Simone Meier: Fleisch

fleisch

Simone Meier ist eine schweizer Autorin, die bislang einen Roman (Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben, 2000) veröffentlicht und mit Fleisch jetzt, immerhin siebzehn Jahre später, einen weiteren ans Licht der Welt gebracht hat. Es ist nicht allzuviel von der studierten Germanistin im Netz zu finden, aber immerhin existiert ein Facebook-Account von ihr [1], die als Redaktorin bei einem schweizer Newsportal arbeitet.

Fleisch – als Buchtitel suggeriert er eher ein Kochbuch als einen Roman, die dieser nächstliegende Assoziation dürfte dann im Bereich des (derb?)-erotischen liegen. Von beiden ist aber nur ansatzweise im Roman die Rede, ansatzweise insofern als daß die Protagonistin, die vierundvierzigjährige Anna eine leidenschaftliche Esserin ist, die auch Fleisch nicht verschmäht bzw. ebenso, weil die erotischen Aspekte des Lebens, wiewohl keineswegs in derber Schilderung, ihre Bedeutung haben in der Handlung.


Glück war doch nur die Klarheit, dass etwas stimmte. Stimmen könnte.

Anna, eine reife Frau mit wunderbaren blauen Augen, blonden Haar und schöner Haut, war jedoch keineswegs glücklich mit ihrer persönlichen Situation, denn sie hasste ungefähr eine Million Dinge. Und von allen hasste sie das Altern am meisten. …. die Differenz zwischen ihrem jetzigen und ihrem früheren Selbst. … daß ihr im Spiegel nicht mehr sie selbst, sondern andere Frauen begegneten: ihre Mutter, ihre Tante, ihre Großmutter, ja sogar die Urgroßmutter… all diese Frauen ergriffen Besitz von ihr, von ihrem Gesicht, ihren Brüsten, ihrer Mitte, ihren Beinen. Sie wollte wieder sich selbst sein, die frühere Anna. .. nur äußerlich … Und dazu musste sie ihr Fett loswerden. 

Man sieht, Anna, die von der jungen, gertenschlanken Kellnerin ihres Lieblingsbistros, in dem sie sich mit Leckereien über die Unsäglichkeiten ihres Äußeren hinwegtröstet, angehimmelt wird, weil sie diese an Jean Seberg erinnert, hat ein Problem mit der Selbstwahrnehmung, die sie ihr Aussehen eher in die Nähe eines ‚Sackes mit Kartoffeln, der nach stundenlangem Kochen an die Wand geklatscht wurde‘, rücken läßt. Beruflich andererseits geht es ihr recht gut, sie ist im Städtchen für die Kulturförderung verantwortlich; sexuell ist sie dagegen eher auf die Unterstützung durch mechanische Hilfsmittel angewiesen, denn mit Max, ihrem gleichaltrigen ‚Begleitfreund‘, läuft nach unbefriedigenden Versuchen nur noch Fernsehen und Dosenbier, dies aber vordergründig sehr verläßlich.

Mit Max sind wir bei einer zweiten Hauptperson des Romans, dem männlichen Gegenspieler zu Anna. Er ist Lehrer an einer Schule für Kinder, die nicht die normale Schulkarrieren einschlagen können, sieht eigentlich noch ganz gut aus und fängt an, unter der drögen Beziehung zu Anna zu leiden, so daß sich Trennungsgedanken bei ihm einstellen. Er ist nicht gerade der Typ ‚Frauenheld‘, den ersten Schritt, um sich von Anna zu lösen, versucht er im Bordell zu gehen. Beim Gehen bleibt es dort, zum Stehen kommt´s nicht an diesem Ort. Er, der Kunde will letztlich reden, sie, die Prostitierte, hat dagegen nur Lust auf´s F***. Verkehrte Welt.

