Johannes von Tepl: Der Ackermann

„Ist sie mir leiplichen tot, in meyner gedechtnüß lept sie mir doch ymmer“ (23,27f)

Johannes von Tepl (1350 – 1414), ein gebildeter Verwaltungsbeamter im Böhmen, verfasste um 1400 dieses Streitgespräch zwischen dem „Ackermann“ [1] und dem in Person auftretendem Tod. Es ist nicht auf das reales Erlebnis eines persönlich erlebten Trauerfalls zurückzuführen, sondern stellt ein gelehrtes Werk dar, das unter der Verwendung vieler älterer Quellen entstanden ist. Gekommen bin ich auf dieses Werk im Nachgang zu dem Mysterienspiel der Virginschola, ein Bekannter zeigte mir das Büchlein und da ich mich ja prinzipiell auch für den Themenkreis rund um Tod und Trauer interessiere, habe ich nicht lange gezögert.

Es ist ein Streitgespräch zwischen den beiden, insgesamt sind es 34 Kapitel, die ungeraden werden vom Ackermann, die geraden vom Tod bestritten. Es erinnert an eine Art Gerichtsverhandlung, in der jeweils in Rede und Gegenrede Argumente und Positionen dargelegt werden. Um den Inhalt und das Werk zu deuten, müsste man natürlich Mediävist und sich auch mit den antiken Quellen auskennen, was auf mich nicht zutrifft. Einiges ist den Erläuterungen, die im Reclam-Heftchen abgedruckt sind, zu entnehmen, aber das gibt auch nur einen ersten Einblick.

Trotzdem ist das schon ein sehr interessantes Werk. Die Rollen sind – kaum überraschend – verteilt. Ackermann ist der Trauernde, er hat seine Frau, die nicht irgendeine Frau war, sondern in seiner Beschreibung die beste aller möglichen, viel zu früh, in der Blüte ihrer Jahre durch den Tod verloren. Er rast vor Zorn, er überschüttet ihn mit Vorwürfen, die Erinnung übermannt ihn, er kann keinen Sinn in ihrem Tod erkennen.

Der Tod hingegen ist von der Sinnhaftigkeit seines Tuns, welches ihm von Gott aufgetragen, überzeugt, er begegnet dem Zorn des Ackermanns mit einer gewissen Arroganz, mit Überlegenheit und auch teilweise mit Zynismus. Erstaunlich ist die Argumentation des Todes, die nicht auf eine moralischen oder theologischen Hintergrund wie Buße oder Sünde abzielt, sondern fast schon neuzeitlich logisch wirkt:

„Hätten wir seit des ersten lehmgebatzten Mannes Zeit die Vermehrung und Ausbreitung des Menschen auf der Erde, der Tiere und des Kriechzeugs in der Wüste und im Unterholz, der Schuppentieren und schlüpfrigen Fische im Wasser nicht ausgemerzt, vor kleinen Mücken könnte sich jetzt niemand retten, vor Wölfen wagte sich niemand hinaus. Auffressen würde ein Menschenkind das andere, ein Tier das andere, ein jeder belebte Körper den anderen, denn an Nahrung würde es ihnen gebrechen, die Erde würde ihnen zu eng.“ (8,6f)

Der Disput zwischen den beiden entwickelt sich im Lauf der Kapitel. Der anfängliche Zorn des Ackermanns legt sich, er stellt sich und dem Tod die Frage nach dem Warum, dem warum ein Mensch in der Blüte seiner Jahre, der auf der Erde (noch) so viel Gutes hätte tun können, abberufen wird von Tod und nicht die Alten zu nichts mehr tauglichen. Der Tod kann diese Anwürfe erwidern, diese Erwiderungen klingen zum Teil (für unsere Ohren) zynisch. Es sei besser im blühenden Leben mit ihm zu gehen als im Alter siech und häßlich zu werden, auch käme man schließlich in den Himmel. Auch hier ein recht unverbrämter Blick auf die Realität:

„So schnell ein Menschenkind ins Leben kommt, so schnell ist es alt genug zu sterben. Du glaubst vielleicht, das Alter sei ein kostbarer Schatz? Mitnichten! Es ist kränkliche Mühsal, häßliches Frösteln, allen Leuten unangenehm. (20,25)“

Was soll er nur tun, jetzt, ohne seine geliebte Frau? Ackermann fragt den Tod, aber dieser kann ihm kaum Rat geben, den er annehmen kann:

„Ratet, helft und zeigt den Weg, wie ich ein so schweres Leid vom Herzen entfernen köönnte und meinen Kindern eine so reine Mutter zu ersetzen wäre; sonst muss ich immer mißmutig und mmüssen sie immer traurig bleiben. (21,18)““Sobald Du etwas verloren hast und es nicht wiedergewinnen kannst, tu, als sei es Dir nie zuteil geworden, dahin fliegt im Handumdrehen deine Trauer. Willst du das nicht tun, so hast du manches Unglück vor dir. „(22,32)

