Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels

Die Geschichte, die der amerikanische Autor Donald Ray Pollock uns hier erzählt, fängt mit Willard Russel an. Und ein wenig auch, wenngleich im Hintergrund, mit Helen. Denn Helen, so hatte sich Willards Mutter Emma geschworen, wollte sie mit ihrem Sohn verheiraten. Daß Helen so aussah, daß sich freiwillig niemand an sie herangemacht hätte, verblasste für sie vor den inneren Werten dieser durch und durch gottesfürchtigen jungen Frau. Willard jedoch war dafür nicht empfänglich, er kam gerade aus dem Krieg zurück, hatte im Kampf gegen die Japse Dinge gesehen, die ein Mensch nicht sehen müssen dürfte… Damals gab es den Begriff der posttraumatischen Belastungsstörung noch nicht, geschweige denn eine Behandlung, gleich gar nicht in diesem im tiefsten Hinterlang gelegenen Kaff in Ohio…

Willard blieb nicht lang bei den Eltern, sondern fuhr bald zurück zu der Busstation, wo er diese wunderschöne junge Frau gesehen hatte. Kurz darauf erreichte die Eltern die Nachricht, daß die beiden geheiratet hätte. Es kam ein Kind, Arvin, Willard fing in der Fabrik an zu arbeiten und man zog in ein altes, heruntergekommenes Haus. Egal, es war ihr Haus und sie richteten sich ein.

Helen dagegen fiel einem verrückten Wanderpredigerpaar zum Opfer, in vielerlei Hinsicht… man fand ihre Leiche später verscharrt im Wald, die Tochter, Lenora blieb bei Willards Eltern, bei denen sie Helen kurz abgegeben hatte, weil sie mit Roy einen kleinen Ausflug machen wollte, so sagte sie ganz glücklich….

Als Arvins Mutter starb, nein: verreckte (Arvin war so um die sieben, acht Jahre alt), packte Willard der Wahn, aber all sein Beten, seine Blutopfer halfen nicht… Letztlich kam Arvin dann zu den Großeltern und wuchs dort auf, im Haus, in dem auch sein Vater aufgewachsen war.

Und dann waren da noch Sandy und Carl… Sandy, die Schwester des korrupten Sheriffs, die im schmierigen Restaurant bediente und an der Hintertür jedem Kerl, der ihr etwas Geld dafür gab, den Hintern zur Nutzung hinhielt und Carl, der fette, weißfleischige Kerl, den sie in diesem Schuppen kennengelernt und nach einer oder zwei Wochen geheiratet hatte und der von sich behauptete, Fotograf zu sein. Ja, er machte Bilder, von Sandy und den Models, aber es waren Bilder der Art, die man noch nicht einmal unter dem Ladentisch zeigen geschweige denn verkaufen konnte….

Der Teufel, der nicht nur ein Eichhörnchen ist, sondern auch sein Handwerk versteht, richtete es schließlich ein, daß sich die Lebenswege all dieser Menschen an der einen oder anderen Stelle trafen. Und man kann wirklich nicht sagen, dies für irgendjemanden von ihnen gut war oder von Vorteil….


Puhhh… was ein Roman. Donald Ray Pollock weiß, wovon er schreibt. Er ist in dieser Ecke der USA [2] geboren, hat schon 2008 Knockemstiff, eine Sammlung von Erzählungen herausgegeben, den ich seinerzeit hier vorgestellt hatte [4]. Was ich dort zum Atmosphärischen schrieb, könnte ich eins zu eins hier einfügen: es ist eine Version von Hölle auf Erden, eine fleischgewordene Freak-Show, eine Ansammlung von Menschen, denen jedweder Wertemaßstab, ach: jeder Maßstab eigentlich, abhanden gekommen ist. Konflikte werden über das Faustrecht ausgetragen oder auch mit Waffen, jemanden zu ‚Brei schlagen‘ ist hier keine leere Redewendung. Es ist bezeichnend, daß Arvin den Tag für den besten mit seinem Vater hält, an dem dieser einem Mann, der zuvor die Mutter beleidigt hat, sämtliche Knochen im Leib bricht…. Dazu herrscht unvorstellbarer Dreck, die Menschen stinken, sie waschen sich nicht, putzen sich nicht die Zähne und die Kleidung nicht zu wechseln bereitet ihnen keine schlaflosen Nächte. Die Autos sind so gammelig wie die Wohnungen versifft sind, Alkohol ist ein weidlich genutztes Ablenkungsmittel (die große Zeit des Hillbilly-Heroins, des Oxycontin, sollte erst noch nicht gekommen).

