Connie Palmen: Du sagst es

Die niederländische Autorin Connie Palmen hat mit Du sagst es, einer fiktiven Autobiografie, dem 1998 verstorbenen englischen Lyriker und Schriftsteller Ted Hughes [1] ihre Stimme geliehen und stellt in seinem Namen eine siebenjährige Epoche in seinem Leben dar, die sieben Jahre, in denen er mit der amerikanischen Lyrikerin und Schriftstellerin Sylvia Plath [1] verheiratet war. Da die beiden in ihrer rauschhaften Liebe schon vier Monate nach ihrem Kennenlernen heirateten, sind diese sieben Jahre cum grano salis identisch mit ihrer gesamten gemeinsamen Lebenszeit.

Ted Hughes und Sylvia Plath
Ted Hughes und Sylvia Plath

Sylvia Plath wurde einer größeren Öffentlichkeit erst nach ihrem Tod bekannt, sie erlebte diesen zu Lebzeiten so sehr begehrten Ruhm nicht mehr, in ihrer gemeinsamen Zeit war Ted Hughes der erfolgreichere der beiden. Nimmt man jedoch die Zahl der Biografien über die Künstler als Maß, so stellt Sylvia Plath ihren ehemaligen Mann weit in den Schatten, Connie Palmen schreibt in ihrer Anmerkung über die von ihr verwendeten Quellen, daß es zu Hughes gerade mal eine Biografie gibt, Simon Garfield erwähnt in seinem Werk über Briefe [5], daß Carol Hughes, die Frau des Dichters angekündigt hätte, ihre Erinnerungen zu schreiben, ehe sie sie vergesse (Stand 2013). Plath dagegen wurde eine Ikone des Feminismus, ihr Leben wurde entsprechend häufig dargestellt, Plath selbst hat mit Die Glasglocke [2] letzlich selbst einen autobiographischen Roman geschrieben. Durch den tragischen Suizid Sylvia Plaths und die in der Folge gierig aufgesaugten vorgeblichen Fakten aus ihrer Ehe war nach außen hin der Schuldige, der Böse definiert: es war ihr Mann Ted Hughes, über den sich das Gewitter der Schuldzuweisungen entlud.

Tatsächlich hatte Ted Hughes, dem Plath immer wieder einen Hang zu anderen Frauen unterstellte, zum Schluss ein Verhältnis, das das Innenverhältnis des Paares zerrüttete: das Paar betriebt die Scheidung. Zum Zeitpunkt des Suizids waren sie jedoch noch verheiratet, so daß Hughes in den folgenden Jahren den Nachlass seiner Frau verwaltete. Dieser Nachlass muss umfangreich gewesen sein, beide waren exzessive Schreiber von Notizen, Briefen, Anmerkungen, Entwürfen etc pp…. Hughes veröffentlichte noch mehrere Bände mit Gedichten Sylvia Plaths, er selbst publizierte 1998 den Gedichtband Birthday Letters [6], in dem er in 88 Gedichten die gemeinsame Zeit mit Sylvia Plath für sich verarbeitete.

Es ist sinnvoll, vor der Besprechung von Palmens Buch knapp ein paar biografische Daten zu Sylvia Plath aufzuführen, sie sind im Internet leicht zugänglich, ich habe mich am Autorenporträts orientiert, daß Jutta Rosenkranz in ihrer schönen Zusammenstellung Zeile für Zeile mein Paradies [7] gibt.

Sylvia Plath wurde 1932 als Tochter des deutschstämmigen Otto Plath, einem Professor für Biologie und der Highschool-Lehrerin Aurelia Schober Plath geboren. Der Vater starb, als Sylvia acht Jahre alt war: eine Diabetis blieb unbehandelt, da Otto Plath auftretende Beschwerden auf seine Krebserkrankung zurückführte. Die richtige Diagnose kam zu spät, die zum Schluss notwendige Amputation eines Beines rettete ihn nicht mehr. Nach dem Verlust des Vaters schrieb die Achtjährige ein Gedicht (Auszug): Papi, ich mußte dich töten. / Du starbst, bevor ich soweit war – / Mormorschwer, ein Sack voller Gold, / …  , die Mutter musste einen Zettel unterschreiben: Ich verspreche, daß ich nie mehr heiraten werde.

