Peter Braun: Weimarer Geschichten

Weimar, dieses kleine Städtchen im Osten Deutschlands hat mich die letzten Wochen literarisch beschäftigt: angefangen hatte es mit der Biografie von Cornelia Goethe, die über deren berühmten Bruder Weimar zumindest im Hintergrund sichtbar machte, dann kam die Wolzogen-Biographie von Feyl, um den Gegensatz dieser beiden so unterschiedlichen Frauen besser verstehen zu können. Mit Wolzogen trat naturgemäß Schiller auf die Bühne, die große Schiller-Biografie von Damm liegt noch ungelesen auf dem SuB…. Mein Lesekreis oktroyierte mir schließlich Manns „Lotte in Weimar“ [alle Links unter 2] auf und jetzt habe ich als Hintergrund das Büchlein von Peter Braun über Weimarer Geschichten gelesen, das eine Menge interessanter Informationen über die Verhältnisse in der Weimarer Klassik enthält.

...das bronzene Reiterdenkmal von Weimars berühmtestem Fürsten, Großherzog Carl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach. ... [1]
…das bronzene Reiterdenkmal von Weimars berühmtestem Fürsten, Großherzog Carl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach. … [1]
„Weimarer Geschichten“ ist ein kleines, schmales Büchlein. Auf gut 140 zum Teil bebilderten Textseiten lassen sich keine tiefgründigen Analysen unterbringen, der Text konzentriert sich daher auf die großen Linien, erschöpft sich zum Teil im Anekdotischen. Er liest sich schnell, lange Satzkonstruktionen gibt es nicht, dem Stil haftet etwas Eilendes, Schnelles an….

Zuerst führt Braun sein Büchlein mit einem Rückblick auf das Weimar der damaligen Zeit ein. Dies war keineswegs ein schmuckes Städtchen, so wie es sich heute präsentiert, es war ein Ort mit ca. sechstausend Einwohnern, bewohnt von kleinen Handwerkern und Kaufleuten, die nebenher noch Landwirtschaft betrieben. Die Straßen noch unbefestigt, wenige Läden nur, viel wurde in der Wohnstube gearbeitet und verkauft. Der Adel war arm, durch kostspielige Liebhabereien auch das Fürstenhaus nicht wohlhabend. Erst mit Anna Amalia sollte sich dies ändern, diese wirtschaftete sorgfältiger und verantwortungsbewusster, aber allein dadurch kam auch kein Geld in die Schatulle – aber es wurde weniger ausgegeben und mit Verblendungen á la Potemkin gearbeitet. Die berühmte Bibliothek besipielweise war bautechnisch sehr viel mehr Schein als Sein…. So waren auch die Vergnügungen bei Hof seltener und weniger aufwändig als bei anderen Höfen, feste Theater hielten sich nicht und mussten aufgegeben werden, die Bälle und Festivitäten kleiner und einfacher.

Und doch war das beste Auskommen der Menschen immer noch eine Anstellung bei Hof. Diese waren jedoch rar, der Andrang hoch… das führte zu Ränken und Intrigen, zu Günstlings- und Vetternwirtschaft. Wer Einfluss bei Hof hatte, der wurde hofiert mit der Hoffnung auf eigene Begünstigung….

… ein zweites „Und doch“: es gab Glücksgriffe, die die Goldene Zeit der Stadt einleiteten. Der Sohn Anna Amalias, oben auf dem Pferd verewigter Carl-August, sollte eine Erziehung erhalten, die neben dem höfischen auch eine bürgerliche Komponente umfasste: eine neue Zeit war angebrochen, Entdeckungen, Erforschungen, auch politische Umwälzungen fanden überall in Europa statt, Bürgertum entstand und war bildungshungrig (mehr wie der Adel) und diesen Hunger wollte die Herzogin ihrem Sohn vermitteln: ein bürgerlicher Erzieher ward 1772 dem adeligen an die Seite gestellt: Christoph Martin Wieland, damals der führende Schriftsteller Deutschlands. Mit ihm begann die hohe Zeit Weimars.

Weimar: heute ein schmuckes Städtchen. Hier am Herderplatz mit dem ehemaligen Deutschritterhaus.
Weimar: heute ein schmuckes Städtchen. Hier am Herderplatz mit dem ehemaligen Deutschritterhaus.

Wenige Jahre später trat der junge Goethe auf die Weimarer Bühne, er löste Wieland als Erzieher ab. Es muss eine wüste „Erziehung“ gewesen sein, eher eine Kumpanei des herzoglichen Sohnes mit dem Dichter, die häufig zu derben Ausschreitungen, wilden Jagden durch das Städtchen führten – keineswegs zur Freude der Herzogin und der Bewohner… doch Goethe selbst wurde erzogen: die Dame von Stein, der er jahrelang nachstellte und die über diese Possen des Goethe ungnädig die Nase rümpfte. Goethe änderte sich, wurde ruhiger und diese färbte letztlich auch auf Carl-August ab.

Ob Goethe bei Charlotte von Stein „Erfolg“ hatte, ist nicht sicher, wenn ich Braun richtig verstanden habe, ist es ob deren Prinzipienfestigkeit – immerhin war sie verheiratet – eher unwahrscheinlich. Nach 10jährigem Werben jedenfalls verließ der Dichter und mittlerweile mit vielen amtlichen Funktionen betraute das betuliche Weimar für geraume Zeit, um in Italien auf andere Gedanken zu kommen….

von Stein war nicht die einzige Angebetete Goethes, es gab deren einige, auch wenn nicht über alle Verhältnisse so viel bekannt ist wie über das mit der Frau von Stein. Das Maul zerrissen haben sich die Weimarer aber letztendlich über die Frau, mit der Goethe sich fest band: Christiane Vulpius, eine Frau aus dem einfachen Volk, mit der er seinen Sohn hatte und die er letztendlich heiratete. Und sicherlich war Christiane nicht die schlechteste der Frauen….

