Hinweis: Diese Buchvorstellung gibt es auch als Audio-File: https://app.box.com/
Es ist eine „wilde“ Geschichte, die die amerikanische Kunsthistorikern Deborah Dixon uns hier unterbreitet: sie legt dar, daß eines der berühmtesten Gemälde der Welt (na ja, der Erde…), die im Louvre beheimatete „La Giocanda“ („Die Heitere“) nämlich, bei uns besser bekannt als „Mona Lisa“, eine Fälschung ist [vgl. dazu 2]. Dixon benennt Ross und Reiter dieses Coups, denn – und das ist historische Tatsache – 1911 wurde das Gemälde aus dem Louvre gestohlen. Natürlich gab es seinerzeit einen Skandal, der Diebstahl, auch das erfahren wir, hat maßgeblich dazu beigetragen, das Bild, das – nach Dixon – recht reizlos ist und künstlerisch nichts Neues bringt, bekannt und populär zu machen: A Star was Born.

zwischen 1503 – 06
Bild: gemeinfrei (nach Wiki)
Der Skandal um diesen Diebstahl weitete sich aus, weil (a) das Gemälde überhaupt gestohlen werden konnte, weil (b) bei den Ermittlungsarbeiten herauskam, daß im Lauf der vergangenen Jahre noch viel mehr Gemälde gestohlen worden waren, was aber niemandem aufgefallen war und weil (c) weder Dieb noch Bild gefunden wurden. Die Gerüchteküche kochte und verhackstückelte alles und jeden, gegen den sowieso schon Vorurteile vorhanden waren: die Juden, die Deutschen, die Ausländer, die eigenen Politiker…. Schließlich fand man von politischer Seite her einen Ausweg: ein Täter war zu präsentieren und das Gemälde wieder zu finden. Und da bekanntlich dort, wo ein Wille ist auch ein Weg gefunden werden kann, gelang es nach dieser Überlegung recht schnell, der Öffentlichkeit den Schuldigen mit einem ehrenwerten Motiv für seine an sich schändliche Tat zu präsentieren und wofür hatte man soviele Kopisten im Louvre? Eben drum…. Seit damals, so Dixon, hängt also eine Fälschung, eine Kopie, des Originals im Louvre.
Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Tauchen wir also ein in das kalte Gewässer und schauen, was wir finden…
Nun, Dixon jedenfalls hatte in den Tagebüchern ihrer Freundin Laura eine noch viel interessantere Geschichte gefunden, durfte sie aber erst zehn Jahre nach dem Tod der Freundin veröffentlichen. Diese Veröffentlichung erlebte die Autorin selbst auch nicht mehr, im Alter von 85 Jahren raffte sie ein Autounfall dahin….
ach ja, die Geschichte….
Leitfigur und Hauptdarsteller ist ein gewisser Eduardo de Valfierno, der sich selbst geadelt hatte und selbstsicher als Marquis auftrat. Als Kunst- und Antiquitätenhändler lernte er in Marseille den Maler Yves Chaudron kennen, der ihm eine alten Koffer mit noch älteren Büchern zum Kauf anbot. Chaudron war ein Maler der alten Schule, das, was die Pinselakrobaten der neuen Generation auf die Leinwand brachten, das Licht, die Reflexe, die Eindrücke: das war seine Sache nicht, er liebte die alten Meister, Raffael, Tizian und wie sie alle heßen. In einem der Bücher des Koffers hatte er seine Bibel gefunden: das alte Meisterwerk von Cennino Cennini [4], in dem auf Genaueste die Maltechniken der damaligen Zeit (Cennini lebte von 1370 – 1440) beschrieben und erläutert werden.