Als Studentin gewinnt sie Preise und Auszeichnungen mit ihren Gedichten und Kurzgeschichten, leidet aber zunehmend an Konzentrations- und Schlafstörungen, mit 20 Jahren unternahm Sylvia einen Suizidversuch, der fast erfolgreich war, sie schloss sich im Keller des Hauses in einen Wandverschlag ein. Komponente einer anschließenden psychiatrischen Behandlung waren brutale Elektroschocks. In ihrem Roman Die Glasglocke ist diese Epoche ihres Lebens von ihr selbst dargestellt.

1956 schließlich kam sie mit einem Stipendium nach England und lernte in Cambridge Ted Hughes kennen, bzw., so legt es Palmen ihrem Ted Hughes in die Feder: sie erbeuteten sich gegenseitig.

Mit diesem Ereignis des Kennenlernens und ‚Blutsaufens‘  setzt Palmens Buch ein.

Noch eine kleine Vorbemerkung: warum ausgerechnet Palmen, warum ausgerechnet Hughes? Es gibt eine sehr tragische Parallelität in beider Leben: beide, Palmen und Hughes haben zweimal die Menschen verloren, die sie liebten. Bei Hughes war es – so man eine solche ‚Rangfolge‘ der Katastrophen überhaupt aufstellen kann – von aussen gesehen noch tragischer: auch seine zweite Frau starb durch Suizid mit Gas, sie tötete dabei auch noch das gemeinsame Kind. Palmen hat ihre Verlustschicksale in zwei sehr intensiven Büchern aufgearbeitet [3]. Vielleicht ist es ja diese Parallelität der Schicksale, die für Connie Palmen ausschlaggebend war – aber das ist reine Spekulation meinerseits. Den Suizid des gemeinsamen Sohnes mit Sylvia Plath im Jahr 2009 musste Ted Hughes nicht mehr ertragen, er war zu diesem Zeitpunkt schon seit elf Jahren verstorben.


palmen

Für die meisten Menschen existieren wir, meine Braut und ich, nur in Büchern. In den vergangenen fünfunddreißig Jahren habe ich mit ohnmächtigem Grauen zusehen müssen, wie unser wahres Leben unter einer Schlammlawine aus apokryphen Geschichteten, falschen Zeugnisse, Gerüchten, Erfindungen, Mythen verschüttet wurde, wie man unsere wahren, komplexen Persönlichkeiten durch klischeehafte Figuren ersetzt, zum simplen Images verengt, für ein sensationslüsternes Leserpublikum zurechtgestutzt hat.
    Und da war sie die zerbrechliche Heilige und ich der brutale Verräter.
    Ich habe geschwiegen.
    Bis jetzt.

Mit diesem Abschnitt läßt Palmen ihren Roman beginnen, ein Abschnitt, der schon vieles andeutet. Bei Du sagst es handelt es sich also um eine Art Rechtfertigung, den Versuch, ein über Jahrzehnte fixiertes Bild der Ehe Plath/Hughes, das auf falschen Annahmen beruht, zu korrigieren. Auch das Ergebnis oder der Inhalt dieses Versuchs sind schon klar: sie war die Heilige – ist es danach nicht mehr. Er war der brutale Verräter – und löst sich von dieser Zuweisung. Der etwas plakative Schluss der Passage ist ein im gesamten Roman immer wieder auftauchendes Stilelement, der im ersten Moment befremdliche Begriff „Braut“, den Palmen für seine Frau Sylvia Plath verwendet, wird praktisch im gesamten Buch durchgängig eingesetzt. Er kontrastiert durch das damit symbolhaft verbundene ‚Weiß‘ mit dem der ’schwarzen Muse‘ für eine Frau, die Jahre später entscheidend in das Leben der beiden eingreifen sollte. Ferner wird in dieser ersten Buchpassage klar gestellt, daß alles, was bislang zu und über die Ehe Plath/Hughes gesagt wurde, nicht zutreffend ist, die Wahrheit dagegen wird durch den bis jetzt Schweigenden verkündet werden.

