Diese Buchvorstellung ist auch als Audio-File im literatur RADIO bayern erschienen.

Alfred Kubin (1877 – 1959) ist vor allem als graphischer Künstler und Buchillustrator bekannt, er illustrierte unter anderen Werke von E.T.A. Hofmann, Edgar Allen Poe, Elias Canetti und Voltaire. Von daher stach mir in der Grabbelkiste diese ansonsten unscheinbar aufgemachte Ausgabe seines einzigen Romans Die andere Seite sofort ins Auge. Die andere Seite ist ein phantastischer Roman, was jetzt noch keine Bewertung darstellt, sondern sich auf seine Einordnung in ein Genre bezieht. Glaubt man der Literaturkritik – und warum sollte man das nicht tun – stellt es sogar einen viel zu wenig geachteten Schlüsselroman dar, der nicht nur Schriftsteller wie Kafka oder Meyrink beeinflusste. Und tatsächlich gibt es Passagen zuhauf im Text, bei denen man unwillkürlich an bekannte Schriftsteller erinnert fühlt.
Bildquelle: [B]
Der im gesamten Buch namenlos bleibende Ich-Erzähler, wie Kubin ein Graphiker, Zeichner und Illustrator, lebt mit seiner jungen Frau in München. Er bekommt eines Tages Besuch von einem ihm Unbekannten, der sich als Franz Gautsch vorstellt und ihm eine Botschaft eines ehemaligen Mitschülers, Claus Patera, überbringt. Obschon die beiden sich aus den Augen verloren haben, kann sich unser Protagonist noch gut an diesen Schulkameraden erinnern. Die überbrachte Botschaft ist einigermaßen seltsam: Patera, anscheinend ein erklärter Feind alles Fortschrittlichem, durch eine Erbschaft im fernen China, in das ihn ein bemerkenswertes Schicksal verschlagen hatte, unermeßlich reich geworden, habe dort viel, sehr viel Land erworben, auf dem er durch eine große Mauer gegen die Umwelt abgegrenzt, ein eigenes Reich gegründet, das Traumreich. In dieses zu kommen und dort zu leben sei der Protagonist eingeladen – selbstverständlich zusammen mit seiner Frau: Claus Patera, absoluter Herrscher des Traumreichs, beauftragt mich als Agenten, Ihnen die Einladung zu Übersiedelung in sein Land zu überreichen.
Ist es verwunderlich, daß der Erzähler dies mit Unglauben vernimmt, an einen Scherz glaubt? Doch scheint der Bote keinen Schabernack zu berichten, kann seine Ausführungen glaubhaft machen und die hunderttausend Taler, die er übergibt, um Unkosten der Reise etc pp zu begleichen tragen beim Erzähler dazu bei, den Entschluss zu fassen, die Einladung anzunehmen, den Hausstand aufzulösen und mit Frau, Sack und Pack der empfohlenen Reiseroute folgend ins Traumreich zu fahren.
Es ist eine anstrengende Reise nach Osten, das Ziel liegt weit entfernt, wir werden im Verlauf des Geschehens erfahren, daß man von dort die Gletscher des Tienschan erblicken kann [5]… Nach einer mehrtätigen, anstrengenden und ermüdenden Reise erreicht das Paar endlich das Ziel: das in eine nie enden wollende Düsternis gehüllte, weil ewig von einem wolkenverhangenen Himmel ohne Sonne und ohne Sterne bedeckte Traumland, das geheimnisvolle, ummauerte Land mit seiner Hauptstadt „Perle“, von dessen Existenz niemand ausserhalb etwas ahnt….