Valfierno jedenfalls staunt nicht schlecht, als er im Atelier dieses Kopisten (als solchen schätzte er ihn im ersten Moment ein) zuhauf Tiziane, Botticellis etc an der Wand sah, die er alle kannte und die ihn doch irritierten, weil sie ihm irgendwie fremd waren… Pasticcios nannte Chaudron diese Bilder, nachempfundene alte Gemälde, in die er nach seiner Laune andere Bildelemente hineinmalte: andere Personen, andere Requisiten…. Es entwickelte sich in der Folge eine freundschaftliche Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Männern, deren Geschäftsgrundlage darauf beruhte, daß in Südfrankreich viele Italiener lebten, die willens und in der Lage waren, für einen Tizian, einen Botticelli… viel Geld auszugeben….. und von unseren beiden Freunden wurden sie geholfen.
Zu diesem Zeitpunkt kommt die „Titanic“ ins Spiel. Valfierno als fixer Geist ging richtigerweise davon aus, daß bei der Jungfernfahrt der Geldadel an Bord ist, die Leute, die nicht wissen, wohin mit ihren Millionen.. die Morgans, die Guggenheims, die Astors dieser neuen Welt. Dem Naturell desjeweiligen nach aufbereitet, müsste es möglich sein, ihnen eine Geschichte zu präsentieren, durch die sie motivert wären, ein Gemälde, das Gemälde nämlich, sprich „La Gioconda“, zu retten. Wovor auch immer… So gab Valfierno bei seinem Malerfreund Chaudron vier Kopien in Auftrag, was diesen zu einem Lachanfall inspirierte, hing die Dame doch allseits bekannt im Louvre….
Doch der Teufel ist ein Eichhörnchen und Valfierno war ein intelligenter, integrer, honoriger Betrüger und Dieb: von den nun fünf existierenden Mona Lisen (ich überspringe etwas von der Geschichte und greife vor…) versanken drei gleich wieder in den eisberggekühlten Fluten des Atlantik (was jetzt natürlich nicht geplant war, das behauptet selbst die Autorin nicht), von den zwei übrigen Exemplaren war eine Kopie in England verblieben und die letzte Mona Lisa, nehmen wir an, die „echte“, begleitete unseren Helden die nächsten Jahre und schmückte seine jeweiligen Schlafgemächer in den diversen Heimstätten….
… denn der ausbrechende Weltkrieg No 1, diese exorbitante Vernichtung von Leben sowohl als auch materiellen Werken verdarb zum einen das Geschäft, zum anderen fürchtete der Italiener Valfierno, der in jungen Jahren in Genua mordete (ja, ja: auch das noch…) als Ausländer Unbill. So fingen Wanderjahre für ihn an: Tanger, nochmals das Paris zwischen den Weltkriegen, Havanna, die USA… In den USA, und damit fängt der Kreis an, sich zu schließen, lernte er, dem es an Frauen nie mangelte, doch Laura kennen, in deren brutalstmöglichen [3] blauen Augen er unrettbar versank. Laura, die sich über das langweilige Bild in Valfiernos Schlafzimmer wunderte, Laura, die dann in Hollywood als Produktionsdesignerin (eine Funktion, die extra für sie geschaffen worden war) Karriere machte, Laura, die Freundin der Autorin, Laura, die als kleines Mädchen den Untergang der Titanic überlebte, bei dem ihre Eltern, die eine der Kopien für einen der Käufer nach Amerika überbringen sollten, ertranken…
Noch ist das Schicksal von Laura und das Wissen ihres Mannes Valfierno nicht zusammengebracht. Das und damit den Clou am Ende des Buches, will ich hier auch nicht erzählen, aber andeuten, daß Valfierno eine gewisse Unbefriedigtheit spürte, will ich schon: im Louvre hängt die Mona Lisa und alle Welt bestaunt sie, der seinerzeitige Dieb lebte von seinem Ruhm auch nicht schlecht – und was ist mit Valfierno, dessen Geschichte niemand kennt, dessen Genie niemand würdigt….? das lastet auf ihm, doch ja, es ist nicht gerecht, nein, das ist es nicht…
Nach ungefähr der Hälfte des Buches, die Titanic ist mittlerweile auf Eis gelegt, gerät das Mona Lisa Thema in den Hintergrund. Was jetzt erfolgt, ist eine sehr unterhaltsame, bissige Schilderung der Lebensumstände in diesen Zeiten, konzentriert natürlich auf die künstlerische Boheme vorwiegend in Paris. Wir treffen auf Picasso, auf Apollinaire (die kurzzeitig des Raubes beschuldigt werden und immer in Sorge sind, als Ausländer ausgewiesen zu werden), Hemingway („Hemingway schreibt Sätze, keine Romane“) kreuzt unseren Weg sowohl in Paris als auch in Havanna.
