Françoise Dorner: Die Frau in der hinteren Reihe

„Ich bin sogar von einem Mann geheiratet worden. … Ich war so glücklich, daß einer mich wollte. Dass mich endlich jemand anerkannte. Mir seinen Namen gab und ich nicht mehr heißen musste wie meine Mutter.“

Eigentlich hatte ich mir dieses kleine Büchlein gekauft, weil das Titelbild eine leichte, beschwingte Geschichte versprach, vllt in dem Stil des Monsieur Armand, den ich von Dorner [1] ja schon vorgestellt habe. Ein paar nachdenkliche Stellen, hie und da ein trauriger Absatz, aber im großen und ganzen eine lockere und gut lesbare Sommerlektüre. Nun, ich habe mich getäuscht. Was Dorner hier zu lesen gibt, ist traurig, frustrierend und deprimierend bis zum Abwinken.

Worum geht es? Nina und Roger sind verheiratet und betreiben einen Kiosk irgendwo an einer Straße in Paris. Sie sind verheiratet, aber Liebe ist es nicht mehr, was zwischen ihnen herrscht und Nina vermisst dies. Nina, die passive, duldsame, unzufriedene, frustrierte, in gesellschaftliche Zwänge eingebundene, die als Kind von ihrer Mutter erzogen wurde und nie ihren Vater kennenlernte. Nina, die immer noch unter ihrer Mutter leidet und unter ihrer Freundin, Nina, die noch auf der Suche ist nach sich selbst.

Nicht, daß sie und ihr Mann sich nicht mehr anrührten, nein, wenn Roger um 3 Minuten vor 5 erwacht, dauert es drei Minuten, bis sie mit der Liebe fertig sind. Danach steht er gutgelaunt auf und Nina bleibt enttäuscht zurück. Also nichts aufregendes sind. Aber immerhin, etwas. Wenn auch nicht genug.

Mehr Aufmerksamkeit, wenn auch nicht viel mehr, schlägt ihr im Kiosk entgegen. Hier reden die Menschen manchmal mit ihr und schütten ihr ihr Herz aus. Sie beobachtet die Menschen. Sie sieht die Männer, die sich die Tageszeitung kaufen und dann ganz verschämt das Magazin hineinlegen, in dem die Bilder von den Frauen sind, die sich keine Kleidung leisten können. Neugierig wird sie auf diese Magazine, schaut sich selber welche an und erwischt sich bei dem Gedanken, wie sie wohl in High Heels und mit Peitsche in der Hand aussähe. Es erregt sie, auch die Frisuren, die sie sieht (oder eben auch nicht). Und sie schafft sich ein eigenes haariges Herz zwischen den Schenkeln.

Monsieur Jean flirtet mit ihr am Kiosk, sie berühren sich mit den Fingerspitzen, er lädt sie ein und sie kann nicht widerstehen. Die Bloody Mary steigt ihr zu Kopf, sie will die unter den Tisch gefallene Erdnusschale aufheben und als sie unter dem Tisch ist drückt die Hand von Monsieur Jean ihren Kopf in seinen Schoß. Zum ersten Mal in ihrem Leben vertraut sich ein Mann ihrem Mund und ihren scharfen Zähnen an. Dein Reich komme….

Nina hat die Andere in sich entdeckt, ihr verborgenen Wünsche und Fähigkeiten. Zu Hause kann sie damit nicht reüssieren, Roger scheint das Herz nicht zu entdecken. Aber Misstrauen zieht ein, hat er was gemerkt, wird er argwöhnisch und wo geht er jetzt auf einmal hin?

Verkleidet schleicht sie ihm nach, in ein Kino geht er. Sie setzt sich hinter ihn, will ihn verführen, berührt ihn, er erkennt sie nicht, aber er geniesst die Berührung, den Flirt, den Kuss der Fremden….. So, wie er sie, Nina, zu Hause nicht beachtet, so sehr spürt Nina, daß ihr Mann sich in die Andere verliebt hat, sich nach dieser Fremden, die sie ist, sehnt. Aber als Nina kann sie ihm das nicht geben, will er es nicht haben…

