Erica Jong: Der letzte Blues

Wie es manchmal so läuft…..

Ich hatte die Tage beim Durchstöbern meiner Regale von Jong „Keine Angst vorm Fliegen“ rausgenommen, mal versucht, die ersten Seiten zu lesen, aber wieder aufgehört, das Buch ging nicht an mich. Daneben stand der bis dato ungelesene „Letzte Blues“, den fast das gleiche Schicksal ereilt hätte… aber dann hat seanne.at ihre Besprechung von „Liebesleben“ hochgeladen und weil die Themen doch ähnlich sind (Frauen, die von Männern abhängig sind), habe ich dann den Jong´schen Blues dann etwas interessierter weitergelesen, zumal Jong ja eine deutliche Sprache bevorzugt (das Wort „Schwanz“ ist sicherlich nicht das seltenste im Buch und es ist nicht von Hunden die Rede, bei denen es eh „Rute“ heißen müsste….), ein Faktum, das mich ja nicht vom Lesen abhält….

Parallel dazu habe ich die Tage das Buch über Trauerbewältigung, das ich heute nachmittag hier beschrieben habe, gelesen. Beide Bücher, dies und das von Jong haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun, aber dann, sozusagen auf S. 131 von Jong, klickte es bei mir endgültig:

Jong schreibt dort über die Situation der Frauen in dieser Zeit, in der sie sich von gesellschaftlichen Zwängen befreien:

„.. Es gibt keine Rituale für uns. Die alten hatten wir zerschlagen, neue nicht aufgebaut. Es gab keine Muster…“

Genau dies steht auch bei Kopp-Breinlinger/Rechenberg-Winter:

„.. Die 68er Bewegung hatte sich ….“die … Entritualisierung der Gesellschaft“ zur Aufgabe gemacht. … Es zeigt sich: je verbreiteter Individualisierung, umso geringer Ritualisierung. …“

Und das Fehlen dieser Verhaltensweisen, der gesellschaftlich akzeptieren, geforderten Verhaltensweisen in bestimmten Situationen heißt: es gibt keine Sicherheit mehr, es gibt keinen Handlungsfaden mehr, kein Drehbuch, an das wir uns in bestimmten Situationen halten können und das uns auffängtk, wenn wir in diesen Lagen nicht weiterwissen.

Genau unter dem Aspekt „Verlust bzw. Trauerbewältigung“ kann man das Buch von Jong lesen und viele Sachen, die bei Kopp-Breinlinger/ Rechenberg-Winter auf der „theoretischen“ Ebene beschrieben sind, schildert Jong hier sehr plastisch und drastisch.

Irgendwie schon ein interessanter Zufall mit diesen Büchern….

jong-bluesk

Nach dem langen Vorspann also zum Buch:

Leila Sand ist eine erfolgreiche, 40+x-jährige Künstlerin, die die angenehmen Seiten des Lebens, sprich den Sex, zu schätzen weiß. Sex ist ihr Lebenselexier, ihre Kreativität und entsprechend frönt sie ihm, mit oder ohne Drogen, meist mit. Sie ist Mutter von Zwillingen und hat sich jetzt einen jugendlichen Liebhaber angeschafft, dessen wertbestimmenden Bestandteil Leila so beschreibt:

„Er ist klauenartig und dämonisch, ein richtiger Zinken. Er ist gebogen, wo er gerade sein sollte, und in Ruhestellung hat er Schlagseite nach links. … Er ist zornig und rot in der Erektion… gebogen wie ein Bumerang…“

Trotzdem: die Beziehung kriselt, Dart (so der Name des Lovers) bleibt immer öfter weg, betrügt Leila, nimmt ihr Geld, das sie ihm aufdrängt, Zorn und Verzweifelung treiben Leila immer tiefer in den Alkohol hinein, bis eine Freundin sie zu einem Treffen der AA mitnimmt.

