Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

Diese Buchvorstellung kann auch als Audio-File im literatur RADIO bayern gehört werden: Ralf Rothmann: Im Frühling sterben (Audiofile)


Ralf Rothmanns Roman über die Freunde Walter Urban und Friedrich Caroli, die in den letzten Kriegstagen des 2. Weltkrieges noch einrücken müssen, ist im Moment ein vielbesprochenes Buch, sowohl in der Literaturkritik als auch in den Blogs. Siebzig Jahre nach Kriegsende ein Roman, bei dessen Lektüre ich an 08/15 denken musste, an Stalingrad oder So weit die Füße tragen [3]. Siebzig Jahre nach dem Ende des letzten Weltkrieges ein solches Buch: auch ein Zeichen dafür, daß es notwendig ist, über diese Zeit noch zu reden, daß es noch Wunden gibt, die auch Jahrzehnte überdauert haben – und daß es um Fragen geht, die zeitlos sind, Fragen nach Schuld und Nicht-Schuld, Fragen nach dem Umgang mit solchen Traumata und wie sich diese auf andere Menschen auswirken……


rothmann cover

Die von Rothmann erzählte Geschichte ist einfach. Die beiden schon erwähnten jungen Männer Walter und „Fiete“ arbeiten in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Norddeutschland als Melker. Mit Speck fängt man Mäuse: der Speck ist die vom Reichsnährstand gesponsorte Tanzveranstaltung in der örtlichen Kneipe, die Mäuse, das sind die jungen Männer, die sich die Wärme der Mädels, mit denen sie zu tanzen hoffen und das Freibier nicht entgehen lassen wollen…. Es gab jedoch schon damals Angebote und Vorschläge, die man nicht ablehnen konnte, so eins wie dieses der örtlichen Bonzen mit dem goldenen Parteiabzeichen: ….schlage ich vor, daß jeder Mann auf diesem Fest, ….. noch heute abend freiwillig in die siegreiche Waffen-SS eintritt. …. [4].

Februar ´45, die Amis nähern sich von Westen, der Russe rollt von Osten heran. Tiefflieger und Bomber beherrschen den Himmel über Deutschland, die einzige Devise, die für den einfachen Mann noch Gültigkeit hat, ist die vom „jetzt-bis-zum-Ende-nur-nicht-noch-draufgehen“… Walter und Fiete dagegen, beiden noch keine zwanzig Jahre alt, fahren gen Osten, werden in Ungarn eingesetzt, Walter als Fahrer bei einer Versorgungseinheit, Fiete muss an die Front.

Während Walter es als LKW-Fahrer noch relativ gut getroffen hat (obwohl auch er brenzlige Situationen zu überstehen hat), wird Fiete verletzt. Im Lazarett fasst er den Entschluss, nicht mehr an die Front zurückzukehren, er will dort nicht sterben… trotz der Warnung von Walter desertiert er, läuft aber den Feldjägern in die Arme, schon wieder so ein Romantiker ist deren unbarmherziger Kommentar….

Auf Fahnenflucht steht die Todesstrafe und Fiete ist nicht der einzige, der es versucht hat…. viele der Aufgegriffenen werden gleich an Ort und Stelle aufgehängt, Fiete jedoch wird in den Bunker geworfen und soll am nächsten Morgen exekutiert werden. Zum Exekutionskommando gehört auch sein Freund Walter.

Walter überlebt den Krieg und auch die Nachkriegszeit, in der er Ende der 50er Jahre ins Ruhrgebiet als Bergmann geht. Dreißig Jahre später bricht eine schwere Krankheit bei ihm aus, der Arzt prognostiziert den baldigen Tod.


Mit dieser Szene beginnt Rothmann seinen Roman. Ein Ich-Erzähler, der Sohn, erinnert sich an seinen Vater und in der Schilderung dieser Erinnerungen wird das anfänglich positive Bild Vaters immer düsterer… Kluge Empathie, schalkhafte Menschlichkeit, hochanständig, Hilfsbereitschaft, steter Ernst, einschüchternde Autorität, vornehme Sinnlichkeit – mit solchen Attributen wird der Vater versehen, doch es gibt noch die andere Seite, überdunkelt von seiner Vergangenheit. Im Alter war er zerarbeitet, früh verrentet, zum Alkoholiker geworden, im Suff wurde Mobiliar zertrümmert. Der Lärm unter Tage hat ihn taub werden lassen, dies bedingte eine Stille im Haus, die sich auf alle anderen ebenfalls übertrug…. An Zärtlichkeiten zwischen den Eltern kann sich der Sohn nicht erinnern, eher an stete Vorhaltungen und Streit….

