Schlimme Ehen

Alle glücklichen Familien gleichen einander,
jede unglückliche Familie dagegen ist unglücklich auf ihre besondere Art.

(Tolstoi, Anna Karenina)


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Die Ehe, so führen die beiden – wie soll man sagen? – Sammler dieser Textauszüge, Angelika Overath und Manfred Koch, einleitend aus, ist etwas besonderes. Kann man sich weder den Zeitpunkt seiner Geburt, seinen Geburtsort, seine Eltern oder Geschwister aussuchen, so ist die Ehe eine Entscheidung, die bei vollem Bewusstsein getroffen wird: ja, mit diesem einen Menschen möchte ich mein Leben zusammen verbringen. Mittlerweile ist es keine Notwendigkeit mehr, zu heiraten, der schlimme-ehenLebensmodelle und Partnerschaften gibt es viele – und doch: immer noch gehen viele eigenverantwortliche Individuenfreiwillig die Ehe ein. Trotz des Wissens um die Risiken, die da heißen: Entfremdung, Verfeindung, Bekämpfung bis möglicherweise hin zum Tötungsdelikt, in minder schweren Fällen bis zur Scheidung. Die Kriminalstatistiken beweisen übrigens, daß Kapitalverbrechen wie grobe Körperverletzung, Vergewaltigung, Totschlag und Mord vornehmlich im häuslichen Bereich schlimme-ehen… begangen werden, wobei die Gewaltausübung von Frauen gegenüber Männern in diesen heterosexuellen Intimpartnerschaften in der Zunahme begriffen ist.

Sie verdrängen dies, die Heiratswilligen, für sie hängt der Himmel voller Geigen, ist der Tag der Hochzeit ein Tag, auf den sich Monate vorzubereiten ist, eine Armada von Hochglanzmagazinen hilft bei der Gestaltung dieses einschneidenden Moments, dessen Gelingen schlimme-ehenoder auch Nichtgelingen vermeintlich einen Blick auf das künftige Eheglück erlaubt.

Aber man muss ihnen ebenso auf andere Art und Weise helfen, unter die Arme greifen und zwar nicht, in dem man das Glück, das sie erwarten, besingt und ausmalt, das ist so unnötig wie einem Wüstenreisendem die Stille der Wüste auszumalen. Was ihm, dem Heiratswilligen hilfreich ist, sind nicht Bestätigungen seines Wahns, sondern Blaupausen, die sein Überleben sichern. … Es gibt Ortskundige, die in diesem Gelände schlimme-ehenunterwegs waren und manche haben es ziemlich genau beschrieben…. ein großer Teil der mehr oder weniger Weltliteratur befasst sich mit diesem Leben zu Zweit.

Die Geschichten, die in diesem Buch gesammelt sind, argumentieren oder philosophieren kaum, sie beschreiben, zum Teil minutiös. Sie sind vorwiegend der Literatur der letzten 200 Jahre entnommen, beinhalten aber auch Schicksale der Antike wie die der großen tragischen schlimme-ehenFrauengestalten von Medea oder Klytemnästra und Alltagstexte wie Zeitungsberichte.

Die Anordnung der Kapitel ist „chronologisch“ und folgt dem Gang des Lebens: An die Hochzeit schließt sich der Personenstandswechsel an, danach die Frage der Kinder und des Alltags. Es gibt Ehekarrieren und der Körper des anderen mag im Lauf der Zeit in seinem Sein oder in seiner Veränderung erschrecken oder gar die Lust töten. Ist dies ein schlimme-ehenAngriff auf die Ehe von innen heraus, so führt die Attacke von außen nur allzuhäufig die Existenz einer Geliebten oder eines Geliebten, was unweigerlich zu Streit führt und manchmal – siehe oben – sogar zu Tötungen. Die Existenz einer/s Dritten ist aber keineswegs notwendig (noch ist sie hinreichend) für ein solche einschneidendes Handeln, manchmal sammelt sich in Jahrzehnten eine unterschwellige Wut oder Frustation, die durch den sprichwörtlich gewordenen Tropfen das Fass schlimme-ehenzum Überlaufen bringt….

So hoffnungsvoll all die Ehen auch begannen (na ja, die meisten), so sind sie in diesen Beispielen alle den Gefahren erlegen, zumindest aber ist das Risiko vorhanden, das sie es tun. Die Textstellen, die hier herausgesucht wurden, sind Fundstücke des Versagens, denn daß Ehen scheitern können, begreifen wir spätestens, wenn wir verheiratet sind.

schlimme-ehenZu diesem Band der Anderen Bibliothek läßt sich nur schwer eine Inhaltsangabe fassen. An das  Vorwort (an dem sich meine Einleitung hier orientiert) schließen sich die erwähnten Kapitel an, die jeweils um die fünfzehn bis zwanzig Textbei- spiele umfassen, die meisten ein bis zwei Druck- seiten lang, ein paar auch nur wenige Zeilen bzw. mehr Seiten. Die meisten der Zitate werden durch ein kleines Setting in einen größeren Sinnzu- sammenhang gestellt und somit verständlicher.

schlimme-ehenIch habe mit diesem Buch meine letzte Vorleseveranstaltung gemacht. Die Leute waren zwar vorgewarnt, aber ein wenig kollidierten die Texte schon mit den Erwartungen, es gab wenig zu lachen und an den Stellen, an denen man z.B. wegen der Situationskomik grinsen oder lachen musste, blieb es einem doch im Halse stecken. Aber ich denke, für einen trüben Oktober, des Beginn des dunklen von Gedenktagen angefüllten Abschnitts des Jahres ist das in Ordnung. Den Gesprächen nach würde ich auch sagen, es hat den Besuchern gefallen, es war halt nur nicht so lustig oder spannend wie sonst….

schlimme-ehenFür meine eigene Bibliothek ist das Buch jedenfalls ein Gewinn. Große Literatur, viele Schriftsteller [1], viele mir davon unbekannt, ein Buch, um zwischendurch mal ein paar Zeilen zu lesen und nachzudenken. Denn eins sind sie in der Tat, diese Episoden: Chroniken dessen, was in einer Ehe passieren kann, Bilder der Riffe, an denen das gemeinsame Schiff auf Grund laufen kann. Wenn man nicht aufpasst….


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[1] Einige der Schriftsteller, von denen Passagen hier auftauchen:

Jurek Becker, Magnus Hirschfeld, Clemens Brentano, Guy de Maupassant, Brüder Grimm, Martin Luther, Javier Marias, August Strindberg, Sigmund Freud, Gustave Flaubert, Elias Canetti, Vladimier Nabokov, Christian Morgenstern, Axel Hacke, Raymond Chandler, Franz Kafka, Ilona Christen, Doris Dörrie, Herbert Rosendorfer, Robert Musil, Jean-Paul Satre, Boris Vian, Herta Müller, Philip Roth, Johann Wolfgang Goethe, Honoré de Balzac, Alberto Moravia u.v.a.m.

 


Schlimme Ehen
zusamengetragen von Manfred Koch und Angelika Overath
diese Ausgabe: Eichborn, Die Andere Bibliothek Band 189, HC, ca. 333 S., 2000

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