlreiche bedeutende Schriftsteller, auch einige Verlagshäuser fanden hier ihren Sitz.

In der Passauer Straße 19 wohnte von 1917 an bis Mitte der zwanziger Jahre Gottfried Benn mit seiner Familie. Nach dem Tod seiner Ehefrau bot die Wohnung auch Gästen Raum, so zum Beispiel dem Schriftsteller Klabund und seiner Ehefrau, der Schauspielerin Carola Neher.[15] Benns spätere Geliebte, die Schriftstellerin Ursula Ziebarth, lebte für kurze Zeit in einer Pension in der Straße im Oktober 1954.

Die Passauer Straße 1920, rechts unten die Tauentzienstraße, unten Mitte das KaDeWe

Vladimir Nabokov lebte von 1926 bis Anfang 1929 mit seiner Frau in zwei Zimmern in der Passauer Straße 12. In seinem ersten englischsprachigen Roman Das wahre Leben des Sebastian Knight aus dem Jahr 1941 eröffnet er mit den Worten „Große, nasse Schneeflocken trieben schräg über die Passauer Straße im Berliner Westen, als ich auf ein häßliches altes Haus zuging, das zur Hälfte hinter einer Gerüstmaske versteckt war.“ eine Szene, in der der Held bei der Suche nach einer Augenzeugin auf die Aufbahrung derselben stößt.

Von 1926 an hatte der MalikVerlag seinen Sitz in der Passauer Straße 3. Im selben Haus hatte bereits zu Anfang der 1920er Jahre der russische Romancier Andrej Belyi gelebt. Die Passauer Straße 8/9 war von 1929 bis 1935] Adresse des Rowohlt Verlags, bevor er in die Eislebener Straße weiterzog. Die dort verlegte Literarische Welt hatte ihre Redaktion in der Passauer Straße 34.

Im September 1930 lebte Antonin Artaud in der Passauer Straße 10. Zu dieser Zeit lernte er Georg Wilhelm Pabst kennen und wirkte in den Wochen danach an dessen Film Die Dreigroschenoper mit.

In der Passauer Straße eröffneten Françoise Frenkel und Simon Raichenstein 1921 La Maison du Livre français, die erste französische Buchhandlung der Stadt.

[8] Margarete Zimmermann: Die erste französische Buchhandlung in Berlin: Françoise Frenkel, Rien où poser sa tête; in: http://literaryfield.org/review-frenkel/ 
Dieses Motiv erscheint mir jedoch nicht unbedingt plausibel. Da Simon Raichenstein in der großen Sammelaktion 1942 über Drancy nach Auschwitz deportiert worden war, ist es wohl unwahrscheinlich, daß sie zwischen 1942 und 1945 noch Informationen über ihn bekommen hat oder gar Kontakt zu ihm hatte. Françoise Frenkel konnte wohl daher davon ausgehen, daß ihr Mann den Nazis zum Opfer gefallen war. Ihr Buch erschien ferner nach Ende des Krieges, eine Erwähnung darin hätte Simon Raichenstein kaum schaden können. Abgesehen davon ist es für mich nicht überzeugend, daß das Faktum, daß Simon Raichenstein bis 1933 in Berlin als Buchhändler tätig war, die Tatsache, als Jude von den Nazis verfolgt zu werden, noch verschlimmern könnte.
Dieser Beitrag ist auch als Podcast im literaturRADIObayern zu hören: https://www.machdeinradio.de/radiobeitrag/fda-rezension-francoise-frenkel-nichts-um-sein-haupt-zu-betten.html

Françoise Frenkel
Nichts, um sein Haupt zu betten
Übersetzt aus dem Französischen von Elisabeth Edl
Mit einem Vorwort von Patrick Modiano
Originalausgabe: Rien où poser sa tête, Genf, 1945
Neuausgabe: Paris, 2015
diese Ausgabe: Hanser, HC, ca. 284 S., 2016

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

 

3 Kommentare zu „Françoise Frenkel: Nichts, um sein Haupt zu betten

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