Die Übersiedlung nach Perle war nicht nur geographisch eine lange Reise, nein, auch die Zeit, in der man in Perle lebt, ist schon lange vorbei. Mit einiger Verwunderung und auch Verärgerung erfahren die beiden Ankömmlinge, daß in Perle keine „modernen“ Dinge geduldet werden bis hin zu modischer Kleidung. Alle Menschen wanden sich derart, wie es in vergangenen Zeiten Mode war, mit Wämsern, Fräcken und Röcken aus alten Zeiten. Überhaupt ist viel Merkwürdiges zu sehen: viele Menschen mit Gebrechen und Malen, die Häuser und Gebäude scheinen alle alt zu sein, windschief und gebeugt. Sie wurden von Patera aus aller Welt zusammengetragen, sorgfältig am ursprünglichen Ort ab- und im Traumland wieder aufgebaut. Viele Monate später erst soll der Protagonist erfahren, nach welchem Gusto Patera die Häuser aussuchte…. Aber die Gebäude, das Aussehen und die Art der Menschen – es ist nicht das einzige Seltsame, an das der Protagonist sich gewöhnen muss, auch das Verhalten der Leute, ihre Ansichten, ihr Wirtschaften – ja, ihr gesamtes Leben gestaltete sich grundverschieden vom Gewohnten. … die besseren waren Menschen von übertrieben feiner Empfindlichkeit. Noch nicht überhandnehmende fixe Ideen, wie Sammelwut, Lesefieber, Spielteufel, Hyperreligiosität und all die tausend Formen, welche die feiner Neurasthenie ausmachen, waren für den Traumstaat wie geschaffen, bei den Frauen zeige sich die Hysterie als häufigster Erscheinung. Die Massen waren ebenfalls nach dem Gesichtspunkt des Abnormen oder einseitig Entwickelten ausgewählt…..
Es gab durchaus hier auch Unterschiede, was den Besitz und das Vermögen anging, aber Geld spielte nicht wirklich eine Rolle in Perle, auch die Taler, die der Protagonist aus der Heimat mitbrachte, waren eines Tages nicht mehr zu finden… Es gab bessere Viertel in der Stadt, es gab auch das französische Viertel, in dem die Sitten lockerer waren und mit Häusern, in denen mann selbige und andere Behandlungen ordern konnte – nicht ganz ungefährlich war es dort, keineswegs war die Stadt frei von kleinen Gaunern und Ganoven. Seltsame Riten waren zu beobachten, denen man sich – und der Erzähler spürte dies am eigenen Körper – nicht entziehen konnte, ein innerer Zwang trieb einen unentrinnbar zur Teilnahme, eine dämonische Macht, die kein Entrinnen kannte… des weiteren erwähnenswert sind die die vor der eigentlichen Stadt Perle wohnenden Einheimischen, asketische, in sich ruhende Menschen, die sich anscheinend völlig der inneren Versenkung hingaben.
Einzig Patera, der Herr, trat nicht in Erscheinung. Zwar hatte er den Protagonisten durch seinen Boten eingeladen, doch war es schier unmöglich, ihn zu besuchen. Dazu wäre eine Audienzkarte notwendig gewesen, aber um eine Audienzkarte zu erhalten – so beschied man dem Erzähler – brauchen Sie außer dem Geburts-, Tauf- und Trauschein das Schulaustrittszeugnis Ihres Vaters, die Impfbestätigung Ihrer Mutter. Im Korridor links, Amtszimmer Nummer sechzehn, machen sie ihre Angaben über Vermögen, Bildungsgang und Besitz von Orden. ein Leumundszeugnis Ihres Schwiegervater ist erwünscht, aber nicht unbedingt erforderlich. Könnte dieses Beispiel für eine Komödienobrigkeit nicht auch von Kafka stammen? Zumal der Erzähler später dann feststellt, daß am Palasttor ein Schild hängt mit den Zeiten für die täglichen öffentlichen Sprechstunden Pateras, die unser Traumstaatler verwundert zur Kenntnis und natürlich wahrnimmt… im Palast sind nicht enden wollende Zimmerfluchten zu durchqueren bis das letzte Zimmer nicht weiterführt und tatsächlich trifft er den Geheimnisvollen, den Herrn: Patera.. doch dieser ist viele, Patera ist jeder, das Gesicht des Herrn ist das Gesicht aller, alle Gesichter spiegeln sich in ihm wieder…
Ist die erste Zeit in Perle für den Erzähler durchaus interessant und ihn inspirierend, so wächst im Lauf der Zeit doch ein ungutes Gefühl in ihm heran. Seine Frau verläßt die Wohnung, die sie sich genommen haben, kaum noch, sie leidet vielmehr unter Angstzuständen, unterliegt Halluzinationen, z.B. soll sich etwas im Brunnen auf dem Hofe bewegt haben. Sie zu beruhigen geht der Mann diesem nach und gerät wieder in eine Situation, die klaustrophobisch und beängstigend ist: in einem unterirdischen Labyrinth aus dusteren Gängen irrt der Mann orientierungslos daher, wird von einem dem Wahn nahen Pferd verfolgt und überholt und findet sich schließlich im Caféhaus wieder….
