Karin Seethaler: Die Kraft der Kontemplation

Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein,
einer, der etwas erfahren hat,
oder er wird nicht mehr sein.
(Karl Rahner)

kontemplation cover


Leser des Spiegel wissen es, zum Jahresende, im Weihnachtsheft, ist traditionell jedes Jahr ein Beitrag, der sich mehr oder weniger kritisch mit Belangen der Kirche, des Glaubens oder auch der Gottesvorstellung auseinandersetzt. Dieses Jahr 2015 ist es eine Diskussion zwischen einem Physiker und einem Pastoren um die Frage: Ist Gott ein Irrtum? Und der Mensch nur ein Zufall?

Ich habe den Beitrag nur überflogen, denn für meine Begriffe krankt er an einem grundlegenden Missverständnis. Der Mensch hat verschiedene „Kanäle“, mit denen er mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann: den Verstand, das Gefühl, die Intuition und die Wahrnehmung. Denken ist eine schöne und stolze Beschäftigung beim Studieren. Aber aus schwierigen Gemütszuständen kann man sich nicht „herausdenken“. Dazu muss man anders vorgehen. Man muss sich passiv verhalten und horchen. Wieder den Kontakt mit einem Stückchen Ewigkeit finden. So zitiert Seethaler in ihrem Buch die holländische Jüdin Etty Hillesum [3], die in Auschwitz vergast worden ist und über ihre letzte, sehr intensive Zeit in Holland Tagebuch geführt hat. Es ist genau dies: der Physiker, der (Natur)Wissenschaftler kann mit seiner Ratio die Welt erklären (es zumindest versuchen), aber er kann mit dem Verstand nicht in die Dimension des Gefühls, der Wahrnehmung, der Intuition hineinhorchen, der Sphäre also, in der Glauben (wie immer auch er sich manifestieren mag) angesiedelt ist. So ist es auch für mich kein Widerspruch, wenn ein Wissenschaftler gläubig ist – es sind einfach zwei verschiedene Sachen, einerseits etwas zu wissen und andererseits wahrzunehmen, daß es ein Geheimnis gibt (das man Gott nennen mag), das hinter/über/in allem zu finden ist. Womit ich wiederum die Überleitung zu diesem kleinen Büchlein zur Kontemplation gefunden habe, denn der kontemplative Weg ist ein Weg, eine Methodik, sich diesem Geheimnis zu nähern. Er ist damit ein abendländischen Pendant zu den östlichen Meditionsformen, wie sie beispielsweise im Zen oder in Ausprägungen des Yoga praktiziert werden. Aus der muslimischen Welt wäre als mystische Bewegung der Sufismus zu nennen, möglicherweise besser als „Tanzende Derwische“ bekannt.


Karin Seethaler [1] stammt aus der Schule von Franz Jalics, SJ, einem bekannten Kontemplationslehrer, der in Gries ein Exerzitienhaus betreibt und dort Kurse anbietet und lehrt [2]. Dieses Büchlein über Die Kraft der Kontemplation legt seinen Schwerpunkt auf die praktischen Aspekte des Meditierens (die beiden Begriffe Kontemplation und Meditation werden weitgehend synonym verwendet), die Erklärung einiger grundlegender Begriffe und Fakten sowie etwas „Historisches“ sind vorausgeschaltet.

Nun ist Meditation auch bei uns im Westen mittlerweile kein unbekannter Begriff mehr. Seethaler legt aber einleitend auf die Feststellung wert, daß Meditation bzw. Kontemplation ein spiritueller Weg ist, Gott wieder zu entdecken, es ist kein Lifestyle-Produkt, um einem Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung nachzugehen, es ist auch kein Therapieersatz, wenn (schwerwiegende) psychische oder seelische Probleme im Hintergrund auftauchen, die unter Umständen professionelle psychologische Unterstützung brauchen.

Die Sehnsucht nach Gott kann nur gestillt werden,
wenn der Mensch bereit ist, sich selbst zu begegnen.

Es ist im Grunde, von aussen gesehen, sehr einfach, zu meditieren. Man sitzt oder kniet, meist sind die Augen geschlossen, es herrscht Stille, man atmet ein und aus. Mehr ist eigentlich nicht. Und hier treten in der Praxis schon die ganzen Probleme auf… es können rein körperliche Probleme sein: die Knie fangen an zu Schmerzen, der Rücken tut weh, die Schultern verkrampfen… das Fehlen jeglicher Ablenkung kann dazu führen, daß aus dem Inneren Gefühle nach oben getragen werden: positive wie Freude oder Hoffnungen, negative wie Trauer, Angst oder Wut, die so stark sein können, daß man anfängt, zu weinen. Zweifel tauchen auf: was mach ich eigentlich hier, was soll das überhaupt und sowieso: kann mein Nachbar nicht mal mit den Schnaufen aufhören und überhaupt: die Tauben auf dem Dachfirst gegenüber machen wirklich einen ganz schönen Lärm…. Und nicht zuletzt der Ärger darüber, daß man offensichtlich noch nicht einmal in der Lage ist, nur für ein paar Sekunden seine Gedanken beiseite zu schieben, um endlich leer zu werden. Verflixt noch mal, jetzt habe ich doch vergessen, vorher noch bei Tante Else anzurufen! Die Stille kann manchmal sehr laut sein…

Seethalers Buch gibt hier Hilfen. Nach einführenden Abschnitten über die Methodik der Kontemplation wie das eigentliche Sitzen, die Bedeutung des Atems und des Gebetswortes sowie – typisch für die spezielle Methodik von Franz Jalics – die Ausrichtung der Wahrnehmung auf die Hände  widmet sie sich auftretenden Schwierigkeiten und Missverständnissen, mit denen jeder, der sitzt, zu tun hat.