Diese ‚Schlammlawine‘, auf die Palmen/Hughes hier anspielt, muss Hughes sehr getroffen haben – verständlicherweise. Im letzten Drittel des Romans sind mehrere Passagen, in denen dargestellt wird, wie er sich durch in der Öffentlichkeit auftauchende Geschichten und Schilderungen, die nur aus dem Mund von ‚Freunden‘ und Bekannten kommen konnten, geärgert hat, wie sie ihn getroffen haben, er sie als Verrat empfunden hat. Befeuert wurde dieser Verrat oftmals auch durch Briefe Sylvia Plaths beispielsweise an ihre Mutter, Briefe, in denen sie ihr anderes Gesicht zeigte, ihr dunkles, Briefe, in den sie anschwärzte, sich beklagte, jammerte, Vorwürfe erhob. Nach ihrem Suizid tauchten solche Anschuldigungen gegen Ted Hughes in der Öffentlichkeit auf, Aurelia Plath hatte offensichtlich auch ein Netz von Zuträgern und Spionen um Ted Hughes herum aufgestellt, um ihn zu überwachen: es ging wohl um das Sorgerecht für die Kinder.

Sylvia Plaths Suizid, der in der Öffentlichkeit derart mit Informationen gefüttert immer massiver als von Ted Hughes verursacht angesehen wurde, fiel zusammen mit den Erstarken des radikalen Feminismus einer Simone de Beauvoir, nach dem ’nicht das System Frauen unterdrückt, sondern die Männer die Unterdrücker sind.‘ (nach Wiki [4]): in Sylvia Plath fand dieser Feminismus eine Ikone, eine Frau, die ihre eigenen Talente nicht entfalten konnte, sondern die ihrem Mann Vortritt lassen musste, einem Mann, der sie hinterging, betrog und verriet – bis sie daran verzweifelte und nicht mehr damit leben konnte. Mit Schildern, auf denen „Mörder“ stand, jagte man Ted Hughes…

Der Anfang. Als sei Öl in Feuer gegossen worden entflammte nach der ersten Begegnung zwischen dem Engländer Ted Hughes und der als genial geltenden amerikanischen Studentin Sylvia Plath eine rauschhafte Beziehung, die schon nach vier Monaten in einer vor der Öffentlichkeit verborgene Ehe führte. Mit der Heimlichtuerei wollten die beiden verhindern, daß Sylvias Stipendium, das nur für Studenten erteilt wurde, gestrichen wurde. Dieser Rausch – er hatte beider Körper erfasst, beider Seelen und auch ebenso beider dichterisches, poetisches Vermögen. Während Plath für ihn zunehmend zu seiner Göttin wurde, war deren Wahrnehmung durch die Aussenwelt durchaus anders: Plath wurde von aussen als zicking, exaltiert oder theatralisch empfunden. Hughes kümmerte dies nicht, für ihn waren das Zeichen für die Energie, die in dieser Frau schlummerte und die zu wecken, zu kanalisieren er sich berufen fühlte.

Dabei war Plath natürlich auch in dieser Phase ihres Lebens schon nicht unkompliziert. Mit ihrem fast erfolgreichen Suizid kokettierte sie, ihre emotionale Nähe zu Todesgedanken, ja, eine gewissen Todessehnsucht verheimlichte sie nicht. In Träumen immer wieder solche Bilder von Tod und von Amputationen (wie sie der Vater vor seinem Tod noch erleben musste). Nur: wenn Plath vom richtigen, dem echten Tod redete, deutete Hughes dies als symbolisch gemeint: als den Tod im Sinne von Loslassen, Abschied nehmen, den jeder Dichter erleiden muss, wenn er Neues schaffen will….