Schließlich erkrankt die Frau fiebrig, eine Reise in die Berge, um dort Linderung und Besserung in der frischen Bergluft zu erreichen, wird abgebrochen: je weiter Perle hinter ihnen liegt, desto schlechter fühlt sich die Frau; bald nach der Rückkehr jedoch stirbt sie trotz aller Bemühungen. Aber noch am Abend ihrer Bestattung überfällt den Erzähler ein kristallklarer Wahn und er paart sich mit Melitta, der Frau des Arztes, wobei man nicht erkennt, wer von beiden nun wen — nun ja, animiert…
Die ersten beiden der drei Abschnitte, aus denen der Roman besteht sind „Der Ruf“ und „Perle“, letzter enthält eine Beschreibung des täglichen Lebens im Traumstaat, der Menschen und der Besonderheiten. Der letzte Abschnitt nimmt fast den halben Umfang des Buches ein, er heißt „Der Untergang des Traumreiches“ und beschreibt minutiös das apokalyptische Ende dieses seltsamen Staates.
Eingeläutet wird dies durch den „Amerikaner“, den ebenfalls unermesslich reichen Herkules Bell. Dieser hatte sich lange Jahre bemüht, das Traumreich zu finden und die Erlaubnis, dort hinzuziehen, zu bekommen. Als ihm dies endlich gelungen ist, ist er um so enttäuschter ob der Verhältnisse, die er vorfindet und vor allem ob der Rückständigkeit. Bell (schon sein Name sticht von den eher umständlichen und romantischen Namen der Traumreichbewohner ab) wird zum Gegenspieler Pateras, ist ähnlich dämonisch, obgleich mehr der Welt zugewandt als der Herr. Er wehrt sich gegen die Umstände, ihm gelingt es, sich dem „Bann“ zu entziehen und Getreue um sich zu versasmmeln. Eine Proklamation, in der er den Bewohnern Perles erklärt, welchem mysteriösen und dämonischen Herrn sie ergeben sind und wie dieser seine Herrschaft ausübt, und die ferner den Aufruf enthält, dieses Joch abzuwerfen, spaltet die Menschen in zwei Lager: die Anhänger Pateras und der herrschenden Ordnung und die von Bell, die sich in dem von ihm gegründeten politischen Verein „Lucifer“ sammeln…
Wie schon erwähnt, ahnt man ausserhalb des Traumstaates nichts von seiner Existenz, wenngleich in der letzten Zeit das spurlose und auch rätselhafte Verschwinden auch einiger Prominenter, zu nennen wäre hier an erste Stelle die Prinzessin von X, Fragen aufgeworfen hat. Bell gelingt es nun, einen Boten aus dem Traumreich zu schleusen, der die Proklamation in den Staaten der Welt bekannt macht, die sich daraufhin zum Handeln genötigt sehen und zum Krieg gegen Pateras Staat rüsten.
Dies ist aber eine eher marginale Rahmenhandlung, denn das Traumreich Pateras scheint sich selber von innen heraus aufzulösen und förmlich zu verdauen: alles Metallische fängt an zu rosten, Steine und damit die Gebäude zerfallen zu Staub, Holz wurde wurmstichig und morsch, die Kleidung wurde mürbe, zerfaserte und fiel stückweise von den Leibern. Stadt und das Land werden von Tieren überrannt, Krokodile im Fluss, Schlangen und Ratten, Pferde und Leoparden scheinen die Herrschaft über das Geschehen zu übernehmen…
Doch nirgends spiegelte sich der unerhörte Zerfall des Traumreiches deutlicher als in den Sitten, deren Schauplatz Mme. Adriennes beliebtes Institut in französischen Viertel war, …. die Sittlichkeit war tief unter ihr Normalniveau gesunken, Pornographika mit Titeln wie „Die wollüstige Orchidee schwängert den Embryo“ finden reißenden Absatz… diese erotische Komponente in den Schilderungen des Zerfalls ist stark ausgeprägt, Kubin beschreibt Szenen, die später eines Batailles würdig gewesen wären: , … Wie bei einem Hexensabbat humpelte und kroch die widerliche Meute immer näher an die Bedrängten [Klosterschwestern]. Ein noch ganz junges, schönes Mädchen setzte sich zur Wehr und schlug einem Kerl mit einem Doppelkropf ein Auge aus. Zur Strafe wurde sie auf eine eiserne Bettstelle gebunden. Kreaturen, strotzend von Ungeziefer, mit abgefressenen Nasen, eiterigen Augen, faustgroßen Geschwüren, Krätzeschorf, beugten sich über die Gefesselte, die während dieser Schändung erst wahnsinnig wurde und dann starb. ….
