Hans Frankenthal: Verweigerte Rückkehr

In der Buchabteilung des Besucherempfangs in der Gedenkstätte Buchenwald bin ich auf diese Büchlein von Frankenthal gestoßen. Er beschreibt nicht nur die Zeit nach der Machtergreifung Hitler und die immer stärker werdenden Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung, sondern widmet sich im zweiten Teil seines Buches besonders der Zeit nach dem Krieg. Das Außergewöhnliche der Brüder Hans und Ernst Frankenthal, die das Vernichtungslager Auschwitz überlebten, war es nämlich, dem Wort ihres Vaters eingedenk direkt wieder in ihren alten Heimatort Schmallenberg im Sauerland zurückzukehren.

Es ist ein sehr eindringliches, ein sehr persönliches Buch, das Frankenthal hier geschrieben hat. Es zeigt jüdisches Leben in Deutschland, es beschreibt seine Zerstörung und es macht deutlich, daß diese angestrebte Vernichtung aller Juden nicht Sache von einigen wenigen war, während die Bevölkerung von nichts ahnte.

Frankenthal schildert zum Anfang das ganz normale Leben seiner Familie, die eine von 11 jüdischen im Ort war. Der Vater war ein angesehener Viehhändler in der Region, der Onkel führte eine Metzgerei, die gesamte Familie im sozialen und wirtschaftlichen Leben Schmallenbergs voll integriert. Ab April 1933 jedoch wurden die Deutschen aufgefordert, sich zu wehren und nicht mehr bei Juden zu kaufen. Noch nahm man dies eher als Ärgernis auf denn als ernsthafte Bedrohung der eigenen Existenz, die Repressionen wurden jedoch im stärker angezogen. Bald musste der Handel mit Vieh im heimlichen stattfinden, die Kinder wurden von Sportfesten ausgeschlossen, sie durften nicht mehr ins Schwimmbad und auch den Schulfreunden wurde verboten, mit den Judenkindern zu spielen. 1937 gab es die ersten Verhaftungen. Noch kam der Vater nach einigem Tagen zurück, gezeichnet von der Haft, die so schlimm gewesen sein muss, daß er zu Hause über alles schwieg. „Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann gehts noch mal so gut!“ [S. 29] Mit diesem Lied zog eine Menschenmenge (wohl dieselben, die nach dem Krieg von nichts gewusst haben …) durch die Straße der Frankenthals.

Der Schulbesuch der Kinder wird verboten, die jüdischen Kinder werden auf einige wenige Anstalten konzentriert, gleiches nachher bei der Berufsausbildung, die immer stärker eingeschränkt wird. Arbeitsdienst weit weg von zu Hause ist angesagt, unter härtesten Bedingungen, bei unzureichender Versorgung.

Im März 1943 wird die Familie Frankenthal, eine von Hunderten Familien, von Dortmund aus deportiert. Im Viehwaggon ohne Verpflegung, ohne Toilette, zusammengepfercht bringt der Zug die Menschen nach Auschwitz.

Dort müssen die Ankommenden durch die Selektion, Familien werden auseinandergerissen und sehen sich nie wieder. Ernst und Hans Frankenthal überleben die erste Zeit in Auschwitz aufgrund ihrer Jugend und auch ihres Mutes, sie finden auch (Funktions)Häftlinge, die sie beschützen. Aber beschützen in Auschwitz ist ein relativer Begriff….. Nach acht Wochen Aufenthalt im Lager zählen sie zu den alten Insassen, die meisten überleben einen solch „langen“ Zeitraum nicht.

Beide Brüder überleben die Lagerzeit und wollen das Versprechen, das sie ihrem Vater gaben, erfüllen. Sie kehren nach der Befreiung direkt nach Schmallenberg, in ihren Heimatort zurück. Diese Rückkehr und die Zeit nach dem Ende des Krieges ist Inhalt des zweiten Buchteils.

Natürlich hat niemand auch nur irgendwas gewusst. Daß jüdisches Eigentum unter den Nazis arisiert wurde, war reines Samaritertum den Juden gegenüber. Zurückgeben, na ja, das ist natürlich eine andere Sache, schließlich hatte man ja die Unterschriften der (zum unterschreiben gezwungenen) jüdischen Vorbesitzern unter den Verträgen. Bald saßen trotz Entnazifizierung wieder viele Funktionsträger auf den selben Posten wie anno dazumal, mit reinem Gewissen. Schmallenberg (und woanders wird es nicht anders gewesen sein) und Judenverfolgung? Nein, darüber gab es keine Unterlagen. Bis man sie dann doch irgendwann fand…..

Frankenthal schildert seine Erfahrungen und Erinnerungen sehr eindringlich, er nennt Ross und Reiter beim Namen. Er ist zornig, wütend, kann diese kollektive Amnesie um sich herum nicht akzeptieren. Es dauert lange, bis er die gesundheitlichen Folgen des Lagers soweit überwunden hat, daß er zumindest wieder ein Leben führen kann. Er eckt an, klagt an, man glaubt ihm nicht. Aber es gelingt ihm auch, sich wieder im Ort niederzulassen, er nimmt wieder am Ortsgeschehen teil.

Dann setzt auch bei ihm der Mechanismus ein, den die Täter so intensiv aktivieren: die Verdrängung. Jahrelang wird das Thema der Judenverfolgung und des Holocausts verdrängt, bis es dann irgendwann nicht mehr zu verdrängen ist. Die Auschwitz-Prozess in Frankfurt ist das Ereignis, daß dieses Thema zum ersten Mal nach dem Krieg mit Macht wieder zurück ins Bewusstsein der Menschen gebracht hat. Fragen tauchten auf: was habt ihr damals gemacht, was habt ihr gewusst? Erklärungen wurden gefordert… Die Zeit war reif geworden, sich mit dem Holocaust zu befassen.

Links:

über Hans Frankenthal
dto, aus der englischsprachigen Wiki
Wiki-Seite zum KL Auschwitz-Birkenau
Bild der Gedenkstätte am Standort der alten Synagoge in Schmallenberg

Facit: ein sehr eindringliches und erschütterndes Buch. Durch die Einteilung in kleine Kapitel sehr gut lesbar.

Hans Frankenthal
Verweigerte Rückkehr
Fischer, Frankfurt, 2002, Tb, 187 S.
ISBN-10: 3596144930
ISBN-13: 978-3596144938

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