Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde in einer Aufnahme aus dem Jahr 1889, ein Jahr vor der Erstver- öffentlichung des Dorian Gray Bildquelle [1]
Oscar Wilde in einer Aufnahme aus dem Jahr 1889, ein Jahr vor der Erstver-
öffentlichung des Dorian Gray
Bildquelle [1]
„Das Bildnis des Dorian Gray“ ist das einzige Romanwerk des irischen Schriftstellers Oscar Wilde, der ansonsten eine Vielzahl von Theaterstücken und Gesellschaftskomödien verfasste [1]. Oscar Wilde war ein bekannter Schriftsteller, der seine Meinung sehr pointiert formulieren konnte, gut vorstellbar, daß er sich damit nicht nur Freunde schuf. Zwar verheiratet ging er auch mit seiner Homosexualität relativ offen um, wurde dann aber ab 1895 in gerichtliche Auseinandersetzungen um seine Neigung verstrickt. Unter anderen der vorliegende Roman wurde vor Gericht gegen ihn verwendet (obwohl dort an keiner Stelle eine direkte Aussage zu homosexuellen Kontexten gemacht wird), letztlich wurde Wilde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Entlassung war er krank und gesellschaftlich geächtet, er übersiedelte nach Frankreich, wo er verarmt 1900 starb. 1909 wurde er auf den Friedhof Père Lachaise umgebettet, nachdem seine Bestattung ursprünglich auf dem Friedhof von Bagneux stattgefunden hatte. Sein Leben dauerte nur kurz, von 1854 bis 1900.

Der Inhalt des Romans ist sehr ausführlich im entsprechenden Wiki-Artikel [2] wiedergegeben, deswegen beschränke ich mich hier mehr auf eine Übersichtsdarstellung der Handlung.

Im Atelier des Malers Basil Hallward ist Lord Henry zu Besuch, der Künstler arbeitet an einem Portraits eines wunderschönen jungen Mannes. Man diskutiert über Kunst und über dieses Gemälde, das für Basil eine besondere Bedeutung hat. Nach einiger Zeit kommt auch das Modell hinzu, ein auch in der Realität wunderschöner Jüngling, unbedarft und noch etwas naiv. Er ist wohlhabend, steht aber ob seiner Jugend noch unter Vormundschaft. Lord Henry ist von dem Jungen fasziniert und nimmt sich seiner an, was bedeutet, daß er ihm mit seinen Zynismen, seine Ansichten, Bonmots etc pp den Kopf verdreht. Er vertritt einen absoluten Hedonismus und ist der Ansicht, daß das Leben der Jungend und der Schönheit gehört…

Dorian, von derlei überzeugend und schmeichelnd geäußerten Meinungen verführt, wünscht sich daraufhin, daß doch an seiner Stelle das Bildnis altern möge und er, Dorian Gray immer so aussehen möge wie er jetzt aussieht, als junger, begehrenswerter, unschuldiger Mann.

Eines Tages berichtet Dorian seinen beiden Freunden, er habe sich unsterblich in eine wunderschöne, begabte, junge Schauspielerin eines zugegebenermaßen drittklassigen Theater verliebt, Sibyl Vane ihr Name. Er kann die zwei Freunde überreden, mit ihm das Theater zu besuchen, um seine Angebetete zu sehen, doch ausgerechnet an diesem Tag ist die von ihr dargebotene Schauspielkunst grottenschlecht, vertreibt das Publikum aus dem Saal. Dorian stürzt in die Sibyls Gaderobe und muss sich anhören, daß für diese, jetzt, nachdem sie sich so sehr in Dorian verliebt und sie so das richtige Leben kennen gelernt hat, die Schauspielkunst öd und leer geworden ist. Das wollte Dorian nur garnicht hören, malte er sich doch aus, in Sibyl Rosalinde, Miranda in den Händen zu halten, Portia oder Julia… wutentbrannt löst er die Verlobung und stürzt von dannen… an diesem Abend stellt er zu ersten Mal eine Veränderung an seinem Porträt fest, im Ausdruck seines Gesichts..

.. am nächsten Tag erfährt er von Lord Henry, daß sich Sibyl in der Nacht auf gräßliche Weise vergiftet hat. Er ist schockiert, aber nicht allzu lange und er erkennt für sich, daß dies der passende Abschluss einer griechischen Tragödie ist und es somit seine Richtigkeit hat. Danach geht er mit seinem Freund in den Club.

