Zum Namen Hemingway fällt wohl fast jedem wenigstens der Titel dieser kleinen Erzählung ein: Der alte Mann und das Meer, dieses mythische Kammerspiel, das sich auf dem Meer, dem Golf vor Kuba, abspielt. Es hat etwas von einer griechischen Tragödie, in der ein blindes Schicksal zuschlägt, ein Sisyphus wieder an den Anfang zurückgeworfen wird… Es begegnen uns drei Personen in diesem Stück, der alte Fischer Santiago, der Junge Manolin und der Fisch, zu dem alte Mann im Lauf der Stunden und Tage, die die beiden fest miteinander verbunden sind, eine besondere Beziehung aufbaut, in Zuge derer er ihn als mythischen Verwandten, als Bruder, erkennt. Der Chor… es sind die anderen Fischer, die des abends und des morgens mit ihrem Masten unter dem Arm vom Hafen kommen oder zum Hafen gehen, der Chor, das sind die Strömung und der Wind, das sind die Sonne und der Schmerz, das ist auch das Rudel der Haie, die den tragischen Helden in den Hafen begleiten und die gleichzeitg die Plage sind, die die Götter ausgesandt haben, den alten Mann zu schlagen…
Die der Erzählung zugrunde liegende Geschichte ist einfach: der alte Mann, der Fischer Santiago ist jetzt seit genau 84 Tagen jeden Abend ohne Fang in den Hafen zurückgekehrt. Sein Freund, der Junge Manolin, darf deswegen schon lange nicht mehr mit ihm auf´s Meer hinaus, sein Vater hat bestimmt, daß er auf einem anderen, erfolgreicherem Boot mitfährt. Doch heimlich kümmert sich Manolin sehr fürsorglich um den Alten, sorgt dafür, daß er etwas zu Essen und zu Trinken hat, spricht ihm Mut zu… Santiago nimmt diese Liebe und Fürsorge dankbar an, er versucht, mit dem Jungen über das von ihm geliebten Baseball, besonders über den von ihm verehrten Spieler Joe DiMaggio, den Yankee Clipper, zu sprechen [1, 2].
Morgen… am 85. Tag wird seine Pechsträhne durchbrochen, morgen wird er hinausfahren und einen Fisch fangen, dies redet er sich ein, um sich Mut zu machen, sich wieder aufzuraffen…. und er fährt am Morgen zusammen mit all den anderen Booten hinaus, eine Flasche Wasser hat er als Proviant dabei… er setzt die Leinen mit dem Ködern, die in verschiedenen Tiefen locken sollen, sehr akkurat, er beobachtet das Meer, versucht aus verschiedenen Anzeichen herauszulesen, ob Fische in der Nähe sind….
Nach langer Zeit ruckt eine der Leinen, ein Fisch hat Interesse am Köder und schließlich beißt er an und hängt am Haken fest. Die beiden, der Fisch und der alte Mann sind jetzt verbunden, bilden jetzt ein Paar, das auf Gedeih und Verderben zusammenhängt. Noch weiß Santiago nicht, was er für einen Fisch angehakt hat, aber es muss ein großer sein, wenn er ihn mit seinem Boot dermaßen stark und immer weiter hinaus auf´s Meer ziehen kann.
Die Leine ist gespannt bis kurz vor´s Zerreißen, Santiago muss die Leine mit den Händen halten und läßt sie über seinen Rücken laufen, um sofort reagieren zu können und zu verhindern, daß sie bei einem plötzlichen Ruck reißt. Sie schneidet ein, die linke Hand bekommt einen Krampf und wird zur Klaue, Blut läuft aus Wunden, über Stunden brennt ihm die Sonne auf den Buckel, ohne daß der Fisch an Fahrt verliert. Und der Schmerz ist überall in seinem Körper und bald ist die Frage, wer wen an der Angel hat, der Fisch in der Tiefe den Mann oder der Mann den Fisch….
