Diana Raznovich: Der Freund meines Sohnes

Mit dem Fall der Berliner Mauer brach die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die herrschenden Verhältnissen eine erste und auch die entscheidende Bresche in den Eisernen Vorhang. Unterdrückung und Gewalt, Repression und Zwang waren tägliches Brot, nach außen hin wurde versucht, den Schein zu wahren. Propaganda und Verschleierung der wahren Verhältnisse waren probate Mittel dazu.

Ich schreibe über eine niedergerissene Mauer. Ich schreibe über den Ziegelstaub einer Mauer, die wie ein Schwertstreich Europa in zwei geteilt hat. Ich schreibe mit dem Blut derer, die gefallen sind auf der Suche nach Freiheit, der Freiheit ihrer Körper und ihrer Seelen.
Meine Geschichte ist schön. Das weiß ich, das fühle ich. Sie ist so schön wie der Fall der Berliner Mauer.

Die Eltern der in Argentinien geborenen und  lebenden Schriftstellerin Diana Raznovich stammen väterlicherseits aus Russland und mütterlicherseits aus Österreich. Sie sind vor den Judenverfolgungen nach Südamerika geflohen. Dies erklärt den für eine spanische Schriftstellerin etwas auffälligen Namen.

Raznovitsch, die ihrerseits 1976 selbst vor der argentinischen Militärdiktatur (zu diesem Thema werde ich in Kürze ein erschütterndes Buch vorstellen) emigrierte, arbeitet  in ihrem Roman „Der Freund meines Sohnes“ auf besondere Art und Weise den Zusammenbruch eines totalitären Regimes auf. Sie nimmt exemplarisch die Ehe der gebürtigen Russin Naschtenka Korolenko [1] mit dem Deutschen Offizier Helmut Dragel, die im wesentlichen aus diplomatischen Gründen geschlossen wurde. Steht Naschtenke in ihrer Rolle als Frau für die Unterdrückung, das Erleiden von Gewalt, die fehlende Rücksichtnahme auf und Nichtbefriedigung von Bedürfnisse(n), die Freudlosigkeit und die Unmündigkeit, so verkörpert sich in ihrem Mann das brutale, unterdrückende Element, mit dem nichtsdestotrotz nur seine/die immanente Unsicherheit kaschiert wird. Über viele Jahre fügt sie Naschtenka  in diese Rolle, sie erträgt die Launen ihres Mannes, aber in ihr sammelt sich Sprengstoff, der nur auf den Zünder wartet.

Dieser Zünder kommt dann in Gestalt des titelgebenden Freundes Peter. Er ist verführerisch, schön, verspricht ein Leben voller Freude und Lust. Und in der Tat, Naschtenka, die dem nicht widerstehen kann, erlebt zum ersten Mal, wie schön das Leben sein kann.

Wer nun glaubt, mit „Der Freund meines Sohnes“ hätte Raznovich ein langatmiges politisches Buch geschrieben, täuscht sich. Es ist im Gegenteil ein leidenschaftliches, ja, sogar ein scheidenlastiges Buch, das sie vorlegt, denn man könnte das Werk auch schlicht und einfach als pornographisch bezeichnen. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich aus der Hand eines sadistischen Mannes befreit, der sie über lange Jahre in ihrer Ehe gequält und unterdrückt hat. Und die Befreiung ist im Bild eine sexuelle, in deren Verlauf  jede Grenze im Namen der Offenheit und Ehrlichkeit überschritten wird. So schlägt im Lauf des Buches die politische Metapher auch um in eine moralische: nämlich in eine Anklage der Verlogenheit, der Heimlichkeit und der Unterdrückung in der Welt.

Ja, es ist schon ein seltsames Werk. Ob es schön ist, ich weiß es nicht. Es gibt zugegeben durchaus anregende Schilderungen in dem Buch, auch lustvolle, aber die Autorin legt mehr Wert auf Plastizität und Anschaulichkeit der Szenen denn auf Subtilität. Genausowenig wie penetrierbares unpenetriert bleibt, bleibt beschreibbares unbeschrieben. Man könnte einzelne Absätze auch betiteln mit „Bis 10 zählen lernen dank multipler Orgasmen“, in dieser realitätsfernen Übertreibung liegt dann auch das pornographische Element der Geschichte, die damit über reine Erotik hinausgeht.

Interessant ist jedenfalls der Ansatz, in eine solch zügellose Geschichte eine politische Entwicklung von der Unfreiheit zur Freiheit zu packen – und ich habe das in meiner Deutung ja genauso zügellos ausgeschmückt. Aber wer vor solchen Analogien zurückschreckt, den kann ich beruhigen, im Mittelteil herrscht dann doch die vom Klappentext einfallsreich versprochene „Eruptive, unverdorbene Sexualität“ vor…..

Facit: ähemmm…. ja, gelesen ist gelesen. Ist wohl eh nur noch gebraucht lieferbar, das Angebot bei amazon für 38,80 empfehle ich sicher nicht….

Links und Anmerkungen:

[1] Daß Raznovich diesen Nachnamen für ihre Heldin wählt, dürfte kaum ein Zufall sein, wurde doch ihr Namensvetter Wladimir Galatkonowich Korolenko unter dem zarastischen Regime mit Verhaftungen und Verbannung verfolgt.
[2] Biographisches über Diana Raznovich

Der Roman ist im übrigen auch in der kleinen Eichborn-Reihe mit Erotischer Literatur erschienen.

Diana Raznovich
Der Freund meines Sohnes
Heyne TB, 1994, 173 S.

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