Hab ich dir´s nicht erzählt? Du bist der Schriftsteller.

Februar 1945. Ausbildung im Schnelldurchgang, dann an die Front. Eine Front, die sich Richtung Heimat bewegt – man muss für den großen Gegenschlag schließlich Anlauf holen. Sarkasmus war schon immer ein probates Mittel, mit dem Schrecken umzugehen. Eine Front, eine Soldateska, die sich auflöst.. um die Soldaten in die andere Richtung, gegen den Russen, zu treiben, werfen die eigenen Offizieren ihnen Handgranaten in die Hacken…

Drei Menschen stehen auf Hockern, das von zu engen Drähten gestautes Gewebe der hinter dem Rücken gefesselten Hände quillt über, oben ist ihr Hals mit einem Strick an den Deckenbalken gebunden. Walter kennt diese Bauern, mit seiner Einheit war ein paar Tage vorher dort. Jetzt sind Soldaten einer anderen Einheit im Haus, die haben sie dort platziert, Standrecht, am Tage vorher schon auf die Hocker gestellt. Komm her, die Frau ist für dich. Den beiden Männern treten die Soldaten selbst die Hocker weg, die Frau ist für Walter…. er soll es doch lernen, das Töten. Sollte man mal gemacht haben. Walter weigert sich. Auch gut, bleibt die Alte eben da stehen. Fressen sie die Ratten. 

Auflösungserscheinungen, zur reinen Triebhaftigkeit reduziertes Agieren, die große Orgie, vor allem bei den Offizieren: Saufen, Fressen, Huren bis zum Eintritt der Gesichts- und anderer Lähmungen. Für die Mannschaften ist eher der Schnaps zuständig, Tabletten werden geschluckt, ohne dies geht nichts mehr, der Schnaps wärmt und betäubt, die Tabletten putschen auf für den letzten Einsatz…. die große Entmenschlichung ist im Gange…

Die apokalyptischen Reiter sind unterwegs und drücken der Landschaft ihren Stempel auf. Walter gelingt es, einen Marschbefehl für drei Tage zu erhalten: er will das Grab seines Vater suchen, der in der Nähe gefallen ist… mit seinem Krad durchfährt der Junge eine Landschaft des Weltuntergangs. Raben und Krähen in der Luft, die Flüsse sind verstopft vor Leichen, an dem Bäumen baumeln aufgegriffene Deserteure, hängen sie zu niedrig, sind ihre Füße schon angenagt und des Fleisches ledig…. zerstörte Häuser, Trümmer überall, die Straßen zerbombt und zerrissen, stete Fliegerangriffe aus der Luft und viel Regen, der alles in nasse Düsternis taucht. Visualisiert man das Geschriebene, so steht man in der dystopischen Kulisse einer untergehenden Welt….

Es ist in der Tat eine Welt die untergeht, von wenigen Fanatikern noch mit äußerster Gewalt aufrechterhalten. Es ist ein aussichtsloser Kampf nicht nur gegen den Feind, es ist auch einer gegen die eigenen Leute, die sinnlos verheizt werden, die mit drakonischen Strafandrohungen zum Gehorsam gezwungen werden.

Walter kommt im Lauf der Geschichte Rothmanns zweimal in die Situation, daß er zum Töten eines Menschen aufgefordert wird. Beim ersten Mal kann er sich weigern, die, die ihn auffordern, haben keine Befehlsgewalt über ihn, können ihm nicht direkt schaden. Trotzdem ist er letztlich derjenige, der den Tod der Frau verursacht. Trägt er auch Schuld? Und wie ist es beim zweiten Mal, als er im Exekutionskommando für seinen Freund Fiete steht? Walter hat alles versucht, was in seiner Macht stand, die Exekution zu verhindern, hat sich selbst quasi als Opfer angeboten – umsonst. Ein Exempel war zu statuieren. Möglicherweise hängen sechs Menschenleben an seiner Entscheidung, auf den Freund zu schießen oder nicht…

Diesem „Höhepunkt“ der Geschichte, der eigentlich ein Tiefpunkt ist, gehen zwei fulminante Szenen voraus. In der einen versucht Walter bei seinen Vorgesetzten zu erreichen, daß die Hinrichtung verhindert wird und muss sich dort jedoch erst einmal eine Belehrung über die richtige Verwendung von dem Genetiv anhören, eine Grammatikeinheit, die den herrschenden Zynismus und Verbohrtheit der damaligen Fanatiker bloßlegt.

