Marie von Ebner-Eschenbach: Unsühnbar

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Am 12. März hatte die österreichische Autorin Marie von Ebner-Eschenbach ihren 100. Todestag. Sie starb mitten im 1. Weltkrieg, der noch zwei weitere Jahre Menschenleben verschlingen sollte, und an dessen Ende auch das Ende der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn stand, das sie nicht mehr erleben sollte. Marie von Ebner-Eschenbach [1] wird der literarischen Strömung des Realismus zugerechnet, obwohl selbst adelig geboren (als Freiin von (seit 1843 Gräfin) Dubsky) und verheiratet, hatte sie einen Blick für die sozialen Probleme des „gemeinen“ Volkes verbunden mit deutlicher Kritik am Adelsstand, was sich auch in diesem Roman Unsühnbar, der in einer gewohnt schönen Ausgabe der Manesse-Weltlitertur zu ihrem Todestag wieder aufgelegt worden ist, niederschlägt.


Die Handlung setzt ein mit dem Ende der Oper Fidelio, in der Beethoven die unbedingte, an Selbstaufopferung grenzende Liebe einer Frau zu ihrem Mann zum Thema macht. Die vermögenden und adeligen Besucher eilen nach Hause oder zu weiteren Veranstaltungen, verwenden keine Gedanken auf das eben Gesehene und Gehörte, einzig eine einfache Lehrerin schwelgte weiterhin im Nachgenuß der Wonne, die ihrem kunstverständigen Sinn eben geboten worden war – schon diese Einführung gibt die Richtung der Handlung wieder.

Unsühnbar ist die Geschichte der Gräfin Maria Wolfsberg, einer jungen Frau, einer Schönheit mit klassischem Profil. Sie lebt zusammen mit ihrem Vater und weiterem Personal, da die Mutter schon vor Jahren an Schwermut gestorben ist. Freundinnen sind ihr die Schwester des Vaters, mit der sie des Abends – die Oper ist gerade aus – in der Kutsche durch die Straßen fährt, als sie in der Menge der Straßenkehrer, die den Schnee zusammenschieben, ein impertinentes Gesicht erblickt, das sie frech anstarrt und der Kutsche nicht aus dem Weg geht. Desweiteren liebt die junge Gräfin Fürstin Alma von Tessin als ihre vertraute Freundin und – heimlich – deren Sohn Felix.

Vater Wolfsberg jedoch, ein gutaussehender, eloquenter Mann mit einer wichtigen Stellung in der Politik, mit vielen Bekannten, mit Verehrerinnen en masse, hat andere Pläne mit seiner Tochter. In einem für sie sehr schmerzhaften und desillusionierenden Gespräch galt es für ihn, bezüglich Tessin bei seiner Tochter mehr als einen flüchtigen Eindruck [zu] verwischen, es galt eine Empfindung [zu] entwurzeln, weh‘ thun. Ihm, Graf Wolfsberg, kam dagegen der Wunsch Graf Dornachs, Hermann Dornachs, der jungen Gräfin vorgestellt zu werden, zurecht, war dieser doch eine der begehrtesten Partien der Stadt, oder wie Wolfsberg es ausdrückte: O, wenn sie [i.e. die Papa’s und Mama’s] ihm die Töchter buchstäblich an den Kopf werfen könnten

Hermann Dornach hatte sein eigenes Schicksal, vaterlos war er unter strenger, ja, strengster Führung der Mutter aufgewachsen und unterschied sich von anderen jungen Männern seines Alters durch Ernsthaftigkeit und der Vermeidung dessen, was man unter Hörnerabstoßen zusammenfassen könnte. Und er war in der Tat hoffnungslos verliebt in Maria von Wolfsberg, die er auf einen Altar hebt, gebaut aus Makellosigkeit: er betet sie an.

Maria ist eine junge Frau, noch nicht gefestigt und stark genug. Zwar zerreisst es ihr das Herz, wenn wie geschehen, ein ehrgeiziger Diplomat, ein praktischer Mann gewünscht hatte, der Schwiegersohn des Grafen Wolfsberg zu werden, und die dazu unerläßlichen Schritte mit liebenswürdiger Formgewandtheit unternahm … Das Herz war jedoch bei dem Geschäfte nicht im Spiele – wäre auch nicht zu vergeben gewesen, es befand sich bereits in anderweitigem Besitz, doch beim Erwachen nach unruhiger Nacht bei beängstigenden Träumen fühlt sie die Liebe zu Tessin wie eine Illusion in sich zerplatzt »Es ist aus,« dachte sie, »ich hätte nicht geglaubt, daß man so schnell mit einem Gefühl fertig werden kann….

