Stanislaw Lem: Provokation


Als Band 740 erschien 1982 in der altehrwürdigen Bibliothek Suhrkamp ein kleines Bändchen mit einem Essay des polnischen Gelehrten Stanislaw Lem, in dem dieser das fiktive Werk des (ebenfalls fiktiven) deutschen Anthropologen und Historikers Horst Aspernicus: Band 1: „Endlösung als Erlösung“ und Band 2: „Fremdkörper Tod“ bespricht.  Von diesen beiden Bänden will ich hier kurz auf den ersten eingehen.

Thema der Arbeit Aspernicus ist die Genese und die Einordnung des Völkermords im Allgmeinen und insbesondere der des Nationalsozialismus an den Juden.

Es ist ein schwieriger Text, ich habe es jetzt zweimal gelesen und möchte nicht behaupten, alles verstanden zu haben, um so interessanter natürlich, dieses Büchlein vorzustellen.

Anfänglich analysiert Lem/Aspernicus, aus welchen Motiven heraus Sieger Besiegte töten, selbst wenn der Kampf, die Auseinandersetzung, der Krieg entschieden ist. Dieses oft massenhafte Töten besiegter Feinde gehörte seit altersher zum Brauchtum des Siegers. Zum einen verminderte man dadurch die Zahl potentieller Rächer und künftiger Vergelter, zum anderen stellte man damit auch die eigene Stärke zur Schau. Passte es ins Kalkül, war die Versklavung und Unterjochung des besiegten Volkes eine unblutige Alternative. Wichtig, so legt Lem seinem Autoren in den Mund, ist, daß praktische Gesichtspunkte des Eigennutzes für den Sieger bei seiner Behandlung des Feindes ausschlaggebend waren.

Im Verlauf der Jahrhunderte bildeten sich jedoch langsam Verhaltenskodices heraus, die letztlich dazu führten, daß der militärische/kriegerische Erfolg völlig vom Mord an Besiegten getrennt wurde, modern kodifiziert in der Haager Konvention. Zwar geschahen auch in der Neuzeit noch Akte des Völkermords, jedoch fehlte ihnen – nach Aspercius – der archaische Charakter bzw. das eigennützige Interesse der Urheber. Vielmehr verdeutlicht er, daß das erfolgte Abschlachten notwendig war, um bestimmte Ziel zu erreichen (Landeroberungen, Sklavenjagd etc).

Eine Art Zäsur in der Genese des Völkermords erkennt der Autor in dem Massaker der Türken an den Armenieren (die ja immer noch in der Einordnung als Völkermord heftig umstritten sind, wie die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Frankreich zeigen, Franz Werfes Buch: Die vierzig Tage des Musa Dagh schildern dieses Massaker in aller Breite, Anmerk. d.Verf.), das für die Türken keiner Nutzen oder Gewinn brachte. Damit entspricht er dem nationalsozialistischem Genozid an den Juden: auch dieser hatte für Deutschland keinerlei Nutzen, ganz im Gegenteil, er band erhebliche Mittel an Personal und logistischen Einrichtungen und er wurde vor der Welt mit einer Vielzahl von Euphemismen verheimlicht. Noch in den Lagern selbst wurde den Juden die Hoffnung auf ein Überleben nicht völlig genommen.  Je totaler der Mord, um so mehr wurde er mit Geheimhaltung umgeben. Daraus und aus der Tatsache, daß es für die Nazis, die zu diesem Zeitpunkt ja noch an ihr Tausenjähriges Reich glaubten, durchaus effektive, mit weniger Nachteilen verbundene Alternativen zum blutigen Genozid an den Juden gegeben hätte, folgert Apercius, daß aus der 1942 gefällten Entscheidung zur „Endlösung der Judenfrage“ reine Mordlust spricht:

„Mit einem Wort, es ging nicht nur um den Nutzen aus dem begangenen Verbrechen, sondern um die Befriedigung, die seine Ausführung verschaffte.“

Über Sieger sitzt niemand zu Gericht. Deshalb widmet sich Aspernicus der Frage, warum – trotz des vermeintlich sicheren Sieges vor Augen – der Völkermord an den Juden so euphemisiert wurde (Endlösung, Umsiedlung, Arbeit macht frei). Als Grund dafür erkennt er den immanenten Widerspruch, der darin liegt, daß er Arier der Erste unter der Menschen sein sollte, der aber in seinem Tun gleichzeitig der Mörder Wehrloser ist. Gerade in der Verleugnung sieht der Autor ein starkes Indiz dafür, wie sehr die Nazis in der christlichen Kultur verankert waren, denn „… in diesem Kulturkreis kann man alles tun, was aber nicht heißt, daß man auch alles sagen kann.“ [dem Sinn nach zitiert].

Der nächste Abschnitt des Buches befasst sich mit dem Neonazismus, der trotz drückenster Beweise den Völkermord immer noch leugnet und als Fälschung bezeichnet, er betrachtet auch die Rolle der Philosophie am Beispiel des Philosophen Heidegger und kommt zum Schluss, daß ein Philosoph aus prinzipiellen Gründen zu den Verbrechen der Nazis nicht schweigen darf und daß – noch weiter verallgemeinert – jeder Mitschuld trägt, der „…den Stellenwert dieses Verbrechens in der Ordnung der menschlichen Existenz möglichst niedrig ansetzt.