Die andere, berührende und aufwühlende Situation ist der Abschied, den Walter von Fiete nimmt. Immerhin hat er von seinem Vorgesetzten eine Besuchserlaubnis erhalten, zwar nur für zehn Minuten, aber immerhin.. Fiete ist krank, fiebert, zittert, fragt Walter, ob er morgen auch dabei sei…. eine letzte Umarmung zweier Freunde…

Zwischen Scylla and Charybdis, ein klassisches Dilemma, ein tödliches dazu…. eine unauflösliche Situation, die wie der gordische Knoten aufgelöst wird, mit einem Alle fertig? .. und zack! des Offiziers. Es ist nicht mehr rückgängig zu machen und auch wenn juristische Schuld nicht besteht, bestehen mag: wie lebt ein Mensch, ein junger zumal, der noch in der Entwicklung ist, der noch formbar ist, mit solcher Last? Verformt sie ihn?

Es [gibt] ein Gedächtnis der Zellen in unserem Körper, … das wird vererbt. Seelisch oder körperlich verwundet zu sein, macht was mit den Nachkommen. Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen. Und später, wie liebevoll behütet sie auch heranwachsen mögen, haben sie panische Angst davor, gekränkt, geschlagen oder erschossen zu werden. Jedenfalls im Unterbewusstsein, in den Träumen. Eigentlich logisch, oder?

Rothmann geht nicht weiter auf diese Behauptung einer seiner Figuren ein, auch der Erzähler der Rahmenhandlung, der Sohn Walters, bleibt weitgehend uncharakterisiert, ob er die Verwundungen des Vaters „geerbt“ hat, ist nicht zu ersehen. Daß aber die Nachkriegsgeneration allgemein durch die Erziehung durch traumatisierte Eltern unter indirekten Kriegsfolgen litt, ist erwiesen. Sprüche wie „Ein Indianer weint nicht“ oder „Hart wie Kruppstahl“ waren nicht mit dem 8. Mai ausgestorben, die dahinter stehende Gesinnung noch lange Zeit Maxime einer auf Strenge angelegten Erziehung, die ihre Ursachen auch im Krieg und sicher in der Ideologie der Vergangenheit hatte. Subtiler, aber nicht weniger gravierend war die Sprachlosigkeit, die nach dem Krieg eingetreten war: man wollte von den vergangenen Jahren nichts mehr wissen, vergrub alles in den hintersten Winkeln des Gedächtnisses und der Seele…es sind eigene Erfahrungen des Schriftstellers, die hier einfließen: …ein Vakuum, das mein Vater bei mir als Kind hinterlassen hat, als ich ihn fragte, ob er denn im Krieg auch geschossen habe. Er schaute ganz verdattert meine Mutter an und fragte: Was soll ich denn jetzt darauf antworten? Und meine Mutter sagte zu mir: Los, geh dein Zimmer aufräumen. [2] … oft kamen die Erlebnisse, die Verletzungen, auch die Schuld, erst im Alter, im Sterben wieder hervor – wie bei Walter, die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort wüsste…

Im Frühling sterben hat mit der Exekutionsszene seinen dramaturgischen Höhepunkt erreicht. Danach malt Rothmann mit einem recht groben Pinsel noch die ersten Monate der Nachkriegszeit für Walter, der bei den Amis in eine kurze (?) Kriegsgefangenschaft gerät, aber sich bald aufmacht in Richtung Norden, zu seinen Kühen. Aber auch dort hat sich alles verändert, neue Zeiten sind angebrochen, Handmelker werden durch Melkmaschinen ersetzt, das Futter aus Südafrika herangekarrt…. Auf einem Nachbarhof, so der Verwalter, nicht so groß wie der hier, dort wird jemand gesucht, aber ein Ehepaar muss es sein….. hatte er nicht damals Elisabeth gemocht, die war zwar frech wie Rotz, …. aber gründlicher und schneller als ein Geselle… war?

„….Wir sollten uns nur mal entscheiden, am Wochenende ist der Erste. Kommst du mit?“
….
Und dann sagte sie leise: „Ja“. 