Letztlich nimmt Gräfin Maria Wolfsberg den Antrag ihres Verehrer an. Dieser ist in seiner Liebe zu Maria glücklich, auch wenn sie ihm eindeutig sagte, daß von ihrer Seite Liebe nicht im Spiele sei, er müsse ihr Zeit lassen und Vertrauen haben.

Auf Dornach empfängt das junge Paar eine lichte Umgebung, in der Maria mit ihrem offenen, teilnehmenden Wesen sehr schnell be- und geliebt wird. Ihr wie auch ihrem Mann, der sie weiterhin vergöttert, ist das Schicksal der einfachen Menschen nicht egal, damit unterscheiden sie sich von der älteren Generation, die vor allem durch Marias Vater repräsentiert wird, der vom Volk keine gute Meinung hat und einzig Strenge als Umgang mit ihm vorsieht. Langsam lernt Maria auch ihren Mann zu schätzen, mit Hermann wird den beiden blad ein strammer Junge geboren, der sich gut entwickelt…

… es könnte unbeschwert sein, das Leben auf Dornach, das von Hermann, dem Vater, umsichtig und gut geführt wird, wenn nicht…. Maria findet das alte, versteckt gehaltene Tagebuch ihrer verstorbenen Mutter und kommt hinter deren Geheimnis, hinter den Grund oder einen Anlass für ihre Schwermut… die eigene, ältere Freundin Alma hängt damit zusammen und auch bei ihren Vater erkennt sie, daß hinter der Fassade noch ein anderer Mensch verborgen ist.

Die dunklen Schatten, die dieses Tagebuch an die Wand wirft, werden real. Der Schneeschieber, Wolfi, der sich seinerzeit so frech in den Weg stellte, taucht auf Dornach auf, krank, blutspuckend und ihr, Maria, enthüllend, daß er ihr geheimer Bruder sei, den Graf Wolfsberg damals nicht als den seinen anerkannte. Und eines Tages überrumpelt Felix Tessin Maria mit Hilfe Wolfis, lauert ihr im Garten auf und halb zog er sie, halb sank sie hin, denn sie wollte sich ihm entziehen – sie wollte sich retten – und lag [doch] an seiner Brust, unwiderstehlich hingerissen wie von einer Naturgewalt. Zwei trunkene Menschen hatten kein Bewußtsein mehr von Ehre, Pflicht und Treue, ihnen versank die Welt und jegliches Erinnern. ..

Fortan pendelt das Leben Marias zwischen zwei Extremen: zwischen der Selbstzerfleischung durch die Vorwürfe, die sie sich macht, da sie diesen Betrug an ihrem Ehemann, den zu lieben sie immer mehr spürt, in keinster Weise vor sich rechtfertigen kann und zwischen einer ungeheuren Vergügungssucht, die – ausgelöst durch die neuen Nachbarn, mit denen sich die Dornachs gut verstehen – ihr Ablenkung ist von den Seelenqualen….

Die ‚trunkene‘ Auslöschung von ‚Ehre, Pflicht und Treue‘ bleibt nicht folgenlos. So wie Maria ihren Erstgeborenen liebt und ins Herz schloss, so vernachlässigt und geringschätzt sie den zart Geborenen, der für alle ausser ihr selbst der zweite Nachfolger der Dornachs ist: Erich, der jedoch allen anderen Menschen auf Dornach ans Herz wächst mit seiner Art.

Ein Sommertag, der voller Vergnügungen sein sollte, zerstört mit einen Schlag das Glück aller. Hermann, der forsche, kecke Knabe, läuft auf den Steg über dem Wildwasser und stürzt hinein… der Vater rast zum Bach und sucht den Sohn zu fassen… vergebens, alles vergebens, wie auch die Anstrengungen der Helfer….

Der einzige Mensch, den zu schonen Anlass war für Maria, ihre Versündigung nicht zu bekennen, tot… Maria schweigt nicht länger, bei der Eröffung des Testaments kommt es zum Eklat. Fast alle wenden sich wie in einem Reflex von ihr ab, der vorher noch geliebte Enkel Erich wird von einer Minute auf die andere zum weggestoßenen Bastard, einzig der Cousin Herrmanns mit seiner Frau sowie einige wenige Bekannte stehen weiterhin zu Maria. Nur widerwillig erlaubt selbst der Vater, Graf Wolfsberg seiner Tochter, wieder auf sein Gut zu ziehen.