Sicherlich gibt es auch andere Menschen in dieser Region, in Pollocks Romanen tauchen aber nur wenige davon auf. Der Rechtsanwalt, der der Vermieter des Hauses der Russels ist, ist zwar gut angezogen und Mitglied im Country-Club, aber er ist ein Schwein und schaut hilflos zu, wie seine nymphomane Gattin sich vom farbigen Gärtner bearbeiten läßt. Der Sheriff ist, wie schon erwähnt, korrupt bis an die Halskrause und um Ärzte in die Geschichte einzuführen, reicht das Geld der Leute nicht…. und der (Ersatz)Pfarrer, der seinen todkranken Onkel vertritt… na, was das für ein Früchtchen ist, verrate ich hier nicht, der Handlung gibt er jedenfalls einen weiteren tragischen Impuls.

In den anderhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, erlebten die Vereinigten Staaten einen ungeheurlichen Wirtschaftsaufschwung. Der Krieg brachte die Rückkehr des Wohlstandes, und die USA. konnten ihre Stellung als die reichste Nation der Welt festigen. [3] Von diesem Aufschwung scheint in der Region nichts angekommen zu sein, obwohl die Handlung des Romans genau diesen Zeitraum, die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg umfasst. Im Gegenteil könnte man als Leser ohne die Hinweise des Autoren keinen zeitlichen Verlauf in der Geschichte feststellen, in ihrer Armseligkeit, Schäbigkeit, ja: Schlechtigkeit, die noch schlimmer wird durch die Tatsache, daß sie offensichtlich als Normalzustand des Lebens akzeptiert wird, obwohl im Gleichschritt mit dieser äußeren Verkommenheit auch innere Maßstäbe verloren gegangen sind: es scheinen mit wenigen Ausnahmen alle vom Wahn, mag er nun religiöser Natur oder einfach nur abartig sein, erfasst.

Die einzigen halbwegs anständigen Menschen im Roman sind die Eltern von Willard Russel, bei denen der Enkel Arvin groß wird, selbst Helen und Lenora, die beiden Frauen, die von Gott mir ihrem Äußeren geschlagen sind, sind zwar gute Menschen, aber seltsam sind sie auch, hilflos vor allem. Und Arvin, die Hauptperson der Geschichte? Tragisch verstrickt in ein Schicksal, daß er sich nicht ausgesucht hatte, geprägt von der Konsequenz der Handlung, die ihm sein Vater an jenem Tag, der ihm noch immer als der beste deucht, den er mit seinem Vater erlebte, als Handlungsprinzip mitgab…. so lädt er Schuld auf sich, wieder und wieder, obwohl er im Grunde kein schlechter Mensch ist: er hat es nie anders gelernt.

Die Sprache, in der Pollock uns diese Geschichte erzählt, ist unaufgeregt. Lakonisch nimmt er uns sprachlich an die Hand und führt uns oft nur bis an eine Grenze, hinter der dann unsere eigene Fantasie anfängt, sich den Fortgang der Situation vorzustellen, Pollock punktet also nicht durch Schock, durch explizite Beschreibungen. Selbst wenn er mal detaillierter schildert (z.B. den Gebetsbaum Willards und die dort abgehaltenen Rituale) versteht er es grandios, die Wirkung eher indirekt durch die Visualisierung, die er in unserer Fantasie antriggert, zu entfalten. Ich habe mir entgegen meiner  Gewohnheit keine Notizen beim Lesen des Romans gemacht: er war so fesselnd, das ich das Lesen einfach nicht unterbrechen wollte. Das sagt wohl alles….

Links und Anmerkungen:

[1] zum Autoren: http://en.wikipedia.org/wiki/Donald_Ray_Pollock
[2] https://www.google.de/maps/@39.2492458,-83.1853021,11.25z
[3] https://usa.usembassy.de/geschichte-postwar.htm [Status: 02.09.2017, die orthographischen Fehler im Zitat stammen aus der Originalstelle]
[4] Donald Ray Pollock: Knockemstiff, Buchvorstellung hier im Blog:  https://radiergummi.wordpress.com/2014/05/25/donald-ray-pollock-knockemstiff/

Donald R. Pollock
Das Handwerk des Teufels
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg
Originalausgabe: The Devil all the time, NY, 2011
diese Ausgabe: Heyne Hardcore, Tb, ca. 300 S., 2013

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