Besonders das Paris und das leichtbeschwingte Leben zwischen den Weltkriegen hat es der Autorin angetan. Das Leben dort ist für die Künstler ein einziges, rauschendes Fest, Musik, Champagner.. Für die Eröffnung von La Coupole am 20. Dezember 1927 um vier Uhr nachmittags hatten die Besitzer bei der Firma Mumm fünfzehntausend Flaschen Champagner geordert, doch es konnten nur zwölftausend (man ist geneigt, diese Angabe eher für einen Kommunikationsfehler zu halten) geliefert werden. Sie waren noch vor Mitternacht geleert. … manche der Damen tragen keine Unterwäsche und beweisen dies gerne, falls ein ungläubiger Thomas auftaucht und die Herren beten die Damen an… man liebt sich, den/die Gegenüber und das Leben sowieso…
Auf Remarque und die Dietrich sowie viele weiter Künstler stoßen wir dann in den USA. Das Prinzip „Hollywood“ wird aufgerollt, der Erfolg der großen Studios, alle gegründet von Emigranten, das Leben dort, welchem das Kunststück gelang, aus „Schein“ „Sein“ zu machen, in dem es durch seine Filme ein Art zu leben, zu lieben, zu sein transportierte. In diesem Teil des Buches bringt sich auch die Autorin immer stärker in ihre Geschichte mit ein, schließlich ist sie es ja auch, der Laura das Tagebuch anvertrauen wird, aus der sie diese unglaubliche Geschichte extrahiert hat.
Diese Passagen sind ein fulminanter Ritt auch durch die Welt der Kunst, „FKK“ sozusagen: Fälscher, Kunst und Käufer. Wer Geld hatte, war bereit zu zahlen, die Kopisten konnten gar nicht so schnell alte Meister produzieren, wie die Nachfrage wuchs. Von Corot z.B. existieren achthundert echte Werke, davon hängen achttausend allein in den USA. Picasso war bereits ein reicher Mann, und ein Gemälde von Cezanne konnten sich nur noch Millionäre leisten. Für erschwinglichen Nachschub sorgte Claudine Latour, … die mit schlechten Cezannes für hundert Dollar begonnen hatte, jetzt aber dazu überging, Touristen die höchst begehrten Straßenszenen von Utrillo zu liefern. .Andererseits war nicht jeder an Gemälden interessiert, der Dietrich waren 1939 (in den USA) siebentausend Dollar für ein Kokoschka-Bild zu viel. Immerhin war es der Preis für eine komplette Abendgarderobe – man musste schon Prioritäten setzen…..