Die glücklichen, hellen Tage in Dornach sind vorbei, Schloss Wolfsberg ist düster, vernachlässigt, bewohnt von missgünstigen, misstrauischen Menschen. Maria verzehrt sich hier weiter, vergebens sucht sie Sühne, Buße und Vergebung – vor sich selbst. Sie ist sich selbst eine unbarmherziger Richterin. Ihrer Mutter in ihrer Schwermut wird sie immer ähnlicher, einzig Erich, ihrem verbliebenen Sohn, gewinnt sie jetzt lieb, aber auch der Knabe versteht nicht, wieso sich die Welt so plötzlich geändert hat. Daß er unter dem Bekenntnis Marias zu leiden hatte, daß außer ihrem Mann noch jemand zu schonen gewesen wäre – sie hatte es nicht bedacht.

Sie stirbt, an gebrochenem Herzen, noch versöhnt mit dem Vater, kann den Sohn noch der Base anvertrauen. Ob ihr letzter Herzenswunsch jedoch erfüllt wird, nämlich neben dem geliebten Mann in der Gruft in Dornach ruhen zu können, bleibt offen…


Ebner-Eschenbachs recht kurzer Roman Unsühnbar ist 1890 erschienen, im Buch selbst tauchen im Zusammenhang mit dem Tagebuch der Mutter Marias zwei Jahreszahlen auf, nämlich 1850 und 1858, mithin ist die Handlung des Romans zeitlich wohl auf diese Spanne eingegrenzt. Er spielt in der privilegierten Schicht der damaligen k.u.k.-Geschellschaft, dem Adel. Das gemeine Volk kommt nur an wenigen Stellen vor in den damals üblichen Funktionen als Arbeiter und als Personal. Jedoch zeigen sich in der Einstellung des Adels zu diesen Menschen erste Risse. Ist zum Beispiel Graf Wolfsberg noch der festen Überzeugung, man müsse die Arbeiter und Bauern streng anpacken und in der Zucht halten, geht Maria schon andere Wege der Förderung und des Unterstützens. Herrmann, ihr Mann, unterstützt sie dabei, auch sein Umgang mit seinen Leuten ist freundlicher und verständnisvoller als der des Schwiegervaters, die Dornachs gehören einer neuen Generation an.

Auch wenn Graf Dornach als Gutsherr ein fähiger Verwalter seines Besitzes ist, so ist das Leben des Adels doch durch viele Vergnügungen geprägt, die Jagd beispielsweise, im Winter der aufkommende Trend zu Wintersport wie Schilaufen oder Schlittschuhfahren. Möglicherweise fährt man des Winters auch nach Wien, um dort gesellschaftlich präsent zu sein. Im Sommer sind es die Landpartien, Ausflüge mit Picknick, wilde Ritte über Stock und Stein, Gartenfeste… der Vergnügungen gibt es für diese Damen und Herren viele…

Ebner-Eschenbach schildert Dornach, den Wohnsitz von Maria und Hermann, in hellen, lichten Farben, er erscheint freundlich und lebenswert – Symbol der neuen Einstellung ihrer Besitzer. Der Sitz von Graf Wolfsberg dagegen, des Vater Marias, ist vernachlässigt, dunkel, unfreundlich und freudlos mit Personal und Arbeitern, die sich in dieser Vernachlässigung durch ihren „Herrn“ eingerichtet haben, die die Ankunft Marias keineswegs begrüßen, die ihr und Erich misstrauisch begegnen und zwar die Wohltaten Marias annehmen, sich aber dadurch nicht in ihrer Art ändern lassen. Ein Ort, der eher ein Purgatorium ist für Maria, die den lichten Ort Dornach floh, der andererseits aber auch als Symbol genommen werden kann für das, was passiert, wenn die herrschende Klasse sich nicht um ihre Leute kümmert.

Das ganz beherrschende Thema des Buches ist natürlich – der Titel gibt es schon vor – Maria und ihr Fehltritt, ihre Versündigung gegen ihren Mann und damit die Schuld, die sie auf sich geladen hat und die Sühne, die Buße, nach der ihre Seele verlangt.