Heftige Kämpfe fanden zwischen den Aufständlern und der Armee statt, das Militär besiegte die Aufständischen, die Schwachen wurden von den Stärkeren niedergetrampelt, es fielen Hufschläge, daß die Gedärme spritzten und übler Dampf sich verbreitete. …. Manchmal blitzt auch eine Art unfreiwilligen Humors, skurril und makaber, durch Kubins Phantasmagorie. Das Schicksal des Arztes Lampenbogen beispielsweise wollte es, daß er von seinen rebellierenden Patienten mit Hilfe eines Gasrohres gepfählt und danach angezündet wurde: So endete Lampenbogen seine Existenz als Spießbraten, und zwar als schlechter; der obere Teil war größtenteils roh, kaum gebräunt, die Bauchteile dagegen gänzlich verkohlt. Nur an den Seiten war er richtig knusprig. …
Es kommt zu einem finalen Kampf zwischen Patera und Bell, eine wahrhaft gigantische Auseinandersetzung, Patera wächst zu einer Größe heran, bei der Gebirge wie Schlamm zur Seite spritzen, wenn er mit seinen Füßen auf sie tritt… und doch kann er Bell nicht besiegen…. über dem Traumstaat verziehen sich zum ersten Mal die Wolken und die Düsternis verschwindet, Sonnenstrahlen überstreichen das Land und des Nachts sieht man Sterne funkeln.
Der Demiurg ist ein Zwitter.
Das Phänomen Patera läßt Kubin ungelöst. Vielleicht, so deutet er an, war Patera selbst nur eine Marionette, eine Figur in einem Spiel, das die Blauäugigen spielten, die seit ewigen Zeiten in diesem Land leben und unter Patera in der Vorstadt wohnten und dort in aller Versunkenheit der Meditation nachgingen. Der Erzähler selbst hatte schwere innere Kämpfe auszufechten, seine eigenen Träume wollten seinen Geist überwuchern, seine Identität auslöschen, ihn in andere Zeiten und Gegenden entführen. Es waren Abgründe, denen er sich willenlos preisgegeben sah…. einzig der Gedanke an den Tod erquickte ihn, an das eigene Sterben dachte ich wie an die größten, himmlischen Freuden, die ewige Hochzeitsnacht wäre dann angebrochen. Schließlich erkannte er, daß die Welt Dualität, Polarität ist, abstoßende und anziehende Kräfte herrschen, Tag und Nacht, schwarz und weiß – das sind Kämpfe.
Die wirkliche Hölle liegt darin, daß sich dies widersprechende Doppelspiel in uns fortsetzt. Die Liebe selbst hat einen Schwerpunkt zwischen „Kloaken und Latrinen“.
Die andere Seite: von Kubin geschrieben einer persönlichen Schaffenskrise [2] stellt den Traum in den Mittelpunkt. Die „Traumdeutung“ ist ja nicht erst mit Freud [6] ins Leben gerufen worden, Träumen wurde schon seit alters her eine Bedeutung zugebilligt, die es zu deuten galt [6], denn nichts in ihnen ist klar und deutlich zu erkennen, der ewig verdeckte Himmel über dem Traumstaat ist ein Bild dafür. Träume haben ihre eigene Logik, sie sind voll von Bildern und Symbolen. So auch der Roman, der insofern in vielfältiger Weise interpretierbar und auch auf heutige Verhältnisse anwendbar ist. Der Traumstaat selbst beispielsweise, der sich von der Aussenwelt abschottet, ja, der gar kein Interesse mehr an dieser hat, die jedoch ihrerseits ebenfalls kein Wissen über dieses Gebilde hat – kann man dies nicht als Bild nehmen auch für Sekten oder andere Organisationen, die sich durch eine gemeinsame Überzeugung definieren?
