Paul Auster: Mann im Dunkel

The weird world rolls on

Dieser kurze Roman Austers ist im Grunde so etwas wie eine Art literarisches Kammerspiel in zwei Akten. Verbindendes Glied ist der 72jährige ehemalige Literaturkritiker August Brill, der nach dem Tod seiner Lebensgefährtin und vormaligen Frau Sonia bei deren gemeinsamer Tochter Miriam im Haus lebt. Er ist auf Hilfe angewiesen, da ihm durch einen Autounfall ein Bein zertrümmert worden ist. Ferner ist noch die Tochter Miriams, seine Enkelin Katya im Haus. Auch die beiden Frauen leiden unter Verlusten, Miriam wurde vor fünf Jahren von ihrem Mann Richard verlassen, Katya trauert um ihren Jugendfreund (ob es eine Liebe war, bleibt unklar) Titus, der als LKW-Fahrer für eine Baufirma in den Iraq gegangen ist und dort ermordet wurde. Das Geschehen beschränkt sich auf eine einzige Nacht des Jahres 2007 im Leben dieser drei Personen.

Der Schlaf ist für alle drei Personen ein seltener Gast. Im ersten Teil konzentriert sich Austen ganz auf den Mann. Dieser will alle Gedanken an Sonia, an sein eigenes Leben, den Verlust, die Trauer, die Traurigkeit, verbannen und das gelingt ihm nur, indem er Geschichten erfindet und spintisiert. Die, die Auster ihm hier in die Gedanken legt, ist im wahrsten Sinn fantastisch, aber man kennt das ja aus eigenen schlaflosen Nächten, wenn man den Gedanken freien Lauf läßt, konstruieren sie sich seltsame Welten zusammen. So auch bei August Brill. Er läßt den biederen Hobby-Zauberkünstler „Der Große Zavello“, der glücklich mit der temperamentvollen Flora verheiratet ist, als Owen Bricks erwachen, auf dem Grund eines metertiefen zylindrischen Lochs, in welches er ihn gesteckt hat, gekleidet in eine Uniform. Kampflärm ist zu hören und ein Soldat erscheint schließlich, der ihn aus der Grube befreit. Er erfährt, daß Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten herrscht, angefangen mit New York haben sich nach den Wahlen von 2000 [2] einige Staaten losgesagt und zu den Unabhängigen Staaten von Amerika zusammen getan, die jetzt im Kampf mit den Föderierten liegen. Owen Bricks, alias „Der Große Zavello“ wurde von seiner Jugendliebe Virginia Blaine für einen Spezialauftrag ausgewählt und in diese Parallelwelt transferiert. Zumindest versucht man Bricks zu erklären, daß ganz nach den Thesen von Bruno [1] viele Welten parallel existieren, auf denen das Leben und die Geschehnisse jeweils unterschiedlich ablaufen. So stehen in dieser Welt, in der Zauberkünster Bricks ist, die Twin-Towers noch und auch den Iraq-Krieg hat es nie gegeben… Der Bürgerkrieg hat viele Opfer gefunden, viele Tote, es gibt kein Benzin mehr, deswegen fahren alle mit Fahrrädern, TV und Radio sind ausgeschaltet… man hofft auf das Ende des Krieges und Owens Aufgabe ist es, dies zu bewerkstelligen. Denn dieser Krieg wird im Kopf eines Mannes geschaffen, eines Schreiberlings, der ihn sich ausdenkt. Ist er tot, hört der Krieg auf. So ist die Hoffnung. Und so lautet der Auftrag für Bricks: Töte August Brill (der ja weiterhin in der „richtigen“ Welt lebt), in dessen Kopf dieser Krieg geschaffen wird… Dieser Erzählstrang (der erste Akt des Kammerspiels) bricht dann recht abrupt ab, zu dem (das ist jetzt keine Überraschung) impliziten Suizid Brills (der sich mit Bricks seinen eigenen Auftragsmörder geschaffen hat) kommt es nicht…

Was will der Autor uns mit seinen Worten sagen? Treibt er  Tendenzen zur Aufsplittung der Gesellschaft in den USA, wie sie von Soziologen immer wieder beschrieben werden, zum Auseinanderklaffen verschiedener gesellschaftlicher Schichten aber auch politischer Orientierungen ins Extreme, in dem er die USA in verschiedene Staatenblöcke zerfallen läßt? Man müßte jetzt untersuchen, inwieweit diese (im Roman aufgezählten) Staaten realiter bestimmte Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede aufweisen, die sie von anderen abgrenzen…. Vielleicht ist die Geschichte auch ein Bild dafür, daß Amerika eine Nation ist, die als „Ablenkung“ von den inneren Problemen den äußeren Kampf braucht. Da es keinen 9/11 gab, mithin auch keinen Afghanistan-Krieg, ferner keinen Iraq-Krieg, richtet sich das vorhandene (?) Aggressions(?)potential nach innen, die Spannungen werden nicht mehr durch eine äußere Klammer zusammengehalten: Bürgerkrieg ist die Folge….

