Shusaku Endo: Meer und Gift

Es ist ein schmales Bändchen des japanischen Autoren Endo, der sich mit einem grausamen Kapitel der an Grausamkeiten nicht gerade armen japanischen Kriegsgeschichte [4] befasst. Am 5. Mai 1945 stürzte über Fukuoka in Kyushu eine B-29 mit 12 Mann Besatzung ab. Der befehlshabende Leutnant wurde nach Tokio zum Verhör gebracht, die anderen überlebenden 8 Besatzungsmitglieder wurden in der Anatomieabteilung der Universität bei lebendigem Leib abstrusen medizinischen Experimenten [2] unterzogen. Alle starben bei diesen Vivisektionen, implizit war dies sogar das Ziel, da man z.B. ausprobieren wollte, ab wie wenig Lunge ein Mensch nicht mehr überlebt [1 – 4]. Die beteiligten Ärzte und Krankenschwestern wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tod bzw. langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, 1958 waren aber alle wieder durch Begnadigungen auf freien Fuß [3].

Soweit die dem Roman zugrunde liegendem Ereignisse, die Endo aber nicht im Stil einer Dokumentation aufarbeitet. Vielmehr befasst er sich ausführlich mit den an diesen „Experimenten“ (die ja nichts anderes als Morde sind) beteiligten Menschen, zeigt deren Geschichte auf und analysiert die Beweggründe, aus denen heraus sie bei der Aktion mitgemacht haben.

Im Prolog des Romans läßt Endo einen Ich-Erzähler, der lungenkrank ist, erzählen, wie er nach dem Umzug in eine wenig bebaute Gegend der Stadt einen Arzt sucht, der ihn behandelt. Dieser Dr. Suguro, den er schließlich aufsucht, kommt ihm unheimlich vor, wortkarg, unfreundlich, mit aufgedunsenem Gesicht. Andererseits führt er den relativ unangenehmen Eingriff sehr routiniert und gut durch. So wird der Erzähler neugierig und er trifft tatsächlich jemanden, der diesen Arzt kennt und ihm verrät, daß dieser im Krieg an Vivisektionen beteiligt war.

Suguro ist die Hauptperson des Romans. Ein junger Praktikant im Krankenhaus, der zum ersten Mal für eine Patientin verantwortlich ist, eine alte, lungenkranke Frau, die als Wohlfahrtspatientin dort liegt und bald sterben wird. Der Chefarzt will aber noch eine riskante Operation durchführen, schließlich ist die Frau ja Wohlfahrtspatientin und vllt kann man bei der Operation etwas lernen, was anderen Menschen das Leben rettet. Der sehr wahrscheinliche Tod der alten Frau wird billigend in Kauf genommen. Suguro ist bedrückt darüber, ihm tut die Frau, der er ab und an etwas zum Essen zusteckt, leid. So hat er sich das Arztsein nicht vorgestellt. Immer apathischer wird er, niedergedrückter, deprimierter, die Sticheleien seines Kollegen Toda machen ihm zusätzlich zu schaffen. Zum Schluss ist er zu entscheidungsschwach, um „Nein“ zu sagen.

Toda ist dagegen aus anderen Holz geschnitzt. Von früher Kindheit an ist er es gewohnt, seine Mitmenschen zu blenden, ihnen nach dem Mund zu reden, um Erfolg zu haben. Er hat keine Scheu, andere für seine Streiche büßen zu lassen, Gewissensbisse sind ihm fremd. Und genauso handelt er als Arzt, kalt und herzlos. Ihm fällt das „Ja“ leicht, auch in der Hoffnung, bei dieser verwerflichsten aller Taten endlich sein Gewissen zu entdecken.

Die Krankenschwester Ueda schließlich ist die dritte Person, auf die Endo näher eingeht. Sie ist vom Leben nicht verwöhnt, ihre Ehe ist gescheitert, sie kann keine Kinder mehr bekommen. In der Mandschurei, wo sie ein paar Jahre lang lebte, hat sie „gelernt“, wie man mit „minderwertigen“ Menschen umgehen muss…. durch einen Fehler, den sie in der Klinik gemacht hat, wird sie erpressbar, auch sie macht mit.

Und die Professoren? Sind verstrickt in Machtkämpfe um die freigewordene Position des Dekans. Sie versuchen, sich in Stellung zu bringen durch besondere Leistungen, Kontakte zu einflussreichen Gruppierungen zu pflegen und aufzufrischen. Die Patienten sind ihnen egal, sind nur Material in ihren Händen und für ihre Zwecke.

Das Buch ist sehr eindringlich. Besonders wirkungsvoll ist der Kunstgriff Endos, die Lebensgeschichten der drei Protagonisten von ihnen selbst erzählen zu lassen. Dadurch versetzt er den Leser in die Situation, diese (für die herrschenden Umstände) nicht aussergewöhnlichen Lebensläufe mitzuerleben, die Brüche in ihnen nachzuspüren und die daraus resultierenden Konsequenzen und weiteren Handlungen zu verstehen als Folge einer langen Kette vorangegangener Demütigungen und Enttäuschungen. Endo entschuldigt nicht, natürlich wären immer auch andere Entscheidungen möglich gewesen, aber z.B. Suguro ist so depressiv, daß er selbst nach der Aufforderung Todas, doch nicht mitzumachen, sich nicht verweigern kann.

Alle Beteiligten wissen, daß sie einen Mord planen und begehen werden. Die Stimmung ist nervös und gedrückt, man sucht Entschuldigungen und Beschwichtigungen für das eigene Gewissen. Es herrscht kein Befehlsnotstand, jeder der Männer und Frauen nimmt aufgrund der eigenen Entscheidung teil, die möglichen Nachteile, die sie bei einer Verweigerung zu tragen gehabt hätten, wiegen leicht gegen die Schwere der Tat.

Das gesamte Buch durchzieht eine dunkle, düstere Stimmung. Die Not des Krieges, die Armseligkeit der Verhältnisse im Krankenhaus, das mitleidslose Handeln der Ärzte und Schwestern – von Endo alles sehr eindringlich und ohne große Emotionen, vertrauend auf die Kraft der Worte dargelegt.

Facit: ein sehr eindringlicher, intensiver Versuch nicht nachvollziehbares aufzuhellen

[1] http://b-29s-over-korea.com/Japanese-War-Crimes/index3.html
[2] http://bit.ly/ocpamw
[3] zeitnahe quellen zum Vorkommnis findet man hier: http://trove.nla.gov.au/
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Japanische_Kriegsverbrechen
[5] eine weitere Rezension zum Buch bei dokushoka.de

ich möchte auch noch kurz auf diesen beitrag von mir in den „Jüdischen Lebenswelten“ hinweisen, der das Thema „Menschenversuche“ im 3. Reich anreißt: „… die Versuchspersonen brüllen, wenn sie sehr frieren…“

Shusaku Endo
Meer und Gift
übersetzt aus dem japanischen von Jürgen Berndt
diese Ausgabe: Fischer TB, ca. 150 S., Ffm, 1984
Erstausgabe: Tokio, 1958

2 Kommentare zu „Shusaku Endo: Meer und Gift

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