Über den Tod

Verachte nicht den Tod,
sondern habe dein Wohlgefallen an ihm,
in der Überzeugung,
daß auch er zu den Dingen gehört,
die die Natur will.

(Marc Aurel: Selbstbetrachtungen)


Tod und Liebe, Liebe und Tod: ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, ein Großteil der Literatur, sei es Prosa oder Lyrik, befasst sich in der einen oder anderen Weise mit diesem beiden Antagonisten des Lebens. Durch die Liebe wird Leben geschaffen und der Tod beendet es, obschon er erst die Voraussetzung schafft, daß neues Leben Platz bekommt auf dieser Welt. Tritt die Liebe in vielfacher Form in Erscheinung, so ist der Tod immer und nur derselbe: aus dem Lebenden, ob Pflanze, Tier oder Mensch, das als Subjekt mit seiner Umgebung wechselwirkte, ist ein Objekt geworden, das nur noch den Gesetzen der Physik und der Chemie unterliegt: es verwest und geht wieder ein in den Kreislauf der Natur. Dem Tod des Menschen wohnt noch ein Zweites inne: er wird von seinen Verwandten, Bekannten und Freunden als Verlust erfahren, als Schmerz, als Wunde im eigenen Sein: Trauer bemächtigt sich seiner. Die unter Umständen Tröstung erfährt im Gedanken und im Glauben daran, daß etwas von dem, was den Menschen über einen biologischen Apparat erhebt, überlebt, vom Körper befreit in eine andere Welt übergeht oder auch wiederkehrt in anderer Form…

Vermengt wird häufig der Tod im Sinne von das ‚Totsein‘ als Zustand mit dem Sterben als Prozess. So flößt der Gedanke tot zu sein, nicht unbedingt jedem Furcht ein, die Vorstellung zu sterben jedoch schon eher, nicht nur die Gefahr eines quälenden Sterbeprozesses (wie ihn beispielsweise Tolstoi im Der Tod es Iwan Iljitsch schildert), auch der Gedanke des Verlusts an allem, was das eigene Leben umfasst, ist Angst erregend. Aber kommen wir jetzt nach diesen Vorbemerkungen meinerseits zur voliegenden Anthologie über den Tod, die hin und wieder eben auch über das Sterben geht.


Die Sammlung der ausgewählten Texte ist chronologisch, fängt mit einem altägyptischen Gedicht an, dem kurze Texte des Predigers Salomo folgen, alles hat seine Zeit. Danach Texte aus griechischer und vor allem römischer Antike, dann ein Sprung ins 13. Jahrhundert zu Dante und Walther von der Vogelweide, Texte von Luther, de Montaigne, Moliere, Voltaire, Lessing und vielen anderen mehr. Die deutsche Romantik mit Hölderlin, Kleist oder Novalis ist vertreten, aber auch allen Poe, Tolstoi, Oscar Wilde, Brecht, Thomas Mann und Hesse. Diese Namen mögen auch für die vielen anderen Autoren, von denen ebenfalls Gedichte, Zitate und Textauszüge wieder gegeben werden, stehen.

Der Tod – also eins der Hauptthemen der Literatur. Von daher könnte eine Anthologie wie diese, die 2003 zum ersten Mal erschienen ist (damals noch mit den Namen der Herausgeber) ‚unendlich‘ umfangreich sein, eine Auswahl war notwendig. Leider enthält das Bändchen weder Vor- noch Nachwort (eingeleitet wird es mit einem recht amüsanten Aufsatz von Urs Widmer), in dem der/die Herausgeber erläutern, unter welchen Prämissen sie ausgewählt haben, was sie verdeutlichen, zeigen, sichtbar machen wollten und warum… So erscheint die Sammlung ein wenig orientierungslos und willkürlich, neben Schopenhauer, Nietzsche, Rilke und anderen tauchen beispielsweise auch Max und Moritz auf, die in des Müllers Mühle zu Hühnerfutter verarbeitet werden. In der Summe aber läßt sich beim aufmerksamen Leser doch etwas erkennen: die in den Zeitläufen wechselnde Einstellung des Menschen zum Tod.