Aber immerhin begegnet er auf seinem Streifzug einer Fee, die ihm bezaubert, die er – dem arrangierten Zufall sei´s gedankt – auch ein zweites Mal noch trifft, weil sie ihm nach dem ersten kurzen Blick, den er im Vorübergehen auf sie erhaschte, nicht aus dem Sinn ging. Ein etwas plumpe Anmache, zu der er aber steht, das Angebot, auch bei ihr zu zahlen für eine Stunde fleischlichen Zusammenseins, das die Fee schnell überzeugt: man kommt im Zimmer der Dame zusammen …. im Zimmer, weil die lesbische (aber sehr pragmatische und gefühlsmäßig eher untertemperierte, die dieses Arrangemant mit einem Mann mehr als physikalisches Problem ansieht) Fee, die Max Charlie nennen darf, in einer Wohngemeinschaft lebt.

Einer versifften Wohngemeinschaft zusammen mit Lilly, der jungen Frau, die irgendwo zwar studiert, die aber eher im Bistro beim Kellnern anzutreffen ist, mit Alex, der in dieser Gemeinschaft die Hausfrau gibt, mit Jonas, dem fünfzehnjährigen Bruder Lillys, der aber zwölf Jahre jünger ist als sie. Und mit Kakerlaken und ähnlichem Gesocks, das sich in dieser WG äußerst wohl und heimisch fühlt….

Hier, in dieser Wohnung, ist also der potentielle Ort, an dem sich alles zusammenfügen kann: Lilly, die Anna aus dem Bistro kennt und anhimmelt, Anna, der diese sie anhimmelnde Kellnerin ebenso aufgefallen ist, sowie Max, der sich nach seiner Trennung von Anna (die er zwar betrieben hat, die er aber nicht überwinden kann) hoffnungslos in Sue bzw. ‚Charlie‘ verliebt hat…. bevor es aber soweit kommt und von Meier in einer Art Showdown arrangiert wird, vergehen noch ein paar Monate, in denen den Figuren noch so einiges widerfahren soll. Anna beispielsweise traf in dieser Zeit auf den Schauspieler F., ‚dessen Schwanz optimal in ihrer Hand lag und den sie als hervorragendes Füllmaterial empfand‘, Max dagegen erlag einem psychischen Zusammenbruch, in dessen Folge er (von der Arbeit beurlaubt) zum ersten Mal auf einer großen Reise sein Leben geniessen konnte. Jonas, der spätgeborene Sohn von Lillys Eltern, seit Jahren vergeblich auf der Suche nach Liebe und leicht verhaltensgestört, findet unter der Betreuung von Alex, Lilly und (ja, ja) Max (der sich irgendwie in dieser WG heimisch fühlte) wieder in normale Bahnen zurück….


Modernes Leben ist es, welches uns die Autorin präsentiert. Für Anna, die Kreative, zeigt es sich ohne große Linien. Besteht es, so fragt sie sich, tatsächlich nur aus One-Night-Stands und Facebook-Posts, aus fünf Sekunden langen bewegten Bildern und Dreiminuten-Ausschnitten aus amerikanischen Talkshows.…. Lilly geht es keineswegs besser, wenn sie ihr Leben überdenkt: Sie hatte die eigene Unentschiedenheit und Unsicherheit angesichts von tausend Möglichkeiten in einem orientierungslosen Übereifer erstickt, sieht sich irgendwie als Mädchen ohne Zukunft. … und Max? Auch er ein Mensch, der an seinem Leben leidet…. Einzig der vorgeb- und anfänglich tatsächlich gestörte Jonas, der wieder in die Bahn zurückfindet: Ich lieb euch voll, aber ihr seid alle allein, unglücklich und habt kein Geld. Und das Haus hier stinkt immer. … redet er Klartext mit seinen WG-Mitbewohnern. Was tun dagegen? Zurück auf´s Land, Bauer werden, die Idylle im Grünen, die stallwarme Zukunft, … in der glückliche Jungtiere mit kleinen Kinder um die Wette scheissen….

