Franka Potente: Zehn

Ich kannte Franka Potente bis jetzt nur als Schauspielerin in einigen wenigen Filmen, da ich ja kein exzessiver Kinobesucher bin. Dann habe ich das Interview mit ihr in der ZEIT [1] gelesen und es tauchten die ersten Besprechungen des Buches auf, die durchweg positiv waren. Und meine Neugier ward geweckt ….

Zehn Kurzgeschichten also präsentiert Potente uns hier. Sie verarbeitet in ihnen ihre Erfahrungen, die sie bei ihren Japanaufenthalten gemacht hat. Sie, die sie das Japan in ihrem Geschichten in kleinen Strichen skizziert, hat und nutzt die Freiheit, die ihre eigene Fremdheit mit dem Land ihr gibt: es ist die Distanz zu dem, was sie schildert, die ihren Erzählungen, ihren Miniaturen die Glaubwürdigkeit verleiht. Sie gibt den Brüchen des modernen Japans Raum, eines Japans, in dem die alten Traditionen und Verhaltenskodizes noch gültig sind, aber immer schwerer einzuhalten, eines Japan, das in seiner Verbundenheit dem Vergangenen gegenüber mit dem, was sich in der Welt ändert, schwertut. Ändern sich Traditionen und Sitten, sind erst einmal Einsamkeit, Verunsicherung, Verlust die vorherrschenden Gefühle: das Alte ist noch nicht vergessen bzw. erfüllt nicht mehr und das Neue hat den Platz des Alten noch nicht völlig einnehmen können.

Dies ahnt man in den kurzen Geschichten Potentes. Diese in knappen und klaren Sätzen geschilderten Ereignisse weisen Sprünge auf, kleine Risse meint man zu spüren, Worte wie „googeln“ sind fremd in dieser Umgebung, gehören aber zur Welt, wie sie jetzt ist. Das altehrwürdige Sumo wird ersetzt durch das laute, klamaukige Wrestling, kein Yokozuna, sondern ein riesiger, gutmütiger Wrestler begleitet Herrn Masamori in seinen Wachträumen zum Ziel seiner letzten Reise. . Schirme und Sandalen, einst handgefertigte Kunstwerke, kommen heute selbst in den kleinen japanischen Lädchen, die sie noch vertreiben, aus der Fabrik. Und sterben die Ladenbesitzer, so geht mit ihnen diese japanische Tradition ganz und stirbt aus.

Vermitteln die Geschichten Potentes ein richtiges Bild von Japan, so ist es vor allem die Einsamkeit, die vorherrscht. Eine Einsamkeit, die wie ein übergezogens Tuch die Lebensfreude erstickt. Die Einsamkeit der überforderten Hausfrau und Mutter beim Warten auf den Mann, die reglos hoffend beobachtet, wie ihr Monster, das Kind, auf die Brüstung des Balkons klettert. Die Einsamkeit der alten Menschen, die immer alleiner in ihren kleinen Wohnungen, den Hinterzimmern ihrer kleinen Lädchen leben und auf den Tod warten, die Einsamkeit der Kinder, denen das Japan der Eltern und Großeltern zu eng geworden ist und die im westlichen Lebensstil ihr Ziel sehen. Eine Einsamkeit, die die Menschen resignieren läßt, die sich in den verordneten Barbesuchen nach Dienstschluss nur an der Oberfläche verdrängen läßt.

Zehn kleine, leise und präzise Miniaturen aus Japan. Momentaufnahmen wie Scherenschnitte, schwarz-weiß, mit harten Konturen und empfindlich für die japanischen Gegebenheiten. Das Ende manchmal abrupt und überraschend, vielleicht auch nicht immer ganz gelungen (ein erwachsener, älterer japanischer Mann sollte einen Massagestab nicht erkennen??), was der Geschichte aber kaum schadet. Ausgesprochen schön fand ich die etwas längere Erzählung von Herrn Masamori, der sich mit dem riesigen Wrestler anfreundet, während ihm, dem Witwer, sein Sohn immer mehr entgleitet und der sich folgerichtig auf seiner letzten Reise dem Riesen anvertraut. Auch das Schicksal von Miyu hat gut gefallen, die als Hostess in einer Bar arbeitet und dort einen jungen Mann „kennenlernt“, der genau den Beruf hat, dessen Uniform sie bei der Begegnung trägt. Miyu hat noch einen zweiten Job, und in dem trifft sie ihn dann wieder….. Naski dagegen ist dem Japan ihrer Eltern entronnen. Als Austauschschülerin fliegt sie nach Amerika, sie fühlt sich dort sofort wohl, dort ist sie frei, kann lachen anstatt nur hinter vorgehaltener Hand zu kichern. Sie lernt Jungs kennen und „fuck“ zu sagen.. Doch dann stirbt zu Hause ihr Großvater…

Facit: Zehn schöne, einfühlsame Geschichten aus dem modernen Japan, die ein Gefühl des dortigen Alltags vermitteln, in seinen Traditionen sowohl wie in seinen Brüchen.

Franka Potente
Zehn
Piper, HC, 2010, 164 S.