Das zweite Thema der Geschichte ist die die Welt beherrschende Polarität und Dualität, wie es Kubin seinem Erzähler in dessen Epilog in den Mund legt. Zum Leben gehört der Tod, zur reinen Liebe auch die dunkle Seite des Unrats und der Verderbnis – ein Thema, das sich dann bei den Surrealisten ja auch wiederfindet [7]. Folgerichtig läßt Kubin die Frau des Protagonisten, von der man annehmen kann, daß zu ihr die Liebe „rein“ war, sterben und ihren Mann, bzw. Witwer, noch in der Begräbnisnacht eine andere Frau begatten, die ihrerseits immer tiefer in den Sumpf erotischen Zwangs gerät, bis sie letztlich an diesem ausgelebten Trieb stirbt.
Weite Passagen des Romans sind von erotischem geprägt. Angefangen von den rätselhaft zerfallenen Kleidern der Menschen, die diese natürlich unbekleidet zurücklassen, über das französische Viertel bis hin zu den Szenen des Gesellschaftsschlafs, bei dem unter dem Deckmantel des sich gegenseitig Wärmens der zerstörerische Entfesselung der Triebe unter der gemeinsamen Decke, mit der man sich in der Not im Zelt bedeckte frönte. Nichts wurde verschont, weder Familienbande noch Krankheit und Jugend. Kein menschliches Wesen konnte sich dem elementaren Trieb entziehen, man suchte gierig vorgequollenenen Auges eine Körper, um sich an ihn anzuklammern. .. Stöhnen und Ächzen war ringsumher….. ein Meer von nacktem Fleisch wallte und zitterte…. konvulsivischem Schauspiel.. versuchten die Betrunkenen, sich kolonnenweise zu paaren… auch hier ist es nicht nur der pure Fleischtaumel, den Kubin beschwört, dieser ist wieder mit exzessiver Gewalt verbunden: … zu meinem Entsetzen gewahrte ich, daß eine gelbhaarige Dirne einen Betrunkenen mit den Zähnen entmannt hatte… Der Blutdurst erwachte…
Der Traumstaat ist ein dunkles Gebilde, ein Reich des Abnormen, des Kranken, vorwiegend nervlicher Natur (wobei nicht klar ist, ob und wenn ja, an welchem Gebrechen der Erzähler leidet), ja, auch des Bösen: weggesperrt, isoliert und sich selbst überlassen, bleiben die Bewohner unter sich: eine riesige autarke Verwahranstalt.
Die andere Seite ist vieles: ein fantastischer Roman, ein Abenteuerroman, eine Dystopie, möglicherweise auch eine Kritik an der seinerzeit herrschenden Gesellschaft. Was der Roman aber auf jeden Fall ist: er ist unbedingt lesenswert und empfehlenswert, nicht zuletzt weil man als Leser hier Vorgaben findet, die von anderen Schriftstellern aufgegriffen und weiterentwickelt worden sind und die sich in deren Werk wiederfinden. Zudem ist er spannend und unterhaltsam, überbordend an phantastischen Einfällen – auch wenn man beim Lesen einiger Passagen mit einem etwas robusterem Wesen gut bedient ist…
Wenn man sich den Roman anschaffen möchte, sollte man auf jeden Fall darauf achten, eine illustrierte Ausgabe [3] zu bekommen – notfalls antiquarisch.
