Gisa Klönne: Unter dem Eis

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Dieser zweite Kriminalroman ist zeitlich ein paar Monate später angesiedelt als der erste. Hauptkommissarin Judith Krieger ist nach ihrem missglückten letzten Einsatz auf eigenen Wunsch vom Dienst freigestellt, ihr seinerzeitiger Kollege, Kommissar Manni Korzilius zur Vermisstenabteilung „straf“versetzt worden. Während Krieger ihre persönliche Krise langsam in den Griff bekommen und überwunden hat und kurz vor der Rückkehr in ihr altes Kommisariat steht, sinkt die Hoffnung von Korzilius (oder Manni, wie er duchgängig genannt wird), wieder in das KK11, die Mordkommission zu kommen, kontinuierlich.

Soweit zur Ausgangssituation.

Dieser Roman von Klönne ist im Grunde genommen zwei Bücher. Klönne baut zwei Handlungsstränge auf, die nichts miteinander zu tun haben und das Wissen, daß diese Stränge (im letzten Viertel des Buches dann) irgendwann zusammengeführt werden, nimmt ein Faktum der Suche von Manni nach dem vermissten Johnny vorweg: er kann nicht mehr rechtzeitig gefunden werden. Johnny, ein aufgeweckter, intelligenter Junge, ein Einzelgänger, dessen Hobby Indianer sind und der sich selbst als „Späher“ sieht, ist während eines Campaufenthaltes seines Indianervereins verschwunden. Trotz intensivster Suche kann aber nur sein Dackel, misshandelt und mit Drogen abgefüllt, tot aufgefunden werden. Von dem Jungen aber gibt es keine Spur.

Judith Krieger hingegen wird von einem alten Schulfreund gebeten, seine/ihre vermisste Schulfreunding Charlotte zu suchen. Diese, seinerzeit in der Schule eine Aussenseiterin und Einzelgängerin, hat Biologie studiert, ihre mögliche wissenschaftliche Karriere aber hingeschmissen und ist jetzt seit Wochen nicht mehr gesehen worden. Widerstrebend und mit schlechtem Gewissen nimmt Krieger die privaten Nachforschungen auf und eine schwache Spur, eine Karte aus Kanada und das Bild eines Eistauchers führen sie nach Kanada. Auch bei diesem Handlungsstrang nimmt Klönne das Ergebnis der Suche schon vorweg und damit einen Teil der Spannung.

Nach Beendigung ihrer Suche in Kanada kommt Krieger gerade noch rechtzeitig zu ihrem Dienstbeginn zurück, sie und Manni müssen jetzt im Mordfall Johnny R. zusammen ermitteln. Bei diesen Ermittlungen wird die Zeit immer knapper, denn auch der Freund von Johnny, Tim, der für seine Mitschüler das ideale Mobbing-Opfer ist, wird entführt.

Das Buch ist – wie auch der erste Band – sehr spannend (trotz dieser angedeuteten Vorwegnahmen von Fakten) und liest sich gut, sehr gut. Klönne hält die Spannung des Buches (wie im ersten Band) bis zum Ende durch, steigert sie sogar noch zu einem relativ gesehen „action“reichen Finale. Man möchte es nicht aus der Hand legen, bis man es durchgelesen hat, trotz des Umfangs von gut 360 engbedruckten Seiten. Klönne versteht es, diese Spannung ohne eigentliche „Action“ aufzubauen, es geschieht im Grunde genommen wenig in dem Buch, in der Hauptsache wird ermittelt, gesucht, gefragt und gezweifelt. Das Innenleben der agierenden Personen wird ausführlich dargestellt, ihre Handlungsweisen und Motive nachvollziehbar.

Also keine Kritik?

Nein, das auch wieder nicht. Zum Teil ist das Buch einfach zu voll gepackt, gleitet auch in Klischees ab: Eltern, die sich zu wenig um ihre Kinder kümmern; Probleme älterer Menschen, die alleine in einem Haushalt leben müssen; Mobbing, Drogen und Gewalt an Schulen mit ahnungslosen Lehrern; die unschönen Kindheitserinnerungen von Manni und Krieger…

Dabei wird im Laufe des Buches für mich Manni deutlich fassbarer als die eigentliche Hauptperson Krieger: sein schlechtes Verhältnis mit dem Vater (und der Mutter), sein Bemühen um Anerkennung und Lob des Vaters, sein Willen, diesen Fall zu lösen, seine Art, mit den Opfern mitzufühlen. Krieger dagegen bleibt diffus, gleitet in Kanada in eine so nicht nachvollziehbare Affäre ab. Und: hat man wirklich als fast 40jährige ein schlechtes Gewissen, weil man als Schülerin einer Klassenkameradin nicht beigestanden hat?

Kleinigkeiten: Krieger kommt dreckig, verschwitzt und völlig übermüdet auf den letzten Drücker aus Kanada zurück nach Köln ins Kommissariat und man fragt sich, was macht man auf einem Interkontinentalflug, wenn nicht schlafen, hat man wirklich keine Gelegenheit, sich zu waschen oder schnell umzuziehen?
Warum wird eigentlich Tim gegen Schluss des Buches auch noch entführt? Oder habe ich das nur überlesen?
Mae-Geri, Ma-Washa-Geri: die japanischen Ausdrücke für Karatetechniken dürften kaum jemandem bekannt sein, sie wirken auch seltsam deplaziert im Text.
Und ist es wirklich glaubhaft, daß der stark verletzte Manni, der kaum noch eine Treppe hochgehen kann, mit einer solchen (sogar noch etwas komplizierter ausgeführten) Technik einen suiziden Schüler vom Sprung von der Kante des Flachdaches retten kann?

Aber diese Anmerkungen sind nicht wirklich ausschlaggebend und mindern das Lesevergnügen nicht im mindestens. Deshalb:

Facit: ein spannender, intelligenter Kriminalroman, sehr zu empfehlen

Gisa Klönne
Unter dem Eis
Ullstein Tb (Oktober 2007)
ISBN-10: 3548267653
ISBN-13: 978-3548267654

Links:

– Hintergründe zum Buch und so klingt der Eistaucher: hier

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