Pierre Loti: Islandfischer

Dieser Roman hat ein Thema, ein einziges, um das sich die Schicksale aller anderen reihen: das Meer… jenes um Paimpol an der Nordküste der Bretagne und jenes vor Island, zu dem jedes Jahr eine Flotte von Fischerbooten ausläuft, um dort den Dorsch zu fangen. Wir tauchen ein in eine Zeit, die vor über Hundert Jahren liegt, noch weit entfernt von Fangflotten und modernen Fischereibooten, von Echoloten und Radar, mit dem die Fischschwärme ausgemacht und verfolgt werden.

Es ist eine harte Arbeit, Handarbeit alles. Die Fische werden geangelt von den Männern, Stunde um Stunde stehen sie an der Bordwand, werfen die Angel aus und holen die Fische ein, schmeissen sie hinter sich, wo andere Fischer stehen, die sie töten und ausnehmen und salzen. Stunde um Stunde, im Nebel wie im Schein der nicht untergehenden Sonne, im Regen, in der Gischt, im Sturm wie in der Windstille. Es ist eine mythische Landschaft, nein, Seeschaft dort oben vor Island.. das Meer und der Himmel, das Wasser und die Wolken, die Sonne mit ihrem Licht verbinden sich zu einer Einheit, die die Grenzen aufhebt. Nicht zu unterscheiden ist der Himmel vom Meer schauen die Fischer auf den Horizont, der nicht mehr zu erkennen ist, nur zu erahnen unterhalb der Sonne, die kaum noch darüber steigt, ihn manchmal berührt und aber für lange Wochen nie unter ihn sinkt. So verschwimmt in einer ewigen Dämmerung das Nahe mit dem Fernen und die Männer auf ihren Nussschalen sind den Gewalten ausgeliefert und alle Gewalt geht vom Meer aus…. das Meer ist es, das sie umtost mit seiner Gischt, das sie nässt mit seinem Regen und peitscht mit den Winden, das Meer nährt sie, es ist das große blaue Nichts ebenso wie das große Grab, wenn es sich den Fischer zur Hochzeit holt……

Loti erzählt und die Geschichte von Yann und Gaud. Yann ist ein junger Mann gewachsen wie ein Bär, er ist einer der besten Fischer Paimpols an der bretonischen Küste, von wo die Schiffe jeden Sommer auslaufen. Zwar kennt er die Frauen, er geniesst sie in den Häfen, in denen er landet und auch zu Hause. Doch verspricht er sich keiner, sein Versprechen zur Hochzeit hat er dem Meer gegeben, das er mit jeder Faser seines Seins liebt. Zusammen mit seinem Schwager Sylvestre, fast einem Jungen noch, befischt er das Meer vor Island. Doch zu Hause, als die Saison beendet ist und die Fischer wieder in der Heimat eintreffen, in der die Familien, die Eltern, die Bräute, die Kinder.. die Frauen auf sie warten, sehnsüchtig auf sie warten, trifft er Gaud, die junge Frau, die lange in der Stadt gelebt hat und jetzt wieder zurückgekehrt ist und er versteht sich mit ihr, den ganzen Abend und die Nacht tanzen die beiden zusammen, erhitzen sich und ihre Seelen berühren sich. Aber in dem gleichen Masse, wie sich Gaud danach sehnt, Yann wiederzusehen meidet dieser sie nach diesem Abend, der alles versprach, die Schranke zwischen ihm, dem armen Fischer und ihr, der sie in der Stadt gelebt hat und man ihr und ihrem Äußeren das Bessersein ansieht, deucht ihm zu groß in seiner Einbildung und Sturheit. So geht er Gaud aus dem Weg und für sie schickt es sich nicht, ihn anzusprechen, ihn aufzusuchen, obschon sie dies versucht mit Vorwänden, um den Schein zu wahren….

Es ist eine Liebe, die langsam wie eine Kerze zu ihrem Ende brennt, keine Wärme mehr empfindet, wenn man dem anderen ansichtig wird, vermeintlich. Denn dann ändert sich auf einmal alles und eines Tages steht Yann in ihrer ärmlichen Hütte und fragt sie die Frage, die zu hören sie aufgegeben hatte…. wenige Tage nur bleiben den Liebenden, Yann muss wieder aufbrechen zu seiner anderen Geliebten, der, der er schon vor langer Zeit die Hochzeit versprochen hatte und es ist eine wütende Geliebte, eine, die nicht verzeiht, die sich holt, was ihr versprochen war….

