Mark Z. Danielewski: Das Haus

Ja, das nenn ich mal ein Buch….. schon rein äußerlich: zwar ein Taschenbuch (natürlich ist auch die HC-Ausgabe auf dem Markt), doch von erheblichen Außenmaßen und Gewicht, da immerhin knapp 800 Seiten stark. Schlägt man es auf und läßt es nach Art des Daumenkinos mal durch die Finger laufen, sieht man, daß einen eine nicht ganz gewöhnliches Buch erwartet, sondern eins, welches mit allen Möglichkeiten, die die Typographie bietet, spielt: unterschiedliche Schriften, spiegelverkehrt, auf dem Kopf stehend, diagonal oder auch wie graphisch aufgearbeitet…. im Grunde müßte ich ein paar Seiten einscannen, um das ganze Spektrum dessen, was einen erwartet, zumindest mal aufzuzeigen.

Gelesen habe ich einen Teil der Geschichte, denn es gibt zumindest mal drei Ebenen, in denen sich die Handlung des Buches abspielt. Zuvörderst erzählt Danielewski die Geschichte von Will Navidson und seiner Lebensgefährten Karen, die mit ihren zwei Kindern in Virginia ein Haus beziehen, auch in der Absicht, ihre ins Trudeln geratene Beziehung wieder auf feste Füße zu stellen. Erzählt werden kann diese Geschichte, weil der abgerissene Junkie Johnny Truant im Nachlass des blinden Sonderlings Zampano ein Bündel Papiere findet, die eine Abhandlung über Wesen und Inhalt der Filme enthält, die unter dem Namen „Navidson Record“ subsummiert werden und das Schicksal von Navidson, seiner Familie und diverser Bekannter dokumentieren. Truant nun, der diese Abhandlung aufarbeiten will, verliert im Lauf der Erzählung immer mehr den Boden unten den Füßen.. das ist aber, ich gebe es zu, der zweite Teil des Buches, den ich nicht gelesen habe. Dass war mir einfach nicht möglich, zu komplex der eigentliche „Navidson Record“, als daß ich die dazu parallel oder ergänzend ablaufende Geschichte Truants hätte verdauen können…

Eine weitere Ebene stellen für mich die zum Teil weit ausufernden Fussnoten, Hunderte davon, dar. Auch die müsste ich in einem zweiten oder gar dritten Durchgang erst alle lesen, bis dato habe ich nur einige ausgewählte gelesen. Die Fussnoten wie auch der Text strotzen nur so von Namen, Quellen, Bezügen, Zitaten etc pp, die so echt gefasst sind, daß man geneigt ist, zu glauben, es gäbe sie wirklich. Hier also wäre Recherchierarbeit angesagt, weil ich mir auch gut vorstellen könnte, daß Danielewski hier nichts dem Zufall überlassen hat, sondern alles mit Absicht und Bezug konstruiert hat… Verwirrend sind eine Menge bekannter Persönlichkeiten mit Zitaten oder Aussagen aufgeführt. Hat Danielewski hier seine Geschichte um solche Aussagen herum aufgebaut oder hat er hier frei erfunden? Fragen über Fragen….

Die Übersetzung… durch meine vorangegangene Lektüre des Eco bin ich da etwas sensibilisiert worden. Warum z.B. wird in einem amerikanischen Roman der Brockhaus zitiert? Oder ist das nur die Adaption der Übersetzerin? Überhaupt stellte dieses Buch die Übersetzerin wohl vor einige Probleme, um es mal gelinde zu sagen.. Jessebird hat sich dazu in einem Beitrag durchaus kritisch ausgelassen, auf dieses Posting verweise ich hier und fasse mich selbst kurz… Da meine Sprachkenntnisse ganz sicher nicht ausreichen, das Original zu lesen, nehm ich die deutsche Adaption eben einfach als Werk für sich und bewundere die Übersetzerin für ihre Herkulesarbeit, denn eine solche war das Übersetzen sicherlich….

Soweit,

so gut.