Links und Anmerkungen:
[1] zur Person Alfred Kubins: http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Kubin
[2] Wiki-Seite zum Buch: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_andere_Seite
[3] Sammlung der zum Buch gehörigen Zeichnungen: https://www.flickr.com/photos/
[4] Texte zum Roman:
a) Clemens Ruthner: TRAUMREICH Die fantastische Allegorie der Habsburger Monarchie in Alfred Kubins Roman Die andere Seite (1908/09); http://www.kakanien-revisited.at/beitr/fallstudie/cruthner4.pdf
b) Anlässlich der Neuausgabe von Alfred Kubin: »Die Andere Seite« (mit Link-Service); http://molochronik.antville.org/stories/1910201/
[5] bei dieser Reisebeschreibung gelingt Kubin ein wunderbarer Satz, der ihn – er selbst konnte dies natürlich noch nicht erahnen – in die Höhen eines Bruce Lee („Ich mach´ sie mit Karate fertig“) oder Sylvester Stallone („Was macht das blaue Licht dort?“ -„Es leuchtet blau.“) heben wird: Wie orientalische Städte aussehen, setze ich als bekannt voraus. Es ist genauso wie bei uns, nur orientalisch.
[6] Sigmund Freud: Über den Traum, Die Traumdeutung, 1900
Zedler, Universal-Lexicon (1731-54), Artikel Traum-Deuterey: http://www.zedler-lexikon.de/...
[7] z.B. Georges Bataille: Das obszöne Werk; Buchvorstellung hier im Blog: https://radiergummi.wordpress.com/..werk/
[B]ildquelle: Cover der Erstausgabe: http://de.wikipedia.org/../DieandereSeite..Kubin; Urheber: Dipl.-Kfm. Thomas Bernhard Jutzas (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons
Portraits: [1], Werk gemeinfrei (Schutzdauer abgelaufen)
Diese Buchvorstellung ist auch als Audio-File im literatur RADIO bayern erschienen.
Alfred Kubin
Die andere Seite
Erstausgabe: Verlag G. Müller, München und Leipzig, 1909
diese Ausgabe: Nymphenburger Verlagshandlung München, HC, 277 S., Mit 51 s/w Zeichnungen und einem Plan, 1968
Lieber Flattersatz,
beim Studieren ihrer Lieblinge in 2015 kam mir dieses Buch irgendwie bekannt vor und ich ging auf die Suche und siehe da, seit 1990 (wie soll ich mich denn jetzt noch daran erinnern -:))) habe ich es in einer Reprintausgabe mit Zeichnungen aus der edition spangenberg in meinem Besitz. Da heißt es also jetzt: schon wieder zu den neuen ein altes Buch wiederlesen…seufffzzz
mit lieben Grüßen vom Dach
Karin
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ach, liebe karin, müssen sie doch gar nicht, ich hab´s doch soooo ausführlich beschrieben…. ;-)
aber wenn, dann wünsch ich ihnen viel spaß, auch wenn er etwas morbides beinhaltet….
liebe grüße aus dem schnee
fs
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Die Grafiken von Kubin haben mich extrem beeindruckt. Sie wirken auf das Unterbewusste…erinnern an Alpträume….
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… der roman steht dieser wirkung in keiner weise nach….
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Machjt mich neugierig….
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Unbedingt empfehlenswert: UNBEDINGT! Danke für den Beitrag!
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kennst du das buch?
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Ja, ich kenne es sehr gut und darf sagen, daß ich es aufrecht liebe. Eine Schande, daß es keine aktuelle Ausgabe mit seinen Illustrationen und der Karte von Perle gibt. Nochmals Dank, daß Du diese Besprechung gebloggt hast.
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„.. aufrecht lieben…“ das sagt man nicht zu allen büchern…. aber dieser roman ist es jedenfalls wert. ich bin auch sehr froh über den zufall, der ihn mir in die hand gespielt hat! und du hast recht: wer sich das buch kaufen will, sollte sich unbedingt eine illustrierte ausgabe anschaffen, zur not über den antiquarischen buchhandel! es gibt die zeichnungen zwar auch im internet (link habe ich ja angegeben), aber die gehören beim lesen ins buch! :-)
liebe grüße
fs
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Sehr iunteressant! Merke ich mir vor.
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ich musste bei der Beschreibung der explodierenden und brutalen Notgeilheit an den englischen Schauerroman denken, „The Monk“, etc. Eine schöne Besprechung, genau richtig am Sonntagmorgen, danke.
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aber gerne! wenn du sowas als schöne sonntagmorgen-lektüre ansiehst: was liest du dann die woche über? *lol*
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