Der 2. Weltkrieg ist Vergangenheit, aber er ist noch nicht vorbei: seine Folgen sind noch spürbar. Die Generation der Väter (bei uns schon etwas älteren),  die noch selbst am Krieg teilgenommen haben, geht jetzt zu Ende, aber – wie bei Rothmann [2] – ihre Antworten oder ihr Ausweichen auf Fragen bleibt in Erinnerung. Bei den jüngeren unter uns sind es die (Ur)Großväter (also auch noch Menschen, die man persönlich wahrscheinlich/vielleicht noch gekannt hat), die damals in den Krieg gezogen waren, den Krieg erlitten, im Krieg vielleicht Schuld auf sich luden, Bauersleute auf Hocker stellten…. irgendjemand muss es ja gewesen sein, der solches tat….   waren die eingangs erwähnten Romane (es sind ja nur Beispiele) recht zeitnah am Krieg und eine erste (beschönigende?) Bewältigungswelle der grausamen Ereignisse, so liegt ein Verdienst dieses Romans sicherlich darin, dies auf eindringliche Art wieder in Erinnerung zu rufen, wieder zu zeigen, wie dünn die Schicht von Moral und Ethik ist und wie schnell sie sich abnutzt.

Die Frage nach der Schuld: sie steht im Mittelpunkt. Die Frage natürlich auch: Wie hätte ich gehandelt, was hätte ich gemacht, wie hätte ich mit den Konsequenzen meines Handelns gelebt? Rothmanns Protagonist ist nach außen hin vielleicht nicht zerbrochen, aber innerlich hat er zeit seines Lebens, das ihm – der Eindruck wird erweckt – gar nicht so viel wert war schwer an seinem Handeln getragen. Man mag gar nicht daran denken, was dies mit einem selbst gemacht hätte….

Fasst man diese zentrale Frage des Romans etwas weiter, kommt man zu dem Problem der Aufrechenbarkeit von Leben: darf ich ein Leben opfern, um mehrere zu retten (im Roman wird ja angedeutet, daß im Falle der Verweigerung alle Schützen zumindest an die Front kommen)? Eine Frage, deren Beantwortung keineswegs leichter ist und wo sich auch der Gesetzgeber heutzutage schwer tut….

Rothmanns Buch jedenfalls erinnert eindringlich daran, daß Kriege nicht nur die moralische Politur des Menschen abschleifen, nicht nur töten und äußerliche Wunden schlagen, sie verletzen auch die Seele und ein halten sie Leben lang am bluten. Unter diese „inneren“, seelischen Verletzungen leiden unter Umständen auch andere Menschen: die Partner/-innen, die Kinder…. Sprachlosigkeit verstärkt das Ganze, aber wo hätten die Menschen, die in dieser Zeit lebten, das sprechen lernen können? Es sind Erkenntnisse, Methoden und Wege, die zum Teil wir in neuerer Zeit erst gefunden haben – auch, in dem solche Traumatisierungen untersucht wurden.

In der Geschichte findet Walter das Grab seines Vater nicht, ebenso wenig wie in der Rahmenhandlung am Ende des Romans Walters Sohn das der Eltern auf dem Friedhof in Oberhausen nicht mehr findet. Als er es sucht, ist es ist zwar am Ende des Winters, doch ein letztes Mal wehen Schneeflocken und fallen lautlos auf die Erde, es war jetzt noch einmal stiller.

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Seite zum Autoren:  https://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Rothmann
[2] Britta Heidemann: „Ich habe die Toten in den Särgen damals angesehen“, ein Gespräch mit Ralf Rothmann, inhttp://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article142862427/Ich-habe-die-Toten-in-den-Saergen-damals-angesehen.html 
[3] Hans Hellmut Kirst: 08/15 (1954), vgl hier:  https://de.wikipedia.org/wiki/08/15_(Roman)
Theodor Plievier: Stalingrad (1954), vgl hier:  https://de.wikipedia.org/wiki/Stalingrad_(Roman)
Josef Martin Bauer: So weit die Füße tragen (1955), vgl hier:  https://de.wikipedia.org/wiki/So_weit_die_Füße_tragen
[4] Wie andere Rezensenten erwähne ich es auch: Rothmann schickt die beiden jungen Männer in die Waffen-SS-Division „Frundsberg“, in die auch Günther Grass gedient hat. Ein „hübsches Detail“, wie im Spiegel [s.u.] steht, nur wenn man sich anschaut, wo diese Division eingesetzt war in den letzten Kriegstagen, stößt man auf Fürstenwalde, nicht aber auf Ungarn [s.u.]. Ein weniger hübsches Detail, völlig unnötig auch noch