——————————-Worum geht es also in den

N

a

v

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Es fängt noch ziemlich harmlos an, man ist an einen Messfehler zu glauben verführt: Will stellt fest, daß die Summe der Innenmaße des Hauses (Räume + Wanddicken) 6 mm größer ist als das Aussemaß. Er kann das nicht klären, ruft Freunde mit besseren Geräten, die das überprüfen. Und auf 8 mm kommen. Ein Buch fällt aus dem Regal. Dumm nur, daß das Regal am Vorabend noch bündig mit der Wand abschloss… Plötzlich eine vorher nicht dagewesene/übersehene (?) Tür im Schlafzimmer, dahinter ein kleiner Raum… Will, der preisgekrönte Fotograph, will wissen, was dahinter steckt und versucht, gegen den Willen von Karen, den Raum, der sich zu einem kalten, tiefschwarzen Flur ausweitet, zu erforschen. Er betritt ihn, geht ihn entlang, er kommt in Flure, Korridore, durchquert Hallen, findet den Rückweg kaum noch, da sich die Räume verändern, verschieben…..

Das soll reichen, um eine Andeutung zu geben, um was es in dem Buch geht. Das Haus birgt ein Tor zu einer anderen Welt, voller Kälte, Dunkelheit und Gefahren. Ist es ein Bild, das Danielewski damit schafft? An einer Stelle redet er davon, daß sich das Haus verhält wie ein Spiegel, seine Eigenschaften spiegeln denjenigen wieder, der es betritt (Seltsamerweise verändert es zwar die Geometrie und die physikalischen Grundgesetze (Münzen, die in Schächte geworfen werden (die sich ihrerseits in wenigen Sekunden gebildet haben), brauchen bis zu 50 Minuten, bis sie am Boden auftreffen…), aber nicht die Zeit, die offensichtlich invariant gegenüber dem Haus ist..). [——————————-] Die Männer, die es erforschen, ausgerüstet mit Kameras, mit „Ariadne“[3]-Fäden (die das Haus aber zerstört..) auch mit Waffen, geraten in größte Gefahr, ihr gesamtes Orientierungsvermögen [6] wird überfordert, ihre Psyche wird völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, sie sind dem Haus im Grunde hilflos ausgeliefert. Doch es ist nicht das Haus, das sie umbringt, das Haus selbst tötet niemanden.

Immer wieder schweift Danielewski ab,
nimmt    einzelne  Vorkommnisse   zum
Anlass  für  ausufernde  Betrachtungen
und    Analysen,   die   ihrerseits wieder
mit  vielen  Fussnoten [1] gespickt sind.
Das   macht  die  Lektüre  nicht einfach,
oft  steht  man  vor  Brüchen,  muss  zu
rückblättern,   um  sich  wieder d en An
schluss  an  die  Geschichte zu vergegen
wärtigen.

Die Geschichte ist fiktiv. Es gibt diese Filme, die die Männer angeblich bei der Erforschung des Hauses drehen nicht. Johnny Truant sagt uns das sofort in seiner Einleitung. Also ist das Ganze eine Erfindung des blinden (!) Zampanos, eines „Graphomanen“ voll trockener Ironie.. Blind und Dunkelheit: das passt gut zusammen… Vielleicht sollte man sich überlegen, wie man die Geschichte unter diesem Gesichtspunkt interpretieren könnte: was könnte ein Blinder uns damit sagen wollen?

_________________________

[1] Ich hasse Fussnoten! [2]
[2] gelogen!
[3] Nach der griechischen Mythologie war Ariadne die Tochter von Minos, dem König von Kreta, und dessen Gattin Pasiphaë. Ihre Geschwister waren Glaukos, Phaidra, Akakallis, Androgeus, Deukalion und Katreus. Ihr Halbbruder mütterlicherseits war das Mischwesen Minotauros (halb Stier, halb Mensch), der einer Beziehung der Pasiphaë mit einem Stier entsprang. Die Begattung war mittels einer hölzernen Kuh erfolgt, in der sich die Königin befand. Diese Figur war von dem Künstler Daidalos geschaffen worden. Dieser musste auch das Labyrinth als Wohnstätte für die Frucht dieses Verhältnisses erbauen [1]. Minos hatte Athen unterworfen, nachdem sein Sohn dort ermordet worden war. Die Athener wurden dazu verpflichtet, alle neun Jahre sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge als Menschenopfer für den Minotauros [11] nach Kreta zu schicken. Als zum dritten Mal der Tribut fällig war, schloss sich der athenische Königssohn Theseus freiwillig dieser Gruppe an. Auf Kreta verliebte sich Ariadne in ihn und schenkte ihm ein magisches Schwert und ein Knäuel Wolle. Als die Opfer in das berühmte Labyrinth des Daidalos getrieben wurden, wo der Minotauros Hauste, rollte er das Knäuel ab. Mit dem Schwert (nach anderen Versionen mit seiner Keule oder den bloßen Händen) erschlug er den Stiergott und fand mit seinen Gefährten am Ariadnefaden wieder heraus [2].