Später, sehr viel später sollte Hughes erfahren, daß seine Beziehung zu Sylvia in dieser Zeit keineswegs exklusiv war: Was Frauen können und Männer nicht, ist, den Geruch anderer auf der Haut ihres Geliebten zu riechen, und ich roch sie nicht, die auf dieser Reise [einer Studienreise Plaths nach Paris, München, Venedig und Rom] benutzten Liebhaber, ausprobiert und zurückgelassen gestrichen von der Liste möglicher Bräutigame. Ich glaubte der Einzige zu sein …. Dem Geliebten in Paris drohte sie in kriecherischen Bettelbriefen… ihren Körper umzubringen, wenn dieser ohne die an den Mann verpfändete Kostbarkeit weiterleben müsse….. so findet Hughes es Jahre später in der Hinterlassenschaft seiner Frau, auf Hunderten von eng beschriebenen Seiten, auf denen ihre Version unserer Fakten … der meinen oft diametral entgegengesetzt war. Er lernte sie neu kennen, ohne Tarnfarbe, traurig, rachsüchtig, misstrauisch und streitbar.

Beide waren esoterisch veranlagt: Hughes legte Tarot, erstellte Horoskope, sie machten Sitzungen am Hexenbrett, bei denen Pan aber auch der tote Vater erschien und Sylvia mit tiefer Kehlstimme sprach. Unter Hypnose versuchte Hughes Verspannungen und Blockaden bei Plath zu lösen.

Sie schrieben wie besessen, lasen sich ihre Gedichte vor. Die Lebensbedingungen waren anfangs bescheiden, jedes von einer Zeitung zum Abdruck angenommene Gedicht wurde bejubelt. Unermüdlich verschickte Plath die sauber abgetippten Gedichte Hughes an Redaktionen in Amerika und in England. Hughes bekam langsam einen Namen, gewann Wettbewerbe und Preise, erste Buchveröffentlichungen kamen. Sylvia Plath stellte sich zu diesem Zeitpunkt ganz in den Dienst ihres Mannes, war auch für den Haushalt zuständig: Vom Tag unseres Kennenlernens an befreite sie mich von allem, was meinen Schreibfluss gehemmt hatte, … energisch und engagiert machte sie sich an die Aufgabe, meinem Namen die Berühmtheit zu verschaffen, die ihm ihrer Meinung nach gebührte, …

Immer wieder (auch während eines mehrjährigen Amerikaaufenthalts) die Sprunghaftigkeit Sylvia Plaths, bei der von einer Minute auf die andere Stimmungen kippen konnten. Es gab Eifersuchtsszenen, wenn sie sah, daß eine Studentin mit Ted Hughes, der zeitweise Lehraufträge hatte, redete, Anfälle ohnmächtiger Wut, in denen sie in seinem Zimmer hockte und alles zerriss, was er geschrieben hatte…. Immer wieder auch die zwei Gesichter, das eine, daß Sylvia nach außen trug und das andere, das sich Ted Hughes später in den Tagebüchern offenbarte, in denen offener Hass auf alles und jeden zutage trat.

Chronologisch breitet Palmen/Hughes diese Leben vor uns aus. ‚Die Braut‘ als diejenige, die ihn in ihrem Bann geschlagen hat, so daß er ihr – in der Aussenwahrnehmung – widerspruchslos folgte und von ihr und ihren Launen abhängig war: In meinem Umfeld fanden alle, dass ich meine Braut zu sehr in Schutz nähme, dass sie zu besitzergreifend, fordernd und eifersüchtig sei und ich mich am Gängelband führen ließe, so von ihr eingelullt, daß ich gar nicht merkte, wie ich manipuliert, dressiert und abgerichtet würde.  Wäre es ‚richiger‘ gewesen, mehr Widerstand zu zeigen, fragt sich Hughes? Aber der feindselige Blick der anderen ließ mich ihr gegenüber sofort unbedingt loyal sein.

Später aber auch dies: Natürlich durchschaute ich selbst auch, dass die Angstattacken, Schweigekriege und Weinkrämpfe ….. dazu dienten, mich gefühlsmäßig zu manipulieren, aber ich hatte mich schon zu sehr mit der atemberaubenden Vorstellung angefreundet, ihr so wichtig zu sein, dass sie nicht eine Sekunde ohne mich auskommen konnte. Geschmeichelte Eitelkeit…

Hughes selbst sieht sich berufen und mit der Aufgabe betraut, die Dämonen, die seine Braut quälen, zu bekämpfen, ihr wahres ‚Selbst‘, das unterdrückt wird von den übermächtigen und todesnahen Erinnerungen an den Vater und das Bestreben, sich die Liebe der Mutter durch Ruhm, Ehren und Mutterglück zu verdienen, zu befreien. Nach einer ihren Wutattacke beispielsweise erlitt Sylvia Plath einen Abort, Hughes fand später einen Brief seiner Braut an die Mutter, in dem sie ihr versprach, schnellstens wieder ein neues Baby für sie zu machen…. Sollte er jetzt, als er dies las, vor Wut oder vor Elend aufheulen?

