Theodor Storm: Unter dem Weihnachtsbaum

Zwischen den Jahren, also dem Zeitraum, der in vergangenen Jahrhunderten tatsächlich einmal ‚zwischen den Jahren‘ lag, dem traditionellen Ende des alten Jahres am 24. Dezember und dem Beginn des neuen am 6. Januar, veranstalte ich mit meiner Kirchengemeinde seit ein paar Jahren in unserem kleinen Kirchlein eine Besinnliche Lesung mit klassischen Texten zur Weihnacht, eine Freundin kommt mit ihrer keltischen Harfe und der Mandola. In der Pause gibt es heißen Kaffee und Plätzchen oder auch Stollen, der Küster hat die Heizung zur Weißglut angefacht und es ist eine wirklich schöne Veranstaltung. Letztes Jahr habe ich Stifter gelesen, davor war Dickens dran und mit Roseggers Erinnerungen hatten wir seinerzeit begonnen.

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Dieses Jahr also Theodor Storm mit seiner kleinen Erzählung Unter dem Tannenbaum. Storm (1817 -1888, [1]) ist ja kein Unbekannter. Der Spruch von der ‚grauen Stadt am Meer‘, mit dem er seine Heimatstadt Husum bedachte, aus Schulzeiten dürften der Schimmelreiter oder auch Pole Poppenspäler bekannt sein, es sind nur zwei Texte von vielen. Daß das Nikolausgedicht Von drauß´, vom Walde komm´ ich her… auch von ihm ist, war mir dagegen neu. Aber es ist eine wunderbar Überleitung zu seiner Erzählung Unter dem Tannenbaum, denn in diese Geschichte hat er das Gedicht eingefügt.

Unter dem Tannenbaum ist in gewissem Sinne eine Geschichte mit autobiografischen Elementen. Storm, der Jurist war, verlor 1852 seine Zulassung als Rechtsanwalt. In der Schleswig-Holsteinischen Erhebung  (ab 1848; [2]) hatte er gegen Dänemark Position bezogen und weigerte sich, nach der Niederschlagung eine entsprechende Loyalitätserklärung gegenüber der Dänischen Krone abzugeben. Was folgte, war die Emigration, die ihn letztlich 1856 nach Heiligenstadt in Thüringen führte, wo er zum Kreisrichter ernannt wurde. 1864, um dies abzuschließen, verlor Dänemark im Deutsch-Dänischen Krieg gegen Preussen/Österreich [2] und Storm konnte wieder nach Husum zurückkehren, er wurde dort zum Landvogt gewählt.

In Thüringen litt  der norddeutsche Storm an Heimweh, zu unterschiedlich waren die Sitten und Gebräuche, zu unterschiedlich auch die Temperamente und Charaktere der Menschen. Es ist nachvollziehbar, daß dieses Gefühl der Fremde besonders an Weihnachten deutlich in Erscheinung trat…

Von all dem findet sich viel in dieser Geschichte. Der Vater der kleinen Familie, in die sie uns führt, ist Richter, musste der politischen Einstellung wegen aus der Heimat fliehen, erinnert sich voller Heimweh an die vergangenen Zeiten, träumt davon, wieder zurückzukehren….


Es ist ein Tag kurz vor dem Fest, wir werden in das Dienstzimmer eines Beamten, des Amtsrichters, wie wir später erfahren, geführt. Dieser leistet letzte Unterschriften, räumt auf und eine, seine Frau erscheint im Zimmer. Ihr gibt er einen Brief an seinen Schwager zu lesen, dem zu entnehmen ist, daß er sich mit seiner Familie nicht ‚daheim‘ befindet, sondern in der Fremde.

Der Duft nach Weihnachtskuchen, den zu probieren seine Frau mitgebracht hat und der genau dem gleicht, den er aus der Kindheit kennt, ruft die Erinnerungen an früher wieder hervor, an das Elternhaus, die geräumige Küche, aus der der Duft durchs ganze Haus zieht, an die Vorbereitungen für den Heilig Abend, das Schmücken des Christbaumes, er sieht sich als Kind, als Junge, der er damals war…. als er dann den Moment beschreibt, in dem die Familie das Zimmer mit dem ‚brennenden Baum mit seinen Flittergoldfähnchen, seinen weißen Netzen und goldenen Eiern‘ betreten, unterbricht ihn jedoch seine Frau mit der Feststellung, auch sie bräuchten jetzt ihres Jungen wegen, der im Wald ist und Moos für einen Weihnachtsgarten sammelt, unbedingt wieder einen Tannenbaum…

… aber noch einmal schweifen die Erinnerungen in die Vergangenheit…. Jahre später war der jetzt schon Erwachsene noch einmal im Elternhaus zur Weihnachtszeit und lernte dort ein junges, schönes Mädchen kennen, das als Besuch bei der Schwester war. In diesem Punkt freilich widerspricht ihm die Frau, deren Erinnerung an diese Begegnung ganz anders ist…

Die Rückkehr des Jungen mit Moos und Efeu unterbricht die beiden Eltern in ihren Gedankengängen, die Geschichte macht einen kleinen Zeitsprung zum Heiligen Abend.

Vater und Sohn sind auf einem kleinen Spaziergang durch die Stadt, erinnern sich an die Weihnachtsfeste in der alten Heimat, das letzte Fest fand in einer bewegten Zeit statt, in der sogar Soldaten zu Pferde und zu Fuß als Schmuck im Baume hingen. Doch in diesem Moment begegnen sie auf der verschneiten Straße einem großen, bärtigen Mann mit einem Sack, den der Knabe Harro sofort als Knecht Ruprecht erkennt.