Wie bekommen wir jetzt in dieser unübersichtlichen Gemengelage den Bogen wieder zurück zu unserer Heiteren? Nun, gehen wir einfach nicht über Los, genehmigen wir uns vielmehr einen Cubra Libre, denn wir begeben uns direkt nach Havanna. Dorthin nämlich hat es Valfierno verschlagen, als sich der Himmel über Europa gegen Ende der dreißiger Jahre wieder mal verdunkelte und dort lernte er besagte Laura kennen, die in der Hotelbar als Zielscheibe für ein geworfenes Glas leicht ausgeknockt von ihm gerettet wurde. Zwei Wochen später war man verheiratet und in New York. Mitsamt Mona Lisa über dem Bett…. und von dort aus wurde dann Hollywood erobert bzw. erst einmal erschaffen und damit wären wir wieder kurz vor dem Clou…
Was mir beim Lesen auffiel
… es ist ein klasse (Roman)Stoff, den Dixon uns hier präsentiert und in der Tat sind viele, sehr viele historische und nachprüfbare Fakten eingebaut. Trotzdem sind mir ein paar Sachen aufgefallen:
- Laura, die spätere Frau von Valfierno, ist Kunsthistorikerin. Die Mona Lisa über dem Bett ihres Mannes hält sie für langweilig, das ist ok, aber mir doch ein wenig zu wenig, da sie als Kunstkennerin deren Geschichte präsent haben müsste: entweder ist das Bild das Original (o la la!!) oder eine verbotene Kopie, nämlich eine in den Originalmaßen, und damit eine Fälschung. Jedenfalls klingt an keiner Stelle fragendes Erstaunen durch…
- der geniale Fälscher Chaucon verschwindet nach seiner Bekehrung zum neuen Malstil eines Monet etc, die ihm in Paris zuteil wird, praktisch von der Bildfläche. Einmal wird er noch erwähnt…
- das Leben hält viele Zufälle bereit. Aber das ausgerechnet Valfierno die ausgerechnet überlebende Tochter des ausgerechnet einzigen Ehepaares, das mit einer Mona Lisa Fälschung im Atlantik versinkt, kennen und lieben lernt, das ist schon …. ein ziemlich großer Zufall….
- … und warum (ich schaue ja immer so ein wenig drumherum) hält das Internet über die Autorini Deborah Dixon, aus einer angesehenen und vermögenden Familie stammend, Kunsthistorikerin an einem weltberühmten New Yorker Museum, keinerlei Informationen bereit?
- .. und wer ist dieser Übersetzer Werner Fuld [1]? Daß er Kunstgeschichte studiert hat, passt gut…. ich habe von ihm Die Geschichte des sinnlichen Schreibens im Regal stehen: der Schreibstil in dieser ..Geschichte des… ist ähnlich unterhaltsam, schnell, spannend, intelligent und auch bissig wie im Mona Lisa Schwindel …..
… und dann finde ich folgende Buchbesprechung von Edwin Baumgartner in der „Wiener Zeitung“ [5]: Unter dem Titel: Die Autoren, die es nicht gab fasst er seine Recherchen wie folgt zusammen: .…. Anders gefragt: Wäre es möglich, dass „Der Mona Lisa Schwindel“ eigentlich ein Deborah-Dixon-Schwindel ist, insofern, dass Fuld weniger Herausgeber und Übersetzer als vielmehr Autor des Buches ist?…..
Ha! Ich bin nicht allein!
Anyway, wie immer es auch sein mag, Der Mona Lisa Schwindel ist trotz von mir vermisster Bindestriche ein „sehr“-Buch: sehr unterhaltsam, sehr gut zu lesen, sehr bissig und ironisch, sehr faktenreich, sehr intelligent, mithin: sehr zu empfehlen für alle, die einen temporeichen Parforceritt durch die Welt der „FKK“ (siehe oben) erleben wollen!
Links und Anmerkungen:
[1] Wiki-Seite zu Werner Fuld: http://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Fuld
[2] Wiki-Seite zur Mona Lisa: http://de.wikipedia.org/wiki/Mona_Lisa, aber auch in diesem Blog ist eine Menge an Infos zu finden: http://monalisadocumentary.blogspot.de
[3] danke, Herr Koch!
[4] Cennino Cennini: Il Libro dell´ Arte; vgl hier: Das Buch von der Kunst oder Traktat der Malerei, in: https://books.google.de/books?….
[5] Edwin Baumgartner: Die Autoren, die es nicht gab; http://www.wienerzeitung.at/…gab.html
Hinweis: Diese Buchvorstellung gibt es auch als Audio-File: https://app.box.com/
Deborah Dixon
Der Mona Lisa Schwindel
Aus dem Nachlass editiert, aus dem Amerikanischen übersetzt und samt einem Nachwort von Werner Fuld
diese Ausgabe: Eichborn, Die Andere Bibliothek Bd. 324, HC, ca. 318 S., 2011