Bernd Brunner: Die Kunst des Liegens

brunner

Ein wunderschönes, kleines, absolut weihnachtsgeschenktaugliches Büchlein ist mir neulich durch Zufall in die Hände gefallen, das Handbuch der horizontalen Lebensform von Brunner. Natürlich war sofort die Assoziation zu Paquots „Kunst des Mittagsschlafs“ da und hurtig wechselte das Büchlein seinen Besitzer..

Der Titel sagt es schon, es geht um´s Liegen, diese Körperhaltung, in der wir, wenn man grob schätzt, doch ca. ein Drittel unseres Lebens verbringen, und einen großen Teil dieser Zeit wiederum im Schlaf. Auch wenn man diesen in seinen Einzelheiten wissenschaftlich noch nicht bis in alle Details erklären kann (und ihm damit noch einen Teil seines Zaubers läßt…), so ist er doch unverzichtbarer Jungbrunnen unseres Lebens. Ein Leben ohne Schlaf ist nicht denkbar, nach wenigen schlaflosen Tagen treten psychische und körperliche Probleme auf, am Ende steht der Tod.

Überhaupt sind Schlaf und Tod miteinander verwandt, Hypnos und Thanatos Brüder in der Götterwelt der griechischen Mythologie, meist geflügelt dargestellt, mit bekränzten Häuptern und symbolischen Elementen versehen: Thanatos trägt die nach unten gerichtete, verlöschende Fackel, sein Bruder hat gekreuzte Füße wie es hier in der Skulptur zu sehen ist. Jeden Abend vertraut sich der Mensch wieder dem Schlaf an, läßt das bewusste Leben los in der Sicherheit, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen, eine tägliche Einübung des letzten, großen Schlafes, des einzigen Besuches, den uns Thanatos gewähren und bei dem er uns auf eine große, endgültige Reise mitnehmen wird.

Wehe dem, der schlecht schläft, unausgeschlafen erwacht, müde den Tag schon mit Gähnen begrüßt und mit Bangen an die vielen vor ihm liegenden Stunden denkt, in denen er trotz Müdigkeit präsent und leistungsfähig sein soll. Welche Gründe hat es, daß der Schlaf nicht erfrischend und wohltuend ist? Und damit schlage ich wieder den Bogen zurück zum Buch, denn solchen Fragen widmet sich Brunner, unter anderen. Der unerquickliche Schlaf  könnte ja zum Beispiel daran liegen, daß das Bett des Schläfers (der Schläferin natürlich auch…) zu weich ist oder zu hart, es falsch im Raum positioniert ist, das Kissen ungünstig zu Verspannungen im Nackenbereich führt, nächtliche Geräusche z.B. von der Straße, immer wieder den tiefen Schlaf an die Oberfläche holen, was im übrigen auch Schlafgeräusche, vulgo beispielsweise das Schnarchen des Partners, anzurichten vermag.

Leistungsfähig: das ist das Stichwort, mit dem Brunner sein Handbuch beginnen läßt. Wird doch das Liegen, zumal am Tag, mit dem Stigma der Faulheit versehen, dem Verweigern von Leistung und Präsenz. Dabei ist es eine wohlfeile Methode der Regeneration, des Kraftschöpfens, der Erholung, eine Erkenntnis, die sich nur sehr langsam in der Arbeitswelt herumspricht, geschweige denn, daß man dem mittagsmüden Arbeitenden Gelegenheit schüfe, sich derart zu regenerieren, die Möglichkeit zum „Power Napping“ noch eher ein exotischer Bestandteil der Arbeitsplatzbeschreibung. Ist man jedoch krank, wird das Liegen zur bestimmenden, wenn nicht sogar ausschließlichen Lage, nicht ohne Grund werden Größe und Kapazität von Krankenhäusern auch nach „Betten“ bemessen… vllt liegt hier ein kleiner circulus vitiosus begründet: wer krank ist, sollte sich in die Horizontale begeben, so daß, wer liegt, zumal tagsüber, den Eindruck erweckt, wohl krank zu sein …..

Brunners Handbuch ist wohl portioniert in viele kleine Abschnitte unterteilt, in denen er dem Leser eine Vielzahl von teils sehr skurrilen Details erzählt. Aus welcher Zeit zum Beispiel sind die ältesten Betten nachweisbar, wie bettete man sich früher überhaupt, denn das Bett, so wie wir es kennen, vom Boden erhoben mit Matratze und Kissen ist ja ein Luxus, der der Allgemeinheit noch nicht so lange zur Verfügung steht. Die aufgebockte Liegestatt schützt vor der Feuchtigkeit des Bodens und auch vor ungebetenen animalischen Besuchern, die des Nachts umherstreifen, lange Zeit war dies den Reichen und Mächtigen vorbehalten. Das niedere Volk schlief auf Stroh- oder Heulagern, auf Matten, noch früher auf aufgeschüttetem Laub auf der Erde. Auch daß das Bett dem Schlafenden allein gehört ist nicht selbstverständlich, war es doch früher keine Seltenheit, daß in einem Bett mehrere Menschen schliefen, sich auch gegenseitig wärmten. War man unterwegs, konnte es sogar passieren, daß wildfremde Menschen sich zum Schläfer dazu betteten.