Die Bescherung zu Hause ist schon vorüber, als draußen im Flur die Glocke anschlug und die Haustür polternd aufgerissen wurde. Mit einem großen Sack auf der Schulter stand Knecht Ruprecht plötzlich in der Tür, nahm diesen herunter, er habe ihn hier abzugeben – und war schon wieder auf dem Weg nach draußen.

Es war ein mächtiger, großer Tannenbaum in nämlichem Sacke, zusammen mit Schmuck in einem grünlackierten Kästchen…..

Die Geschichte schließt nach der Freude des Baumschmückens, dem Kernzenglanz des brennenden Baumes und der Freude des Jungen über seine Geschenke mit einer wehmütigen Passage, in der der Amtsrichter seinem Sohn eine Art Vermächtnis mitgibt, daß nicht nur der Lebenden zu gedenken ist, sondern auch der Toten, die daheim versammelt sind in einer Gruft und ihm ward damals, so erinnert er sich, als er fort musste, der erste Gedanke, er könne dort den Platz verfehlen…..


Eine melancholische, leise Geschichte, getragen von der Erinnerung, der Wehmut, dem nicht weichen wollenden Gefühl, fremd zu sein und zu bleiben, hier, abseits der Heimat, die schmerzlich vermisst wird. Interessant ist der Hinweis am Schluss darauf, daß auch und gerade die Tatsache, daß die Toten der Familie dort begraben sind, eine große Verbundenheit bewirken, so, als wären die unter der Erde Ruhenden tatsächlich so etwas wie eine Verwurzelung für die Lebenden. Bemerkenswert auch die im ersten Teil zwiefach erzählte Geschichte des Kennenlernens, die sich in den beiden Versionen von Mann und Frau deutlich unterscheiden. Insbesondere in der Erinnerung der Frau gibt der Mann keine besonders gute Figur ab, obwohl schon ein junger Mann, benimmt er sich störrisch wie ein Junge, dessen Willen nicht nachgegeben wird.

Im zweiten Teil, der sich der ‚Jetzt‘-Zeit zuwendet, wird die Erzählung etwas fröhlicher und weniger melancholisch. Die Begegnung mit Knecht Ruprecht, das Schmücken des Baumes, die Bescherung und die Freude des Kindes, das läßt für einen Moment das Schwermütige vergessen. Für einen Moment, denn am Ende schließt Storm seine Geschichte doch wieder mit einer gedankenschweren Passage, die beherrscht wird von der Sehnsucht nach der alten Heimat.


Bevor ich diesen Text vorlesen kann, muss ich ihn noch etwas bearbeiten. Im ersten Teil wird nicht immer sofort klar, in welchen Zeiten wir uns befinden. Sind es Gespräche zwischen dem Mann und der Frau in der ‚Jetzt‘-Zeit oder sind es Gespräche bzw. Szenen, an die sich der Mann erinnert und die jetzt wiedergegeben werden? Wenn dies schon beim Lesen verwirren kann, wird es beim Hören noch schwieriger zu erkennen sein… mal schauen, wie ich das mache..

Durch den Kontext, in dem Unter dem Tannenbaum entstanden ist, hat dieses kleine Stück einen unerwartet aktuellen Bezug. Wenn Storm sich als Deutscher in einem anderen Teil Deutschlands schon so fremd fühlt und das Gewohnte der Heimat vermisst, wie fremd müssen sich dann die Menschen fühlen, die aus einem völlig anderen Kulturkreis mit anderer Sprache kommen….

Der Text von Storms Erzählung ist in vielen Weihnachtsanthologien abgedruckt, ich weiß gar nicht, in wievielen Ausgaben ich ihn letztlich im Bücherschrank stehen habe. Unter anderem aber auch in der oben gezeigten Ausgabe der Insel-Bücherei, in der er zusammen mit einer zweiten Geschichte 19.. veröffentlicht worden ist. Und online gibt es ihn natürlich auch, z.B. im Projekt Gutenberg [3].


Ich bin gespannt, wie Unter dem Tannenbaum meinen Besuchern gefallen wird. Das Stück ist ja nicht so herzergreifend wie Stifters Bergkristall, nicht so ’spektakulär‘ wie der Weihnachtsabend von Dickens oder so besinnlich wie die Rosegger´schen Erinnerungen von der Christnacht in den Bergen [4]. Es ist eben anders…. besinnlich, nachdenklich, melancholisch und nur ein ganz klein wenig heiter.

btw: nächstes Jahr ist übrigens der 200. Geburtstag des Dichters, der 1817 das Licht der Welt erblickte.

Links und Anmerkungen:

[1] – Webseite der Theodor-Storm-Gesellschaft: http://www.storm-gesellschaft.de/dichter-und-werk/dichter/
– Beitrag in der Wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Storm
Wie der Dichter Theodor Storm Weihnachten erlebte; Thüringer Allgemeine, 20. Dezember 2011;  http://www.thueringer-allgemeine.de/…erlebte-176944457
[2] Wiki-Beitrag zum Thema: https://de.wikipedia.org/wiki/Schleswig-Holstein-Frage
[3] hier z.b. ist der Text online zu finden: http://gutenberg.spiegel.de/buch/novellen-3490/14
[4] Die Beschreibungen sind hier im Blog zu finden:
– Adalbert Stifter: Bergkristall
– Charles Dickens: Der Weihnachtsabend
– Peter Rosegger: In der Christnacht

Theodor Storm
Unter dem Tannenbaum
Erstveröffentlichung 1864 (oder 65?)
diese Ausgabe: Insel-Verlag Leipzig, Bd. 279, HC, o.J. (aber mit einer Widmung aus dem Jahr 1925), 60 S., 

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