Mit den anderen Leinen gelingt es Santiago, einen kleinen Thun zu fangen, so daß er etwas zu essen hat…. zwei Nächte und zwei Tage dauert der Kampf zwischen dem Fischer und dem Fisch, erst nach dieser Zeit scheint das riesige Tier Kraft zu verlieren. Aber auch Santiago ist am Ende, er ist nahe am Delirium, hat ja kaum was getrunken all die Zeit, aber er ist zäh, früher schon, als er noch jung war, hat er es beim Armdrücken bewiesen, 24 Stunden dauerte der längster Kampf, den er gewann. Solche Geschichten gehen ihm im Kopf herum in all den heißen, hungrigen, durstigen, schmerzenden Stunden…
Mit all seiner letzten Kraft kann er schließlich den Fisch töten, ihm die Harpune in´s Herz stoßen, doch dieser ist so groß, größer als sein Boot, daß er ihn nicht in das Boot bekommt und auf der Rückfahrt aussen festbinden muss. Die Blutspur, die sich hinter dem toten Fisch Meer bildet, lockt die Haie… die ersten von ihnen kann Santiago noch töten, doch er verliert seine Waffen und in der Nacht resigniert er: er hat nichts mehr, womit er gegen die Haie kämpfen kann, sie fressen seinen Fisch auf und als er in der Dunkelheit wieder in den Hafen einläuft, begleitet ihn nur noch ein riesiges Gerippe…
Kaum schafft es Santiago noch, sich in seine Hütte zu schleppen, wo ihn Manolin am nächsten Morgen halbtot vor Erschöpfung findet…. Doch er wird wieder hinausfahren auf das Meer, wieder nach dem Fisch jagen….
Dann tat ihm der große Fisch, der nichts zu fressen hatte, leid, aber sein Entschluß, ihn zu töten, wurde durch sein Mitgefühl nicht geschwächt. Wievielen Menschen wird er als Nahrung dienen, dachte er. Aber sind sie´s wert, ihn zu essen? Nein, natürlich nicht. Es gibt niemanden, der´s wert ist, ihn zu essen, wenn man die Art seines Verhaltens und seiner ungeheuren Würde bedenkt.
„La mar„: für Santiago ist das Meer weiblich, seine Liebe zum Meer drückte sich darin aus, es war nicht männlich, wie mittlerweile für manche der jüngeren, die „el mar“ sagten, als sei es ein Konkurrent, gar ein Feind. Weiblich, damit auch immer ein wenig mütterlich, die See ernährt ihn, sie trägt ihn…. ihn und auch den Fisch, den er am Haken hat und für den er im Lauf der vielen Stunden, die sie miteinander verbringen und ringen und dem er immer mehr Achtung entgegenbringt, ihn soweit erhebt, daß er die anderen Menschen als nicht würdig ansieht, sich von ihm zu ernähren. Das einzige, was er als Mensch, ihm, seinem Bruder, voraus hat, sei die Klugheit – aber vllt auch ist einfach auch nur die Tatsache, daß er eine Waffe hat.
So wie Santiago an Land die Fürsorge und Hilfe des Jungen annimmt, so agiert er auf See alleine. Zwar würde er sich die Hilfe Manolins wünschen, doch er schafft es auch allein – wenn auch mit Problemen und unter Aufbietung all seiner Kraft. Es ist eine Geschichte davon, wie im Alter die Schwäche die Kraft ablöst und dies durch Ausdauer und Zähigkeit, durch Willen und Erfahrung („Fisch, ich bleibe bei dir, bis ich tot bin.„) ausgeglichen werden muss, es ist auch eine Geschichte davon, wie durch den Glauben an sich selbst schier Unmögliches noch geschafft werden kann.
Santiago sieht sich als Teil des Meeres, als Teil der Natur. Der Fisch, den er/der ihn an der Angel hat, ist ihm als Individuum gleichwertig, beide leiden die ähnlichen Schmerzen des Hungers und der Verletzung: „Fisch, ich liebe dich und achte dich….. Ich wünschte, ich könnte dem Fisch was zu essen geben, dachte er. Er ist mein Bruder. Aber ich muss ihn töten und bei Kräften bleiben, um es zu schaffen… gottlob, sind sie nicht so klug wie wir, die sie töten, obwohl sie edler und fähiger sind.“ Er muss ihn töten, weil der Fisch ihn ernähren kann, ihm und vielen anderen als Nahrung dienen kann und sie am Leben hält. Es ist die „natürliche“ Ordnung, auch der Fisch tötet andere Fische, von denen er sich ernährt….. später dann denkt sich Santiago, ob dies mit dem „klüger sein“ wirklich so ist, oder ob der entscheidende Unterschied in Wirklich keit nur ist, daß der Mensch eine Waffe hat im Gegensatz zum Tier: Der Mensch ist nicht viel neben den großen Raubvögeln und wilden Tieren…..
Es ist schlimm genug, von der See zu leben und unsere eigenen Brüder zu töten.
Santiago dämmert in den vielen Stunden oft vor sich hin, erinnert sich an früher, an seine Träume. Immer wieder tauchen Löwen auf in diesen Träumen, die weißen Strände Afrikas, die er als Matrose einst besuchte…. er verletzt sich, die Leine rutscht ihm durch die Hände, sie scheuert seinen Rücken auf. Kann er den Hunger noch durch Fische, die er fängt, linden, so quält ihn Durst… der Kreislauf droht zu versagen, ob sein Idol, DiMaggio dies alles aushalten würde, so fragt er sich….