Zeitweise arbeitete auch Sylvia Plath als Lehrerin an ihrem eigenen, alten College, eine Tätigkeit, mit der sie unglücklich war, für die sie, so wie sie glaubte, nicht geeignet war. Später dann ging sie für ein paar Wochen als Krankenschwester in ein psychiatrische Abteilung, zu dieser Zeit war Hughes über die Tage, an denen er allein war und sich auf sich uns seine Arbeit konzentrieren konnte, glücklich. Das Gefühl, erstickt zu werden, das unzuverlässige Herz, die Nerventicks, und die Alpträume führte ich auf die Hektik und die enteignende Macht des Ruhms zurück sowie darauf, dass mir die Natur schmerzlich fehlte, läßt Palmen ihren Hughes später räsonieren, als der zunehmende Erfolg als Lyriker ihn immer stärker in die Öffentlichkeit rückt. Es wird nicht nur dies gewesen sein, was ihn belastete…

Dichtete ihm Sylvia Plath auch regelmäßig Verhältnisse und Seitensprünge an, so führte die Begegnung mit Assia Wevill, der Frau eines Bekannten, einem kanadischen Lyriker und Kritiker, zu einem emotionalen Chaos bei ihm: es schlug ein wie ein Blitz. Von Sylvia Plath als Vertreterin der Kategorie dreimal verheirateter kinderloser Gattinnen eines angesehenen Mannes hämisch abqualifiziert, war dies die Frau, die das Leben von Plath/Hughes entscheidend verändern sollte. Ausgerechnet dieser Frau gegenüber zeigte Sylvia Plath keine Eifersuchtswallungen…

Plath erwischte die beiden bei einer ersten, noch zögerlichen Annäherung, damit war ein Fels ins Rollen gebracht, der nicht mehr aufzuhalten war. Sie trennten sich, vorerst auf Zeit, Ted Hughes war bereit, sich selbst aufs Spiel zu setzen, alle häuslichen Sicherheiten zu verlieren, wollte nichts lieber, als von dieser schwarzen Muse zerrissen zu werden. Durch ein Verzweiflungsgedicht Plaths aufgewühlt, gestand er sich ein, sich in den Jahren der Ehe selbst verloren zu haben, während ich mich der Geburt dieses poetischen Selbst [seiner Frau] widmete. Nun, da sie ihre Stimme gefunden hatte, … verloren wir einander. Sie wollte zu ihrem Vater, ich wollte in die Wirklichkeit. mmm Ein Teil der zerstörerischen Energie Plaths kanalisierte sich in Gedichten, die sie in dieser Zeit rauschhaft verfasste, Gedichte, in denen sie ihren eigenen poetischen Stil und eine einzigartige Bildersprache kreiert: „Ich bin eine geniale Schriftstellerin: ich hab´s in mir. Ich schreibe die besten Gedichte meines Lebens; sie werden mir einen Namen machen.“: Dying / Is an art, like everything else. / I do it exceptionally well.  lauten Zeilen aus einem Gedicht dieser Tage[7].

Hughes` Hoffnung, daß die Entfernung voneinander vorübergehend sei, daß wir uns einander – neu geboren, trauriger, weiser – wiederfinden würden, trog. Die Trennung war endgültig, Sylvia Plath zog mit den beiden Kindern nach London, war aber mit der neuen Situation völlig überfordert. Versuche, ihren Tag streng zu takten ( wie sie die galoppierend Angst zu zügeln versuchte, in dem sie die Zeit im Zaum hielt. Sie plante den Tag Minute für Minute durch, …); am 11. Januar 1963 wurde sie gefunden, sie hatte sich mit Gas suizidiert, nicht ohne noch vorher den Kindern Essen hinzustellen und die Türen zu deren Zimmer abzudichten.