Gegliedert ist ihr Buch in vier Hauptabschnitte, die helfen sollen, in die Grundhaltung der Kontemplation zu finden:

  • die achtsame Haltung bedeutet, aufmerksam sein, für das was ist
  • die zugewandte Haltung meint die Ausrichtung auf Gott
  • die vergebende Haltung beinhaltet die Bereitschaft, zu verzeihen und sich zu versöhnen und
  • die leidensbereite Haltung hilft, dem Schmerzhaften im eigenen Leben (und in der Kontemplation) zu begegnen

Mit vielen Beispielen aus ihrer Praxis macht die Autorin deutlich, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt und wie sie sich in der Kontemplation verwirklichen lassen. Dabei geht sie auch auf häufig auftauchend Missverständnisse ein und erklärt sie. Wichtig ist ihr auch, daß der kontemplative Weg eine Weg ist, der das gesamte Leben umfasst und nicht beschränkt ist auf die Zeiten, in denen man sitzt. Kontemplation in diesem Sinne heißt, das, was man tut, jeweils achtsam tun: die Türklinke in die Hand nehmen, die Treppe hochgehen, einen Brief schreiben… die ganz alltäglichen Dinge des Lebens, die man oft unbewusst macht, bei denen die Gedanken irgendwo anders hin schweifen… wie oft laufen wir zurück, um uns zu vergewissern, ob wir wirklich abgeschlossen (das Licht ausgemacht u.a.m….) haben…. ein deutliches Zeichen dafür, daß wir nicht achtsam waren.


Wo soll ich anfangen? Am besten bei deinen zahlreichen Beschäftigungen, denn ihretwegen habe ich am meisten Mitleid mit Dir. Ich fürchte, dass Du, eingekeilt in Deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb Deine Stirn verhärtest… Es ist viel klüger, Du entziehst Dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen, als dass sie Dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem Du nicht landen willst…. Du fragst an welchen Punkt? An den Punkt, wo das Herz anfängt, hart zu werden…. Wie kannst Du aber voll und echt sein, wenn Du Dich selber verloren hast? Auch Du bist ein Mensch. Damit Deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst Du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für Dich selbst ein aufmerksames Herz haben…. Ja, wer mit sich schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.

Geschrieben hat diese Zeilen, die Seethaler zitiert, vor über 800 Jahren Bernhard von Clairevaux an Papst Eugen III. [4] und wie aktuell sind sie heute noch, in Zeiten des Burn-outs, des beruflichen und privaten Stresses, der Arbeitsüberlastung, der stetig wachsenden Anforderungen des Alltags! ….wer mit sich schlecht umgeht, wem kann der gut sein?…. oder wie es in der Bibel steht: wenn ich mich nicht lieben kann, wie kann ich dann meinen nächsten lieben? Und es bedeutet, daß ich auch mich selbst aushalten muss und mir selbst vergeben muss, mich mit mir selbst versöhnen – mich akzeptieren, wie ich bin. Stufen auf dem kontemplativen Weg.


Natürlich gibt es Bücher. Aber was wollen Sie mit Büchern?
Sie müssen üben, üben, üben….. 

So beschied einer meiner Lehrer an einer der ersten Übungstage eine Frage nach Literatur über Kontemplation. Die Frage stammte zwar nicht von mir, aber ich haben Rat angenommen. Dieses Büchlein dagegen steht bei mir in Regal und wird häufiger herausgenommen. Nach meinem Empfinden kann es eine große Hilfe sein, wahrscheinlich vor allem für die Übenden, denen wie bei mir die Übung oft zäh, mühsam und vergeblich erscheint. Dokusan bzw. Einzelgespräche mit dem Lehrer ersetzt es natürlich nicht, aber wenn solche gerade nicht möglich sind, findet man hier möglicherweise Hilfe und Ermutigung.

Links und Anmerkungen:

[1] Webseite der Autorinhttp://www.karin-seethaler-wendepunkte.com/Leitbild/
[2] zur Vita von Franz Jalics SJ: http://www.haus-gries.de/franz_jalics_sj.html
[3] Besprechung ihres Buches Das denkende Herz hier im Blog:  https://radiergummi.wordpress.com/2014/07/16/etty-hillesum-ein-denkendes-herz/ 
[4] zitiert nach hier: http://www.kirchameck.de/texte8.html

Karin Seethaler
Die Kraft der Kontemplation
In der Stille Heilung finden

diese Ausgabe: Echter Verlag, brosch., 208 S., 2014

Ein Kommentar zu „Karin Seethaler: Die Kraft der Kontemplation

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