Fuminori Nakamura: Der Dieb

Fuminori Nakamura ist der preisgekrönteste japanische Jung-Schriftsteller. Er schreibt magische, unterkühlte Romane. Fuminori Nakamura ist Hochliteratur. Das nächste große Literaturding nach Haruki Murakami. Das Tokioter Wunderkind. [1] Der 1977 in Tokio geborene ist in der Tat noch ein recht junger Mann, dessen Roman mittlerweile in viele Sprachen übersetzt werden. Insbesondere mit seinem Buch Der Dieb heimste Nakamura eine Menge Lob ein, verdientermaßen, denn der Roman fesselt und fasziniert auf eine ganz eigene Art und Weise.

In meiner Kindheit war da in der Ferne immer der Turm. Nakamuras läßt seinen Roman mit einer Rückbesinnung des Protagonisten auf seine Kindheit beginnen und kehrt gegen Ende der Handlung in der Erinnerung wieder zu dieser zurück, in der dieser Turm eine geheimnisvolle Rolle spielt. Es war die Zeit, in der ihm beim die Dinge beim Stehlen noch aus der Hand fielen, weil sie wie Fremdkörper nicht in seine Hand wollten. Jetzt, wo er schon lange ein Meister seines Gewerbes ist, passiert ihm das natürlich nicht mehr und natürlich sehe ich auch den Turm nicht mehr.

Nakamuras Dieb (nur in einer Passage des Romans tritt ein Mann auf, der zum Erschrecken des Diebes seinen ‚wirklichen‘ Namen‘ kennt und nennt) stammt aus einfachen, ärmlichen Verhältnissen. Sind die ersten Diebstähle, die er vornimmt, auf´s Essen fixiert, weil er einfach Hunger hat, so merkt er rasch, daß ihm durch das Stehlen ein Tor zu einer Art Freiheit geöffnet wird und er fühlt einen Kitzel, eine Erregung, die in späteren Jahren eine durchaus erotische Komponente erhalten sollte. Wenn ich jedoch meine Hände nach dem Eigentum fremder Leute ausstreckte, fühlte ich in der Anspannung des Moments so etwas wie Freiheit. Ich fühlt, dass es möglich zwar, mich von der beengenden Umgebung zumindest ein ganz klein wenig zu lösen. 

Später, als Erwachsener dann tat sich der Dieb mit einem zweiten Taschendieb, Ishikawa, der für ihn ein Vorbild war, zusammen. Sie waren ein erfolgreiches Gespann, an Geld hatten sie keinen Mangel. Sie müssen in der Vergangenheit sogar einen sehr erfolgreichen Coup gelandet haben, der aber nicht ganz ohne Folgen für sie bleiben sollte.

So wie ein Fisch durch das Wasser gleitet, so bewegt sich der Dieb durch die Menge der Menschen, mit und in dieser flüssigen, harmonischen Bewegung gleiten seine Finger unbemerkt in die Taschen seiner stets wohlhabenden Opfer und bemächtigen sich der Brieftaschen oder Portemonnaies. Auf Toiletten sichtet er seine Beute, deren Inhalt ihm Auskunft gibt über das Leben der Besitzer. Kreditkarten, Mitgliedskarten für Bordelle, Visitenkarten etc pp … Er entnimmt nur das Geld, die Börse selbst schmeisst er in Briefkästen, von wo aus sie dem Besitzer sie mit der Polizei wieder zugestellt wird.

Wir sind in Tokio, dort trifft unser Dieb auf seinen früheren Partner, der jetzt einen anderen Namen trägt und offensichtlich für Kizaki, einen Unterweltboss arbeitet, wobei Fragen nach Details sich von selbst verbieten. Kizaki engagiert (es ist ein Angebot, das man nicht ablehnen kann) die beiden und noch einen weiteren Mann für einen Überfall. Noch wissen oder ahnen die drei nicht, daß sie im Grunde schon wie Fische an der Angel Kizakis hängen….