Maren Keller und Sebastian Hammelehle: „Das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe“; in:  http://www.spiegel.de/kultur/literatur/im-fruehling-sterben-von-ralf-rothmann-soll-ich-das-lesen-a-1041128.html
Wiki-Seite zur
10. SS-Panzer-Division „Frundsberg““:  https://de.wikipedia.org/wiki/10.SS-Panzer-Division„Frundsberg“
Ralf-Georg Reuth: Günther Grass -Die Wahrheit über seine SS-Division; in: http://www.bild.de/news/2006/guenter-grass-wahrheit-ss-division-720658.bild.html

zu den Rückzugsgefechten aus Ungarn (hier wird auch ein Zahl von über 500 standrechtlich erschossenen Deserteuren genannt) siehe diesen Abschnitt in der Wiki:  https://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_um_Ungarn#Der_R.C3.BCckzug_aus_Ungarn

Ralf Rothmann
Im Frühling sterben
diese Ausgabe: Suhrkamp, HC, 242 S., 2015

Ich danke dem Verlag für die Zusendung eines Leseexemplars.


Diese Buchvorstellung kann auch als Audio-File im literatur RADIO bayern gehört werden: Ralf Rothmann: Im Frühling sterben (Audiofile)

10 Kommentare zu „Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

  1. Meine Einschätzung des Buches ist gänzlich anders. Ich halte es literarisch für Kitsch. Sei’s drum.

    Interessant ist das Detail um die SS-Division Frundsberg. Ich habe im Gegensatz zum „Spiegel“-Redakteur im Buch allerdings nicht gelesen, dass Walter (und auch die anderen auf dem Fest wie Fiete) von dieser Division zwangsverpflichtet wurde. Und schon gar nicht, wie es in anderen sogenannten Rezensionen heißt, in diese Division. Es ist auf Seite 34 einmal von einem SS-Mann auf dem Dorffest die Rede, der die Kennzeichnung „Frundsberg“ trägt. Dieser spricht Walter an und verwickelt ihn ein Gespräch über „Kriegswichtigkeit“. Die eigentliche Akklamation der Zwangsverpflichtung wird durch den lokalen Funktionär Hunstein vorgenommen. Dass es sich dabei um Frundsberg handeln soll, in die Walter eingezogen wird, habe ich nirgends gelesen.

    Auf Seite 55 kommt Frundsberg noch einmal vor: Als Rekrutierungseinheit, die ein Kino in Kiel umstellt „und jeden herauskommenden Mann zum Freiwilligen erklärt hatten.“

    Entweder ist es ein schlichtes Aufmerksamkeit erheischendes Namedropping Rothmanns oder, es ist, wenn Frundsberg als „dienende“ Einheit gemeint wäre, um einen Fehler. Dieser könnte natürlich unter dem Rubrum dichterische Freiheit subsumiert werden. In jedem Fall bleibt aber ein schaler Geschmack.

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    1. lieber herr keuschnig, haben sie herzlichen dank für ihren besuch und den ausführlichen kommentar. mit frundsberg haben sie natürlich recht, man hat sich (und ich schließe mich da ein) da wohl ein wenig ins bockshorn jagen lassen. vielleicht hat die in trier agierende „ausbildungs“einheit dazu beigetragen, walter und fietje unbewusst zur ausbildung in die einheit frundsberg zu stecken. daß die ss-einheit gar nicht in ungarn eingesetzt war, hätte mich natürlich zu dem richtigen schluss führen müssen, statt dessen…