Auf der Rückfahrt nahm er Ariadne wie versprochen als seine Verlobte mit, ließ die Schlafende aber auf Befehl des Weingottes Dionysos auf der Insel Naxos zurück. Dort wurde die Verlassene und Klagende von Dionysos erwählt. Theseus vergaß aus Trauer um Ariadne, das schwarze Segel seines Schiffes gegen ein weißes auszutauschen, um damit den erfolgreichen Ausgang seines Unternehmens schon von Weitem zu zeigen. Sein Vater Aigeus stürzte sich deswegen ins Meer, als er des Schiffes ansichtig wurde. Seitdem heißt das Meer das Aigaiische.

Bei Amathus auf Zypern wurde Ariadne als Geliebte des Dionysos göttlich verehrt. Mit ihm bekam sie einen Sohn namens Oenopion. Die Krone der Ariadne schleuderte Dionysos in den Himmel, wo sie zu einem Sternbild Nördliche Krone verwandelt wurde [3]. Ariadne blieb trotz ihrer Verbindung mit Dionysos weiterhin auch in Theseus verliebt und weinte, als dieser starb. Dennoch holte Dionysos Ariadne nach ihrem Tod aus dem Hades zu sich auf den Olymp. [4]
[4] teilweiser Auszug aus http://de.wikipedia.org/wiki/Ariadne. Eine ausführlichere Darstellung der Vorkommnisse bei Minos liefert Schwab [5]
[5] siehe die Darstellung im Projekt Gutenberg
[6] „Es werde Licht!“ Goethe an Eckermann, 1832. Vergleiche auch Goethes Einstellung zu Tod und Dunkelheit in [7]
[7] Rattner: Goethe: Leben, Werk und Wirkung in tiefenpsychologischer Sicht, Würzburg 1999,
[8] fehlt. Eine archtekturkritische Würdigung des Hauses unter besonderer Berücksichtigung der statischen Aspekte sowie der legaler (Baugenehmigungen, berufsgenossenschaftliche Bewertungen, MAK-Werte für Baustoffe etc pp) steht noch (?) aus.
[9] das beinhaltet, daß sich diese Besprechung und Buchvorstellung im Lauf der Zeit auch ändern [10] wird, damit Parallelen aufzeigt zum Haus, das – wie weiter oben angeführt – sich in Abhängigkeit vom BESUCHER ändert. [12]
[10] PANTHA REI: „Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Mißklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles“: Fragmente, S. 132
[11] Mit den Analogien zwischen dem Minotaurus und dem „Etwas“ im Haus befasst sich das Kapitel XIII der möglichen Kapitel des Records („Der Minotaurus“, Anhang A)
[12] Es mag die Möglichkeit bestehen, daß sich die Änderungen im Haus nicht bemerkbar machen, da sich durch diese und mit diesen auch die gesamte Umwelt ändert. Es ist die Geschichte von den Zeitreisenden, die auf ihrer Expedition versehentlich und streng verboten einen Schaden anrichteten, nämlich einen Schmetterling zertraten. aPer wider zurükk von der rEise vielen iHnen gOttseidank keine vEeränderungen auf.

Mark Z. Danielewski
Das Haus
btb Verlag, 2009, Tb, 798 S.
ISBN-10: 3442739705
ISBN-13: 978-3442739707

Ein Kommentar zu „Mark Z. Danielewski: Das Haus

  1. Wie immer eine sehr außergewöhnliche Rezension. Schön, wie du dich beim Schreiben dem Stil der Bücher anpasst!

    Besonders gut gefällt mir die folgende Stelle:

    [1] Ich hasse Fussnoten! [2]
    [2] gelogen!

    :)

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