Der ehemalige Marineoffizier Loti hat mit diesem Roman ein sehr eindrucksvolles Bild einer mittlerweile vergangenen Zeit geschaffen. Es muss eine unheimlich harte Arbeit gewesen sein, das Fischen im kalten, eisigen Nordmeer vor Island, getrennt von den Familien und den Lieben daheim, die monatelang warten mussten auf die Rückkehr. Selten nur war die Möglichkeit gegeben, sich Briefe zu schreiben, die Postzustellung über Militärschiffe naturgemäß unregelmäßig. Die Sorge der Frauen und Kinder um ihre Männer und Väter, immer blieben welche zurück, entweder im großen blauen Grab oder auf einsamen Grabstätten an der Küste. Das Meer beherrscht alles und jeden, auch die Küste, diesen Zipfel Land in Frankreich, der am südlichen Ausgang des Kanals hineinragt, schmal und den Gewalten ausgeliefert. Die Boten des Meeres, Wind und Regen, prägen die Landschaft, die Küste. Grau und gebückt die Häuser, niedrig die Dächer, nass die Böden, wenn das meergeborene Wasser durch den Regen auf sie herniederplatschen… Büsche wachsen, windgebeugt wie die Bäume, die den Schutz der Nischen brauchen, der Gräben, um schütter zu gedeihen…

So ist das Leben in dieser Epoche zweigeteilt: eine Zeit des Wartens auf die Rückkehr der Fischer mit einem hoffentlich guten Fang, der die Familie ernähren kann und eine Zeit, in der alles andere, was zum Leben gehört, stattfinden kann und muss… es ist die Zeit der Feste, des Feiern, der Hochzeiten und der Nächte, in denen Männer und Frauen zusammenkommen. Sie können feiern, sie müssen es können, denn sie wissen um das Sterben, den Tod, die grausame Geliebte, denen sich die Fischer im Sommer wieder ausliefern… ihnen bleibt nur die Zwischenzeit, ihr eigenes Recht einzufordern..

Der Roman enthält wunderbare Beschreibungen vor allem des Meeres, der Stimmungen, die durch das kalte Licht der Sonne im Norden hervorgerufen werden, durch den Nebel, die Auflösung des Horizonts, die alles verschwimmen und ineinander übergehen läßt und im Betrachter (und Leser) ein Gefühl des Ausgeliefertseins, aber auch des Eingehülltseins in eine höhere Macht hervorruft. Etwas unbekannte, mythisches geht vom Meer aus und vom Himmel, etwas, was stärker ist als der Mensch, ein Gefühl, das an etwas seit Urzeiten tief in uns Verborgenes rührt… beim Lesen musste ich öfter an Pinol denken, der bei mir mit seinem Roman „Im Rausch der Stille“ ein ähnliches Gefühl der Unheimlichkeit hervorgerufen hatte….

„Islandfischer“ ist ein poetisches Denkmal einer vergangenen Zeit, das die sehr entbehrungsreiche, harte Realitität des Lebens der Fischerfamilien in der Bretagne mit einer Art höherer Wirklichkeit, mythischer Verklärung überdeckt. Kann man sich aus dieser Stimmung, die Loti so trefflich hervorzurufen imstande ist, lösen, schaudert einen vor dem Alltagsleben dieser armen Leute: feuchte, kalte Hütten, in denen der Regen den gestampften Boden nässt, in denen große Familien wohnen, leben müssen auf engstem Raum, die Frauen lange Zeit im Jahr allein auf sich gestellt und mit der Sorge um ihren Mann…..

Links:

Die Islandfischer von Paimpol
noch einige Bilder aus Paimpol
– Wiki-Artikel zum modernen Paimpol
– eine schöne Besprechung im Deutschland-Radio kultur, die das Büchlein auch literaturhistorisch einordnet

Pierre Loti
Islandfischer
übersetzt von Dirk Hemjeoltmanns und Otfried Schulze
Erstveröffentlichung Paris, 1886
hier besprochen die dtv-Ausgabe 2011, 220 S.
mit einem Nachwort von Susanne und Michael Farin

8 Kommentare zu „Pierre Loti: Islandfischer

  1. Die Jahre vergehen, weitere Leser kommen …
    Flattersatz, ich habe das Buch auch als wahren Schatz empfunden. Eine sprachliche Woge, ich bin eingetaucht und wollte gar nicht mehr auftauchen …

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    1. es gibt bücher, die nicht altern, dies ist sicher eins davon! es ist schön, daß wir das buch beide so schätzen. ein schönes bild von dir am strand übrigens, mit dem buch in der hand und den augen im buch….
      lg

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