Die Ehe mit Dornach wird Maria de facto aufgezwungen, nach Ansicht des Vaters werden sich Freundschaft und Hochschätzung für ihn allmählich zu Liebe und Begeisterung steigern. Die Tatsache, daß Maria ihr Herz schon vergeben hat an einen anderen, ist dagegen unerheblich, Hermann Dornach ist von seiner gesellschaftlichen Stellung her viel attraktiver, das Motiv der romantischen Liebe ist für den Vater ein Modell ohne Wert. Daß Graf Wolfsberg auch sehr private Gründe hat, eine Verbindung Marias mit Tessin zu verhindern, wird später erst ans Licht kommen.

Dieses verhängnisvolle Zusammentreffen, die Überrumpelung Marias durch Tessin Jahre später – wieviel davon ist Schuld, wieviel Schicksal? Jahrelang gärte das unterdrückte und nie ausgesprochene Gefühl für diesen Mann in ihrer Seele, durch seine Umarmung, sein Drängen fand es einmal eine Spalte, sich zu zeigen. Tragisch ist, daß Graf Wolfsberg tatsächlich Recht hatte mit seiner Meinung, daß sich im Lauf der Zeit die Freundschaft Marias zur ihrem Mann in Liebe wandeln würde und daß Maria mit diesem Gewissenskonflikt nicht umgehen konnte, zumal mit Erich ein Zeuge auf der Welt war, der sie täglich daran erinnerte und der eine immerwährende Lüge auf zwei Beinen war. Den Liebestaumel mit Tessin allein hätte sie wahrscheinlich (?) irgendwann verdrängen können, Erich, der Sohn Tessins, jedoch…..

Maria hält das Schweigen über ihre Schuld kaum aus. Nur notdürftig kann sie die Selbstvorwürfe durch Aktivitäten überdecken, mehr als einmal ist sie kurz davor, ihrem Mann alles zu gestehen. Aber das Wissen darum, was sie mit diesem Geständnis alles zerstören würde, hindert sie jedesmal. So edel es scheinen mag, und das ist die Frage, die Ebner-Eschenbach mit diesem Konflikt in den Raum stellt, so edel Wahrhaftigkeit scheinen mag, so vernichtend kann sie sein. Maria als Mutter und Frau erkennt dies und handelt danach, nur (leider?) nicht konsequent: sie denkt an ihren Mann und an dessen Schicksal, nicht jedoch an ihren zweiten Sohn, der unter der Wahrheit ebenso unverschuldet als Opfer zu leiden haben würde – und dann, als Maria endlich glaubte, sie könne bekennen und damit zur Sühne gelangen – tatsächlich schwer darunter leidet. Was sie in ihrer Selbstverurteilung und Selbstverdammung für sich selbst zu suchen scheint, endlich bekennen und büßen zu dürfen, bedeutet für ihren Sohn eine lebenslange Wendung seines Schicksals.

Worunter Maria leidet, ist auch die Diskrepanz zwischen ‚Sein und Schein‘. Sie selbst sieht sich als Sünderin, als Ehebrecherin, als Betrügerin und Lügnerin, wird aber von ihrer Umwelt, insbesondere von ihrem Mann Hermann, verehrt, als eine Art anbetungswürdige Göttin auf ein Podest gestellt, das sich für sie hohl anfühlt, für ihre Verehrer dagegen so ehern ist wie aus Erz: Wenn du gefehlt hast, hätte ein Engel gefehlt…. Und damit auch ohne die Möglichkeit, zu fehlen, Fehler und Sünden zuzugeben und ‚menschlich‘ zu werden.

Selbstverständlich entlarvt Ebner-Eschenbach in dieser dramatischen Eröffnungszene des Hermann´schen Testaments auch die Doppelmoral der Anwesenden. Es gibt für fast alle von ihnen den Moment des Erschreckens, des Unglaubens, der Erschütterung und stante pede erfolgen Verdammung und Vertreibung, nicht nur aus der Wohnstatt, sondern auch aus dem Stammbaum. Der Enkel, mit dem vor wenigen Minuten noch liebevoll gespielt wurde, ist entenkelt und (wie auch die Mutter) persona non grata, selbst der Vater duldet erst nach anfänglicher Ablehnung die Rückkehr der Tochter in sein Haus. Der Vater, der selbst zwei Gesichter hat, eins, das er der Öffentlichkeit präsentiert und eins, über das niemand spricht. Aber die damalige Gesellschaft war patriarchalisch, Quod licet Iovi, non licet bovi, ein Prinzip, das Maria verinnerlicht hatte von dem Augenblick an, als sie der Vernunftehe mit Hermann Dornach zustimmte.