Im folgenden lässt Lem seine Aspercius ausführen, daß Deutschland den Krieg nie hätte gewinnen können, sondern ihn nur noch totaler verloren hätte, selbst und gerade wenn es im Osten gegen Russland gewonnen hätte. Dann nämlich hätte sich Amerika auf jeden Fall gezwungen gesehen, die (maßgeblich auch von aus Europa vertriebenen Juden mitentwickelte) Atombombe auch auf Deutschland zu schmeissen, bevor die Nazis selbst („Uran-Projekt„) diese Bombe herstellen könnten.

Mit Hitler und Himmler charakterisiert Aspernicus zwei der hervorstechendsten Figuren des 3. Reiches. Bei Hitler erkennt er die Zwiespältigkeit seines Charakters, der in persönlichen Dingen keinerlei Ausschweifung kannte, sich im Spiel um die Macht jedoch keinen Regeln unterwarf: „Er war gut zu Hunden, Sekretärinnen, Dienern und Chauffeuren, seine eigenen Generäle aber ließ er wie Schweine am Schlachterhaken aufhängen, Millionen von Gefangenen ließ er verhungern.„. Für Himmler, einen Mann beschränkte Geistes, konstatiert er, daß dieser wie ein aus der Flasche entlassener Ungeist die Möglichkeiten, die ihm seine Stellung gab, ausnutzte und sich austobte. Er war es, der den Mord als Pflicht, als Aufopferung, als Mühe und als Ruhmestat glorifizierte [„Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn hundert Leichen daliegen oder tausend. Das durchgestanden zu haben und dabei anständig geblieben zu sein, ist ein niemals geschriebenes Ruhmesblatt unserer Geschichte.“ nach „Himmler-Projekt„]

Schließlich kommt Aspernicus auf den tiefsten, weil letzten Sinn dieses Völkermord, zu sprechen. Es ist die kitschige Ikonographie des Abschlachtens, die nackten Menschen, die vor den Herrenmenschen an den Graben treten, jetzt im sicheren Wissen um ihren Tod, und erschossen werden. Nackt, wie Gott sie schuf, stehen sie vor ihrem Herrn und Richter (auch wenn das Urteil natürlich feststeht), es ist das Bild des Jüngsten Gerichts. Derart erhöhte sich die Clique der „Lumpenproletarier“, der „ungebildeten Flegel“ und „Unteroffizierssöhne“, der „Bäckergehilfen“ und „drittklassigen Schreiberlinge“ selbst zum Vater über die nackten Menschen, zum Gottvater in seiner Allmacht über Leben und Tod.

Die Juden waren die fixe Idee des Dritten Reiches, ihre Verfolgung und Ausrottung wurde mit geradezu selbstzerstörerischer Konsequenz betrieben, der Jude an sich war für die Nazis die Manifestation des Bösen, so sehr, daß Systemfeinde, die nicht jüdisch waren, als „weiße Juden“ bezeichnet wurden. Und das Böse gehört ausgerottet, den Juden sollte das widerfahren, was ihnen nach Recht und Gesetz gebührte und ausersehen, dies durchzuführen, waren in der Ideologie der Nazis die Deutschen, es wurde geradezu zu einer persönlichen Angelegenheit („Hier liegen MEINE Juden“ verscharrt….“). Die Quintessenz seiner Argumentation führt Aspercius zu dieser Schlussfolgerung:

Da die Deutschen Gott nicht töten konnten, töteten sie sein „auserwähltes Volk“, um dessen Platz einzunehmen und nach der blutigen Entthronisierung in effigei zu selbsternannten Auserwählten der Geschichte zu werden….. Der Genozid ist die stellvertretende Exekution Gottes.

die uns radikal und ungewöhnlich erscheint, mit der Lem aber letztlich nicht allein steht, wie man im Artikel von Bauer (s.u.) nachlesen kann.

Der Text Lems ist eine stringente Auseinandersetzung mit der verstörenden Frage, aus welchen Motiven eine politische Klasse (und in der Folge ein großer Teil eines ganzen Volkes) sich ein selbstzerstörerisches, den eigenen Ansprüchen der Auserwähltheit entgegenstehendes Verhalten als politische Maxime zu eigen machen kann. Und das überraschende ist das Ergebnis, daß ausgerechnet die Ideologie des Nationalsozialismus „auf christlich-antijüdischen, albtraumartigen Vorstellungen“ [Bauer] beruht.

Links:

http://www.stanislaw-lem.de/buch/provokation.html
http://www.hansschauer.de/html/dir4/ch10t11.html
Yeshua Bauer: Die Schande bleibt, Die ZEIT, 23.03.2005

Die Besprechung wurde am 11.02.2012 in den Jüdischen Lebenswelten erstveröffentlicht

2 Kommentare zu „Stanislaw Lem: Provokation

  1. Hoppla, noch nie gehört von dem Buch. Mal vom „Golem“ abgesehen ist Lem, bei all seiner Sachlichkeit und thematischen Tiefe, immer wieder eine Freude zu lesen. Gut, nicht immer eine Freude, die einen lächeln lässt, sagen wir eher: eine Bereicherung.

    http://mfis.wordpress.com/

    Hinweis: der ursprüngliche link wurde editiert

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