Ein Ratschlag, den Ackermann gerade nicht befolgen will:

„Soll ich mir die Erinnerung an meine Allerliebste nun aus dem Sinn schlagen, schlechte Erinnerungen würden mir in den Sinn zurückkommen. Um so eher will ich meiner Allerliebsten ständig gedenken. Wenn große Liebe in großen Kummer verwandelt wird, wer mag da schnell vergessen? Schlechte Leute tun das. … Ist mir ihr Körper auch tot, in meiner Erinnerung lebt sie mir doch immer. (23, 20f)

Der Disput zwischen den beiden Kontrahenten löst sich mit diesen Argumenten vom konkreten Verlust des Ackermanns und befasst sich mit anderen Fragen im Umkreis von Tod, Leben und Ehe.

Im vorletzten Kapitel dann wird eine Art Urteil gesprochen, Gott selbst tut dies. Es ist ein weises Urteil, das beiden Parteien Recht gibt:

„Jenen zwingt das Leid zu klagen, diesen der Angriff des Klägers, die Weisheit auszusprechen. Darum gebührt dir, Kläger, die Ehre, Dir, Tod, der Sieg! Jeder Mensch ist verpflichtet, dem Tod das Leben, den Leib der Erde, die Seele uns zu verantworten.“

womit die göttliche Ordnung wiederhergestellt ist.

Wenn man die Entwicklung des Ackermanns sieht, von seinem rasenden Zorn, der unbändigen Wut der ersten Kapiteln,  mit der er den Tod schmäht hin über die „Warum-gerade-sie“-Frage bis hin zu dem Gedächtnis, das er seiner geliebten Frau auf ewig im Gedächtnis bewahren will, so ist auch hier die genaue Beobachtung, die sich darin spiegelt erstaunlich. Es fällt leicht, in diesen Entwicklungsschritten Phasen eines Trauerweges zu erkennen, wie sie in der heutigen Fachliteratur oftmals angegeben werden, am bekanntesten vielleicht nach Verena Kast: das nicht wahrhaben wollen (warum sie?), die aufbrechenden Emotionen (Zorn, Wut), die Suche nach neuen Möglichkeiten, sich im Leben einzurichten (was soll ich jetzt machen, ist dies oder jenes anzuraten) bis hin zum neuen Selbst- und Weltbezug (ich werde sie im Gedächtnis bewahren).

Und natürlich findet man im Ackermann auch ein erstaunliches Bild einer Ehe, die auf Liebe gegründet ist, im Mittelalter eher die Ausnahme [4]. Dazu schreibe ich jetzt aber nichts, wenn es jemanden interessiert, kann er ja in der angegebenen Quelle nachschauen…

Zum Abschluss noch der Hinweis, daß auch das Lesen (der vielmehr der Versuch) des Frühneuhochdeutschen Textes eine recht interessante Sache ist. Wenn man sich etwas eingelesen hat, versteht man ihn tatsächlich zum großen Teil und man erkennt auch, wie sich das Deutsch weiterentwickelt hat. Und manches ist geblieben… als ich den Spruch gelesen haben (ich habe mir leider die Textstelle nicht markiert), musste ich lachen. Es gibt halt elementare Wahrheiten, die die Jahrhunderte überdauern:

Hin ist hin. auch schon im Frühneuhochdeutschen.

Facit: ein sehr interessanter Ausflug in eine frühe Welt, die vom Inhalt her garnicht so weit weg ist….

Links und Anmerkungen:

[1] Ackermann stellt sich selbst so vor: „Ich werde Ackermann genannt, vom Vogelkleid ist mein Pflug.“ Ackermann ist also kein Bauer, der Pflug vom Vogelkleid ist die Feder, mit der schreibt. Auch im Begleitschreiben, mit dem er die Schrift einem alten Freund schickt, ist vom „Acker der Rhetorik“ die Rede, in dem er mit dieser „ungelenken Sprache“, dem Deutschen, arbeitet. Im Widerspruch zu dieser Selbstvorstellung stehen aber interessanterweise die Holzschnitte, in denen der Ackermann mit Dreschflegel oder Hacke, also landwirtschaftlichem Geräten, dargestellt wird.

[2] Wiki-Artikel zum „Ackermann
[3] Digitalisierte Handschrift aus dem Bestand der Uni Heidelberg
[4] zum Ehebild im „Ackermann“

Johannes von Tepl
Der Ackermann
Reclam Tb, 180 S.,
erschienen um ca. 1400

5 Kommentare zu „Johannes von Tepl: Der Ackermann

  1. Ein sehr guter Artikel. Ich durfte das Buch als Schullektüre lesen und war auf der Suche nach Inhaltsangaben, die mir die Zusammenfassung vielleicht leichter machen würden. Dein Text ist eine sehr gute Orientierung und beleuchtet viele Aspekte, vielen Dank, dass du mir den schweren Einstieg für meine Zusammenfassung etwas erleichtert hast ;)

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