Andere Länder, andere Betten. Stammt das zeitweise auch in Europa moderne Futon aus Japan, so praktiziert man in manch entlegenen Gegenden unserer Erde das Schlafen in Hängematten, zum Teil in komplizierten sozialen Codes, die Auskunft geben über den Rang des Schläfers. Natürlich spielt auch auf Reisen eine große Rolle, wie man sich nächtens betten kann, ob Schiff, Zug oder modern das Flugzeug: die Reisen dauern oft Stunden, die man am besten (mehr oder weniger erholsam) im Schlaf verbringt….

Aber nicht nur andere Länder kennen andere Formen des Bettes, im Lauf der letzten Jahrhunderte sind eine Vielzahl von Möglichkeiten erfunden worden, sich in die Horizontale zu begeben und dort entweder anatomisch korrekt gefaltet, schaukelnd, wippend, eingehüllt als Ein-Mann-Sauna zu ruhen, um nur ein paar Beispiele anzuführen. Sinn all dieser Konstruktionen war es, eine gesunde, den körperlichen Bedürfnissen angepasste Liegestatt zu entwickeln, in der der Liegende möglichst viel von seiner Schwere an die Unterlage abgeben und auf der die Muskulatur das höchstmögliche Maß an Entspannung geniessen kann, ferner sollte das Skelett, besonders die empfindliche Wirbelsäule, in möglichst natürlicher Haltung ruhen können….

Dies alles (und noch viel mehr) findet sich in Brunners „Kunst des Liegens“ in anekdotenhafter Form, aufgelockert durch viele kleine Abbildungen, Zitaten aus Büchern oder Aphorismen bekannter Persönlichkeiten. Es macht Spaß, dieses Büchlein zu lesen, es entschleunigt die Zeit, es beruhigt einen, daß man als Schläfer kein per se schlechter Mensch ist.

Ein Punkt ist vllt zu erwähnen, weil die „horizontale Lebensform“ (wie Brunner an einer Stelle selbst sagt) unwillkürlich an das „horizontale Gewerbe“ denken läßt. Darüber jedoch finden wir im Buch nichts, wer solches erwartet, wird enttäuscht werden. Überhaupt ist dieser Aspekt liegender Lebensform weitgehend ausgespart. Zwar wird nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß die Entstehung des (individuellen menschlichen) Lebens ebenso im Bett stattfindet wie sein Ende (cum grano salis), mehr jedoch ist über die Rolle des Bettes im Rahmen der erotischen Ineinandersetzung zweier (oder mehrerer) Menschen kaum enthalten. Schade eigentlich….

… und als letzter Punkt sei noch ein kleiner Wermutstropfen beim Genuss des Buches erwähnt: der letzte Satz des Textes ist einfach kein Schlusssatz eines Buches, das ist ein Satz, der mitten in einem Absatz steht. Er beendet nichts und so wirkt das Buch im letzten Moment des Lesens wie abgehackt, so abrupt beendet wie ein Schlaf aufhört, wenn der Wecker rasselt…. auch das ist schade. Aber abgesehen davon ist das Büchlein ein wirklicher Schatz, zum Selberlesen, zum Verschenken…

Bernd Brunner
Die Kunst des Liegens
Handbuch der horizontalen Lebensform
Verlag Galiani Berlin, ca 164 S., 2012

3 Kommentare zu „Bernd Brunner: Die Kunst des Liegens

  1. Liegelümmelnd widme ich gerade diesem Bändchen auch meine Aufmerksamkeit, bin aber noch ganz am Anfang…..die Themen gehen unseren Damen und Herren Autoren nie aus…..
    es als Geschenktip zu empfehlen, dem stimme ich voll und ganz zu…. ist etwas für Leute, die nicht immer nur Schicksalhaftes lesen möchten -:)))
    Auf den evtl. unbefriedigenden Schluß komme ich noch zu sprechen, wenn ich dort angelangt bin….
    vorm PC sitzend und nicht liegend grüßt Sie herzlich

    Karin

    draußen bereitet Frau Holle ein Schneebett , hoffentlich bleibt der liegen…..

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    1. ja, das schneebett zusammen mit väterchen frost ist noch vorhanden, aufgeschüttelt und frisch bereitet wurde es heute aber nicht… man liegt nicht warm wenngleich manchmal schneller als man denkt darinnen, vor allem dem glatten eis gedankt, das sich unter der decke befindet… :-))

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