Im Moment des traurigen Triumpfes schafft Santiago gleichzeitig die Basis für sein Scheitern. So wie der Schicksalsspruch der Götter den Stein, den Sisyphus fast in die Höhe gerollt hat so wie der alte Mann den riesigen Fisch getötet hat, wieder in die Tiefe rollen läßt, schlägt auch hier das Schicksal unbarmherzig zu: die Blutspur, die unvermeidlich ist beim Töten, lockt die gefräßigen Haie an, deren Zahl zu groß ist, als daß der völlig erschöpfte Fischer sich ihrer aller erwehren hätte können….
Aber Santiago ist nicht wirklich gescheitert, das am Boot angebundene Gerippe beweist, welch riesigen Fang er gemacht hatte, es erregt die Bewunderung und Anerkennung aller. Und gibt ihm die Zuversicht, es wieder zu versuchen so wie sein mythischer Vorgänger den Stein jedesmal wieder in die Höhe gerollt hat, so wird auch er wieder auf Meer ausfahren, die Leinen beködern und auswerfen und auf einen Fang hoffen….
„Der alte Mann und das Meer“ ist weniger, wie man bei Hemingway vllt erwarten würde, eine Erzählung über Männlichkeit, Kraft und Mut, es ist eher eine Art Abgesang darauf. Kraft und Männlichkeit sind Santiago schon lange verloren gegangen, auf die Unterstützung eines Jungen ist er angewiesen, alleine würde er zu schlecht für sich sorgen. Was er noch hat, beweist sich auf dem Wasser: Zähigkeit, den Glauben an sich, die Erfahrung und die Fähigkeit, zu dulden, auch demütig zu sein und nicht mehr hochfahrend. Auch wenn er den Fisch töten will, erkennt er in ihm einen ihm in seinem Sein verwandtes, ja gleichwertiges Wesen, ja, die Möglichkeit des eigenen Todes in diesem „Bruder“kampf schreckt ihn nicht: „Du tötest mich, Fisch…. Aber dazu bist du berechtigt.“ Im Ganzen also ein eher nachdenkliches, melancholisches Werk ohne jede Kraftmeierei. Dies kommt auch im Stil zum Tragen, der behutsam ist, nachdenklich in den Passagen, in denen Santiago mit dem Fisch ringt und sein Leben an sich vorüber gehen läßt… auch wenn mir nicht das „homerische Salz„, das einer der Rezensenten im Klappentext dieser alten Ausgabe des Rowohlt-Verlages beschwört, in die Augen stieg, ist „Der alte Mann und das Meer“ doch eine lohnende Lektüre gewesen, die nach einem (der Geschichte geschuldeten) langatmigen Beginn zum Schluss hin spannend wird, selbst wenn man den Ausgang ja mittlerweile kennt.
Links und Anmerkungen:
[1] Wiki-Artikel zum
– Autoren: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernest_Hemingway
– Buch: http://de.wikipedia.org/wiki/Der_alte_Mann_und_das_Meer
– „Yankee Clipper“ Joe DiMaggio: http://de.wikipedia.org/wiki/Joe_DiMaggio
[2] Vielleicht liegt in diesen Eigenschaften die Symbolik, denn Missgeschicke und Schmerz warten auch auf den alten Mann und ebenso wie DiMaggio überwindet Santiago diese: „DiMaggio inspired Santiago with his leadership qualities and the determination to win, in spite of handicaps. The image of the baseball hero playing in pain gave Santiago renewed vigor and stamina to bear his own pain.“ …. „Joe DiMaggio was a symbol of excellence, perseverance, determination and leadership. He overcame adversity and triumphed despite his constant pain.“ aus: THE OLD MAN AND THE SEA – 2012, in: http://www.theburningplatform.com/2012/03/11/the-old-man-and-the-sea-2011/
Mehr von/über Hemingway hier im Blog:
- Leonardo Padura: Adiós Hemingway
- Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo
Ernest Hemingway
Der alte Mann und das Meer
Übersetzt aus dem Englischen von Annemarie Horschitz-Horst
Schutzumschlag von A. und F. Ivancich
Originalausgabe: THE OLD MAN AND THE SEA, New York, 1952
diese Ausgabe: Rowohlt, HC, ca. 120 S., 1953
Ach, einfach schön. Noch immer lesenswert, was man von wenigen Büchern ehrlich sagen kann.
Gruss, Peter
Der kalte Mann am Meer.
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na, besser der alte mann am meer als der faltenmann und das meer…. schön, daß du mal wieder vorbeigeschaut hast, das hat mich sehr gefreut! und ja, es gibt bücher, die zwar alt werden, aber trotzdem jung bleiben!
herzliche grüße
fs
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Auch die Verfilmung und insbesondere der Song ist ein Genuss!
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