Viele Jahre später, Dorian Gray ist ehrenwertes und gerngesehenes Mitglied der englischen Oberklasse und wie diese frönt er den beliebten Beschäftigungen: Teegesellschaften, Abendgesellschaften, Mittagsgesellschaften, immer mit zynischen, ironischen Reden, mit Klatsch und Tratsch. Noch immer ist er äußerlich der schöne Jüngling geblieben, doch tief in seinem Innern ist er ein Getriebener, der sich in Verkleidungen und unter falschen Namen nächtelang in den dreckigsten Absteigen am Hafen herumtreibt. Lächelnd reißt er seine Mitmenschen ins Unglück, ohne darüber Gewissensbisse zu empfinden.

Eines Abends besucht ihn Basil, der Maler seines Portraits. Dorian kann nicht anders, nachdem Basil ihm eine moralische Standpauke gehalten hat, muss er ihm das Bild, das sorgfältig weggesperrt ist, zeigen. Mittlerweile blickt ein Satyr von der Leinwand auf den Betrachter… Basil ist ungläubig, er kann erst nicht fassen, was er sieht doch dann, als er es versteht, jagt ihm Dorian ein Messer in die Kehle und tötet ihn…. Dorian kann einen jungen Chemiker erpressen, die Leiche verschwinden zu lassen, niemand kommt ihm auf die Spur.

Es treibt ihn raus, in die verworfenen Ecken der Stadt, in die Opiumhöhlen, dort ist er bekannt, aber nicht beliebt.. und dort trifft er jetzt auf einen, der ihm einst Rache geschworen hat, den Bruder von Sibyl Vane. Doch – so viele Jahre sind seither vergangen und so jung wie er aussieht, kann Dorian des Verbrechens an Sibyl nicht schuldig sein… und so kann er wiederum entkommen. Aber ein Wahn nimmt von ihm Besitz, er vermeint dem Rächer, der inzwischen weiß, daß er ursprünglich recht hatte, überall zu sehen. Dorian wird unruhig, unstetig, flieht auch den Gesellschaften. Nur an dieser Jagd nimmt er teil, an der der Treiber erschossen wird, der kein Treiber war, sondern Sibyls Bruder…

…im Wahn will er das Bild zerstören, das immer mehr einer Fratze gleicht, sticht mit dem Messer in die Leinwand und stirbt, das Messer in der Brust, das Gesicht eine Fratze, nur am Schmuck noch erkennen ihn die Diener, als sie ihn zu Füßen seines wunderschönen Jugendporträts finden…

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„Das Bildnis des Dorian Gray“ habe ich mir nicht „freiwillig“ als Lektüre ausgesucht, es war vielmehr ein Titel, den die Teilnehmer meines Lesekreises lesen wollten. Ich habe mich auch ein wenig schwer getan, musste zweimal anfangen, bis ich so langsam in die Geschichte hineinfand – aber dann, auch das muss ich zugeben, gewann sie und wurde gegen Ende sogar spannend.

Wilde führt uns (für ihn war es Gegenwart) zurück in die Gesellschaftsschicht der englischen Oberklasse, die ihren Tag dem Müßiggang, dem Nichtstun, dem Vergnügen widmen. Ein hervorragendes Mitglied dieses Kreises ist Lord Henry, genannt Harry, der sich des jungen, wunderschönen, noch ungeformten Dorian Gray „annimmt“, um ihn nach seinen Vorstellungen zu formen. Und Dorian geht nicht explizit, aber sehr aufnahmewillig und lernbereit auf diesen faustischen Akt ein: Harry wird sein Vorbild und mystisch erfüllt sich die Bitte des jungen Mannes, nie zu altern, sondern die Spuren der Jahre und der Schlechtigkeit in das Porträt zu schreiben. Platt formuliert heißt das Motto seines Lebens also: aussen hui, innen pfui, denn das Gemälde steht für die Seele des jungen Mannes, die fortan versteckt wird vor allen anderen, denn Dorian bringt das Bild auf den Speicher des Hauses, einen Raum, zu dem nur er einen Schlüssel hat, den Raum, der ihm zu seiner Zeit als unschuldiges Kind als Kinderzimmer diente. Jeder der Zugang zu diesem Raum bekam, mussste sterben, letztlich sogar Dorian Gray selbst, die böse Macht der schlechten Seele hat die Macht übernommen.

