T.C. Boyle: Talk Talk

Bislang kannte ich von Boyle ja nur zwei Bände mit Kurzgeschichten, die mir zum Teil sehr gut, zum Teil auch etwas weniger sehr gut gefallen hatten. Immer jedoch waren die Stories ausgefallen, skurril und fielen aus dem Rahmen des Üblichen (was mir immer gefällt), so daß ich auf diesen Roman von ihm doch gespannt war.

Die Handlung ist recht einfach: Dana Halter, eine gehörlose junge Frau, wird nach dem Überfahren eines Stopschildes von der Polizei angehalten und nach der Personenkontrolle ins Gefängnis gebracht. Dort kommt heraus, daß unter ihrem Namen eine Vielzahl von Vergehen und Verbrechen begangen worden sind. Der polizeiliche Irrtum klärt sich auf, aber die in ihrem Stolz und Selbstbewusstsein tief gekränkte Dana begibt sich zusammen mit ihrem Freund Bridger, einem Spieleentwickler, auf die Suche nach dem „Dieb“ ihrer Identität. Nach den ersten zwei Teilen läuft der Rest des Buches auf das Zusammentreffen der Gegner hinaus. Mehr will ich vom Inhalt jetzt aber nicht verraten.

Gottseidank widersteht Boyle der Versuchung, die Aufklärung der Personenverwechselung im Gefängnis länger hinauszuschieben. So sitzt Dana von Freitag bis Montag ein, unter Alkoholikerinnen und Prostituierten, die sie nicht versteht und gegen die sie sich nicht wehren kann. Diese wenigen Tage reichen aber völlig, um sie zutiefst zu demütigen, ihr ihre Würde zu nehmen und sie hasserfüllt in die Welt zurück zu schicken.

Boyle läßt des öfteren den Zufall spielen, wenn er seine Geschichte fortsetzen will, einiges ist für mich schlicht und einfach etwas arg weit hergeholt: der notorische Identitätsräuber will ausgerechnet an den Ort zurück, an dem er vor seiner Karriere lebte (und wo er im Grunde sicher damit rechnen muss, früher oder später erkannt zu werden). Auch das Dana und Bridger nie ernsthaft erwägen, die Polizei einzuschalten, obwohl sie wissen, wie gefährlich ihr Feind ist, ist meiner Meinung nach nicht besonders glaubhaft. Stattdessen verfolgen sie ihn über mehrere Wochen durch die gesamte USA.

Von den dargestellten Personen zeichnet Boyle den „Dieb“ William Peck am plastischsten, seine beiden Verfolger sind deutlich weniger strukturiert. Warum Boyle mit Dana eine Gehörlose schildert, ist mir nicht klar, zum Gang der Handlung trägt die Taubheit Danas nichts bei und die Darstellung der Schwierigkeiten Gehörloser in der Öffentlichkeit beschränken sich im Grunde auf die Schilderung der zurückschreckenden Reaktion der Mitmenschen: „Huch, was ist denn mit der los, die ist ja komisch“. Vielleicht war es sogar eher sein Anliegen, zu zeigen, daß Dana selbst ihr Leben als Gehörlose annimmt und diese Taubheit nicht als Behinderung oder Verlust sieht.

So plätschert der Roman dahin, unterbrochen von einzelnen Episoden, an denen sich die beiden Parteien mal (räumlich) nahe kommen, bis dann gegen Schluss der lang erwartete Show-Down stattfindet, der nur Verlierer zurückläßt. Am stärksten, um das auch zu sagen, fand ich persönlich den ersten Teil, der die Verhaftung Danas und ihre Zeit im Gefängnis schildert. Aber das ist ja nun auch bezeichnenderweise eine Konstellation, die gut in einer seiner Kurzgeschichten gepasst hätte…

Facit: Diesem Buch Boyles fehlen die skurrilen Einfälle, die seine Kurzgeschichten so lesenwert machen. So ist es ein „normaler“ Roman (Krimi), nicht besser oder schlechter als viele andere, die zwischen Buchdeckel gepresst sind. Ein schnell zu lesendes Sommerbuch…..

T.C. Boyle
Talk Talk
dtv 2008
ISBN-10: 3423210605
ISBN-13: 978-3423210607

Zur Information über das Rechtsproblem „Identitätsdiebstahl“ in Deutschland ist hier ein interessanter Link:

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/091/1609160.pdf

4 Kommentare zu „T.C. Boyle: Talk Talk

  1. Hmm, ist ’ne Weile her. „Grün ist die Hoffnung“ hat mir gut gefallen und „Der Samurai von Savannah“ war nicht schlecht. Ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber reizvoll, fand ich auch „Wassermusik“…

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  2. Erst einmal vielen Dank für deinen Kommentar. Du hast sicher Recht, das amerikanische Rechtssystem läßt einen als Europäer schon des öfteren staunen.
    Was mich auch staunen ließ (wenn die Beschreibung Boyles zutreffen) ist die Leichtigkeit, mit der man bei ausreichender krimineller Energie an die notwendigen Daten kommt… die Abfalleimer der Arztpraxen durchwühlen.. ich habe gedacht, ich lese nicht richtig….
    Zum Problem „Identitätsdiebstahl“ in Deutschland habe ich übrigens noch einen Link ergänzt, der zumindest mal den rechtlichen Status beleuchtet.

    Ja, ich sollte es noch einmal mit einem früheren Buch Boyles versuchen. Hast du einen Vorschlag?

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  3. „Talk Talk“ habe ich auch gelesen und bin mehr oder weniger zum gleichen Ergebnis gekommen. Was ich noch anmerken will: viele der beschriebenen Probleme sind spezifisch amerikanisch, ohne eine Ahnung vom Rechtssystem der USA steht man manchmal etwas ratlos da. „Identitätsdiebstahl“ in Europa dürfte deutlich anders aussehen. Das hat das Buch für mich etwas, naja, „theoretisch“ gemacht. Boyle hat schon besseres geschrieben. Früher.

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