In einem kurzen Absatz nur verweist Ebner-Eschenbach jedoch darauf, daß der Lauf der Welt sich ändert, allen Beharrungstendenzen der Familie zum Trotz. Maria, nach ihrer herbeigesehnten Bestrafung für den für sie selbst unsühnbaren Fehltritt, im verliessgleichen Schloss des Vaters ihrem Ende entgegenschwindend, wird in der Welt ausserhalb der Familie keineswegs Verdammnis zuteil: Aber siehe! […] Seltsamerweise hatte Maria die öffentliche Meinung gewonnen, durch die heroische Geringschätzung, die sie ihr bewies. Die große Welt verzieh, statt zu verdammen, sie tat ein Übriges – sie bewunderte. Tonangebende Damen erklärten, Gräfin Dornach werden stets in ihrem Haus willkommen sein. oder, wie eine Freundin aus alten Tagen es formuliert: .. kniend würde ich sie auf meiner Schwelle empfangen. 


Der Roman, über hundert Jahre alt, spiegelt in weiten Bereichen den literarischen Stil seiner Zeit, dies ist etwas, worauf man sich als Leser einlassen muss. Er ist, insbesondere nach dieser verhängnisvollen Begegnung Marias mit Tessin und sich steigernd noch nach der Geburt Erichs in der Schilderung ihrer Seelenqualen melodramatisch und pathetisch. Die Autoren verzichtet nicht auf  bängliches Händeringen, zitterndes Erbleichen und Zähneklappern, auf Herzensschaudern, Schicksalsverdammnis, flehentliches Entsühnungsgewimmer und schmerzliches Schmachten [… ihrer] an einem heimlichen Fehltritt laborierenden Heldin, so in ihrem Nachwort Sigrid Löffler. Weniger anstrengend wird der Schreibstil, wenn die Autorin sich der ’neuen‘ Zeit zuwendet, den befreundeten Ehepaaren im Nachbarschloss, der frische Wind , der durch die Gesellschaft zu wehen anfängt, spiegelt sich symbolisch auch in den Beschreibungen wieder. Auch damit spiegelt Ebner-Eschenbach wieder, daß sie einen gesellschaftlichen Wandel kommen sieht, im Verhältnis der Schichten zueinander sowie in der Stellung, dem Ansehen und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Ihre Protagonisten Maria sitzt auf der Nahtstelle zwischen dieser neuen Entwicklung und der alten Zeit: handelt sie im Verhältnis zu den ’niederen Ständen‘ progressiv und fortschrittlich, so hat sie für sich selbst das durch den Patriachalismus geprägte Frauenbild noch verinnerlicht.

Als Ausgabe in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur ist Unsühnbar ein – wie bei dieser Reihe zu erwarten – schönes Buch, das man gern in die Hand nimmt. Der Roman ist nicht allzu umfangreich, er bietet trotz des von Löffler festgestellten  ‚Entsühnungsgewimmers‘ einen erhellenden Rückblick auf die Epoche Ende des 19. Jahrhunderts, in der der Adel noch den Ton angab, in der Ebner-Eschenbach aber schon gesellschaftliche Veränderungen am Horizont ausmachte – zumindest aber deren Notwendigkeit und Unumgänglichkeit sah.

Auch wenn ich das Buch nicht für ein unbedingtes „Muss“ halte, so ist er doch eine sehr interessante Lektüre und es verdienstvoll, an diese große Erzählerin des 19. Jahrhunderts (mithin auch einer Frau, die sich aus den Zwängen des damals geltenden Frauenbild in gewisser Weise befreien konnte) mit dieser schönen Ausgabe ihres Romans zu erinnern.

Links und Anmerkungen:

[1] zur Autorin Marie von Ebner-Eschenbach:
– https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_von_Ebner-Eschenbach
– http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Biographien/Ebner-Eschenbach,_Marie_von
[
2] Text im ‚Projekt Gutenberg‘:  http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3918/1

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach:
Unsühnbar
mit einem Nachwort von Sigrid Löffler
Erstausgabe: 1890
diese Ausgabe: Manesse-Verlag (Bibliothek der Weltliteratur), HC, ca. 320 S., 2016

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

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