Martin Suter: Lila, Lila

Lila

„Lila, Lila“ erzählt die Geschichte von David Kern, die – so das Stoßgebet – hoffentlich nicht traurig enden mag. David ist Gelegenheitskellner in einem Szenelokal und versucht dort vergeblich, in einer der Cliquen, die dort regelmäßig auftauchen, heimisch zu werden. Er ist ein leiser Mensch, der nicht aufbegehrt, der im Grunde macht, was man ihm sagt, der sich widerspruchslos in die Gegebenheiten einfindet. Um zu gefallen, liest er sogar die Geschichte von Hasenherz….

Durch einen Zufall spielt das Schicksal ihm eine Chance in die Hand, Marie, die eines Abends in dem Lokal auftaucht und in die er sich sofort verguckt, zu beeindrucken. In einem alten Möbel, das er beim Trödler erstanden hatte, lag in einer verklemmten Lade das Manuskript zu einer traurigen, aber anrührenden Liebesgeschichte. Diese nimmt er an sich, setzt seinen Namen als Autor drunter und gibt sie Marie, die sich auf ihr Literaturstudium vorbereitet, zum Lesen.

Marie ist begeistert von der Geschichte und schickt diese (gegen den erklärten Willen Davids und ohne sein Wissen) an einen Verlag. Und dort wird sie angenommen.

Von nun an gründet sich Davids Leben auf einer Lüge, denn anstatt jetzt reinen Tisch zu machen, läßt er einfach alles laufen, läßt sich promoten, geht auf Lesereise und irgendwann erscheint im wichtigen Feuilleton die entscheidende Rezension des Großkritikasters, die verkündet: „Lila, Lila ist der Roman, auf den wir so sehnlich gewartet haben: Das Ende der Knabenwindelprosa.“. Von nun an befindet sich David, der langsam Gefallen findet an seiner Rolle als Autor, auf der Erfolgsspur.

Dies auch privat, denn Marie verliebt sich in – nein, nicht in David, sondern in den Mann, der so ein Buch, so eine Geschichte schreiben kann wie die von Sophie und Peter, den beiden Liebenden aus „Sophie, Sophie“. Je größer der Erfolg, desto weniger bringt es David fertig, die Wahrheit einzugestehen, aber (man fibert als Leser diesem Moment förmlich entgegen) eines Tages, bei einer Signierstunde, kommt ein Mann, der das Buch für einen gewissen Alfred Duster signiert haben will. Und dieser Alfred Duster ist der wahre Autor von Davids Buch.

David läßt sich von dem beredten, aufdringlichen, älteren Kerl von nun an erpressen, sein Verhalten wird für seine Umwelt immer rätselhafter und letztendlich (ich will ja auch nicht zuviel verraten von der Story) fängt seine Geschichte immer mehr an der von Peter zu ähneln…

Suter gelingt es in seinem Roman ein Leben zu beschreiben, das in einer Blase stattfindet, nämlich in der Illusion, sich ein Leben zurechtschneidern zu können aus Versatzstücken. Dies gelingt aber nicht, und die Unausweichlichkeit dieses Misslingens (David ist natürlich nicht in der Lage, ein zweites Buch zu schreiben, er läßt sich erpressen, entfremdet sich mit Marie…) führt Suter ganz klar vor. Zu keinem Zeitpunkt hat sein „Held“ die Kraft, zu sagen: „Halt. Bis hierhin und nicht weiter. So ist die Wahrheit und jetzt schau ich, was sich daraus entwickelt.“ Dann hätte er eine Chance gehabt, so aber lebt er ein Leben mit einem ungedeckten Kredit in der Tasche.

Der Plot ist, einmal in Szene gesetzt, nicht sonderlich überraschend. Trotzdem gelingt es dem Autoren, ihn spannend und fesselnd darzulegen. Auch die kleinen Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb (ich gehe mal davon aus, da steckt einiges an Insiderwissen drin) sind sehr lehrreich und kurzweilig, frei nach dem Motto: was man immer schon ahnte…. Von den Personen sind David in seiner Schwäche, seinen Sehnsüchten und seiner Unentschlossenheit, ebenso wie Jacky, sein unerbetener Freund, sehr plastisch beschrieben. Marie bleibt etwas blass, aber das ist nur eine Marginalie.

Natürlich ist das Buch auch ein Spiel mit verschiedenen Ebenen, besonders am Anfang hat mich das etwas verwirrt. Sowohl Suters Buch als auch das (vorgebliche) von David heißen „Lila, lila“ (auf diesen Titel tauft David letztlich „sein“ Buch) und die ersten Seiten tappt man so ein wenig im Nebel, ob man nun Suters Geschichte liest oder die Geschichte, die den Ausgangspunkt für das Buch liefert. Aber vielleicht habe ich auch einfach einen Schlüsselsatz überlesen. Interessieren würde mich jedenfalls, ob diese Selbstbezüglichkeit im Roman einen Hintergrund hat oder nur ein Spiel von Suter ist, aber um das zu beurteilen, bräuchte es wohl mehr Informationen….

Am Ende des Buches, alleine in seinem Zimmer, setzt sich David hin und schreibt, zum ersten Mal selbst, aber immer noch nicht die eigenen Worte. Und trotzdem ist es ein optimistischer Abschluss, denn David scheint gelernt zu haben, daß man sein Leben selbst leben, seine Geschichten selbst erleben muss.

Facit: ein absolut lesenwerter Roman

Martin Suter
Lila, Lila
Diogenes Tb, 2005, 352 S
ISBN-10: 3257234694
ISBN-13: 978-3257234695

3 Kommentare zu „Martin Suter: Lila, Lila

  1. Ja, da hast du recht – das Buch ist wirklich empfehlenswert! Ich fand die Geschichte originell und habe jede Seite genossen! Ich habe auch den Film zum Buch gesehen (mit Daniel Brühl alias David); das ist schon einige Jahre her – hat mir aber auch ganz gut gefallen.

    Alles Liebe
    Nachtpoetin

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    1. jetzt weiß ich, wofür die langen texte gut sind: ich habe erst einmal nachgeschaut, um was es in diesem roman eigentlich ging. es sind ja mittlerweile schon ein paar jahre her, seit ich ihn gelesen habe. ja, die frühen romane suters haben mir gut gefallen, ich habe sie gerne gelesen. der koch hatte mir dann nicht mehr so gefallen und was später von ihm veröffentlicht wurde, kenne ich nicht mehr. ein schriftsteller, den ich irgendwann aus dem auge verloren habe…

      liebe grüße
      fs

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      1. Ja genau – mir geht es genauso! Ich finde seine früheren Romane auch besser, vermutlich deshalb ist mir „Lila, lila“ so gut in Erinnerung geblieben. Und ja… life goes on… mit oder ohne Martin S. …

        Alles Liebe
        Nachtpoetin

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