Hinweis: Diese Rezension ist auch als podcast im literatur RADIO bayern erschienen: https://radio.blm.de/radiobeitrag/fda-rezensionen….html
„Diese Hintern sind es, die ich so liebend gern photographiere, um für alles Zeiten ihre wundervollen Kurven festzuhalten, bevor sie der Zeit um Opfer fallen.
Diese Hintern verdienen es fast, als höchste Anerkennung für ihre Einzigartigkeit, kein Loch im Po zu haben.“ [1]
Der Hintern, der Po oder (derber, aber nicht unbedingt auch negativ) der Arsch, mit vielen Begriffen (Bornemann zählt in seiner Untersuchung zum obszönen Sprachschatz der Deutschen [2] allein weit über 100 teils regionale Synoyma für diesen Körperteil auf) wird dieser markante Teil unseres Körpers bedacht. Unabhängig, ob Männlein oder Weiblein, der jeweilige Hintern ist ein Blickfang für das andere oder auch (neidisch? abschätztend? begehrend?) das eigene Geschlecht. Dabei sind die Vorlieben so unterschiedlich wie die Ausprägungen: mag der eine den straffen, muskulös-knackigen Po, so steht der andere eventuell auf den ausladenden, zerfließenden Hintern, der in seiner Weichheit ein Platz sein kann zum Hineinsinken und Ruhen. Ist der eine Po braungebrannt von der Sonne, so schimmert der andere in milchigem Weiß voll einladender Unschuld – für beide gibt es Liebhaber, die sich nichts Schöneres vorstellen können als sich zu berauschen an diesem Anblick und – ist einem das Glück und der/die Träger/in desselben hold – an der Glätte der Haut, der Wärme, dem Widerstand, den sie der streichelnden Hand oder anderem bietet ….
Dabei ist der Hintern selbst, sind wir ehrlich, strukturlos: eine Fläche, die durch ihre Kontur wirkt, durch die Form, die fließenden Linien, den durch kleine Falten gekennzeichneten Übergang zum Schenkel und nach oben hin durch die Einschnürung der Taille…. und natürlich auch – und daß vielleicht sogar zuvörderst – durch die Furche, die ihn in der Mitte teilt, die die rechte von der linken Pobacke abtrennt und die in ihrer Mitte wiederum diese geheimnisvolle-anziehende Öffnung vor allzu neugierigen Blicken versteckt. Um diese zu erhaschen, muss man die Hügel bewegen, verschieben, nach den Seiten drücken und der Blick wird frei auf den Grund der Furche, die sich bei den Frauen fortsetzt nach vorne und im Geschlecht mündet, auch dies gespalten und von beiden Seiten nicht mit Hügeln, aber mit Lippen bedeckt….
Ist der Antipode des Gesäßes die Brust, vor allem die weibliche, so erkennt man den unterschiedlichen Charakter auf den ersten Blick: die Brust ist gekrönt, sie bietet dem Auge, der Hand, dem Mund ein Ziel der Begierde.. der Po hingegen ist Kontur, ist Form, Farbe, Volumen und Fläche – als Fläche dann auch Projektionsfläche für das, was wir in ihm sehen, sehen wollen: ein Platz der Geborgenheit, der Sehnsucht, der Begierde, eine zu erobernde Festung, zwei Zinnen beidseitig der lockenden Furche. Der möglichen Interpretationen sind es viele, vielleicht so viele, wie es Betrachter und Liebhaber gibt, denn kaum werden zwei davon mit denselben Gedanken und Gefühlen an ihr Werk gehen.