Ich will jetzt nicht die ganze Geschichte erzählen von diesem Paar, das zueinander nicht finden kann. Nina, die ihren Mann zwar betrogen hat, ihn aber im Grunde zurück will, wird auf die Andere, die sie selbst ist, eifersüchtig, aber diese ist es, die ihr Mann will, nicht die Nina, die er geheiratet hat. Für Nina ist das, was sie außerhalb der Ehe macht, lernen, aber ihr Mann will von dem erlernten nichts wissen, er wendet sich ab, selbst die 3-Minuten-Terrine wird gestrichen…

Es ist ein deprimierendes, zum Scheitern verurteiltes Leben, das Dorner vor uns ausbreitet. In dem Maße, in dem Nina sich und ihre Bedürfnisse erkennt, verliert sie ihren Mann. Der hat im Gegenteil das Gefühl, einer Mogelpackung aufgesessen zu sein: das Herz, den Mund, das alles kennt er nicht bei Nina, will es auch nicht, fragt sich, wo sie das gelernt hat. Roger will es von der Anderen, die Hure will er nicht im Haus, dort bevorzugt er das Heimchen.

So schildert Dorner die seltsame Konstellation, daß die Frau, die den Mann lustvoll betrügt, aber ihn durch diese Kunst der Liebe, die sie lernt, auch wieder an sich binden will, ihn zurückgewinnen will, ihren Mann abstößt, der sich in der Geheimnis verliebt hat, in die Hoffnung auf das, was ihn erwartet, auf die Dunkelheit, die ihn anzieht. Er könnte alles von Nina haben, aber er verläßt sie. Und den letzten Todesstoß bekommt die Ehe, als Nina das Geheimnis um die Andere auflöst, das verzeiht er ihr nicht, sie hat ihm jede Hoffnung genommen, er fühlt sich dadurch betrogener als durch die körperlichen Abwege, die Nina eingeschlagen hat. Nina hat das Versprechen der Anderen zerstört.

Und die Moral von der Geschichte? Daß man sich nicht binden sollte, bevor man sich nicht selber kennt? Daß das geheimnisvolle allemal attraktiver ist als das naheliegende? Die Vergeblichkeit, einen Menschen, dessen Liebe man verloren hat, zurückzugewinnen? Daß man mit dem zufrieden sein sollte, was man hat? ….

Ich weiß es nicht, in dieser Beziehung läßt mich das Buch etwas ratlos zurück….

Die Geschichte selbst.. sie ist schön geschrieben, es ist einiges an Situationskomik drin und auch an skurrilen Szenen, aber ich habe sie trotzdem immer mit diesem kleinen Kloß im Hals gelesen, weil von vornherein klar war, daß die Geschichte nicht gut ausgehen würde….

Facit: Ein Blick in die Vergeblichkeit, Liebe erzwingen zu wollen

Link:

[1] eine kurze Biographie von Francoise Dorner (auf Anregung von durchleser, dem ich dafür danke….)

Françoise Dorner
Die Frau in der hinteren Reihe
Diogenes TB, 2010, 158 S.

8 Kommentare zu „Françoise Dorner: Die Frau in der hinteren Reihe

  1. Dieser Roman ist, wie ich bereits angemerkt habe, nicht durchgehend, sondern nur teilweise hochkomisch.

    Es gibt einige sehr lustige und skurille Stellen, bei denen man sich als Leser wirklich köstlich amüsieren kann.

    Die Geschichte von Nina sollte man eher als Karikatur betrachten, deshalb findet sich auch auf dem Cover eine sehr ironische Zeichnung von Sempé.

    Die Ironie bezüglich Inhalt und Sprache zeigt sich bereits gleich am Beginn des Romans: „Meine Mutter hat gesagt, dass ich ein Buch schreiben soll. Damit was bleibt von der Familie. Nur, wenn es gar keine Familie gibt? Und was hätte ich denn gross zu sagen? Nichts eigentlich. Und das geht niemand was an. Also besser ein Roman, habe ich gedacht… “

    Ja und genau mit diesem Stilmittel lassen sich viele Türen für unterschiedlichste Interpretationen öffnen.

    Für mich ein Lesegenuss: ein entzückendes Buch über die Suche nach dem Glück und die Kunst des Begehrens. Melancholisch und komisch, luftig und schwer, sehr klug und äusserst sensibel.