Das oben von mir wiedergegebene Zitat Marc Aurels sei beispielhaft für viele Äußerungen antiker Philosophen, die den Tod als Notwendigkeit des Lebens akzeptierten. Gewöhne dich an den Gedanken, daß der Tod für uns keine Bedeutung hat, schreibt Epikur an einen Freund, denn solange wir leben, ist der Tod nicht anwesend, sobald aber der Tod eintritt, werden wir nicht mehr leben. … oder Seneca: Es ist aber doch ein schönes Ende, allmählich mit der natürlichen Auflösung zu erlöschen.Vor allem aber sollten wir lernen, ohne Traurigkeit an unser Ende zu denken. Wir müssen uns eher für den Tod als für das Leben vorbereiten. … Mit dem Christentum dann kam der Glaube an den Einzug in Paradies, die Wiederauferstehung: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt. … und die Toten werden auferstehen, unverweslich, …. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? (1Kor 15,51f; LUT) Der Tod hier also schon als Gegner, als Feind.

Augustinus berichtet ein paar Jahrhunderte später zum Tod seiner Mutter, daß er sich das Weinen verbot: ... ein krankhaft starker Wille meiner Seele hielt sie [i.e. die Tränen] zurück in meinen Augen, daß sie trocken blieben. Mir aber war gar weh bei diesem Kampf der Seele. …

Kraftvoll und lebensnah dagegen das Gedicht Villons im Angesicht des Galgens: Ihr seht uns hier gehängt, fünf, sechs Gefährten: / und wenn das Fleisch, das wir zu gut genährt, / verfault sein wird, von Elstern ganz verzehrt, / und wir Skelette, Asche, Staub und Bein – / dann haltet uns mehr als des Spottes wert / und bittet Gott, er möge uns verzeihn!

Bei Luther wird der Tod wieder zum Feind, gegen den jeder in eigener Person geharnischt und gerüstet sein muss, um mit ihm zu kämpfen… [dem Sinne nach zitiert] und Angelius Silesius fordert vom Menschen, er solle sich von der Gier frei machen, im Leben schon das loslassen, was er im Tod eh loslassen muss: Stirb, ehe du sterben musst, / meid, ehe du meiden musst! / Ertöt in dir die böse Lust / und alle falschen Freuden! … Unschwer läßt sich aus diesen Zeilen die Leibfeindlichkeit des damaligen Katholizismus herauslesen.

Langsam kommt die Textsammlung in die Zeitalter, in dem nicht nur vor allem die kirchlichen Würdenträger des Schreibens mächtig waren, sondern auch die weltliche Literatur immer stärker anschwoll. Montaigne wird natürlich angeführt, Lichtenberg, Goethe, Claudius, Shakespeare, Mozart… so viele. Die deutsche Romantik mit ihrer Verklärung des Todes, hier ist der Abschiedsbrief Kleists an seine Schwester bemerkenswert, durchaus tröstlich im Stil und unterzeichnet mit: … am Morgen meines Todes. Dein Heinrich. 

Der Tod, bzw. das Sterben als Komödie der Eitelkeit für Nietzsche, der Tod als Zeigefinger schwarzer Pädagogik in Geschichten wie die von Paulinchen und den Zündhölzern oder auch bei Wilhelm Busch mit seinen Max und Moritz, die ihr ungezogenes Verhalten büßen müssen. Das schwere Sterben des Iwan Iljitsch [meine Besprechung des Buches: https://radiergummi.wordpress.com/2013/11/02/leo-tolstoi-der-tod-des-iwan-iljitsch/] bei Tolstoi und der wunderbare Fünzeiler Rilkes: Der Tod ist groß… wenige Beispiele nur für die vielen Textstellen, die die Anthologie bietet.

Über den Tod, um das Gesagte zusammenzufassen, erweckt als Ganzes ein wenig den Eindruck der Beliebigkeit, da eine Richtschnur der Herausgeber über ihre Motive zur Auswahl der Texte vermisst wird. Ungeachtet dessen enthält die Sammlung eine Vielzahl meist kürzerer Zitate, Textauszüge und Gedichte, die lesenwert, bedenkenswert sind. Da man eine solche Zusammenstellung normalerweise nicht wie einen Roman vorne beginnend und auf der letzten Seite endend liest, hat dies Buch trotz dieses als Mangel empfundenen Fehlens eines übergreifenden Auswahlmotivs seinen Wert, um in ruhigen (oder weniger ruhigen) Stunden einen Anker zum Nachdenken, zum Sinnieren zu finden.


Über den Tod

Poetische und philosophische Texte
Erstausgabe: Diogenes, 2003
diese Ausgabe: Diogenes, HC, ca. 208 S., 2017

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

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