14 Kommentare zu „Franka Potente: Zehn

  1. Die Hörbuchfassung von “Zehn” hat mich sehr beeindruckt. Denn die Geschichten sind ebenso schnörkellos wie Franka Potentes Vortragstil. Der auktoriale Erzähler lässt uns tiefen Einblick in die Gedankenwelt seiner Figuren nehmen. Als Hörer verstehe ich die Motivation und die Gemütslagen der Protagonisten, nichts bleibt verborgen. Obwohl es um das ganz normale Leben von ganz gewöhnlichen Menschen geht, sind die Geschichten interessant und berührend. Ob Franka Potentes Japan-Erfahrung ausreicht, um ein authentisches Bild der japanischen Menschen zu zeichnen, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Interessieren würde mich, was ein Japaner von diesem Buch hält. http://buchundebook.blogspot.de/2012/12/franka-potente-und-japan-zehn-ein-buch.html

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    1. danke für deinen besuch, lieber harald. die letzte frage kann ich dir naturgemäß auch nicht beantworten, aber vllt kannst/willst du ja kontakt aufnehmen zur betreiberin dieser fb-seite (blog: http://japanliteratur.net/), die sich in der japanischen literaturszene gut auskennt und bei der ich seinerzeit aus potentes bändchen aufmerksam geworden bin.

      grüße
      fs

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  2. Danke für die wunderbare Rezension! Das Buch hielt ich nach einer Besprechung der lieben Bibliophilin auch schon in meinen Händen – und legte es in meiner Lieblingsbuchhandlung wieder zurück… *seufz*
    Wenn es nur mehr Lebenszeit zum Schreiben und Lesen gäbe!? Deine Besprechung hat mir wieder das Buch ans Herz gelegt und den Traum von Lesezeiten ohne Grenzen geweckt – ach, wäre das schön.

    Grüße von Karin in Eile

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    1. Ja, liebe karin, auch ich habe diesen stoßseufzer „gäbe es mehr zeit zum lesen“ schon oft ausgestoßen, deswegen kann ich ihn so gut nachempfinden….

      und doch… ich befürchte, lesezeiten ohne grenzen würden den wert des lesens, des eintauchens in andere welten mindern, da dies dann jederzeit verfügbar wäre. so freut man sich auf das buch…. ich z.b. habe eben ein büchlein (aus der grabbelkiste…) angelesen, es hat mir gut gefallen, aber ich musste es weglegen, weil anderes zu tun war. aber jetzt freu ich mich sehr, wenn ich endlich zeit habe, endgültig in diese zeilenwelt einzutauchen… aber etwas mehr zeit (obwohl ich mich nicht beschweren darf…), das wäre schon sehr schön…

      lieben dank für deinen besuch und
      liebe grüße
      fs

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      1. Ja, lieber Flattersatz, Du hast ganz recht, Lesezeiten ohne Grenzen würden unsere Sehnsucht nach Büchern in der Beliebigkeit ersticken. Die Nachhal(l)tigkeit unserer Lektüren hätte keinen Resonanzboden mehr. Und das wäre grauenhaft traurig. Gestern Abend habe ich auch ein Bändchen zur Seite legen müssen, was mich aber beglückt hat einschlafen lassen. Und beim Aufwachen am Morgen dachte ich wieder mit Freude daran… vielleicht heute Abend… vor dem Einschlafen… Behalten wir uns die Sehnsucht und Vorfreude auf Lesezeiten lebendig!

        Ich bin sehr gern bei Dir zu Besuch, weil deine lebendige Schreibe mich anspricht – und die Wahl Deiner Bücher, nach denen ich in meiner Stadtteilbuchhandlung immer wieder gern Ausschau halte.

        Liebe Grüße
        Karin mit den Regentropfenaugen

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        1. liebe karin,

          ich bedanke mich sehr für deine ausführliche antwort.

          wer kein bücherfreund ist so wie wir und viele andere, die hier bücherblogs betreiben, kann das nicht nachempfinden. es ist ja auch phantastisch: es geht im grunde ja nicht ums lesen: zwischen zwei pappdeckeln befindet sich auf mit druckerschwärze versehenem papier eine ganze welt, ein unbekannte, spannenden, traurige, liebende, faszinierende, erregende.. eine ach so vieles seiende.. welt! das ist es doch: jedes buch ist eine eigene welt, eine bibliothek ist ein kosmos, ein universum mit büchern, die die sterne darin sind…. und in die tauchen wir ein beim lesen! sternenwanderer.. so heißt ein blog zu recht, wir entdecken welten, die es nur einmal gibt, nämlich in diesem einen buch!!

          es freut mich sehr, daß du gerne zu mir in den blog kommst und es macht mich ein wenig stolz… ja, das tut es… dafür danke ich dir sehr!

          lg
          fs

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  3. Lieber Flattersatz,

    danke für die schöne Rezension und die Bestätigung, dass das ein besonderes Buch ist, was ich bald besitzen möchte. (Vorerst habe ich aber Buchkaufverbot, weil der Wahnsinn vor meinem Regal und in drinnen nicht aufhört… : )

    Liebe Grüße

    Klappentexterin

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    1. …hihi… ich habe letzte woche auch kein buch gekauft. habe meiner buchhändlerin nur guten tag gesagt… es geht, es geht wirklich! *gg*

      liebe grüße auch dir!
      fs

      p.s.: … aber ´n blödes gefühl ist es schon… man hat richtig ein schlechtes gewissen… weil dies oder jenes hätte man schon mitnehmen können. so, wie die einen angeblinzelt haben (ganz heimlich natürlich nur…)

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  4. Ja, Brüche, das hast du mal wieder vortefflich formuliert. Aber ich finde, die Einsamkeit gibt es nicht nur in Japan. Bzw. allgemein auf das Buch bezogen, es sind alls irgendwie auch Probleme „moderner“ Menschen.

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    1. Ja, Friederike, das ist wohl so.. aber ist Einsamkeit nicht sowieso die Grundmelodie des Lebens? Haben wir nicht die Religion und Gott, um die Einsamkeit der Seele zu mildern, ist uns die Liebe nicht gegeben, um nicht mehr allein zu sein an Seele, Geist und Körper? Und ist nicht jeder Verlust, jede Trennung verbunden mit dem Gefühl, allein gelassen worden zu sein? Und ist daher nicht alles, was geschrieben steht in den Büchern im Grunde eine Variation des Themas Einsamkeit?

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