Das Bild hat die Macht. Weil es alles Negative in sich aufnimmt und die Person Dorian Gray nach aussen hin vor allen Konsequenzen seines Handelns bewahrt. Einem so schönen Menschen traut man einfach nichts schlechtes zu. Stellvertretend dafür auch sein Entkommen dem Racheversuch von Sibyls Bruder: viel zu jung das Gesicht, als daß sein Träger vor fast 20 Jahren eine junge Frau in den Tod hätte treiben können… andererseits beherrscht das Bild die Gedanken Dorians. Es ist zwar versteckt im unzugänglichsten Teil des Hauses, aber er selbst weiß darum, er spürt in lichten Momenten den Einfluss, den das Bild auf ihn ausübt. Und er muss schlecht sein, glaubt man den Gerüchten, von denen erzählt wird.. wie viele junge Männer, Männer überhaupt hat er in den Abgrund gerissen, ohne Gewissensbisse, ohne Reue….

Dorian hat, ohne dies aktiv gewollt zu haben, einen faustischen Pakt abgeschlossen. Er hat sich einem mephistophelischen Mentor ausgeliefert, der ihn und seine Seele für seine Versuche missbraucht, auszutesten, wie formbar dieser Mensch ist. Das Vergnügen, die Lust am Leben, die Schönheit und die Jugend: das sind die Eckpfeiler, auf denen sich lohnendes Leben stützt, alles hat diesen Künsten und Eigenschaften zu dienen…. und jedes Opfer, das gebracht werden muss, um sie zu erreichen, ist es wert….

So ist der Dorian Gray vieles: eine psychologische Studie zu den Folgen, die ein bedingungsloser Hedonismus nach sich zieht, er ist aber auch eine bitter-zynische Darstellung der parasitären Existenzform des (britischen) Adels, der sich im wesentlichen um sich selbst und sein Vergnügen dreht. Hat man sich erst einmal in den heutzutage etwas antiquiert anmutenden Schreibstil der alten Sander-Übersetzung eingelesen, macht auch das Spaß: die vielen Dialoge, in denen die Aphorismen und sarkastischen Bemerkungen hin- und herfliegen, die vielen Sprüche Lord Henrys, die unseren Anschauungen zu diametral entgegenstehen.. das hat Esprit, ist flott und spritzig…

Natürlich hat solch ein dichter Roman noch vieles andere, über das man sprechen könnte: die Anmerkungen zum Wesen der Kunst (Wilde stellt dem Roman in einer „Vorrede“ eine Sammlung von Sprüchen voraus. Einer der bekannten, Bücher betreffend, daraus ist: Es gibt weder moralischen noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut geschrieben oder sie sind schlecht geschrieben. Das ist alles.). Die mannigfaltigen Bezüge zur Antike, als Beispiel das Motiv der Selbstverliebtheit eines Narziss…

.. und so kann ich für mich sagen, daß es sich dann erstaunlicherweise doch gelohnt hat, am Ball zu bleiben und den Roman zu lesen. Der ja wohl in England immer noch ein beliebter Lesestoff ist.

Links und Anmerkungen:

[1] Wiki-Beitrag zu Oscar Wilde
[2] Wiki-Beitrag zum Roman „Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde
Das Bildnis des Dorian Gray
aus dem Englischen übersetzt von Ernst Sander
Originalausgabe: Philadelphia 1890 (Erstfassung) bzw. London 1891 (Buchveröffentlichung)
diese Ausgabe: Weltbild-Verlag, HC, mit Nachwort, Zeittafel und bibliographischen Hinweisen, ca. 380 S., 2009

6 Kommentare zu „Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray

    1. ich muss und will mich bedanken für dein lob! und für die tatsache, daß für dich (wie auch für mich) der blog maskulin ist, wir sind dann doch die kleine maskuline minderheit…. ;-)
      vielen dank für deinen besuch, sei herzlich eingeladen zu stöbern!
      lg
      fs

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  1. Eine tolle Geschichte. Ich habe sie vor einigen Jahren in einem virtuellen Leseprojekt gelesen und natürlich haben mir persönlich die vielfältigen mythologischen Anspielungen am besten gefallen. Es lohnt sich wirklich diesen Klassiker zu lesen.

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    1. Ja, man merkt, daß Wilde ein sehr belesener, hervorragend ausgebildeter Schriftsteller war… manchmal ist das Werk zwar etwas langatmig, aber es gibt hinreissende Passagen voller Witz und Ironie, ohne daß auch nur andeutungsweise an Niveau eingebüsst wird…

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