Franz Kafka: Der Prozess

Josef K., Prokurist einer größeren Bank, ein Dienstzimmer mit großer Fensterfront, beruflich aufstrebend, privat der Weiblichkeit durchaus zugetan, zur Miete in einer Pension wohnend, erwartet des Morgens im Bette liegend die Bereitung des Frühstücks, doch er muss an dessen statt mit zwei Herren vorlieb nehmen. Diese verkünden ihm, er sei verhaftet, könne und solle aber sein normales Leben weiterführen. Dies erst für einen Scherz von Freunden oder Kollegen haltend bekommt Josek K. aber im Lauf der Zeit, spätestens aber mit der ersten Vorladung vor den Richter Zweifel ob der Scherzhaftigkeit des Geschehens und die Erkenntnis gewinnend, daß ihm in der Tat der Prozess gemacht werden soll – und in Unkenntnis darüber, welchen Sachverhalt, den sich auch bei anstrengenstem Nachdenken zu gegenwärtigen er nicht in der Lage ist, dieser Prozess abhandeln soll – versucht er, sich für seine Verteidigung einzurichten.

Mithilfe seines Onkels, der durch Gerüchte über die Verhaftung und den zukünftigen Prozess seines Neffen aufgeschreckt, in die Stadt kommt und dem Neffen seine Hilfe anbietet in Form alter Kontakte und Verbindungen, die zwar seiner langen Abwesenheit aus der Stadt wegen in letzter Zeit zum Ruhen gekommen sind, dessen ungeachtet aber wieder aktiviert werden können, und in deren Annahme K. erst einmal nur einwilligt, um den Onkel nicht zu kränken, wird er Mandat des Akvokaten Huld, der obschon krank im Bette liegend, seiner Rede nach durchaus Erfahrungen hat im Umgang mit solcherart Prozessen. Auch hätte sich die Anwesenheit des Gerichtsdirektors bei diesem ersten Besuch bei Huld durchaus positiv auswirken können auf das weitere Schicksal von Josef K. hätte dieser sich nicht, das ganze Procedere als durchaus lästig und kindisch empfindend, einen Vorwand vortäuschend aus dem Zimmer entfernt, nur um sofort den Verlockungen des Hausmädchens Leni zu erliegen und zwar in einer Lautstärke und einer Art von Geräuschen, die den im Zimmer auf seine Rückkehr wartenden Herren einen sich auf das weitere Schicksal von K. insgesamt eher negativ auswirkenden Eindruck der gemeinsamen Aktivitägen von K. und Leni vermittelten.

Im Lauf der Wochen und Monate gewinnt der Prozess durch das Gericht und die einzurichtende Verteidigung eine immer größere Rolle im Leben des Josef K. ein, derart, daß er auch im beruflichen Umfeld seine Pflichten nicht mehr in gewohnter Art und Weise erfüllt und ihm dort schwerwiegende Nachteile drohen. Trotz aller Bemühungen (und es sind nicht wenige) gelingt es ihm dennoch nicht, den Gang des Verfahrens zu beschleunigen, zu beeinflussen oder gar zu erkennen. Letztlich bedrückt ihn die Bedrohung derart stark, daß er sich ohne Klagen in ein Urteil fügt, das nie ausgesprochen wurde.

„Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“

Ein wenig seltsam kommt es mir vor, daß ich hier, Flatter S. die Geschichte des Josef K. vorstelle, immerhin ist „Der Prozess“ von Kafka (dessen Manuskript dem Willen seines Autoren nach hätte vernichtet werden sollen) ein vielleicht nicht von allen gelesenes, aber sicherlich (fast) allen bekanntes Buch. Und doch.

Die Geschichte des Josef K. ist seltsam unbestimmt, was Zeit und Raum angeht. Sie schwebt im Nirgendwo und ähnelt darin ganz dem dargestellten Vorgängen, denen sich Josef K. ausgesetzt sieht. Ein niedriges (es sind immer irgendwo auch die höheren Gerichte, Advokaten und Richter im Hintergrund), nichtsdestotrotz nicht greifbares Gericht klagt ihn an, wessen wird nicht genannt, dies ist aber auch unwesentlich. Die Anklage als solche führt dazu, daß ein Verfahren abläuft, das nicht zu erkennen ist, genausowenig wie die Gesetze, nach denen es sich richtet, ja, es wird noch nicht einmal ein Urteil in dem Verfahren gesprochen, denn (so heißt es zum Schluss), das Verfahren geht in das Urteil über. Und es ist nicht bekannt, daß jemals ein Angeklagter freigesprochen worden wäre.