Schiller, das zweite Genie in dieser Zeit in diesem Ort. Die Bekanntschaft zwischen dem arrivierten Geheimen Rat und dem jungen, stürmischen Dichter begann zögerlich, mit anfänglicher Abneigung. Erst mit den Jahren und den sich annähernden Ansichten angesichts der politischen Umwälzungen und Wirren kam man sich näher und freundete sich an.

Früh starb er, der Schiller, viel krank war er gewesen, ums Geld musste er sich sorgen, um seine Familie zu ernähren. Die Obduktion des Leichnams ergibt ein schauerliches Ergebnis, verwunderlich, daß er überhaupt so lange lebte bei all den Verwachsungen, Degenerationen, Perforationen…. auch die Posse um Schillers Schädel schildert schön der Autor in seinem Büchlein.

Jean Paul ist der letzte der Dichter, dem sich Braun widmet. Die Frauen liebten ihn und er liebte die Frauen – je weiter sie entfernt waren von ihm, umso mehr. 1796 erschien er in Weimar… für Paul war Schreiben und Leben eins, jede Bindung an eine Frau hätte diese Einheit zerstört…. „Ich bin frei, frei, frei und selig!“ 1801 heiratet der dann doch, achtunddreißigjährig und verläßt Weimar. Sonderlich glücklich ist die Ehe nicht, aber sie scheint „funktioniert“ zu haben…

Fast hätt´ ich ihn vergessen, den Eckermann, Johann Peter Eckermann. Selbst durchaus mit Talenten gesegnet, litt er ein Leben lang darunter, daß die Armut des Elternhauses ihm keine Bildung, keine Ausbildung ermöglichte. Selbst sein Fleiß, seine Zähigkeit, seine Willensstärke reichten nicht, dies später ausreichend nachzuholen: das reale Leben, die Notwendigkeit, irgendwie Geld zum Überleben zu verdienen, bremsten ihn stetig aus. In Weimar wurden Goethe und die Arbeit mit diesem zu seinem Lebensinhalt. Nach dessen Tod versank Eckermann, der sich selbst, was die gemeinsame Arbeit anging, auf gleicher Höhe sah wie der Dichter, von anderen aber als subaltern wahrgenommen worden war, wieder in Armut und Bedeutungslosigkeit….


Goethe als Orest, Schröter als Iphigenie ("Iphigenie auf Tauris", Gemälde von Georg Melchior Kraus) Bildquelle [B]
Goethe als Orest, Schröter als Iphigenie („Iphigenie auf Tauris“, Gemälde von Georg Melchior Kraus)
Bildquelle [B]

Braun schildert in seinen Geschichten nicht so sehr die Dichter, sondern mehr die Figur hinter diesen, die man (zumindest geht es mir so) manchmal vergisst, doch auch ein Dichter, ein Poet hat ein Alltagsleben, muss sich kümmern um Haus und Hof, er muss das Leben finanzieren, die eine oder andere Anschaffung…. der Schwerpunkt des Buches liegt natürlich bei der prägenden Gestalt dieser Epoche, bei Goethe bzw. von Goethe. Viele Liebschaften begleiten ihn durch´s Leben, viele der Frauen gebunden (Mann läßt seine Lotte [2] sagen, er hätte sich wie ein Kuckuck in das Nest ihrer Verlobung gesetzt], es ist ihm gleich. Mag sein, daß ihm das Wissen, die Begehrte ist gebunden, sogar Sicherheit gibt, nicht in die Pflicht genommen zu werden (eine Vermutung meinerseits). Andererseits muss man auch anerkennen, daß er sich mit seinem Bekenntnis zur Vulpius exponiert und der „Aburteilung“ durch die Weimarer Gesellschaft aussetzt – dies hat geschmerzt.

Daß Braun auch auf einige dieser Frauen (von Stein, Schröter, Vulpius) eingeht und ihr Leben schildert, ist eine schöne Bereicherung der vorgelegten Spurensuche.

So kann ich das Büchlein jedem, der – aus welchen Gründen auch immer – an dieser Epoche interessiert ist, sehr empfehlen: atmosphärisch dicht, viele Informationen und Details, die man sonst suchen muss, sehr gut lesbar und doch alles unterhaltsam.

Links und Anmerkungen:

[1] Sven Evertz: Carl August Denkmal in: http://www.weimar-lese.de/index.php?article_id=389
[2] – Sigrid Damm: Cornelia Goethe;  https://radiergummi.wordpress.com/2014/04/09/sigrid-damm-cornelia-goethe/
Renate Feyl: Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit; https://radiergummi.wordpress.com/2014/04/30/renate-feyl-das-sanfte-joch-der-vortrefflichkeit/
Thomas Mann: Lotte in Weimar; https://radiergummi.wordpress.com/2014/06/25/thomas-mann-lotte-in-weimar/

[B]ildquellen:
– Stadtbilder: copyright beim Verfasser
– Iphigenie auf Taurus: über Wiki, Georg Melchior Kraus [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Kommentar zu „Peter Braun: Weimarer Geschichten

  1. „Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
    Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
    Unsrer Liebe, unsrem Erdenglücke
    Wähnend selig nimmer hinzutraun?
    Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
    Uns einander in das Herz zu sehn,
    Um durch all die seltenen Gewühle
    Unser wahr Verhältnis auszuspähn?…“

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