Versagensängste, Angst vorm Alter, Verlustängste…. steh ich nun auf Männlein oder Weiblein? Es sind diese Fragen und Unsicherheiten, denen sich die Protagonisten von Fleisch ausgesetzt sehen. Der Suizid als letzte Ausstiegsmöglichkeit, nicht unbedingt erst, wann der Körper völlig unansehnlich geworden ist, sondern schon dann, wenn die Möglichkeiten, ein angenehmes Leben zu führen, geschwunden sind… Diese lebensfeindliche und -ängstliche Einstellung… Meier verpasst ihren Figuren Lebensläufe, die schon in der Kindheit ihre Brüche aufweisen: kaputte Elternhäuser,  mit überforderten, an ihren Kindern uninteressierte Eltern. Einzig die Eltern von Lilly und Jonas sind sich zugetan geblieben, doch die waren vom Nachzügler hoffnungslos überfordert. Nichtsdestotrotz scheinen sie ihm (Bauernhof, Tiere etc pp) einiges mitgegeben zu haben, das den Pubertierenden langfristig wieder gesunden läßt.

Die tragische Figur ist Max, der Begleitfreund. Ihm gönnt Meier kein Happy-End, er, den die Eltern wie ein schweres, liebloses Gewicht gehangen hatten, wird erst zum Schluss für sie interessant: er liefert ihnen das, was ihnen fehlt: ein Schicksal. Ein trauriges dazu.

… und dann war da noch das Zählen lernen mit Anna und Lilly: Der oberste stand offen. … oh, jetzt auch der zweitoberste! Und schon wieder einer. .. Vier Knöpfe standen nun offen, fünf, sechs. … Sieben Knöpfe standen nun offen. … Acht, neun. Kleid weg. Wow. Eine ganz liebe, gelungene, entzückende Szene.


Auf der letzten Umschlagseite wird nicht ohne Grund Doris Knecht mit ihrem Eindruck vom Buch (Ein sehr appetitliches Buch!) wiedergegeben, denn beim Lesen von Fleisch fühlt man sich an z.B. Gruber geht [2] von ihr erinnert: flott und respektlos geschrieben, oft szenisch und damit unterhaltsam-schnell zu lesen, bissig-schmissige Formulierungen und keine Scheu vor potentiell ekelhaften Szenen. Und zum Schluß hat hie wie da jeweils eine Sarah die Chance für ihr persönliches Glück. Mit ihrer Geschichte gelingt Meier damit das Portraits einer von Ängsten, Sehnsüchten und Verunsicherungen geplagten Generation, in der sich das Versagen der Elternhäuser fortgepflanzt hat. Aber Gottseidank ist da ja immer noch die Liebe als potentielles Allheilmittel….

Fleisch ist mithin, um es auf den Punkt zu bringen, eine kurzweilige, unterhaltsame und gut geschriebene Geschichte über modernes Leben und seine Klippen in unserer Gesellschaft. Sie ist zwar keineswegs seicht, aber doch ohne ausgeprägte analytische Tiefe und grüblerische Gedankenschwere, bestens geeignet also für einen entspannten und durchaus witzigen Lesespaß.

Links und Anmerkungen:

[1] siehe hier: https://keinundaber.ch/de/autoren-regal/simone-meier/ und hier: https://www.facebook.com/simone.meier.75
[2] Doris Knecht: Gruber geht, Besprechung hier im Blog

Simone Meier
Fleisch
Diese Ausgabe: Kein & Aber, HC, ca. 256 S., 2017

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

9 Kommentare zu „Simone Meier: Fleisch

    1. tja, das ist … schwierig. aber es gibt so viele titel, die einen spontan interessieren, da muss man nicht unbedingt einen lesen, bei dem man so seine bedenken hat…

      danke für das lob! :-)

      herzliche grüße und auch dir ein schönes wochenende!

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    1. Danke für die Blumen! :-)

      was die ironie angeht… nett formuliert, aber dieses ‚radiergummi‘ ist in wirklichkeit einfach nur dämlich. aber änder ´was dran! mir ist seinerzeit nix besseres eingefallen, es sollte ja auch schnell gehen und ich dachte nie, daß der blog überhaupt so alt wird…. ;-)

      grüße

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