In dieses ausgedachte Bürgerkriegsszenario fließen verschiedene Elemente des echten Brills mit ein. Virginia Blaine war die junge Frau, die er in der Highschool angehimmelt hat, sie ist das verbindende Glied zwischen beiden Erzählebenen. Ferner geriet  August Brill 1967 zusammen mit seinem Schwager Gill Ross in  die bürgerkriegsähnlichen Zustände der Rassenunruhen [4], Bilder, die ihn wohl nicht mehr losgelassen haben. .. Die latenten Suizid-Gedanken eines trauernden Witwers, der durch einen Unfall sein restliches Leben behindert bleiben wird und der zusammen mit ebenfalls trauernden Verwandten allein in einem Haus lebt und schlaflose Nächte verbringt und die sich in dieser Geschichte ebenfalls niederschlagen, habe ich schon angeführt…

Der zweite Akt des Kammerspiels ist selbstbezüglich und spielt sich zwischen Brill und seiner Enkelin ab. Brills Tochter Miriam findet nur Erwähnung als verbindendes Glied zwischen diesen beiden.

Brill hat das Rauchen wieder angefangen und durch einen der dadurch bedingten nächtlichen Hustenanfälle aufgeschreckt kommt seine Enkelin zu ihm ins Zimmer. Es entspinnt sich eine Unterhaltung zwischen beiden, die Intimität der absoluten Dunkelheit im Zimmer, die körperliche Nähe der beiden Menschen, die nebeneinander auf dem Bett liegen, ihre innige Verbundenheit und die sich gleichende Seelenpein läßt die beiden ein sehr offenes Gespräch führen. Wobei Gespräch den leicht falschen Eindruck wiedergibt, vielmehr ist es so, daß Katya ihren Grandpa nach dessen Geschichte ausfragt, wissen will, wie das Leben mit ihm und Grandma umgegangen ist.. Sonia und August, ein Paar, das sich zweimal finden musste, um zusammen zu bleiben. Die Lebensmittelkrise des Mannes um die vierzig, unter deren Konsequenzen auch Miriam zu leiden hat, hat eine riesige Verwerfung in die Ehe der Brills geworfen… Tröstet die beiden das, diese erzählende Nacht, in der Brill Katya seine Geschichte erzählt und sie ihre erfährt? Es scheint so, als ob am Morgen ein wenig von der Last von der Seele genommen worden wäre, die Alltagswahrheit, die der Mann im Dunkel zum Schluss zitiert, daß das Leben nämlich weitergeht bzw in den Worten von Rose Hawthorne [3]: „Die wunderliche Welt dreht sich weiter“ ist trivial, schließlich hört die Erde nicht auf, sich zu drehen, nur weil Menschen Kummer haben. Aber sie zeigt auch, daß die Menschen dies wissen, daß sie wissen, daß sie eine Zukunft haben, mag die Welt auch noch so „weird“ sein…

Ich habe diesen Roman gern gelesen, obwohl Auster ja die Meinungen etwas polarisiert, mancher mag ihn, mancher nicht und man daher geht man immer mit einer gewissen Spannung an seine Bücher, wie sie auf jetzt auf einen selbst wirken. Der erste Teil verwirrt, man ist nicht immer sofort im Bilde, in welchen der Welten, zwischen denen Bricks, aber auch Virginia hin und her wandern, die Handlung spielt. Da Bricks sich nicht überwinden kann, den erhaltenen Auftrag durchzuführen, fragt man sich, wie Auster diesen Konflikt auflöst: nun, nach Art des gordischen Knotens… das wirkt rabiat, ist auch wenig elegant noch subtil, aber – andererseits – so enden Spintisierereien eben, wenn man einfach fertig ist. Fällt um und ist tot.

Der zweite Teil ist das Aufblättern einer Lebensgeschichte, die um die große Liebe geht, um den Verrat dieser Liebe, um die Frage, ob man nicht nur für sein, sondern auch für andere Leben verantwortlich ist.. gewohnt gekonnt und nachdenklich erzählt von Auster, ein schönes Stück Literatur.

Zum Schluss will ich es doch einmal anmerken: Was mich (nicht nur in diesem Roman) an der Übersetzung (das Original kenn ich ja nicht) wieder mal gestört hat, ist folgendes: das Menschen nachts mal auf die Toilette müssen, gehört zum Leben. Aber muss man deswegen unbedingt die „Pisse“  (S.22 der HC-Ausgabe) fließen lassen, ein Wort mit einer solch negativen Konnotation, die absolut nicht in den Rahmen dieses Romans passt? Gibt es da nicht angebrachtere Ausdrücke?

Links und Anmerkungen:

[1] Giordano Bruno (1548-1600) war ein italienischer Philosoph, der die Unendlichkeit der Welt postulierte und damit gewissen Konflikte mit der Amtskirche heraufbeschwor. Diese löste diese Meinungsunterschiede auf ihre Art und Weise: sie kremierte Bruno – wie es damals üblich war – bei lebendigem Leib. Brunos Thesen werden (soweit es für den Austerschen Roman von Bedeutung ist) von Jürgen Drewermann (Giordano Bruno oder der Spiegel des Unendlichen, Kösel, 1992, S. 136) folgendermassen wiedergegeben:

Ich glaube an ein unendliches Universum als an die Schöpfung der unendlichen Allmacht, da ich es der göttlichen Güte und Macht für unwürdig erachte, wenn sie unzählige Welten schaffen kann, nur eine endlich begrenzte Welt geschaffen zu haben. Daher habe ich stets behauptet, daß unzählige, andere Welten ähnlich dieser Erde existieren….

[2] Wiki-Artikel zu dieser denkwürdigen Wahl 2000 in den USA
[3] Auster läßt Brills Tochter Miriam an einer Biographie dieser Schriftstellerin arbeiten
[4] siehe den zusammenfassenden Bericht im Spiegel 11/68

Paul Auster
Mann im Dunkel
übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz
Rowohlt Verlag, HC, 220 S., 2008
Erstausgabe: NY, 2008

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