Führt dieser Handlungsstrang sozusagen vom Jetzt in die Zukunft, so baut Nakamura einen zweiten Erzählstrang auf, der in die Vergangenheit des Diebes deutet. Dieser beobachtet nämlich eines Abends, wie ein kleiner, etwas ärmlich aussehender Junge in Begleitung seiner Mutter in einem Laden versucht, Lebensmittel zu stehlen. Bevor diese entdeckt werden, warnt er die beiden. Von nun an sucht der Junge Kontakt zum Dieb; seinen Vater kennt er nicht, die Mutter schläft für Geld mit Männern (im Verlauf der Handlung auch mit dem Dieb) und die Männer, mit denen die Mutter zusammen lebt, schlagen ihn. Natürlich will sich der Dieb nicht an so einen Jungen binden, aber …. in seinem trotzigen Blick …. sah ich mich selbst – vor langer, langer Zeit.

Das Schicksal hat den Dieb in Person Kizakis fest im Griff. In einem längeren Gespräch, eigentlich eher einem Monolog, erklärt dieser unserem Helden, wie erregend es für ihn ist, für einen anderen Menschen das Buch des Lebens zu schreiben, also dessen Leben – und Sterben – zu planen und diesen Plan umzusetzen. Es ist die Gottähnlichkeit, die Kizaki anstrebt und unter anderem an dem Protagonisten verwirklicht: ... Schau mal, jetzt zittere ich ein wenig. Weil ich gerade die letzten Momente im Leben eines beliebigen Menschen miterlebe – genauso wie ich es bestimmt habe, auf diese Art, an diesem Ort. Ein einzigartiges Vergnügen. …


Der Dieb ist ein düsterer Roman, der – obwohl in Tokio angesiedelt – dennoch in einer fast dystopischen Welt zu spielen scheint. Regen, Dunkelheit, Sturm, einsame Straßen und Unterführungen, immer wieder auch der Hinweis auf diesen ominösen Turm, der wie ein Monolith (2001?) in den Himmel aufzuragen scheint. Immer wieder auch ist bei mir beim Lesen im mitlaufenden Kopfkino die Kulisse vom Blade Runner eingeblendet gewesen… der gesamte Inhalt verströmt abweisende Kälte und depressive Einsamkeit, einzig in den beiden Bettszenen zwischen dem Dieb und der Mutter tritt scheinbare Nähe zwischen zwei Menschen auf, aber auch diese ist letztlich drogengestützt.

Noch eine letztes Mal wollte ich den Körper einer Frau berühren. Der Dieb ahnt sein Schicksal, sind es bei ihr Drogen, so ist es bei ihm die Todesahnung. Die Todesahnung, die ihn auch sein Leben in der Rückschau in Erinnerung ruft und den Zweifel an dessen Sinnhaftigkeit. Ich hatte mich von allem abgewandt, hatte Gemeinschaft verschmäht, Glück und Lichte und stattdessen meine Finger in fremde Taschen gesteckt. … Hat er den Jungen anfänglich noch mit Tricks unterwiesen, rät er ihm nun dringend von einer Diebeskarriere ab: Du kannst ein neues Leben anfangen. … Vergiss das Klauen, egal, ob Essen, Geld oder sonst was. So etwas wie Verantwortlichkeit, ja Vatergefühle, regen sich in ihm.

Neben diesen mehr menschlichen Dimensionen (Machtrausch, Melancholie, Todesahnung) hat der Roman zudem eine ‚politische‘ Dimension, da er als Rahmenhandlung Wechselbeziehungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen thematisiert.


Trotz der abweisenden, fast menschenfeindlichen Kühle, die dieser Roman aufweist, fesselt er beim Lesen und entwickelt einen starken Sog. Dabei ist er nur mäßig spannend im konventionellen Sinn, seine eigentliche Spannung bezieht Der Dieb aus der Schilderung der inneren Entwicklung im Protagonisten, spannend sind jedoch ebenso die Schilderungen der ‚Arbeits’weise der/eines Taschendiebs auf so hohem Niveau, wie es die Hauptperson des Romans ist.

Auf jeden Fall also ist dieser Roman absolut des Lesens wert. Bleibt zu hoffen, daß bald mehr Titel von Fuminori Nakamura in Deutschland erscheinen.

Links und Anmerkungen:

[1] Zitat aus der Welt auf der Autorenseite des Verlags:  http://www.diogenes.ch/leser/autoren/n/fuminori-nakamura.html

Fuminori Nakamura
Der Dieb
Übersetzt aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg
Originalausgabe: 掏摸, Tokio, 2009
diese Ausgabe: Diogenes TB, ca. 210 S., 2017

5 Kommentare zu „Fuminori Nakamura: Der Dieb

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