Doris Dörrie: Das blaue Kleid

Ich habe von Doris Dörrie noch nie etwas gelesen, gäbe es meinen Lesekreis nicht, wäre dies wohl auch so geblieben. Doch, wie gesagt, im Lesekreis wurde dieses schmale Bändchen vorgeschlagen  – und es hat sich gelohnt, auch wenn das Cover des Buches kaum zum Inhalt passt, die von Henri Matisse 1923 gemalte Schönheit in Hindu-Haltung (La pause Hindou: http://www.henri-matisse.net/paintings/cp.html) führt auf ein völlig falsche Gleis, wie man schnell merkt, wenn man den Roman aufschlägt.


Das blaue Kleid ist ein Roman über den Verlust eines geliebten Menschen, über die Zeit danach, über das Fallen ins Bodenlose, das einen ohne Halt zu geben zu verschlingen droht: es ist ein Buch über die Trauer am Beispiel zweier Protagonisten. Babette hat durch einen Unfall ihren Mann verloren, das Paar war über Weihnachten nach Bali geflogen, und während sie sich am ersten Urlaubstag einer Massage am Strand (und ihren Fantasien hinsichtlich des bewussten Chinesen aus dem Flieger…) hingab, fiel Fritz dem Linksverkehr zum Opfer…

Florian dagegen erlebte über Jahre hinweg die Krankheit und das langsame Sterben seines Lebensgefährten Alfred, mit dem er ein Modegeschäft betrieb, mit. Alfred starb schließlich in seinen Armen und obwohl die Zeit da war, sich an den Gedanken des Todes zu gewöhnen, war der Verlust, als er real da war, natürlich unermesslich und riss Florian wie auch Babette aus dem Leben heraus – der Sturz ins Bodenlose, das keinen Halt mehr bot.

Über das blaue Kleid treffen die beiden aufeinander, Babette war Kundin im Laden der beiden Männer, Alfred hatte ihr das Kleid seinerzeit in seiner Begeisterung ‚aufgedrängt‘, es würde ihr Leben verändern. Florian, der plant, eine Modenschau mit jeweils einem Kleid aus jeden gemeinsamen Jahr zu organisieren, besucht Babette mit der Bitte, ihm diese Kleid für dieses Schau zu überlassen.

Wunderbar leicht und doch nicht seicht schildert Dörrie in der Geschichte die Trauer der beiden Figuren in all ihrer Ausprägung: Verdrängung, Wut, Verzweiflung, Schuldgefühlen… Das nach einiger Zeit wieder langsame Herantasten an das Leben, der Gedanke an einen anderen Menschen, für den sich auf einmal Gefühle regen, das Unverständnis der Umwelt und der Rückzug von Menschen, die bis dahin den Freundeskreis bildeten… das schlechte Gewissen, weil man in Gedanken (und auch real) damals das Kopfkino laufen liess und den Partner ‚betrog’…

Langsam bröckelt im Lauf der Monate die Mauer der Trauer, die sich um ihre Seele gebildet hat, auf, das Leben (und die Liebe) klopfen wieder an, schließlich bricht sie und die nach innen gestreckten Fühler orientieren sich wieder vorsichtig in die Umwelt hinein. Auch das ist nicht einfach, denn Thomas, den Babette kennengelernt hat, hat seine eigenen Erfahrungen mit dem Leben und dem Tod, ihn spröde zu nennen wäre schmeichelhaft, er wird von der Angst vorm Leben mit all seinen Unwägbarkeiten und der einzigen Sicherheit, daß man nämlich so oder so sterben wird, beherrscht.

Florian und Babette, die beiden Trauernden, dagegen verstehen sich, ihr Umgang miteinander ist völlig ungezwungen und vorbehaltlos. Als sie von den „Día de los Muertos“ (https://www.wissen.de/froehliches-totenfest-mexiko-feiert-den-dia-de-los-muertos) dem großen Fest der Toten in Mexiko erfahren, beschließen sie spontan, dorthin zu fliegen. Was sie hier vorfinden, stellt alles, was sie bis dato über das Sterben, den Tod und die Trauer kennen, auf den Kopf: sie geraten in einen riesigen, bunten, lärmenden Jahrmarkt der Erinnung an die Verstorbenen…. ein krasser Gegensatz zu den Todesritualen in der Heimat oder auch zum Beerdigungsritual, das Babette auf Bali kennengelernt hatte…


Doris Dörrie hat ein Buch geschrieben über trauernde Menschen, über die Trauer, darüber, was sie mit den Menschen macht, aber auch darüber, daß früher oder später das Leben wieder Gewicht gewinnt und man dem Labyrinth, in dem man sich gefangen hatte, wieder entrinnt und insofern ist Das blaue Kleid auch ein tröstliches Buch. Die Autorin weiß, worüber sie schrieb, sie selbst verlor ihren Mann schon früh im Leben, im vorliegenden Roman formuliert sie diesen Verlust (http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/doris-doerrie/). Herausgekommen ist ein – auch wenn es angesichts des Themas seltsam klingt – unterhaltsamer Roman, Dörrie schildert das Leben ihrer Protagonisten nach dem Tod der Partner mit großer Leichtigkeit, so daß sogar hin und wieder die Gefahr besteht, über das „Eigentliche“ hinwegzulesen. Das blaue Kleid ist menschlich, es ist im Alltag von Menschen verankert, der chaotisch ist und jeden Tag eine neue Herausforderung darstellt, der man sich stellen muss. Auszuweichen, in dem man sich im Leben schon tot stellt, ist keine Lösung – auch dies läßt sich aus dem Buch herauslesen.

Der Tod bekommt ein Gesicht in diesem Roman. Während bei uns die Trauerrituale immer mehr zurück gedrängt werden („Wir bitten, von Beileidsbekundungen am Grab Abstand zu nehmen“), bilden sie in anderen Kulturen einen festen Bestandteil des Lebens und des Abschieds daraus. Zwei Beispiele, die uns hier beide – so verschieden sie sind – fremd erscheinen, machen dies deutlich. Und dann wieder dieser chaotische Alltag mit skurrilem Einschlag: der Mann Babettes versinkt endgültig im Meer, als das japansche Touristenpaar mit seinem Motorboot das Papierschiffchen mit Fritzens Asche versenkt….

Durch das Thema ist Das blaue Kleid ein zeitloses Buch, durch die Leichtigkeit der Autorin ein Buch, bei dem man  nicht fürchten muss, daß es einen deprimiert, der genauen Beobachtungsgabe Dörries geschuldet ein Roman, aus dem man lernen kann. Man darf ihn nur nicht zu schnell lesen…

Doris Dörrie
Das blaue Kleid
diese Ausgabe: Diogenes, HC, ca. 176 S., 2002

2 Kommentare zu „Doris Dörrie: Das blaue Kleid

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