So scheint mir der Titel „Der Prozess“ doppelte Bedeutung zu haben: einmal geht es um eben diesen äußeren Prozess, der gegen K. angestrengt wird und für den sich dieser zu wappnen versucht, indem er nach jeder Hilfe, so obskur sie auch scheinen mag, greift, die ihm bei seiner Verteidigung (da die Anklage ihm nicht genannt wird, fühlt er, daß er im Grunde sein ganzes Leben verteidigen muss…) helfen kann, greift. Die Verhaftung, die erste Untersuchung, die Organisation seiner Verteidigung, das Urteil sind Elemente dieses äußeren Prozesses.

Daneben scheint mir fast bedeutender, was im Inneren, in der Einstellung des Josef K. abläuft: erst an einen Scherz glaubend nimmt er nur zögerlich Bestreben auf, sich zu verteidigen, dann jedoch geht ihm die Verteidigung zu langsam und unentschlossen vor und die eigene Erforschung seines Lebens belastet ihn in ihrer notwendig scheinenden Umfänglichkeit immer mehr, bis sie von ihm derart Besitz ergreift, daß er den Erfordernissen seines übriges Lebens, insbesondere seine herausgehobene Stellung in der Bank, nicht mehr nachkommen kann. Schließlich gibt er seinen Widerstand auf und fügt sich in das Urteil. Auch diese Entwicklung ist ein Prozess, ein prozesshafter Verlauf: gerät man erst einmal in die erste Stufe „Verhaftung“, so hat man im Grunde schon verloren, weil alles andere sich automatisch aus dieser heraus zu ergeben scheint. Da das Gericht selbst nur sehr sporadisch in Erscheinung tritt (bei der Verhaftung, der ersten Untersuchung, der Vollstreckung des Urteils), laufen alle diese Vorgänge, die in der Hinnahme, ja in der Begrüßung des Urteils münden, im Inneren des Angeklagten statt und – da es ferner keine Konkretisierung der Anklage gibt – kann jeder angeklagt werden: es herrscht Willkür. Dieser Willkür unterworfen zu sein, zerstört das Leben des Josef K, denn im Grunde ist er frei zu tun, was er will, das Gericht übt praktisch keinen Zwang aus.

Der Mensch wird in Kafkas Roman ein dem Herrschenden ausgeliefertes Objekt. Nichts ist bekannt, weder die Richter, noch die Gerichte, zu den Gesetzen gibt es keinen Zugang und die Anklage ist unerheblich (dem ersten Satz des Romans nach hat Josef K. sogar ausdrücklich nichts Böses getan!). Wichtig ist nur, daß angeklagt wird, daß ein Prozess eröffnet wird. Es herrscht Willkür, niemand kann sich verteidigen, weil mit der Anklage schon das Urteil feststeht. Das einzige, was noch abgewartet werden muss, ist, daß der Angeklagte sich in das Urteil fügt. Dies macht er, so beschreibt Kafka es, weil es für ihn letztlich eine Erlösung darstellt, die Annahme des Urteils beendet die Qual des Prozesses, den man nicht beeinflussen kann, den man noch nicht einmal kennt. Irgendwann ist es leichter, sich schuldig zu bekennen (wessen auch immer), als weiter in diesem Prozess angeklagt zu sein. Es ist die einzige Möglichkeit, ihm zu entkommen.

Der „Prozess“ ist sicherlich auf mannigfache Weise interpretierbar. Kafka war selbst Jurist und schrieb diesen Roman Anfang des 20. Jahrhunderts, auch unter dem Eindruck des 1. Weltkrieges und der seinerzeit herrschenden politischen Verhältnisse. Die Äußerungen K.s gegenüber der Frau des Gerichtsdieners im leeren Gerichtssaal (den K. ohne Aufforderung aufgesucht hatte, allein, weil er davon ausging, daß wieder eine Verhandlung sei) geben davon ein beredtes Bild. Auch ist natürlich der Begriff „Schuld“ ein zentraler Bestandteil des Buches, schuldig sein, sich schuldig fühlen oder Schuld annehmen als Möglichkeit, über deren Sühne wieder frei zu werden….

In die Sprache des Buches muss man sich einlesen, es sind komplizierte Schachtelsätze (so wie am Beginn meiner Buchvorstellung), der Text ist durch Absätze oder ähnliches kaum strukturiert. Trotzdem fesselt er phasenweise, wenngleich er mir gegen Ende des Romans etwas „lang“ wurde, da das, was Kafka mir mit dem Text sagen konnte, gesagt war und es dann doch etwas langatmig und wiederholend wurde. Etwas Übung beim Lesen braucht´s also schon….

Facit: ein verstörendes Stück über die Machtlosigkeit des Individuums gegen einen alles beherrschenden Staat.

Links:

[1] http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/kafka/kafka_prozess.html
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Process
[3] Text im Projekt Gutenberg 

Linksammlung unter: http://norberto42.wordpress.com/2013/09/14/kafka-der-prozess-inhalt-interpretation-unterricht-links/

Ein Kommentar zu „Franz Kafka: Der Prozess

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