Eberhard König: Die Belles Heures des Duc de Berry

Bei mir in der Nähe wohnt ein Kunsthistoriker, der diesen Sommer eine Veranstaltungsreihe organisiert hat, bei der auch verschiedene Vorträge über mittelalterliche Buchkunst gehalten wurden. Ich hatte mir da vor einigen Wochen schon mal einen über das „Liebentbrannte Herz“ angehört und letzte Woche den über Stundenbücher besucht. Besucht, getan: es gibt im Buchhandel, ohne daß man auf -zig tausend Euro teure Faksimiles zurückgreifen muss, schöne Bücher mit guten Abbildungen, von denen ich mir dann letztlich zwei gekauft habe. Eins davon ist dieser Band von König über eins der Stundenbücher, die der Duc de Berry im 14. Jhdt gesammelt bzw. in Auftrag gegeben hatte.

Was sind Stundenbücher überhaupt? Im Grunde eine Art Gebetsbuch für Laien, eine Art Laienbrevier, wobei die Breviere (brevis lat. kurz) die sehr umfangreichen Jahresgebetesbücher der Priester waren. In den Psalmen wird vorgeschrieben, daß man den Herrn sieben mal am Tag und einmal in der Nacht preisen soll, also ziemlich genau alle 3 Stunden (in der täglichen Praxis sind die Abstände natürlich anders, was auch darauf zurückzuführen ist, daß die Stunden im Altertum nicht immer gleich lang waren [4])…. entsprechen werden acht Gebetszeiten unterschieden: Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper, Komplet.

In den Stundenbüchern werden die einzelnen Zeiten in den verschiedenen „Offizien“ (Pflichtgebete) jeweils mit Bildern eingeleitet, die für jede Gebetszeit ein bestimmtes Motiv enthalten. So weiß man (wenn man die Zuordnung kennt..) bei jedem Stundenbuch sofort wenn man das Bild sieht, welche Gebete dahinter folgen. Für das Marienoffizium, dem Kern jedes Stundenbuches, sieht das z.B. beginnend von den ersten Gebeten, die den Tag einleiten bis hin zum Tagesausklang in der Nacht so aus [3]:

Matutin
– Verkündigung des Erzengels Gabriel, daß Maria schwanger ist
Laudes – der Besuch von Elisabeth bei Maria
Prim – Geburt Jesu
Terz– Verkündigung an die Hirten
Sext – Anbetung durch die heiligen drei Könige
Non – Darbringung im Tempel nach 40 Tagen (Ende der rituellen Unreinheit der Frau nach der Geburt)
Vesper – Flucht nach Ägypten
Komplet – Tod Mariens und Versammlung der Apostel bei ihr

Neben den Gebeten sind oft auch Kalender enthalten, die entsprechend den Monaten illustiert werden. Zum Teil kann man diese Malereien wie Lehrbücher der Landwirtschaft und Illustration des damaligen Lebens lesen, man sieht, wie gearbeitet wurde, welche Gerätschaften zur Verwendung kamen, welche Tiere es gab etc pp….

Diese Buchmalereien sind wirklich ganz aussergewöhnliche Kunstwerke voller Symbolik, die sich einem erst ganz langsam und in Ansätzen erschließt. Aber je mehr Einblick man darin bekommt, desto faszinierender wird es. Anfänglich herrscht einfach nur Unverständlich, ganz nett.. ja, ja.. aber… hmmm… aber dieses Unverständnis weicht immer mehr, je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt. Zumindest ist es mir so gegangen. Und jetzt sitz ich hier ab und an vor dem Buch von König über eines der bekanntesten Stundenbücher des Mittelalters und bewundere die Malereien und les die Erläuterungen von König dazu. die ausdrücklich für Menschen wie du und ich gedacht, also sehr klar und verständlich sind.

Facit: Hier übernehm ich jetzt einfach das Resumee von Schwarzenberger aus dessen Besprechung auf die ich auch verweise[2]: Es „…ist schon die Buchgestaltung ein Augenschmaus. Und nur wer sich wirklich Zeit nimmt, wird auch die Fülle der zeitgenössischen Abbildungen würdigen können – und in ihnen vieles entdecken, was den Alltag zumindest der Oberschicht prägte. Faszinierend nicht nur für Bibliophile.“

Links:

[1] ein paar Abbildung aus einer Ausstellung des Getty-Museums
(ansonsten findet man bei der google-Bildersuche „Belles Heures“ bzw. auch „“Tres rich heures“ eine Vielzahl von Illustrationen)
[2] die schöne Buchbesprechung von Schwarzenberger ist hier zu finden
[3] wobei man sich aber vor Augen halten muss, daß Stundenbücher Auftragsarbeiten waren, die nach individuellen Wünschen gestaltet wurden. Auch änderten sich die „Moden“ über die ca. vier Jahrhunderte hinweg, in denen Stundenbücher gestaltet wurden, so daß letztlich jedes Buch ein individuelles war, das sich ich diversen Details wie kalligraphischer Ausstattung, den Bilderzyklen, der Qualität der Bilder u.a. von anderen Büchern unterscheiden konnte – und unterschied.
[4] die sogenannten „temporalen Stunden„. Mit ihnen wurde der Tag, gemessen von Sonnenauf- bis -untergang in 12 Stunden eingeteilt, die dann im wechsel der Jahreszeiten entsprechend ihre Länge veränderten (für die Nacht gilt dies analog)

Eberhard König
Die Belles Heures des Duc de Berry
Theiss Verlag, HC, 2004, 144 S.

Nachtrag vom 02.02.2011: die „Furtmeyer-Bibel“ aus Augsburg mit ihren herrlichen Malereien ist hier im Netz zu bewundern….

2 Kommentare zu „Eberhard König: Die Belles Heures des Duc de Berry

  1. ach ja… manches der gelegenheit geschuldet, manches langfristig auf- und wieder abtauchende interessen, einiges an weiterbildung und alles mit spaß, freude und/oder wissbegierde!

    so so, und du stehst auf fussnoten.. interessant… ;-) :-D

    ein herzliches dank auch für dein „komplet“ment, liebe wortsplitter!

    lg
    fs

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  2. ich bin immer wieder überrascht, was ich bei dir finde.
    Ausserdem möchte ich dir ein Kompliment für die Aufmachung deiner Rezensionen machen. Gestern hätte ich mich fast dazu hingerissen deine Fussnoten zu kopieren :D Konnte mich dann aber stoppen.

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