„Leila, willst du damit [i.e. Selbstzerstörung, Selbstmitleid] aufhören? .. Willst du wirklich aufhören und dein Leben wieder in die Hand nehmen?“
„Ja.“
„Denk darüber nach. Es gibt kein Gesetz, das dir vorschreibt, dein Leben wieder in die Hand zu nehmen. du kannst den Weg weitergehen, den du gehst. Du kannst dich umbringen, wenn du willst. Ich würde dich vermissen – aber du hast dieses Recht … Du kannst aber auch etwas anderes tun.“
„Was?“
„Soll ich es dir zeigen? Willst du mir vertrauen?“
„Ich habe ja keine Wahl. So kann es nicht weitergehen.“
„Dann warte auf mich. Ich bin gleich da.“

Leila Sand hat einen langen Weg vor sich. Schicht um Schicht, nicht frei von Rückschlägen, schält sie aus ihren Lebenslügen Wahrheiten hervor, die sich dann ihrerseits wieder als Potemkinsche Dörfer erweisen, die das dahinter liegende Ödland verbergen. Je tiefer sie in ihr eigenes Ich fällt, umso klarer lernt sie, das Wesentliche von Unwesentlichen zu unterscheiden. Natürlich ist dies eine Art Echternacher Springprozession, aber sie wird sicherer, nicht jede Affäre, jeder neue Mann, mit dem sie zusammenkommt, wirft sie aus der Bahn, im Gegenteil, sie lernt, kommt weiter auf ihrem Weg voran. Sie emanzipiert sich von diesen Äußerlichkeiten, reift an ihren Fehlern, die sie nach wie vor macht, und erkennt immer mehr, wo ihre wirklichen Lebenslügen liegen. Und mit diesem Erkennen kehrt Ruhe und Sicherheit in sie ein.

Zum Teil klingt das alles nach Küchentischpsychologie, aber ich glaube, was Jong schreibt, beschreibt, ist auf seine Art wahr. Die Treffen der AA zum Beispiel, nach Fakten und Sachargumenten, von außen betrachtet, sind trivial, einfach albern, nichtssagend und trivial. Aber für die Teilnehmer sind sie ein Hort der Geborgenheit, die Gruppendynamik greift dort und das gemeinsame Schicksal mit dem Wissen, es ohen die anderen nicht zu schaffen… Oder in ihren Worten:

„Die Meetingräume sind der einzige Ort, an dem man es nicht verdienen muss, geliebt zu werden. Weil keiner von uns wirklich verdient, geliebt zu werden. Und jeder verdient geliebt zu werden. Bedingungslos geliebt zu werden.“

Ich habe mir ein paar Sachen angemerkt, die mir gut gefallen haben. Schreib ich jetzt einfach mal hier hin:

„Die Konsequenzen der eigenen Taten zu verstehen ist nicht dasselbe wie Schuldgefühle. Schuldgefühle sind nutzlos. Selbstkasteiung auch. Aber verstehen, daß die eigenen Handlungen Folgen haben und daß man eine Wahl hat, ist eine andere Sache.“ (S.127)“Einsamkeit ist der letzte Aufenthalt“ (S. 83)

„Liebende schenken einander Leben. Das macht die Liebe so unwiderstehlich. … Wer kann demjenigen widerstehen, der einem das Gefühl gibt, lebendig zu sein? Denn die Liebe ist nichts geringeres als die Gabe des Lebens obwohl man sie manchmal mit dem Tod bezahlen muss.“ (S. 79)

„…auf seiner tiefsten Ebene ist das Leben eine Verteilung von Geschenken und kein Aktienmarkt: Nur durch Geben werden wir reich.“ (S. 259)

„Im Grunde genommen ist das Leben ein Gebet.“ (S. 303)

Facit: gegen alle meine Erwartung hat mir das Buch gefallen, es hat mich nachdenklich gemacht und ich denke, Frau Jong ist eine sehr lebenskluge Frau. Wer die Gelegenheit hat, an das Buch heranzukommen: nicht zögern!
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So, heute habe ich viel gelesen, es war ein ruhiger, sehr ruhiger Tag, gelesen und nachgedacht, einwirken lassen, überlegt, wo das eigene Leben sich vielleicht mit den geschriebenen kreuzt. Denn ist es das nicht, was wir in den Büchern suchen: Antworten auf die Fragen, die wir haben, auch wenn wir sie vllt noch garnicht kennen?

Links:

ein schöner Link ist hier verborgen: http://minsky.com/blues.htm

Erica Jong
Der letzte Blues
hier zitiert nach der Buchclub-Aussage Bertelsmann
ISBN: ?

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