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  2. Ich find es sehr interessant, wie unterschiedlich das Geschriebene auf Leser wirken kann. Wenn ich deine Rezension lese, möchte ich das Buch am liebsten noch mal zur Hand nehmen, weil ich das Gefühl habe, damals beim Lesen etwas Wichtiges übersehen zu haben.
    Vielleicht war ich in der „falschen“ Stimmung für die Thematik, denn es blieb nach der Lektüre nichts in mir zurück, weswegen ich das Buch hätte behalten wollen. Jetzt ist es vertauscht.
    Trotzdem vielen Dank für die andere/deine Sichtweise. Dadurch werden einige interessante Fragen in mir aufgeworfen und neue Blickwinkel angeboten…

    Liebe Grüße,
    Ada

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    1. liebe ada, erst einmal herzlichen dank für deinen kommentar. ich habe bei dir geschaut, weil mich natürlich deine interpretation und deutung jetzt interessiert hat, aber du hast das buch bei dir wohl nicht eingestellt. ich gehe einfach mal davon aus, daß du eher zu der deutung von „durchleser“ tendierst..

      ich stimme dir zu, die wirkung einer geschichte ist immer auch abhängig von der eigenen stimmung, ich habe es weiter oben „wichtung“ genannt: welche der aspekte des buches berühren mich im moment – aus welchem grund auch immer – besonders, sind mir also wichtig.

      obwohl ich sehe, daß man die geschichte von nina auch als leichte, witzige sommergeschichte lesen kann, würde ich sie heute vielleicht sogar noch weitergehender wieder so interpretieren wie oben geschehen. besonders die letzten szenen stecken so voller symbolik für mich, eigentlich müsste ich meine besprechung noch einmal damit erweitern….

      liebe grüße
      flattersatz

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      1. Hallo flattersatz,

        entschuldige, mein Kommentar war ein wenig irreführend. Jetzt noch mal genauer:

        Damals habe ich keine Rezension zu dem Buch geschrieben, weswegen sie auch nicht zu finden ist.
        Meine Meinung stimmt weder mit durchlesers Deutung überein, noch mit deiner. Mir hat das Geschriebene einfach nicht so viel gegeben. Ich habe die vielen Deutungsmöglichkeiten nicht gesehen und das Buch schlichtweg als „gut zu lesen, aber mehr auch nicht“ vertauscht.

        Jetzt allerdings habe ich das Gefühl, ich müsste den Roman noch mal lesen, weil du in deiner Rezension so viele interessante Denkanstöße gegeben hast, die mir damals offensichtlich entgangen sind.
        Das meinte ich damit, als ich sagte, dass meine Stimmung vielleicht die falsche war.

        Hochkomisch fand ich „Die Frau in der hinteren Reihe“ auf jeden Fall nicht, doch es ging für mich auch nicht so sehr in die Tiefe wie für dich.

        Liebe Grüße,
        Ada

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    1. Obwohl ich darum bitte zu beachten, daß auch ich die Situationskomik und die skurrilen Szenen wahrgenommen habe.

      Ich denke, es liegt weniger an der Wahrnehmung als an der Wichtung. Für mich ist diese Geschichte, die mit einer gescheiterten Ehe und einem Suizid-Versuch endet, eben eher tragisch und deprimierend. Zappelt Nina doch wie ein Frosch in der Milch, um sich ihren Mann wieder attraktiv zu machen und stößt ihn dadurch noch immer weiter von sich weg….

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  3. Das Buch ist weder traurig, noch frustrierend, geschweige denn deprimierend. Es ist teilweise hochkomisch, sehr raffiniert und leidenschaftlich. Die Zeitschrift „Lire“ schrieb darüber: „Eine Hymne auf die Sinnlichkeit der Frauen.“ Françoise Dorner hat übrigens für dieses Buch 2004 den Prix Goncourt du Premier Roman erhalten.

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    1. …nun, du findest es halt komisch. das freut mich für dich!

      Und danke für deine Hinweise auf die Ehrungen, die Frau Dorner bekommen hat, verdient bekommen hat. Denn das ich das Buch schlecht fände, habe ich – korrigier mich – glaube ich nirgends gesagt…

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