Sylvia Plaths Suizid war der Beginn dessen, was Hughes als Schlammlawine empfand: Die Stimmer Aurelias war freilich nur eine in einem Chor bösartiger Frauen, die meiner nach Beistand hungernden Frau in den Monaten unserer Entfernung voneinander mit fatalen Ratschlägen, Anleitungen zum Widerstand, belastenden Informationen, kolportieren Gesprächen, ausspionierten Begegnungen zugesetzt hatten. Dies Verleumdungen nahmen kein Ende, Hughes wurde über fünfunddreißig Jahre die schweigende Geisel in einem Mythos, … eingesperrt in ein Mausoleum, in dem er als die Reliquie einer tragischen Ehe zur Schau gestellt wurde.

Erst wenige Monate vor seinem Tod meldete sich Hughes selbst zu Wort, die 88 (man beachte sie Symbolik!) Gedichte in seinen Birthday Letters (der Geburtstag ist im Gegensatz zur Todessehnsucht seiner Frau zu sehen): Die Gedichte erzählen die Geschichte dieser stürmischen und stets gefährdeten Beziehung. Sie erzählen sie mit großer poetischer Kraft und hoher Sensibilität, mit so viel Takt, Schmerz und Wissen, daß man dieses Zeugnis als ein endgültiges nehmen darf  schreibt dazu Alexander von Bormann in seiner Kritik des Gedichtbandes [6]. Es handelt sich … um persönliche, gezielte Ansprachen, wenngleich rhetorischer, erklärender und offener Natur, noch dazu von einer Art, die einen Anflug des „… sagte er, … sagte sie“  in Gerichtsunterlagen hat… charakterisiert Garfield [5] diese Gedichte, woraus sich auch ein Hinweis auf den Titel des Romans von Palmen ableiten läßt, für die die Gedichtsammlung eine Hauptquelle war. (Das flammende Cover der Erstausgabe wurde seiner Tochter mit Sylvia Plath, Frieda Hughes, gestaltet, vgl. [1]) Diese Gedichte definiert die Autorin auch den ‚wichtigsten Leitfaden‘ in ihrem Buch. In einem Literaturnachweis führt sie weitere von ihr benutzen Quellen an, Buchpublikationen, aber auch Teile des Archivs aus Hughes` Nachlass.

Als Leser läßt es sich kaum vermeiden, daß man durch die ‚Ich-Form‘ der Darstellung tatsächlich Hughes als Autor des Textes empfindet und nicht Palmen. Was jetzt belastbare Fakten, was Interpretationen sind oder Ergänzungen – das ist nicht erkennbar, immerhin wird Du sagst es als Roman kategorisiert, nicht als Biografie. Es ist der Roman einer besonderen Beziehung, Sylvia Plath und Ted Hughes galten als das Traumpaar der jungen englischsprachigen Lyrik, als exzentrisch, grandios, vielversprechend [9], einer Beziehung, in der einer der Partner (in laienhafter Einschätzung) einer Behandlung bedurft hätte. Die hat Sylvia Plath offensichtlich nie in adäquater Form erhalten. Zwar war sie zwischenzeitlich in psychiatrischer Therapie (bei der Psychiaterin, die nach dem ersten Suizidversuch Plath für deren Elektroschocks verantwortlich war), jedoch beunruhigten die Therapiegespräche Plath eher noch mehr, zumindest schien Hughes dies so empfunden zu haben. Unter diesem Aspekt kommt im Lauf des Buches immer mehr Mitleid mit Sylvia Plath auf, ein Mensch mit großem Problemen, mit ausgeprägter Todessehnsucht, deren Partner sich in dem Gefühl wiegt, unentbehrlich für sie zu sein und der sich noch dazu berufen fühlt, die in der Psyche seiner Frau wütenden ‚Dämonen‘ (die er ja nur zu deutlich erkennt) durch Hypnose und ähnliche Praktiken besiegen zu können….