„Es ist der Anus, der selbst dem reinsten Hintern einen klandestinen Fixpunkt verleiht, obskure Vitalität, den Hauch des Mysteriösen, ein kleines Symbol der Intelligenz, den indiskreten Moschusgeruch und diabolische Intimität. Möge Gott uns vor Hintern ohne Loch bewahren!“ [S. 215]
Diesem Körperteil (und letztlich auch seiner Öffnung) widmet sich Jean-Luc Hennig in seiner kleinen Kulturgeschichte. Wie schon im Intro angedeutet, ist der Hintern im wesentlichen dem Auge und dem Tastsinn zugänglich. Zwar kann er auch akustisch und/oder olfaktorisch in Erscheinung treten (btw: Kunstfurzer werden im Buch tatsächlich nicht erwähnt), doch sind Connaisseurs dieser „Reize“ eher selten. Folgerichtig diskutiert Hennig die Rezeption des Gesäßes in der Kulturgeschichte vor allem an Beispielen aus der Malerei und der Bildhauerei, hier ist der Rückenakt, die Hinteransicht seit je her ein bevorzugtes Sujet der Künstler. Über die Jahrhunderte hinweg lassen sich so die Moden, die jeweils bevorzugten Ausformungen des Gesäßes beobachten und auch interpretieren. Diese Interpretationen sind – da das Gesäß als Fläche eben auch Projektionsfläche für alles mögliche sein kann – weitschweifig bis hin zu dem Moment, da dem Po eine eigene Persönlichkeit zugebilligt zu werden scheint…. Visuell spielt der Hintern natürlich auch in der Mode eine Rolle, in vergangenen Jahrhunderten wurden Kleider oft unter besonderer Herausstellung des Po designt, auch heutzutage ist der knackige Po in der Jeans ein Augenfang, zu schweigen von dem am Rücken geschlitzten Kleid, das sich erst weit unten schließt, wo wenig zu sehen, aber viel zu ahnen ist….
Das Taktile.. die Berührung der Haut, das Streicheln über die Fläche, das Erforschen der Furche…. ein erotisches Erlebnis für alle Beteiligten. Bis hin zum Röten der Haut, zur Anhebung der Durchblutung und damit der empfundenen Hitze bei heftiger Kosung, ja, bei leichten Schlägen bis hin zu heftigen, die das Blut hervortreten lassen: der Po immer auch das Objekt desjenigen, der Schläge liebt – ob er sie nun austeilt oder ob er das Beissen der Rute auf dem weichen Fleisch selbst genießt….
Das Buch ist in kleine Abschnitte unterteilt, die z.B. „Der Blick durchs Schlüsselloch des Badezimmers“, „Ein Hintern, für den man bezahlt“, „Der Po unterm Messer“, „Unter dem brennenden Hagel der Schläge“, „Das Laster wider die Natur“ oder „Das lebendigste aller Löcher“ heißen. Diese Kapitel (insgesamt sind es ca. 30) sind durchweg sehr unterhaltsam geschrieben und bieten eine Fülle von Beispielen und Hinweisen (das Buch parallel zur Bildersuche im Internet zu lesen, ist sicher eine gute Möglichkeit, die Freude daran zu erhöhen). Das manches, was Hennig schreibt, weit und fantasievoll interpretiert und ausgedeutet ist – nun ja, der Hintern als Projektionsfläche ist groß und vieles hat auf ihm Platz….. und ist es nicht tatsächlich so, daß der rollende Gang einer Frau vor uns, der ihren Po in sanfte Schwingungen versetzt, diesen Anblick als Fleisch gewordenen Lockruf an uns absetzt, er mit uns spricht, uns Versprechungen macht, uns vielleicht sogar anlacht – oder auslacht?
Wenngleich zugegebenermaßen das weibliche Hinterteil im Vordergrund der Betrachtungen steht, wird doch auch der männliche Po berücksichtigt, seien es die kraftvoll erotischen Rückenansichten griechischer Athleten, in Marmor verewigt oder – moderner – die Mode, die dafür sorgt, daß auch die Damenwelt sich an knackigen Hinterteilen sattsehen kann. Schließlich ist belegt, daß dieser Teil des Körpers in jedem Fall die Blicke auf sich zieht…
Links und Anmerkungen:
[1] Jeanloup Sieff: derrières, Kehl, 1994
[2] Ernest Borneman: Sex im Volksmund – Der obszöne Sprachschatz der Deutschen, Hamburg 1991
Hinweis: Diese Rezension ist auch als podcast im literatur RADIO bayern erschienen: https://radio.blm.de/radiobeitrag/fda-rezensionen….html
Jean-Luc Hennig
Der Hintern
Übersetzt aus dem Französischen von Sabine Lorenz und Felix Seewöster
Originalausgabe: Brève Histoire des fesses, 1995
diese Ausgabe: Piper, TB, ca. 230 S., 2000
Ein Kommentar zu „Jean-Luc Hennig: Der Hintern“