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  2. Eine wunderbare Besprechung dieses kleinen und inhaltlich doch so großen Romans: ich weigere mich, eine Schuldzuweisung an die Generation meiner Eltern zu machen, ich wurde zum Glück noch nicht vor solche Entscheidungsfragen gestellt, konnte bisher im Frieden leben und doch stehen ja auch heute wieder Entscheidungen an, bei deren Folgen uns die Nachkommen fragen werden: wie konntet ihr das zulassen, ihr habt es doch gewußt! Heute schreien wir nicht unbedingt Hurra, wir lassen einfach alles so laufen, das konnte diese Generation aber gar nicht.
    Krieg als alles demoralisierendes Geschehen, warum lassen wir Menschen ihn immer wieder zu, denn es gibt und hat ihn nie gegeben: einen sauberen Krieg.
    Nur Krieg war und ist eine Geldgewinnmaschinerie und bei Geld hörte schon immer jede Moral auf, an Waffengeschäften verdient jeder Staat.
    Das Buch hat mich auch aufgewühlt, zumal ich Rothmann auch bei seiner Lesung in Frankfurt erlebt und seinen tiefen Ernst gespürt habe. Und da kam die Stimme einer älteren Frau aus dem Publikum: sie fände die Geschichte nicht gut, das alles hätte sie schon tausendmal gelesen und gehört. nun ja….

    liebe Grüße
    Karin

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    1. liebe karin, wieder mal habe ich bis jetzt nicht auf ihren schönen kommentar reagiert, ich bitte um entschuldigung.

      „sie fände die Geschichte nicht gut, das alles hätte sie schon tausendmal gelesen und gehört.“ ich muss zugeben, auch ich hatte eine periode, in der ich von diesem thema rund um´s dritte reich genug hatte, nichts mehr hören wollte. ich könnte mir vorstellen, daß bei älteren leuten einfach dazu kommt, daß sie an etwas erinnert werden, was sie eigentlich gerne vergessen würden und selbst das fällt ihnen schwer, weil ihre seele so belastet wird durch das gewesene. und wenn dann noch jemand kommt und alles aufrührt….

      sie fragen, warum wir krieg immer wieder und immer noch zulassen: ich bin das pessimistisch, ich bin davon überzeugt, daß das teil unseres biologischen erbes ist, den konkurrenten um nahrung und resourcen ausschalten. in (west)europa haben wir es jetzt seit 70 jahren (aber was sind 70 jahre) geschafft, dieses erbe durch verträge und zusammenarbeit zu unterdrücken, aber schon ein paar hundert kilometer weiter östlich, im ehemaligen jugoslawien, war das nicht möglich. und von dem, was noch ein paar hundert kilometer weiter im nahen osten geschieht, will ich garnicht reden…

      mit lieben grüßen
      fs

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      1. Lieber Flattersatz,
        mich nervt die Schuldzuweisung, das ewige Wiederkäuen, damit wir bzw. unsere Nachkommen ewig dieses schlechte Gewissen mit uns herumtragen sollen. Insofern ist mein Bedarf auch gedeckt, überhaupt wenn er aus einer bestimmten Ecke kommt.
        Doch gerade solche Bücher wie das vom Rothmann machen aber deutlich, was es für diese Jugendlichen bedeutet hat, diesen Gräueln ausgesetzt zu sein, sich nicht wehren zu können und dann ein Leben lang die Frage mit sich herum zu schleppen, ob mein ein moralischer Versager war.
        Daß diese Generation nicht mehr reden wollte; sie haben mein vollstes Verständnis; mir sind die drastischen Schilderungen sehr unter die Haut gegangen ,zumal in meinem Elternhaus nach der späten Heimkehr meines Vaters aus russ. Kriegsgefangenschaft (1951) dieses Thema zwischen ihm und mir nie angeschnitten wurde.
        Instinktiv habe ich vielleicht gespürt, dass ich da eine Grenze nicht überschreiten sollte.
        Bisher glauben wir in Sicherheit zu sein, aber wie Sie oben schildern, so weit weg ist all das neuerliche Kriegsgeschehen gar nicht.
        Ich las in der letzten ZEIT einen Artikel über die Militärausgaben Griechenlands, die immens hoch sind trotz Pleite und wer ist der größte Lieferant an Kriegsgerät: Deutschland! Bei Geld hört jegliche Moral auf.
        Der Mensch ist des Menschen Wolf…..daran scheint etwas Wahres zu sein und Naturgesetze bestehen aus Fressen und Gefressen werden, man möchte es nur gern verdrängen.

        Ernste Gedanken an diesem lauen Augustsommerabend, dem ich der Lektüre von 1913 von Florian Illies gewidmet habe, hatte total unberechtigte Vorurteile gegen dieses Buch und bin jetzt begeistert.

        Liebe Grüße auch in Ihre Leseklause draußen oder drinnen

        Karin

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