Du sagst es ist ein sehr intensives, eindringliches Buch, auch weil man des Ende, den Suizid Plaths natürlich immer im Kopf hat und man weiß, daß und wie alles auf diese schlimme Ende zuläuft. Für Schuldzuweisungen ist kein Raum mehr, denke ich, Plath war wohl (in laienhaftem Sinn) psychisch krank, für Hughes wurde die Ehe in der letzten Phase immer mehr zu einem Gefängnis, das ihn einschnürte und ihn seiner kreative Kraft beraubte. Die aussereheliche Beziehung zu Assia Wevill war die Flucht aus dieser Enge, die Tragik liegt auch darin, daß das, was ihm half, in der Rückschau für seine Frau der Todesstoß war.


Sie wollte nichts lieber,
als jemanden lieben,
aber sie hasste es,
wenn sie es tatsächlich tat.
Sie wollte nichts lieber,
als geliebt werden,
aber sie hat jeden,
der sie je geliebt hat,
gnadenlos für diese Liebe bestraft. 

Connie Palmens Roman ist kein einfaches Buch, auch in den Stil, in dem es geschrieben ist, muss man sich erst einlesen. Er mischt Biographisches mit Reflektionen und Analysen nicht nur zu dieser Paarbeziehung, sondern auch zur Rolle, Funktion und innerer Struktur von Literatur und Poesie, so wie sie Hughes gesehen hat – zumindest in dieser Zuschreibung aus der Feder der Autorin. Du sagst es beschäftigt einen, läßt einen nicht los, ist auch ein guter Anlass, die Glasglocke, Plaths autobiografischen Roman [2], noch einmal mit anderen Augen und neuem Hintergrundwissen zu lesen.

Links und Anmerkungen:

[1] Daten zu: Sylvia Plath: https://de.wikipedia.org/wiki/Sylvia_Plath
Ted Hugheshttp://www.abaa.org/blog/post/ted-hughes-signed-scarce-items diese Webseite konzentriert sich mehr auf die Publikationen von Hughes, viele der dort gezeigten Bücher werden bei Palmen erwähnt.
Bilder des Paares aus verschiedenen Lebensphasen sind beispielsweise auf dieser Seite bei pinterest zu finden: https://de.pinterest.com/w006kdj/sylvia-plath/
[2] Sylvia Plath: Die Glasglocke; Besprechung hier im Blog
[3] Connie Palmen:
I. M., Ischa Meijer, In Margine, In Memoriam
– Logbuch eines unbarmherzigen Jahres
(Besprechungen jeweils hier im Blog)
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Feminismus
[5] Simon Garfield: Briefe! (Besprechung hier im Blog)
im ‚the guardian‘ (11. Oktober 2015) wird ferner diese Biografie vorgestellt: Ted Hughes: The Unauthorised Life is published by William Collins; https://www.theguardian.com/books..wevill , 
[6] Wiki-Beitrag zu den Birthday Letters: https://en.wikipedia.org/wiki/Birthday_Letters
vgl auch diese Besprechung in der ZEIT:  http://www.zeit.de/1998/07/plath.txt.19980205.xml/komplettansicht sowie
Alexander von Bormann: Birthday Letters;  http://www.deutschlandfunk.de/birthday-letters.700.de.html?dram:article_id=81116
[7] Jutta Rosenkranz: Zeile für Zeile mein Paradies, München 2014

Bildquelle: Porträtfoto des Paares:  https://www.flickr.com/photos/summonedbyfells/12592779424; Lizenz: (CC BY 2.0)

Connie Palmen
Du sagst es
Übersetzt aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Originalausgabe: Jij zegt het, Amsterdam, 2015
aktuelle deutsche Ausgabe
: Diogenes, HC, 288 S., 2016

Ich danke dem Verlag für die Überlassung eines Leseexemplars.

Ein Kommentar zu „Connie Palmen: Du sagst es

  1. Mich hat dieses Bauch auch gepackt und eine neue Sicht auf „Die Glasglocke“ vermittelt. Ich Ich-Form hat mich irgendwie irritiert. Ich musste mir immer wieder vor Augen führen, das Hughes schon tot ist und Palmen sich „nur“ in ihn hineinversetzt hat. Sehr eindringlich.

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